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Impeachment, Stacey Plaskett

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GAAAP_ The Blog

Vierundvierzig Soziopathen und ein paar badass women*

Das zweite Impeachment gegen Donald Trump

16.2.2021

Ein:e Soziopath:in ist entweder eine psychopathische Person, die nicht oder nur eingeschränkt fähig ist, Mitgefühl zu empfinden, sich nur schwer in andere hineinversetzen und die Folgen ihres Handelns nicht abwägen kann – Soziopath:innen dieser Definition fehlt es an Urteilsfähigkeit. Eine zweite, mehr in der forensischen Psychiatrie heimische Version unterscheidet Psychopath:innen und Soziopath:innen. Letztere sind grundsätzlich zu (funktionaler) Empathie befähigt, verhalten sich aber dennoch antisozial. Am Hearing zum zweiten Empeachment von Donald Trump konnte man beide Varianten von Soziopathie studieren. Die Signale des abwesenden Ex-Präsidenten auf die im Verfahren erhobene Evidenz über seinen Beitrag am Sturm des Kapitols am 6. Januar 2021 ließen auf eine Soziopathie der ersten Version schließen. Das Verhalten der 43 Senator:innen, die auf ›nicht schuldig‹ plädierten, lässt eher auf eine Soziopathie der zweiten Version schließen: Sie wussten es besser, entschlossen sich aber, sich nicht danach zu richten.

Ich finde es sinnvoll, eine solche Einteilung zu treffen, weil sie mir erlaubt, von Donald Trump abzusehen. Ich glaube, dass er nach fünf Jahren, in denen er sich zwanghaft in unsere Aufmerksamkeit gebohrt hat, psychisch abgewickelt werden muss. Ich möchte, dass mir die Frage: ›Ist er verrückt oder nur bösartig?‹ gleichgültig wird. Psychopathisch oder kriminell, gern auch beides, das sollen andere entscheiden. Nicht egal ist mir allerdings die Ansteckung, die Trump und seine Soziopathie zum Superspreader gemacht hat. Anders gelagert ist die Tatsache, dass 43 Senator:innen eine wasserdicht nachgewiesene Indizienkette, nämlich dass Trump sich der Anstiftung zum Aufstand (incitement of insurrection) schuldig gemacht hat, nicht wahrnehmen wollten. Sie wollten mit den Opfern keine Empathie entwickeln und verhielten sich in der Sache konsequent antisozial, indem sie auf ›unschuldig‹ plädierten und damit die Glaubwürdigkeit des ganzen politischen Systems, dem sie nach Amtseid zu dienen hatten und das sie schützen sollten, auf den Kopf stellten. Ja, es muss unbedingt erwähnt werden, dass sieben republikanische Senator:innen für schuldig gestimmt haben, aber nur eine, wie später zu entwickeln sein wird, hat echten Mut gezeigt. Alle anderen der republikanischen Abweichler:innen  gingen kein größeres politisches Risiko ein: Entweder waren sie frisch gewählt und konnten auf eine Amtszeit von sechs Jahren vorausblicken, oder sie hatten vor, nicht mehr zur Wahl anzutreten. 

Die folgenden Überlegungen gehen davon aus, dass es sechs starker Frauen bedurft hatte, um die bloße Möglichkeit einer Abwahl Donald Trumps zu initiieren, ihn für den Versuch, gegen die eigene Regierung zu putschen, zur Verantwortung zu ziehen und damit die zermürbte und durchlöcherte US-Demokratie bis zum nächsten Anschlag gegen sie auf der moralischen – leider nicht auf der faktischen – Ebene zu retten. Die Tatsache an sich, dass Frauen an zentralen Gelenkstellen des politischen Systems sitzen, ist nicht mehr so ungewöhnlich. Inzwischen gibt es viele Politikerinnen mit Einfluss und Übersicht. Auffällig ist jedoch, dass ihre Sonderrolle im konkreten Fall weder aufgefallen ist noch gewürdigt wurde. Es waren ausschließlich Frauen, die an jedem Knotenpunkt des hier beschriebenen politischen Prozesses die Courage hatten, gegen Sanktionen und trotz Todesdrohungen, das ›Richtige‹ zu tun. Vielleicht hätte auch ich es als in der Wolle gefärbte Feministin nicht bemerkt, wenn nicht die CNN-Chefkommentatorin Dana Bash darauf hingewiesen hätte, dass es ohne eine Gruppe von »bold women« kein Impeachment gegeben hätte. Dana Bash hatte 2017 eine Serie Badass Women from Washington gestartet, in der sie hochrangige Politikerinnen und Militärs vorstellte. Mit dem eigentlich vulgären Schimpfwort Badass wollte sie zeigen, dass Frauen nach der Wahlniederlage Hillary Clintons endlich bereit waren mit härteren Bandagen zu kämpfen. Als sie auf die ›bold women‹ im Impeachment Prozess hinwies, sah ich sofort, dass sie recht hatte, und bin der Sache nachgegangen. 

Männer und ihr Kuchen 

Wenn davon die Rede ist, was Frauen Besonderes getan haben, muss auch davon gesprochen werden, was Männer nicht getan haben. Es ist inzwischen etwas langweilig geworden, von alten weißen Männern zu sprechen, wenngleich der Strom der Literatur dazu nicht abreißt.1 Klar gibt es sie noch, und sie geben ihre Turfs auch nicht so ohne weiteres auf. Aber die bösen von ihnen verlieren den Halt, der ihnen einst ihre Seniorität gegeben hat. Betrachtet man den Schlingerkurs, den der einst mächtigste weiße Mann im Kapitol, Mitch McConnell, der Senatssprecher der Republikaner, beim zweiten Impeachment gegen Donald Trump vorgelegt hat, sieht man, dass er eines nicht mehr kann, was amerikanische Männlichkeit angeblich ausmachen soll, ›to stand his ground‹. Er hat auch als Leitwolf für seine Partei versagt.

Sein Schlingerkurs2 hat dazu beigetragen, seine Partei unheilbar zu diskreditieren. Und dann stellte er sich fünf Minuten nach seinem Freispruch des Expräsidenten vor den Senat und hielt eine scharfe Rede darüber, dass Trump sowohl der Anstiftung zum Aufstand schuldig sei als auch der Amtspflichtverletzung, weil er sich geweigert habe, den bedrohten Volksvertreter:innen Hilfe zu schicken oder seine Kettenhunde zurückzupfeifen. Er habe ihn nur leider nicht schuldig sprechen können, da das Verfahren verfassungswidrig sei. Die demokratischen Senator:innen und Ankläger:innen verfolgten diesen unverschämten Versuch, ›to have it both ways‹, mit sichtbarer Fassungslosigkeit.

McConnell hat mit seiner Senatsmehrheit die Gesetzesvorhaben aller Präsidenten der Demokraten blockiert.3 Er soll gesagt haben, dass es ihm egal sei, wer unter ihm Präsident ist. Wie die Herrschaft der weißen alten Männer ist auch der Senat ein Corpus mit abnehmender Legitimität. Da jeder Bundesstaat zwei Senator:innen in das Gremium sendet, sind ländliche Staaten mit kleinen Bevölkerungen und häufig konservativer Ausrichtung überrepräsentiert. 2019 vertrat der Senat mit einer Mehrheit von zwei Sitzen nur 48% der amerikanischen Bevölkerung. 2020 allerdings sind die beiden republilkanischen Stimmen weg. McConnell weiß, dass er etwas tun muss, um den neuen Gegebenheiten gerecht zu werden. Man wird sehen, ob die Taktik, den Kuchen gleichzeitig zu essen und zu behalten, sich nicht in eine Tortenschlacht verwandelt, die ihn mitten ins Gesicht trifft. 

Während die Herrschaft der bösen weißen alten Männer wankt, steht eine mittlere Generation umso fester auf ihrem Boden. Einer der Kapitolstürmer, 37 Jahre alt, gab zu Protokoll: »I am incredibly proud to be a patriot today, to stand up tall in defense of liberty & the Constitution, to support Trump & #MAGAforever, & to send the message: WE ARE NEVER CONCEDING A STOLEN ELECTION.« Die Aussage stammt aus seiner Studie, die das Research Team The Chicago Project of Security and Threats über 193 von der Justiz identifizierte Aufständische gemacht hat. Von diesen hatten nur 10% Beziehungen zu ultrarechten Gruppen. 2/3 war um die 35 Jahre und älter, 40% hatten white collar Jobs, waren also Ladenbesitzer:innen, Anwält:innen, Ärzt:innen oder Steuerberater:innen, die durchaus einiges zu verlieren hatten. Kaum jemand war arbeitslos (9%), im Gegensatz zu früheren Vergleichsstudien über Rechtsterrorismus, wo 25% der Untersuchten arbeitslos war. Die Autoren der Studie Kevin Ruby und Robert A. Pape kamen zum Ergebnis, dass sich hier eine neue gewaltbereite soziale Bewegung zeige. Zwar sind race und gender nicht ausgewiesen, aber man muss nur einen Blick auf die Videos und Selfies des Überfalls auf das Capitol werfen, um zu sehen, wie wenig Frauen und überhaupt keine nicht-weißen Menschen im wütenden Mob waren.

Es ist wichtig festzuhalten, dass hier kein Aufstand der Deprivilegierten und Arbeitslosen stattfand. Sondern es hatten sich – aufgerufen durch Trumps unermüdliche Hetze über die »gestohlene Wahl« – Leute versammelt, die die Wirklichkeit nicht so haben wollen, wie sie inzwischen ist4, divers und vielsprachig, und die mit Gewalt durchsetzen, wie sie sie haben wollen: weiß, homogen, heterosexuell, englisch. Der Ex-Präsident hatte sie darin ermutigt, dass es ok sei, so zu empfinden. Die republikanische Partei wurde für dieses Projekt zur Schutzmacht. Sie hat die Legende von der gestohlenen Wahl unterstützt, bis die Gläubigen Bürofenster und Türen eingeschlagen haben: Der Mehrheitsführer des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy flehte Trump in einem Telefongespräch an, den Mob zurückzupfeifen: »You’ve got to hold them. You need to get on TV right now, you need to get on Twitter, you need to call these people off.« Der Präsident habe geantwortet, »Kevin, they’re not my people.« Worauf McCarthy sagte: »Yes they are, they just came through my windows and my staff is running for cover. Yeah, they’re your people. Call them off.« 

Trotz seiner persönlichen Todesangst wollte McCarthy von der Lüge nicht ablassen und stimmte mit der Mehrheit der Abgeordneten seiner Fraktion gegen die Zertifizierung der Wahl. Er tat das am gleichen Abend, nachdem das Kapitol gestürmt worden war, die Abgeordneten um ihr Leben rannten und in den Fluren die Aufräumkommandos noch das zerbrochene Glas auflasen. Ein paar Tage später reiste er zu Trump nach Florida und ließ sich zusammen mit ihm zu einem Versöhnungsfoto ablichten. Es lässt sich nicht entscheiden, wie viele der Abgeordneten die Lüge von der gefälschten Wahl tatsächlich geglaubt haben. Stellt man aber den hohen Ausbildungsgrad der Repräsentanten in Rechnung, dürfte das eine kleine Minderheit sein. 

Um Überzeugung ging es allerdings auch nicht, sondern darum, Trump und seine Basis nicht zu verärgern, um in den Vorwahlen in einem Jahr wieder aufgestellt werden zu können. Trump und die Base sind dafür bekannt, dass sie Unbotmäßigkeit rächen und Republikaner mit moralischem Kompass terrorisieren. Hier sehen wir eine Geschichte von opportunistischem Machterhalt, die Rechtsbeugung auf Seiten der Eliten und nackte Gewalt auf Seiten des Fußvolks nicht scheut. Apropos moralischer Kompass, um nochmal auf die Definition von Soziopathie vom Anfang zurückzukommen: Bei Soziopathen im kriminellen Sinn handelt es sich um Personen, die zwar zwischen richtig und falsch unterscheiden können, sich aber aus egomanischen Gründen dazu entschließen, das nicht zu tun.

Six Bold Women

Wäre das weitere politische Handeln ausschließlich von Männern bestimmt worden, hätte es keinen Versuch gegeben, die Schuldigen für einen Putschversuch zur Verantwortung zu ziehen. Es hätte kein Impeachment gegeben, das – wenngleich nicht erfolgreich – zumindest für die Geschichte festhält, dass die amerikanische Demokratie wehrhaft ist. Und es hätte nicht einmal das Wahlergebnis gegeben, das diesen Versuch ermöglicht hat, wenn es nicht eine Hand voll unglaublich starker Frauen gegeben hätte, die ihre Schultern ins Rad der Männergeschichte gestemmt hätten. 

Fangen wir mit dem Wahlergebnis an. Die Demokraten mussten so genannte Swing States, die in der letzten Wahl Trump gewählt haben, gewinnen, weil ihr überholtes Wahlmännersystem, das electoral college, die Stimmen nach Mehrheiten in Bundesstaaten bündelt. Einer dieser Bundesstaaten, der gewonnen werden musste, war Georgia, eigentlich ein hoffnungsloser Fall. Seit 1996 Bill Clinton hatte kein Demokrat mehr die Präsidentenwahl gewonnen, und die Republikaner hatten ihre lange Zeit an der Macht genutzt, um Wahlbezirke so umzuschneiden (das s.g. Gerrymandering), dass republikanische Mehrheiten entstehen, und immer neue Hürden zu errichten, um Minderheiten von den Wahlurnen fernzuhalten. 

Und dann kam Stacey Abrams. Als erste schwarze Frau wurde sie 2018 als Kandidatin für den Posten des Gouverneurs aufgestellt und verlor nur knapp – 48,8% zu 50,3% gegen Brian Kemp, der von Trump unterstützt wurde. Abrams hatte schon zuvor den Kampf gegen Wahlverhinderung (voter suppression) von Minderheiten, hauptsächlich von Schwarzen Bürger:innen aufgenommen.5 Seit 2000 konnte der Anteil der afroamerikanischen Wähler:innen um 48% gesteigert werden; das trug zur hauchdünnen Mehrheit Bidens in Georgia bei und dann nochmal zum Sieg der Demokraten bei der Stichwahl der Senatoren, die exakt jene beiden Stimmen beitrugen, die im Senat gebraucht wurden, um die republikanische Mehrheit zu brechen. Ohne diese Stimmen hätte es kein Impeachment gegeben, da eine republikanische Mehrheit ein solches im Senat blockiert hätte. Stacey Abrams hat mit ihrer Graswurzelbewegung genau die 11.780 Stimmen erwirtschaftet, die Trump noch hätte ›finden‹ lassen müssen6, um die Wahl zu fälschen.

Dass die Vorsitzende der demokratischen Partei im Abgeordnetenhaus, Nancy Pelosi, einen Antrag stellen würde, Trump für den Aufstand mit einem Impeachment-Prozess zur Verantwortung zu ziehen, kam nicht unerwartet (vgl. »Who's Afraid of Nancy Pelosi?«). Es wird allerdings wenig gewürdigt, welcher Gefahr sie während der Stürmung des Kapitols ausgesetzt war und wie lange und heftig sie schon angefeindet, geshitstormt und mit dem Tod bedroht wird. Die Eindringlinge hatten geschrien, dass sie sie in Stücke reißen wollten. Der Mob war aktiv auf der Suche nach ihr, und sie war ebenso in direkter Gefahr, ermordet zu werden, wie Vizepräsident Mike Pence, für den vor dem Kapitol ein Galgen samt Strick aufgestellt war. Wie schon bei Hillary Clinton trifft der grimmige institutionalisierte Sexismus ältere Frauen heftiger, und es finden sich weniger Verteidiger:innen. Nancy Pelosi jedoch zeigte sich unbeeindruckt und kehrte eine schmale Mehrheit für das Impeachment zusammen.  

Nicht alle tapferen Frauen, die den Anfang des großen Umdenkens ermöglicht haben, waren progressive Figuren mit einer linksliberalen Agenda. Ganz bestimmt nicht Liz Cheney, die zweite Frau in der Rangfolge der Republikaner im Repräsentantenhaus. Sie steht und stand für Kernelemente republikanischer Politik: pro-businessanti-regulation und pro-Homophobie (trotz ihrer lesbischen Schwester). Präsident Obamas Versuchen, wenigstens für einige Gesetze Mehrheiten aus beiden Parteien zu bekommen, begegnete sie mit Boycottparolen: »Obstructing President Obama's policies and his agenda isn't actually obstruction; it's patriotism.« Und doch war sie bereit, deutliche Worte zu Trumps Verantwortung für den Sturm aufs Kapitol zu finden: »The President of the United States summoned this mob, assembled the mob, and lit the flame of this attack. Everything that followed was his doing. None of this would have happened without the President. I will vote to impeach the President.« Ihre Positionierung gab neun weiteren Abgeordneten von 207 Republikaner:innen des Repräsentantenhauses den Mut, ebenfalls für ein Impeachment zu stimmen. Zum Dank wurde sie vor ein Ethik-Komitee gezerrt, das disziplinarische Verstöße von Abgeordneten ahndet, und konnte nur knapp einer Rüge oder gar dem Ausschluss aus der Fraktion entgehen. Höchstwahrscheinlich wird sie das im konservativen Wyoming die Wiederwahl kosten. Aber auch sie hat den Weg für die Möglichkeit einer gerechteren Lösung geebnet – vor allem eine, an denen beide Parteien beteiligt waren – und im Gegensatz zu den männlichen Soziopathen auf die Stimme ihres Gewissens gehört.

Nun kommen wir zum Impeachment selbst. Damit es stattfinden konnte, musste im Senat eine einfache Mehrheit gefunden werden, und dazu brauchte es republikanische Stimmen, da die Demokraten nur über 50% der Senator:innen verfügten. Es fanden sich immerhin sechs Personen, davon zwei Frauen, für die nötige Dissidenz. Ohne den Mut der männlichen Kollegen und Susan Collins aus Maine mindern zu wollen, muss man sagen, dass nur eine der republikanischen Frauen, Lisa Murkowski aus Alaska, wirklich etwas riskiert hat. Nur sie muss sich im nächsten Jahr den Vorwahlen stellen, was bedeutet, dass die Trump-Base sie aus Rache bis aufs Messer bekämpfen wird und dass sie im Staat von Sarah Palin wahrscheinlich nicht wieder aufgestellt werden wird. Lisa Murkowski sagte laut der Zeitung Anchorage Daily News: »Ich will, dass er zurücktritt. Ich will ihn raushaben.« Trump habe »genug Schaden angerichtet«. Lisa Murkowski ist moderate Republikanerin und schon öfter gegen den Strom geschwommen. Als sie ihre letzte Vorwahl gegen einen Tea Party-Reaktionär verloren hatte, hat sie trotzdem gewonnen (als ›write-in‹-Kandidatin, d.h. die Wähler:innen mussten Murkowskis Namen auf den Wahlzettel schreiben, obwohl dieser Name nicht auf dem Wahlzettel aufgedruckt war).7 Sie hat versucht, den konservativen Bundesrichter Kavanaugh zu verhindern, und gegen die Bestätigung der erzreaktionären Betsy deVoos als Erziehungsministerin gestimmt.

Die Phalanx der demokratischen Ankläger:innen, genannt House Manager, demonstrierte Diversität und damit jene Stimmen, die auf lange Sicht den alten weißen Männern im Senat und anderswo die alleinige Macht abnehmen werden. Neben zwei weißen Männern (einer davon openly gay) sprachen zwei weiße Frauen, ein Abgeordneter mit hispanischen Wurzeln, ein Afroamerikaner, ein Mann mit asiatischem Hintergrund und eine Schwarze Frau, Stacey Plaskett. Sie vertritt im Kongress als Delegierte das Territorium American Virgin Islands ohne Stimmrecht. Damit war sie die erste Schwarze Frau und Delegierte, die ein solches Amt wahrnahm (und übrigens die einzige Schwarze Frau im Raum, da es keine Schwarzen Senatorinnen gibt). Auf sie kam die Aufgabe zu, das Innenleben der rechtsradikalen Gruppen, meist weiße Suprematisten, zu beschreiben und ihre Beziehung zur Donald Trump und dessen Politik herauszuarbeiten. 

Alltagsrassismus klang schon an, als der Leiter der Anklage, Jamie Raskin, die beeindruckende Sprecherin gereiften Alters als seine ehemalige Studentin vorstellte: »I hope I'm not violating any federal educational records, laws, when I say she was an A student then and she's an A+ student now.« Ernsthaft unangenehm wurde ihre Position, als die Verteidigung der Republikaner Videozusammenschnitte vorführte, die besonders Schwarze Frauen als fanatisch linke Politikerinnen zeigte. »It was not lost on me…«, ich konnte nicht übersehen, begann sie ihre Gegenrede, indem sie den Rassismus der Gegenpartei aufzeigte, der ja das Energiezentrum des Trumpismus ist und auf diese Weise ein einziges Mal Gegenstand der Debatte wurde. Plaskett trat sehr bestimmt auf und vermied jegliche Opferrhetorik. Trotzdem war ihre Intervention ein Akt der Beschämung, die von den Republikanern kaum übersehen werden konnte.

Bislang war das Impeachment zwar gut gelaufen, aber es fehlte noch eine direkte Verbindung zwischen den Aufständischen und Trump als Person. Die lieferte als Intervention in letzter Minute wiederum eine Republikanerin, Jaime Herrera Beutler. Sie hatte mit nur zehn republikanischen Abgeordneten für die Eröffnung eines Impeachment-Verfahrens des Repräsentantenhauses votiert. In der Nacht vor dem angekündigt letzten Tag bestätigte sie das bereits erwähnte Telefongespräch zwischen dem republikanischen Fraktionsführer im Repräsentantenhaus Kevin McCarthy und Trump während des Sturms auf das Kapitol. Der Präsident hatte zunächst behauptet, er habe keine Beziehung zu diesen Leuten, das sei wohl eher ›die Antifa‹, räumte aber dann ein, dass es wohl doch seine Leute seien, die sich offensichtlich mehr Sorgen um die Wahlfälschung machten als McCarthy. Diese Zeugenaussage bestätigt Trumps Beteiligung und war damit entscheidend für den Verfahrensausgang. Herrera Beutler bot nicht nur an, das Telefongespräch zu bestätigen, sondern rief auch andere dazu auf, diese Aussagen zu unterstützen: »To the patriots who were standing next to the former president as these conversations were happening, or even to the former vice president: if you have something to add here, now would be the time.« 

Die Vertreter der Impeachment-Anklage nahm dieses Angebot sofort auf und erwirkten, dass Herrera Beutler als Zeugin aufgerufen werden sollte. Nach kurzer Verwirrung kamen beide Parteien überein, die Aussage zu Protokoll zu nehmen, aber nicht live anzuhören, und schritten zur Abstimmung, die wie mehrfach erwähnt, Trump von der Verantwortung für den Aufstand freisprach. Beide Parteien waren daran interessiert, das Verfahren so kurz wie möglich zu halten: Die Demokraten, weil sie Bidens Gesetz zu Entlastung der Covid 19-Folgen vorantreiben wollten, und die Republikaner, weil sie die Demonstration ihres Unvermögens, ihres Unwillens und ihrer Heuchelei nicht in die Länge ziehen wollten. Die Tatsache aber, dass Herreras Aussage in den Akten des Impeachments dokumentiert werden konnte, hält für künftige Geschichtsschreibung fest, dass trotz des Abstimmungsergebnisses eine Schuld Trumps nachgewiesen wurde. Auch Jaime Herrera Beutler wird für ihre Intervention büßen müssen.

Badass women und andere Andere Geschlechter

Jede dieser Frauen hat an zentralen Kreuzungen der Geschehnisse die moralische Ampel richtig eingestellt. Ohne sie wären die beiden Demokraten nicht in den Senat gewählt worden und hätten die Mehrheit gekippt (Stacey Abrams). Es wäre nicht zum Beschluss eines Impeachments gekommen (Nancy Pelosi), nicht zur Bildung einer republikanischen Dissidenz (Liz Cheney), nicht zur Stimmenmehrheit für eine Abhaltung des Impeachments (Lisa Murkowski), nicht zur Erwähnung und Anerkennung des Rassismus des Trump-Regimes (Stacey Plaskett) und nicht zur Etablierung des Wissens von Trumps aktiver Komplizenschaft mit den Aufständischen (Jaime Herrera Beutler). 

Was will ich mit dieser Auflistung tapferer Frauen sagen und was will ich nicht sagen? Ich will nicht sagen, dass Frauen von Natur über ein höheres ethisches Sensorium verfügen. Obwohl eine noble feministische Schule mit der Harvard-Psychologin Carol Gilligan an der Spitze das behauptet, gibt es zu viele Gegenbeispiele. Ich will auch nicht sagen, dass jede Politikerin, die sich in einer kritischen Situation auf ihren ethischen Kompass bezogen hat, fortan menschenfreundliche Gesetze machen wird. Von Liz Cheney z.B. erwarte ich das nicht. Vielleicht muss man es andersherum aufzäumen. Vielleicht verraten die mutigen Frauen mehr über die Verkommenheit weißer männlicher Politiker als über sich selbst und ihre Unterschiede. Diese weißen Männer und ihre nicht-weißen und weiblichen Kompliz:innen8 flüchten sich im Bewusstsein der Endlichkeit ihrer exklusiven Macht und der Aussicht, diese mit immer mehr ›Anderen‹ teilen zu müssen, angstgeschüttelt unter die Flügel eines notorischen Lügners und autoritären Soziopathen. Es braucht dann tatsächlich – mit Dana Bashs Worten – lediglich ein paar Badass Women from Washington, um ihnen die Suppe zu versalzen.

Ich will damit die Leistung der tollen Frauen nicht mindern und gebe gern zu, dass ich stolz auf jede einzelne von ihnen bin, selbst wenn sie meinen eigenen politischen Vorstellungen widersprechen. Ich will nur, wie der Chefankläger des Impeachments, Jamie Raskin, im Schlussplädoyer sagte, darauf hinweisen, dass es kaum mehr als common sense gebraucht hätte, den soziopathischen Gefolgschaftsirrsinn der trumpistischen Politiker zu einem abgewählten Präsidenten zu beenden. Es sind offensichtlich andere Augen nötig, um diesen Tiefpunkt weiß/männlicher Interessenpolitik und Verstricktheit zu erkennen. Und es braucht Courage, die allerdings ›Andere Geschlechter und races‹ schon immer aufbringen mussten, um gehört zu werden. Im Zuge der wachsenden Diversität im Kongress9 wird das immer öfter passieren.

  • 1Einschlägig: Kimmel, Michael: Angry white Men: American Masculinity at the End of an Era, London 2017. Zuletzt auf deutsch: Passmann, Sophie: Alte Weiße Männer. Ein Schlichtungsversuch, Köln 2019.
  • 2Erst weigerte er sich wochenlang, Bidens Wahlsieg anzuerkennen, dann tat er es doch und verurteilte sogar Trumps Rolle im Aufstand vom 6. Januar, dann wiederum verhinderte er, dass das Impeachment begann, solange Trump noch im Amt war, befreite dann die Senator:innen vom Fraktionszwang, als das Verfahren nach dem Ende von Trumps Regierungsperiode stattfand, stimmte aber dagegen, dass das Impeachment verfassungsmäßig sei und nahm diese Position zum Vorwand, trotz überwältigender Beweislage, Trump von der Anklage, er habe zu einem Aufstand angestiftet, freizusprechen.
  • 3Wawro, Gregory J., Schickler, Eric: Filibuster: Obstruction and lawmaking in the US Senate, Princeton 2007.
  • 4Zum Moment der Verleugnung vgl. meinen Blog https://zfmedienwissenschaft.de/online/blog/trumps-letzte-tage.
  • 5In einem Leitartikel in der New York Times, »How to turn a redstate blue«, entfaltet sie einen 10-Punkte-Plan, wie man demographische Verschiebungen und den Kampf gegen Wahlbehinderungen nutzen kann, um einen traditionell republikanischen Staat ins demokratische Lager zu bewegen.
  • 6Trump hatte versucht, wie ein dokumentiertes Telefongespräch beweist, den republikanischen Wahlleiter, Brad Raffensperger, dazu zu zwingen, die nötigen Stimmen für eine Mehrheit in das Endergebnis hineinzumanipulieren.
  • 7Ihr Gegenkandidat hatte in klarer Absicht, Minderheiten auszuschließen, verlangt, dass alle jene Stimmen nicht gezählt werden dürfen, die ihren komplizierten slawischen Namen falsch geschrieben hatten. Das wurde vom Gericht abgelehnt.
  • 8Die Herren Tim Scott, Ted Cruz und Marco Rubio und die Damen Marsha Blackburn, Shelley Moore Capito, Joni Ernst, Deb Fisher und Cindy Hyde-Smith.
  • 9Nur noch 70% der Abgeordneten im Kongress sind weiß gegenüber 100% im Jahr 1950. Es sitzen zur Zeit sechs Native Americans, 17 Asian Americans, 46 Hispanic Americans und 59 Black Americans im Kongress. Davon sind 126 Frauen und wiederum davon 46 Women of Color. Zur Zeit sind 9 Abgeordnete im Repräsentantenhaus openly gay und zwei Senatorinnen openly lesbian und bisexuell.

Bevorzugte Zitationsweise

Dietze, Gabriele: Vierundvierzig Soziopathen und ein paar badass women*. Das zweite Impeachment gegen Donald Trump. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/gender-blog/vierundvierzig-soziopathen-und-ein-paar-badass-women.

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