Aneignung Revisited: Memes
Call for Papers ZfM 33 – Aneignung Revisited: Memes (DE)
Call for Papers ZfM 33 – Aneignung Revisited: Memes (EN)
Nicht erst seit den jüngsten Debatten über cultural appropriation ist auch in der Medienwissenschaft häufig von ‹Aneignung› die Rede. Ein einheitlicher Gebrauch des Begriffs ist erwartungsgemäß nicht festzustellen. Er kann sich sowohl auf konkrete Medienpraktiken beziehen (vom Zitat über den Remix bis zum Reenactment) als auch auf die grundsätzlich ‹sekundäre› Beschaffenheit von Kunst als kreativer Referenzkultur («Good artists copy, great artists steal», wie es ein Slogan will, dessen Urheber*innenschaft nicht zweifelsfrei geklärt ist). Während die dem Begriff eingeschriebene Frage der Besitzverhältnisse hier immer schon im Spiel ist, wurde Aneignung im Anschluss an die Cultural Studies hingegen zumeist als Rezeptionshaltung verstanden, die der aktiven Rolle von Zuschauer*innen in der Bedeutungsaushandlung von Medienartefakten – und damit der Polysemie auch popkultureller Produktionen – Rechnung trägt. Mit dem Aufkommen digitaler Partizipationskulturen hat sich das Versprechen der Nutzer*innen-Ermächtigung schließlich vor allem hin zu den Aktivitäten des ‹Prosumierens› verlagert, weil die Affordanzen sozialer Plattformen das Ineinandergreifen von Rezeption und Produktion begünstigen.
Bei dieser Zäsur setzt der Heftschwerpunkt an. Er lädt ein, den Aneignungsbegriff unter dem Vorzeichen digitaler Alltags- und Popkultur neu zu überdenken. Wurde in den Cultural Studies auf unterschiedliche ‹Lesarten› rekurriert, um die sozial situierten Lektüreprozesse des «Encoding/Decoding» (Stuart Hall) zu plausibilisieren, so manifestiert sich Aneignung in sozialen Netzwerken, auf Imageboards und Videoportalen in konkreten, sichtbaren Praktiken – im Zitieren/Kopieren, Collagieren, Weiterverarbeiten und Teilen. Es reicht also nicht mehr, Aneignung als nachträgliche Zweckentfremdung (im Sinne Michel de Certeaus) zu denken, sind doch Aneignungsprozesse in der gegenwärtigen digitalen Alltagskultur tendenziell zur ‹Hauptsache› geworden.
Mit dieser Transformation gehen Potentiale und Probleme einher, die sich, so der Vorschlag dieses Schwerpunkts, anhand von Meme-Kulturen exemplarisch beobachten lassen: Internet-Memes basieren auf Medienzitaten, auf vorgefundenen Bildern, Film- oder Tonausschnitten, die mittels digitaler Copy-Paste-Verfahren angeeignet, weiterbearbeitet und wieder in Zirkulationsprozesse eingespeist werden. Der symptomatische Stellenwert von Meme-Kulturen für die Relevanz appropriierender Verfahren (nicht nur) unter digitalen Bedingungen speist sich durchaus auch aus ihrer unübersehbaren Allgegenwart und den genealogischen Bezügen zu künstlerischen Vorgängerpraktiken (etwa in den historischen Avantgarden, der Pop oder Appropriation Art oder subversiven Medienkunst). Vor allem aber verspricht der hybride Status von Memes – zwischen Kunst und Popkultur, Do-It-Yourself-Ermächtigung und Plattform-Kapitalismus, globaler Zirkulation und Community-Orientierung, Humor und Politik – Aufschlüsse über die spezifischen Formen von agency, die medienbasiertes Aneignen kennzeichnet. Solche Prozesse sind natürlich nicht auf Memes im engeren Sinne als intermediale Text/Bild-Verknüpfungen beschränkt, handelt es sich doch bei Meme-Kulturen um ein hochdynamisches Feld kreativer Aktivitäten mit fließenden Übergängen in andere Formate und Praktiken (etwa digitale Kopierverfahren wie GIFS, Mash-Ups oder auch Deep Fakes, digital folklore (Olia Lialina & Dragan Espenschied) oder künstlerische Arbeiten, die digital oder analog auf die Herausforderungen protokünstlerischer Meme-Praktiken reagieren).
Wenn dieser Schwerpunkt dazu beitragen möchte, die potentielle Handlungsmacht memetischer Appropriationen als Wechselwirkung zwischen angeeignetem Material, sozialen Plattformen und Prosument*innen genauer zu bestimmen, so beinhaltet dies auch, der Gegenseitigkeit dieser Prozesse Rechnung zu tragen (und damit der Marx’schen Anregung zu folgen, Aneignung als Verhältnis zu denken, das beide Seiten verändert): Wie lässt sich Aneignung als reziprokes Verhältnis denken, das Subjekte nicht nur in ihrer Aktivität, sondern auch in ihrer Porosität und Empfangsbereitschaft adressiert? Gleichzeitig sind selbst eigensinnige, kreative und/oder – im Sinne Stuart Halls – «widerständige» Umdeutungen von Memes aufgrund ihrer (auch plattformabhängigen) templatibility keineswegs Ausdruck einer individuellen Handlungsmacht und können durchaus ‹hegemoniale› Lesarten verfestigen. Nicht nur angesichts ihrer plattformkapitalistischen Infrastruktur fordern Meme-Kulturen dazu heraus, dem vermeintlich subversiven Charakter von Aneignung kritisch zu begegnen, die als Praxis einer digitalen Kommunikationsguerilla schließlich auch von rechter bis rechtsradikaler Seite betrieben wird. In womöglich gesteigerter Form beerben Meme-Kulturen die grundsätzlichen Ambivalenzen appropriierender Praktiken: Wann kann Aneignung widerständig sein und in welchen Fällen bestätigt oder reproduziert sie herrschende gesellschaftliche Verhältnisse?
Angesichts aktueller Debatten bieten sich zwei Perspektiven an, um die teils alten, teils neuen Potentiale und Probleme digitaler Aneignungspraktiken genauer herauszuarbeiten: zum einen die Kritik an kultureller Aneignung und zum anderen Konzepte des digitalen Commoning. In der vorliegenden Forschung wird die gemeinschaftsstiftende Funktion von Meme-Kulturen zumeist anhand von inhaltlichen Kriterien betont (etwa im Fall von rechten oder feministischen Memes). Weil aber Aneignung hier unter dem Vorsatz des Teilens geschieht, sind Memes darüber hinaus immer auch das Resultat gemeinschaffender Verfahren. Commoning betont das Gemeinsame auch als Resultat von gemeinschaffenden Verfahren, als soziale Form, das durch kollaborative und vermittelnde Prozesse und Praktiken als solches erst hergestellt wird. Weil Memes als commons im Netz auch zur Kontaktpflege und phatischen Kommunikation eingesetzt werden, möchte der Schwerpunkt die auf politische Kollektivierungen gerichtete Forschungsperspektive erweitern, steht doch commoning als soziale Praxis auch für Formen der Anerkennung und Fürsorgearbeit: Lässt sich das Aneignen und Teilen von Memes wiederum als Care-Arbeiten verstehen?
Dieser optimistischen Sicht steht wiederum entgegen, dass die unkontrollierten und scheinbar ungerichteten Aneignungsprozesse in Meme-Kulturen zugleich die Tendenz aufweisen, ihre soziokulturellen Einlassungen zu verunsichtbaren. Es sind insbesondere Einwände zur kulturellen Aneignung, die globale Zirkulationsbewegungen nicht nur als interkulturellen Austausch und Übersetzungsprozess perspektivieren, sondern die Bereicherungen einer weißen Mehrheitsgesellschaft an Medien- und Kulturproduktionen von People of Colour kritisieren. Wie werden in dieser Gemengelage das ‹Eigene› und das ‹Fremde› jeweils ausgehandelt und in Stellung gebracht? Wann, von wem und unter welchen Bedingungen fällt Aneignung in Meme-Kulturen ausbeuterisch aus, wann solidarisch-unterstützend oder transformativ-schöpferisch? Auch weil die Meme-Praktiken von People of Colour ihrerseits vielfältig sind, werfen digitale Alltagspraktiken, in denen Appropriation das niemals ganz zu regulierende Tagesgeschäft ausmacht, komplexe ethische Fragen auf.
Wir möchten mögliche Beitragende einladen, an die hier genannten Problematiken und Fragestellungen anzuknüpfen und sie weiterzudenken. Gewünscht werden Einreichungen, welche die Reichweite des Aneignungsbegriffs berücksichtigen und aufzeigen, unter welchen Gesichtspunkten dieser produktiv gemacht werden kann, sowie materialbezogene Studien, die die Einbettung von Medienpraktiken der Aneignung in breitere kulturelle und ökonomische Zusammenhänge herausarbeiten sowie implizite und explizite Machtverhältnisse thematisieren.
Schwerpunktredaktion: Lisa Tracy Michalik, Florian Schlittgen, Brigitte Weingart
Einreichung von Beiträgen (und ggf. Bildmaterial) bis 28. Februar 2025 an: memecultures@udk-berlin.de
Bitte die Beiträge vor Einreichung an den Styleguide der ZfM anpassen, der sich hier befindet: https://zfmedienwissenschaft.de/einreichungen. Eine Vorlage zur Beitragseinreichung ist dort ebenfalls zu finden.
For an English version of the CfP, please see here.