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Open-Media-Studies-Blog

Ein Jahr Methodendebatte in der Medienwissenschaft

Laura Niebling, Felix Raczkowski und Sven Stollfuß zum Abschluss der Reihe Digitale Medien und Methoden und zum Auftakt der Arbeit am gleichnamigen Handbuch

27.7.2021

In unserem Beitrag Die Medienwissenschaft im Lichte ihrer methodischen Nachvollziehbarkeit haben wir (Laura Niebling, Felix Raczkowski, Maike Sarah Reinerth und Sven Stollfuß) dazu aufgerufen, über «gegenstandsbezogene Methoden und Ansätze» zu sprechen. Hierzu haben wir im Verlauf des vergangenen Jahres die Sonderreihe zu «Digitale Medien und Methoden» im Open-Media-Studies-Blog kuratiert. Diese sollte in Vorbereitung auf ein von uns geplantes Handbuch Digitale Medien und Methoden zu einer offenen Methodendiskussion im Fach beitragen. Die Reihe versammelte hierzu ‹Werkstattberichte› zu den in der medienwissenschaftlichen Forschungspraxis eingesetzten Methoden, die entlang der in der ZfM geführten, breiteren fachpolitischen Debatte über Methodik in der Medienwissenschaft lief. Wir wollen zum Abschluss der Reihe einen Blick zurückwerfen und einige Erkenntnisse versammeln, die wir durch die zahlreichen Beiträge und die in ihnen explizierten Ansätze, aber auch in unserer editorischen Arbeit mit den Autor_innen gewonnen haben.

Rahmungen und Bedingungen einer Debatte

Die Methodendebatte in der Medienwissenschaft dauert nun bereits mehr als zwei Jahre an und findet auf Workshops, in der Zeitschrift für Medienwissenschaft und diesem Blog statt, wie im eröffnenden Text der Methodenreihe dokumentiert wird. Für eine Diskussion, die unmittelbar das Zentrum des Fachs betrifft, ist es unerlässlich, dass sie auf möglichst breiter Basis geführt wird und für alle interessierten Wissenschaftler_innen offen ist. Nur so kann gewährleistet bleiben, dass die Pluralität des Fachs sich auch in den Stimmen widerspiegelt, die in der Diskussion um seine Methoden zu Wort kommen. In offenen und niedrigschwelligen Blog-Beiträgen wie in dieser Reihe am Diskurs zu partizipieren, ist nicht nur politisch geboten, sondern betrifft die Methodenfrage in ihrem Kern. Beim Umgang mit digitalen Artefakten und beim Einsatz digitaler Methoden ist die Offenheit und die Zugänglichkeit von Verfahren, Tools und Daten entscheidend, da sie letztlich darüber bestimmt, in welcher Weise Forschungsfragen überhaupt beantwortet werden können. Die Forschung an und mit digitalen Medien erweist sich zu häufig als die Arbeit an der Black Box unzugänglicher Algorithmen, emergenter Systeme oder unverständlicher Memes, für die jeweils methodische Zugänge gefunden werden müssen. Diese Strategien zur Handhabung des teils unverfügbaren Materials und zur kreativen Nutzung proprietärer Tools sollten offen und dialogisch entwickelt werden, wofür sich das Blog-Format sehr gut eignet.

Rückblick auf ein Jahr Methodenarbeit in der Medienwissenschaft

Die Reihe «Digitale Medien und Methoden» umfasst insgesamt 14 Beiträge, die zwischen dem 18.01.2020 und dem 08.02.2021 veröffentlicht wurden. Die Frage der Methoden prägt diese Beiträge auf je unterschiedlichen Ebenen – sie ist entscheidend für den Zugang zu Gegenständen, aber sie stellt sich auch im Hinblick auf die oben angesprochenen Grundsatzfragen der Zugänglichkeit von Forschungsdaten und Analysetools. Die Bandbreite der medienwissenschaftlichen Untersuchungsgegenstände reicht in der Reihe von Spielen, über Filme und (Bewegt-)Bildformate, historische (Archiv-)Quellen und Plattformen bis hin zu technologischen Apparaten. Und auch die verwendeten Methodenzugänge spiegeln die «große[...] Pluralität von Ansätzen und Methoden» wider, die die Gesellschaft für Medienwissenschaft als konstitutiv für unser junges Fach beschreibt. Die methodischen Zugänge umfassen Bild- und Textanalysen ebenso wie Dispositiv- und ‹Erfahrungs›-Analysen, die den Blick von Einzelmedien und deren Inhalten hin zu Mediensystemen und Produktions- und Rezeptionszusammenhängen weiten. Hierbei lassen sich einige grundlegende Feststellungen tätigen zu den Ursprüngen von Methoden, zu den neuen Formen methodischer Arbeit sowie – schlussendlich – auch zu den übergeordneten Herausforderungen in der Kommunikation über Methoden in der Medienwissenschaft.

Methoden in der Medienwissenschaft: ein interdisziplinäres Feld

Bereits die Bandbreite der publizierten Artikel zeigt die interdisziplinären Verflechtungen der Medienwissenschaft, die das methodische Arbeiten im Fach inspirieren. Monika Palmberger entlehnt beispielsweise für ihre Diskussion von Tagebüchern ein Forschungsinstrument der Ethnologie, Martin Donner arbeitet mit Referenz auf pädagogische Forschungsfragen zu Musikobjekten und Rudolf Inderst beschreibt mit dem Close Playing von Spielen einen spezialisierten Nutzungshorizont des insbesondere in der Literaturwissenschaft genutzten Close Reading. Andere Beiträge, wie Jens Schröters Text zur Medienarchäologie oder Thorben Mämeckes Zugriff  auf die Diskursanalyse, gehören bereits zum einschlägigen analytischen Forschungsrepertoire der Medienwissenschaft. Diese interdisziplinären Verbindungen weisen die Medienwissenschaft nicht nur als junge Disziplin aus, sondern belegen im Zusammenhang damit auch, dass sie trotz einer gewissen Forschungstradition flexibel ist und ihren veränderlichen Gegenständen mit methodischer Innovation begegnet. Dieser teils experimentelle Umgang mit Methoden wird ergänzt durch Publikationsformen wie den OMS-Blog, die inzwischen eine im Fach anerkannte Plattform für aktuelle Debatten sind. Durch die kürzeren Publikationszyklen und stärker zugespitzten Beiträge des Blog-Formats eröffnet sich ein Raum des Austauschs, der für den experimentell-erprobenden Umgang der Medienwissenschaft mit neuen oder interdisziplinär entliehenen Methoden ebenso geeignet ist wie für die pointierte Auseinandersetzung mit dem klassischen Repertoire des Fachs in neuen Kontexten. Die Beiträge der Reihe stellen also exemplarisch die methodische Pluralität des Fachs aus und belegen zugleich, dass eine produktive und anwendungsorientierte Diskussion dieser Methoden selbst Gegenstand medienwissenschaftlicher Arbeit sein kann.

Datenerhebung und -auswertung: Methodische Zugänge zu und in digitalen Kontexten

Als eingrenzendes Element der Diskussion wurde für die Reihe ebenso wie für das folgende Handbuch das Verhältnis von digitalen Medien und Methoden gesetzt, da sich hier nach unserer Auffassung die Methodenfrage mit besonderem Nachdruck stellt, insbesondere im Hinblick auf innovative methodische Zugänge zu neuen und sich rasch wandelnden Gegenständen. Bei den Einreichungen fällt die moderate Präsenz der Digital Humanities auf; während diese in der Debatte zu Methoden in der Medienwissenschaft vorher bisweilen kontrovers diskutiert wurden, treten sie in der Methoden-Reihe nur am Rande in Erscheinung. Komplexe Big-Data-Anwendungskontexte, wie sie über die Digital Humanities derzeit entwickelt werden, spielen in dem Ausschnitt medienwissenschaftlicher Methoden, den wir für den Blog kuratiert haben, keine Rolle. Vielmehr scheint sich das Fach hier noch in einer Annäherung an die weitreichenden Möglichkeiten digitaler Forschung zu befinden und ist eher geleitet von konkreten Forschungsfragen. Der Beitrag von Simon Hirsbrunner stellt hierbei etwa eine Reihe offener «digitale[r] Toolboxen für die Medien- und Internetforschung» vor, wobei auch hier der Anwendungsbezug in Form der Zugänglichkeit der jeweiligen Tools etwa für Forscher_innen ohne institutionelle Anbindung im Vordergrund steht. Verschiedene weitere Beiträge nutzten wiederum spezifische digitale Erhebungs- oder Auswertungsmethoden, wie beispielsweise die von Elena Pilipets skizzierte ‹Online-Groundedness› für visuelle Plattform-Inhalte oder die von Noemie Daugaard und Josephine Diecke beschriebene Auswertung ihrer historischen Quellen über MAXQDA.

Deutlich wird in den Texten hingegen die Vielfalt digitaler Forschungsgegenstände, die in manchen Beiträgen auch mit Datenbanken, digitalen Archiven oder Datensammlungen in Zusammenhang gebracht wird. Hier eröffnet sich ein stetig wachsender Fundus an Untersuchungsobjekten, der Wissenschaftler_innen vor allem in der Erhebung und Dokumentation von Daten vor Herausforderungen stellt. Mit der Ausdifferenzierung ihrer Gegenstände in digitalen Kulturen erweitert sich demnach auch die Zuständigkeit der Medienwissenschaft. Das zeigt sich in der Reihe im Blog insbesondere am Beispiel des internetbasierten Bildformats der Memes, die im Kontext digitaler Artefakte und Bildquellen in den Beiträgen von Ruchatz und Pauliks wie auch Pilipets eine Rolle spielen. Während für Memes gerade die systematische Erschließung erheblicher Datenmengen entscheidend ist, haben andere, im Rahmen der Reihe dokumentierte Forschungsvorhaben selbst neues Material generiert, das häufig im Forschungsprozess in digitaler Form dokumentiert wurde, darunter Schröters Sekundärquellen, Daugaard und Dieckes ursprünglich analoge Archivfunde, Jasmin Kermanchis Videoformate zu iDocs oder Palmbergers digitale Tagebücher. Für eine «kritische[...] und situative[...] Bewertung von Offenheit» dieser Daten plädiert Hirsbrunner in seiner methodischen Annäherung an soziale Netzwerke. Hier spielen allerdings, wie er zu Recht skizziert, Fragen der juristischen und ethischen Dimension des Forschungsdatenmanagements eine Rolle.

Der lange Weg von der Theorie zur Methode

Ein wiederkehrender Aspekt in den Diskussionen zu den ‹Werkstattberichten› ist das Verhältnis von Theorie und Methode. Für die Ausarbeitung der Beiträge und deren redaktioneller Betreuung bedeutete dies stets eine Schärfung des Blicks in der methodischen Anwendungsdarstellung. Ziel war es, die Methode in den Vordergrund zu stellen, anstatt sie nur ‹entlang› eines Gegenstandes und seiner theoretischen Rahmung zu erwähnen, so dass sie als möglicher Zugang zu einem Thema stellvertretend für eine größere Perspektivierung stehen konnte. Die Herausforderung, in der methodischen Arbeit, die entsprechenden Teilschritte der jeweiligen Ansätze auch explizit zu machen, stellt ein Kernthema der Methodendebatte dar. Das hängt mit der in unserem Fach gerade engen Verzahnung von Theorie und Methode zusammen, wie sie in der Reihe beispielsweise in Jennifer Eickelmanns Diskussion der «Diffraktion als Methode», aber beispielsweise auch in Donners bildungstheoretischen Strukturanalysen, Mämeckes angewandter Diskursanalyse oder den Annäherungen an die Dispositivanalyse bei Sven Stollfuß und Andreas Weich evident geworden ist. Auch in Andreas Weichs Medienkonstellationsanalyse wird das theorieverzahnte methodische Arbeiten besonders herausgestellt, wenn hier zunächst vor allem «Theorien systematisch ins Verhältnis zueinander zu setzen» sind. In allen Fällen zeigt sich dabei, dass der theoretische Zugriff auf die Gegenstände von einer anwendungsorientierten Methodenreflexion profitiert. In seinem Beitrag zur Debatte der Methoden in der Medienwissenschaft in der ZfM stellt Erhard Schüttpelz mit einer erfrischenden Re-Lektüre der Fachgeschichte hierzu fest, dass die Medientheorie in ihrer Genese schon immer auch eine Methodenfrage beinhaltete, mehr noch: «Die goldene Zeit der theory [im 20. Jahrhundert – AdV] ist vor allem ein Effekt der jahrzehntelangen Methodendiskussionen in den Geistes- und Sozialwissenschaften gewesen und nahm ein zeitversetztes Ende, als die Methodendiskussionen ihre Intensität verloren». Um es also auf eine einfache Formel zu bringen: «Methoden sind die Praktiken einer theoretischen Fragestellung. Theorie stellt Fragen, die methodisch beantwortet werden wollen». In diesem Verhältnis lassen sich durchaus auch Theorien als Methoden formulieren, wie im Verlauf unserer Arbeit immer wieder von Kolleg_innen gefordert und teilweise auch in den Blog-Beiträgen umgesetzt wurde. Entscheidend ist jedoch, dass den Entwicklungen der Methodendebatten im Fach und jenseits des Faches dabei Aufmerksamkeit gezollt wird. Das bedeutete für die Umsetzung der ‹Werkstattberichte› vor allem, dass bei den oben geschilderten Konkretisierungen der methodischen Zugänge immer auch auf deren Reproduzierbarkeit zu achten ist. Die Blog-Reihe stellt damit bewusst die Anwendung und den Gebrauch einzelner Methoden in den Vordergrund. Im Kontext der Fachgeschichte mag die Reihe damit vielleicht als ‹Experiment› des Sprechens und der Verständigung über Methoden gelten und entspräche damit selbst einem in der Medienwissenschaft sparsam genutzten methodischen Zugang experimenteller Medienforschung.

Die Methode als Grundbaustein der Medienwissenschaft: für ein Handbuch Digitale Medien und Methoden

Die Reihe ebenso wie die parallel in der ZfM durchaus kontrovers geführte Debatte zeigen schlussendlich: es war und bleibt produktiv, die Frage nach Methoden zu stellen, die das Fach in der praktischen Ausübung nutzt. Festzuhalten ist, dass die Methodendebatte durch Diskurse in anderen Fächern und die fachspezifischen Wertigkeitsdebatten um die Formen und Schemata von Methoden heute sicherlich komplexer geworden ist. Dies bietet aber in erster Linie Möglichkeiten und sollte nicht als Hindernis einer Wissenschaftspraxis aufgefasst werden, insbesondere nicht von einem Fach, das sich mit einer stetigen Vervielfältigung und Ausdifferenzierung seiner Gegenstände konfrontiert sieht. Die Forscher_innen in der Reihe «Digitale Medien und Methoden» haben mit ihren Beiträgen gezeigt, dass das Entleihen und Anpassen von methodischen Zugängen, das Generieren und Auswerten von Daten und das geschickte Aushandeln der fachbestimmenden Theorie und unterschiedlichen methodischen Ansätzen in diesem Prozess auf vielfältige Weise angegangen werden kann. In diesem Sinne möchten wir die Debatte konstruktiv weiterführen, indem wir im nächsten Schritt die Arbeit am Handbuch Digitale Medien und Methoden aufnehmen. Dieses bietet nicht nur Raum für eine ausführlichere Kontextualisierung einzelner Zugänge, sondern insgesamt auch ein größeres Spektrum an methodischen Herangehensweisen. Zugleich bringt die Form des Handbuchs verglichen mit derjenigen des Blogs eine Schließung mit sich, die mit dem stärker institutionalisierten Charakter der Publikation zusammenhängt. Längere Beiträge, die ihre jeweiligen Methoden exemplarisch vorstellen und in einer weniger offenen Publikation versammelt sind, können als der Versuch missverstanden werden, die Diskussion abzuschließen. Ziel des Handbuchs ist es im Gegenteil, mit einem ersten umfassenden Arbeitswerk als Zwischenergebnis zur Operationalisierung der Methodendebatte beizutragen, um auf Fach- aber auch Lehrebene die Arbeit mit Methoden in der medienwissenschaftlichen Forschung zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Wir möchten auf diese Weise nicht nur die Arbeit an und mit digitalen Medien noch produktiver gestalten, sondern auch den Methodendiskurs des Fachs über die bisherige Blog-Reihe hinaus weiterentwickeln. Wir hoffen, dass das Handbuch Digitale Medien und Methoden, an dem die Arbeit bereits begonnen hat, einen Beitrag zur Fortführung dieser produktiven Debatte leisten kann.

Bevorzugte Zitationsweise

Niebling, Laura; Raczkowski, Felix; Stollfuss, Sven: Ein Jahr Methodendebatte in der Medienwissenschaft. Laura Niebling, Felix Raczkowski und Sven Stollfuß zum Abschluss der Reihe Digitale Medien und Methoden und zum Auftakt der Arbeit am gleichnamigen Handbuch. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Open-Media-Studies-Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/open-media-studies-blog/ein-jahr-methodendebatte-der-medienwissenschaft.

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