Claiming Open Access
Karin Werner über die Zukunft des Publizierens durch Creative Commons
Es begann damit, dass uns beim transcript Verlag im Frühjahr 2011 die Commons-Aktivistin Silke Helfrich eine voluminöse Textsammlung mit dem Titel «Commons. Für eine neue Politik jenseits von Staat und Markt» anbot. Eine Bedingung für die Kooperation war, dass das Buch als E-Book unter der CC-by-SA Lizenz erscheinen sollte. Diese Anfrage war für uns der erste konkrete Anlass, über Open Access als praktische Option nachzudenken und mit der engagierten Autorin ausgiebig darüber zu diskutieren. Dieser Austausch und die Lektüre des Manuskripts weckten unser Interesse für das Thema, das uns seit dieser Zeit begleitet und unser Selbstverständnis als Verlag in mancherlei Hinsicht verändert hat.
Wir entschieden uns also dafür, das Buch als Hybrid Publishing Projekt unter einer CC-Lizenz zu realisieren und erste Erfahrungen damit zu sammeln. Das Projekt warf innerhalb des Publikationsprozesses natürlich viel mehr Fragen auf als es Antworten zu geben in der Lage war. Natürlich wollten wir wissen, wieviele Downloads wir im Verhältnis zu Verkäufen der Druckausgabe verzeichnen und ob erstere letztere kannibalisieren würden. Als dann die monatlichen Daten zu Nutzungen der OA-Fassung und Käufen eintrudelten (übrigens ein Verhältnis 2:1 zugunsten der Downloads im Verhältnis zu Buchkäufen), wurde uns jedoch klar, wie schwer durchschaubar die Relation zwischen beiden Ausgabeformaten tatsächlich war und dass man ab jetzt dauerhaft im Konjunktiv zu Hause sein würde.
Konjunktive aber sind unbequem, und daher ist auch nicht schwer zu verstehen, warum viele kleinere Verlage Abstand von OA nehmen. Transcript aber ist ein verhältnismäßig junger und von Wissenschaftler_innen gegründeter Verlag, in den bis heute kein_e Betriebswirtschaftler_in einen Fuß gesetzt hat, wohl aber von Anfang an Mathematiker_innen und Informatiker_innen. Unser Verständnis war von Anfang an (also ca. ab 1998) das eines selbstgebauten Entwicklerverlages. Wir wollten gute, wenn nicht bessere Lösungen für das Publizieren wissenschaftlicher Inhalte entwickeln und schrieben viel Software selbst. Wir waren jung und naiv, aber eben auch innovationsfreudig. Wir waren also neugierig darauf, neue Dinge auszuprobieren, so auch Open Access.
Der Eintritt in eine neue Publikationssphäre
Jedenfalls wurde uns bereits beim ersten OA-Buch klar, dass wir damit in eine neue Sphäre des Publizierens eintraten, ja, diese selbst mitgestalteten. Heute, sechs Jahre nach Erscheinen des erwähnten Buches und ca. 600 weiterer OA-Publikationen sind wir – bei aller Kritik –mehr denn je davon überzeugt, mit Open Access auf dem richtigen Weg zu sein. Wir haben ausnahmslos die Erfahrung gemacht, dass die open access gestellten Inhalte von mehr Interessent_innen wahrgenommen und genutzt, d.h. aufgerufen, online gelesen und heruntergeladen werden als wir Kauftransaktionen verzeichnen. Open Access ist, wie unsere Zahlen belegen, ein Zugriffs-Booster nicht nur für die einzelnen OA-Publikationen, sondern für die gesamte Webplattform.
Das Navigieren diesseits der Paywall kann eine positive Erfahrung sein, wenn man als Verlag Teil einer Community ist, die etwa Commons-, Konvivialitäts- oder Nachhaltigkeitsthemen behandelt, wie dies bei uns der Fall ist. Sinnvoll ist es auch, Publikationen für Studierende und andere nicht begüterte Personenkreise kostenlos zur Verfügung stellen oder auch zu sehen, wie Open Access die Rezeption entgrenzt. Und das Community-Building bzw. auch Commoning gibt uns ja bei Open Access die Richtung vor. Denn die sogenannte Paywall bleibt eine Wand. Sie kann unterschiedlich hoch sein, aber sie ist ein Anschaffungs- und Rezeptionswiderstand und als solcher ja auch legitim. Hierbei ist die Paywall nur eine von vielen Beschränkungen von freier Wissenschaft, die traditionell auch über eigene institutionelle Reglementierungen des Zugangs zu Wissen (etwa über Bibliotheken) verfügt (und qua definitionem verfügen muss).
Open Access als Riss, der durch Verlage und Bibliotheken gleichermaßen geht
Open Access verwirrt also nicht nur Verlage, sondern in gleicher Weise Bibliotheken, die heute noch fest in ihren Erwerbungslogiken verhaftet sind und die es ebenso schwer haben wie die Verlage als Anbieter_innen von Produkten zum Erwerb, einen authentischen Zugang zu Open Access zu finden. Dass dies tendenziell auch für Autor_innen gilt, liegt auf der Hand. Open Access sprengt das klassische Gefüge, und eröffnet Chancen, die allseits beklagten, aber auch gewohnten Reglements zu durchbrechen. Das ist allerdings mit Risiken verbunden, und wenn nicht sehr schnell etwas passiert, wird Open Access sich als letzter Sargnagel vieler kleinerer Verlage erweisen und dazu beitragen, der Vielfalt des Publizierens in den Geisteswissenschaften ein Ende zu bereiten.
Die Stärke dieses Verlagstypus ist die Autorenpflege und das Engagement für jedes einzelne Buch. Sie leben also außerhalb der Contentsphäre, schnüren keine Pakete und haben nicht die Macht, Bibliotheken unter Druck zu setzen. Die Schwäche dieser höchst erfinderischen und kreativen Verlage, deren Zahl jährlich schwindet, weil sie von größeren aufgekauft werden, liegt im Digitalen. Die Stärke der großen Verlage hingegen liegt hierbei in der Kombination betriebswirtschaftlicher Kernkompetenz. Und es waren (und sind bis heute) vor allem sie, die in erster Linie von Open Access profitieren. Wir finden, das sollten wir gemeinsam ändern! Umrisse neuer kollaborativer Publikationssysteme sind erstmals erkennbar. Unsere gemeinsam mit mehr als 20 Hochschulbibliotheken, dem Nationalen Open Access Kontaktpunkt, Knowledge Unlatched und selbstverständlich den Wissenschaftler_innen, die die betreffenden Publikationen erstellen und verantworten, kann als Fanal für solche Entwicklungen gesehen werden.
Das Ende des klassischen Deals zwischen Autor_innen und Verlagen
Denn das klassische Verhältnis von Autor_in und Verlag, das auf einem einfachen Leistungstausch beruhte (siehe §1 eines jeden älteren Verlagsvertrags: Autor_in übergibt Manuskript und Nutzungsrechte dem Verlag, der alles Weitere kann und tut, und zwar exklusiv) lässt sich heute nicht mehr aufrechterhalten. Das ist übrigens nicht nur positiv für Autor_innen, die in neoliberalen Zeiten ihre Bücher selber «aktivieren» müssen. Nicht nur wird von ihnen erwartet, dass sie über ihre Inhalte über ihre eigenen Kanäle und sozialen Netzwerke mitverbreiten, nein, Systeme wie der Konzernliebling Kudos situieren sie als Social-Media-Manager auf allen Ebenen.
Je mehr der alte exklusive Deal zugunsten des neuen, ambivalent zu betrachtenden Zustandes erodiert, agieren Autor_innen und Verlage, ihrer Exklusivität zunehmend enthoben, zum Teil gemeinsam und abgestimmt, zum Teil getrennt und nebeneinander, in einer Vielzahl von füreinander nicht transparenten und heterogenen Publikationsmilieus, die von der klassischen Buchpublikation bis hin zu den sozialen Medien (Researchgate, academia.edu, etc.) reichen, die mit Ranking und Follower-Logik das Feld entsprechend dem Fame der einzelnen Teilnehmer_innen strukturieren und hierarchisieren. Dann gibt es da auch noch die mittlerweile riesige Landschaft der Repositorien, die die Literaturbestände entsprechend Standort- oder Disziplin-Logiken strukturieren. Und viele Forschungszusammenhänge verfügen über eigene Websites bzw. Schaufenster, die im besten Falle mit den Universitätsrepositorieren verknüpt sind.
Autor_innen als Multi-Publisher
Angesichts dieser Heterogenität tendenziell unverbundener Publikationsmilieus liegt es nahe, die Creative Commons-Lizenz als Eintrittsbedingung in möglichst vielen, bereits jetzt existierenden bzw. erst noch zu entwickelnden Publikationskontexten zu nutzen. Um alle diese Spiele ungehindert spielen zu können, sind die CC-Lizenzen eine notwendige Voraussetzung. Sie öffnen die Arena für multiple Publikationsaktivitäten, die von verschiedenen Akteuren «gepusht» werden. Zurückhaltung ist unzeitgemäß und widerspricht der Struktur von Wissenschaftskommunikation, die durch die Teilnahme an vielen Arenen plastisch und dynamisch geformt wird: Reputation und Fame will hier wie dort verdient werden. Dabei erweisen sich restriktive Lizenzen als hinderlich, erschweren sie doch die mannigfaltigen Selfpublishing-Aktivitäten der Autor_innen. Für ein legales polyzentrisches Publikationsgeschehen ist Open Access also die Voraussetzung. Es löst mit einem Schlag die bestehenden Ungleichzeitigkeiten (Embargos) und Konkurrenzen auf. Und das ist eine wichtige Voraussetzung für eine gedeihliche Koevolution der verschiedenen Publikationssysteme, die ja alle ihre Berechtigung haben.
Neue Akteurskonstellationen gesucht
Für uns Verlage, die wir unsere Aufgabe darin sehen, Lesen bzw. Wissenschaftskommunikation zu ermöglichen, eröffnen sich als OA-Publisher vielfältige neue Möglichkeiten, dieser Aufgabe gerecht zu werden: Durch die Direktheit und Präzision der Adressierung von Leserkreisen, durch neue Formen der Strukturierung bzw. Granulierung sowie durch erweiterte Formen der Mediatisierung und Zugänglichmachung von Inhalten. Darüber hinaus eröffnen sich Möglichkeiten, diese Publikationsaufgaben in neuen Akteurskonstellationen neu zu definieren und aktiv und wirkungsvoll auszuspielen. Die neue vielversprechende Akteurskonstellation erwächst aus der klassischen: Sie besteht aus Wissenschaftler_innen, ihren Universitätsbibliotheken und Verlagen. Diese drei vom Open Access produktiv dezentrierten Stakeholder wissenschaftlicher Kommunikation schicken sich just an, in ein komplementäres Co-Publishingverhältnis einzutreten.
Rezente Pilotprojekte wie unsere oben bereits erwähnte Open Library Politikwissenschaft belegen das Interesse an neuen Strukturen auf der Basis von Open Access. Sie unternehmen den Versuch, die klassische Rollenaufteilung Forschen/Schreiben – Verlegen – Kaufen und Sammeln durch veränderte Modi der Kooperation zu ersetzen. Diese tragen klar die Signatur der digitalen Gesellschaft: Bibliotheken interessieren sich zunehmend für Crowdfunding-Modelle, um gemeinsam Mittel für Open-Access-Publikationen bereitzustellen. Auf Seiten der Verlage entstehen Konsortien, die gemeinsam Contentpakete zusammenstellen und diese dann gemeinsam mit den am Crowdfunding teilnehmenden Bibliotheken veröffentlichen. Die dafür benötigten intermediären Strukturen entwickeln sich rapide, ebenso ein gemeinsames Verständnis der Qualität, der technischen Normen und natürlich auch ein gemeinsames Verständnis der dafür angemessenen Gebühren. Selbstverständlich geht der entscheidende Impuls von den Wissenschaftler_innen aus, die Open Access publizieren wollen und die mehr Begleitung und Betreuung wollen als die alleinige Repositoriumspublikation bieten kann. Die Bibliotheken als Anlaufstelle zu suchen, ist in der derzeitigen unübersichtlichen Situation absolut ratsam und eröffnet den Bibliotheken eine attraktive Rolle zwischen Wissenschaft und Verlag. Für sie bedeutet dies ein Empowerment, weil sie zugleich Mittel für die Open-Access-Publikation zuweisen und zugleich – gemeinsam mit den Verlagen – die Qualität sichern.
Open Access als Multi-Stakeholder-Projekt
Auf diese Weise eröffnen sich auch für kleinere Verlage Möglichkeiten, das Spiel mitzuspielen und ihre bereits vorhandenen Stärken um neue zu erweitern. Kollektive Strukturen und Zusammenschlüsse bieten die Chance, an einer demokratischen und alle Akteure inkludierenden Open-Access-Kultur mitzuwirken. Für die Bibliotheken bieten sich neue Räume der aktiven Mitgestaltung einer neuen Publikationspraxis, und die Autor_innen erhalten weiterhin eine gute Betreuung in Kombination mit großer Reichweite.
So schön kann Open Access sein, wenn es keine exklusive Veranstaltung ist. Natürlich bleiben Fragen offen. Finanzielle Fragen sind ebenso im Raum wie die viel tiefer gehenden Fragen nach dem Wandel der Wissensproduktion und den individuellen Zuschreibungen und Profilierungen, die im Rahmen eines immer härter werdenden Konkurrenzkampfs um Stellen teilweise bizarre Ausmaße annehmen und durch einen Kult um metrische Daten Messbarkeit von Qualität durch Quantität suggerieren. Individualisierende Tendenzen und Open Access – wie soll das in Zukunft zusammengehen? Und welche Bedeutung hat eigentlich das Commoning bei all dem? Hier sind die entscheidenden, Wissenschaftskultur verändernden Schritte noch zu gehen, indem man mit Vielen gemeinsame Sache macht und sich gegenseitig dabei unterstützt, Open Access demokratisch und human zu gestalten und nicht zum Vehikel eines individualisierenden Wissenskapitalismus verkommen zu lassen, indem man den (wie wir finden angemessenen) Stolz auf eine hohe Reichweite nicht mit ideologischer Zahlenhuberei verwechselt und einem Impactwahn anheimfällt, der letztlich leer ist und nichts mit der Qualität von Wissenschaft zu tun hat. Das mittlerweile verpönte «Sharing» ist in diesem Zusammenhang wieder auf die Agenda zu setzen und praktisch mit Leben zu füllen. Es sollte uns klar sein: Open access is here to stay. Im ersten Schritt gilt es für Autor_innen und kleinere Verlage es zu behaupten und ihren Teil der Geschichte zu schreiben, damit daraus eine gute wird.
Bevorzugte Zitationsweise
Die Open-Access-Veröffentlichung erfolgt unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 DE.