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Bild von der Kinoleinwand mit Barbie die von ihrem Dreamhouse herunter schwebt

Barbie auf der Kinoleinwand. ©Jiré Emine Gözen

GAAAP_ The Blog

Wir haben Barbie gesehen und woll(t)en den ganzen Sommer darüber reden!

Barbie – Das Gespräch

10.10.2023

Julia Bee: Toll, dass ihr alle am Gespräch teilnehmt. Nicht alle kennen sich untereinander, deshalb machen wir eine kurze Vorstellungsrunde.

Caroline Pitzen: Ich bin Caroline, Filmemacherin und Künstlerin, aber auch in der Lehre tätig und arbeite als künstlerische Mitarbeiterin im Lehrgebiet Film an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, sowie als Lehrbeauftragte im Modul Medienpraxis mit Fokus auf Film an der Leuphana Universität Lüneburg. Meine eigenen Filme sind sehr weit von dem Streben entfernt, eines Tages in Hollywood zu landen. Trotzdem hege ich große Sympathie für Greta Gerwig, ihre Arbeit und ihren Weg nach Hollywood.

Julia: Machst du Coming-of-Age-Filme wie Barbie?

Caroline: Unkonventionelles Coming-of-Age, vielleicht, in meinem Langfilmdebüt FREIZEIT oder: das gegenteil von nichtstun. Hat eine von euch den Film gesehen?

Elisa Linseisen: Ich liebe den Film, denn er hat mich sehr berührt.

Caroline: Das freut mich zu hören. Ich arbeite an ganz anderen Sachen und verorte mich im künstlerischen Film. Trotzdem finde ich das "große" Kino, und in diesem Fall den Schritt in den Mainstream, interessant und faszinierend. Auch wenn es für mich persönlich, wie gesagt, nicht das Lebensziel ist, nach Hollywood zu gehen.

Elisa: Ich bin Elisa und arbeite in Hamburg am Institut für Medien und Kommunikation. Mein Schwerpunkt liegt auf digitalen Bildern, queer-feministischer Computertheorie und Post-Cinema. Ich schreibe aktuell über Queer Computing und die queere Computertheorie oder Vorstellungen von Informatik und Computer jenseits von Funktionalität und Solutionismen, das heißt, problemlösungsorientierten Perspektiven der queertheoretischen Intervention. Der Barbie-Film interessiert mich aus der Perspektive der feministischen Filmwissenschaft.

Jennifer Eickelmann: Ich bin Jennifer und seit letztem Jahr Junior-Professorin für Digitale Transformation in Kultur und Gesellschaft an der FernUni in Hagen, am Forschungsschwerpunkt >digitale_kultur. Ich habe einiges zu digitalen Spielen und Subjektivierung bzw. De-Subjektivierung gemacht, aber noch nicht explizit zu Spielzeug oder Puppen im engeren Sinne. In mir ist aber seit Jahren ein Begehren, wohl auch, weil ich als Kind passionierte Puppenspielerin war (lacht). Ich habe weniger mit Barbie gespielt, sondern mehr mit klassischen Puppen. Das Grauen also, mit dem der Film anfängt: ausschließlich Muttersein spielen. Insofern freue ich mich über den Austausch mit euch.

Jiré Emine Gözen: Mein Name ist Jiré und ich bin Professorin für Medien und Kulturtheorie in Berlin. Ich danke Euch, dass wir uns so früh treffen konnten, da ich gerade in Tokyo bin und es ja diese enorme Zeitverschiebung gibt. Ich bin hier an einen Forschungscluster angedockt und wir veranstalten kommende Woche einen Workshop bei dem es um um diskursive und materielle Dimensionen der digitalen Transformation geht. Damit bin ich bei einem meiner Forschungsschwerpunkte, der sich um narrative und künstlerische Spekulation von Zukunft und Technik dreht. Ich habe länger in Japan gelebt und hier unter anderem im Mori Art Museum gearbeitet. Es interessiert mich sehr, welche "nicht-westlichen" Narrative und Perspektiven es auf Welt, Zukunft, Geschichte und Wissen gibt und wie sie funktionieren. Ein anderer Schwerpunkt ist visuelle Kultur. Ich beschäftige mich damit, wie sich bestimmte Figurationen und ästhetische Codes "subversiver" Männlichkeit aus einem linksliberalen Kontext heraus entwickelt haben und nun von rechten und terroristischen Bewegungen weitergetragen bzw. umgedeutet werden (ein Ausgangspunkt ist dabei das Playboy Magazin). Aus dieser Perspektive war für mich auch Barbie interessant und ich möchte unbedingt bald einen Text zu Playboy und Barbie schreiben.​​​​​​

Julia: Das dachte ich auch, als ich den Film gesehen habe. Als ich das Barbie-Haus sah, dachte ich an die reverse Playboy Mansion und Preciados Arbeiten dazu.

Ich arbeite in Siegen und interessiere mich für politische und Gendermedienbildung im Netz. Welche auch populären Möglichkeiten müssen wir nutzen? Welche Kooperationen sind notwendig? Wie wichtig die Rolle von gender-, queer- und transsensiblen Formaten für politische Bildung ist, und wo man anknüpfen kann, frage ich mich auch in Bezug auf diesen Film: Ich habe Barbie sehr stark vor einem feministischen, aber zugleich antifaschistischen Hintergrund und als Position gegen die Alt Right und Männerbewegungen in den USA verstanden.

Caroline insistierte, dass ich den Film sehe. Ich war zunächst voller Vorurteile – leider, muss ich selbstkritisch dazu sagen. Caroline erzählte, dass Ben Shapiro bei Youtube eine Barbiepuppe verbrannte. Ich dachte: "Dann muss ich den Film sehen." Das hat mich neugierig gemacht, weil mich Hexen sehr interessieren und das Schicksal vieler Hexen und Hexer ist bekanntlich, von Ben Shapiro in konservativen Bildmedien verbrannt zu werden.

Elisa: Ja, Caroline, der Effekt war eine Welle. Julia wollte den Film nicht ansehen, aber du hast offensichtlich gedacht, sie sollte ihn unbedingt sehen.

Jennifer: Ich wollte mir den Film bei Netflix ansehen. Ich wollte daran festhalten, habe aber gemerkt, dass ich abgehängt bin, weil alle Menschen über diesen Film sprechen. Das war also kein Zustand (lacht). Als Julia geschrieben hat: "Geht nicht, wir müssen über den Film sprechen", musste ich also ins Kino, vor drei Tagen erst. Elisa, du hast ihn gestern gesehen, oder?

Elisa: Ich hatte den Film davor bereits gesehen. Insgesamt also bisher zweimal.

Barbie auf der Kinoleinwand 2. ©Jiré Emine Gözen

"Ich will den restlichen Sommer nichts anderes mehr tun, als jeden Tag diesen Film zu sehen. Ich will nichts anderes mehr gucken."

Jiré: Mir wurden über Wochen über verschiedene Social-Media-Kanäle wie Instagram Clips zum Film hereingespült. Da fand ich, dass der Film vielversprechend und lustig aussieht. Deswegen bin ich gleich in der ersten Woche, als der Film angelaufen ist, ins Kino gegangen. Ich konnte sehr viel mit deinen Affekten anfangen, Julia. Als du am Anfang gesagt hast, dass du dich freust, wieder über den Film zu sprechen. Ich weiß noch, dass ich in der Mitte des Films dachte: "Ich will den restlichen Sommer nichts anderes mehr tun, als jeden Tag diesen Film zu sehen. Ich will nichts anderes mehr gucken. Ich will nie wieder einen anderen Film sehen. Dieser Film ist so gut und macht viel Spaß" (lacht).

Mich würde aber interessieren, welche Diskussionen ihr im Nachgang zu diesem Film geführt habt? Denn das eine ist ja der Moment, in dem man dem Film sitzt und sich freut und den Film einfach super findet. Es ist aber nochmal was anderes, wenn man danach darüber spricht und dabei nochmal einiges reflektiert. In Gesprächen nach dem Film und im Nachdenken über diesen Film, dachte ich zunehmend: "Einige Punkte sind ganz schön schwierig." Allerdings sind die Tanzszenen sind unendlich toll.

Caroline: Beim Kinostart dachte ich: "Ah, stimmt, jetzt ist dieser Barbie-Kinostart." Ich hatte das gar nicht mehr so auf dem Schirm, aber natürlich mitbekommen, dass Greta Gerwig den Film gemacht hat. Ich habe Gerwigs Arbeit schon lange verfolgt und immer sehr geschätzt. Sie ist mir als Schauspielerin zum ersten Mal in Mumblecore-Filmen begegnet. Anschließend in Frances Ha in der Doppelfunktion Drehbuch-Co-Autorin/Schauspielerin und dann mit Lady Bird als Regisseurin. Es war klar, dass ich mir den Film aufgrund der Tatsache, dass sie ihn gemacht hat, auf jeden Fall ansehen werde. Ich habe dann zuerst den Trailer gesehen und dachte: "O weh, was ist das denn?" Im Anschluss den Teaser und der zeigt ja die Anfangsszene des Films, und da dachte ich: "I can feel her – that's very Greta Gerwig." Ich war gespannt, was kommt und sie hat mich nicht enttäuscht.

"Mich hat das Diskursphänomen überholt"

Elisa: Für mich hat der Film schon lange vor der eigentlichen Filmrezeption begonnen, mit der Pressemitteilung und den ersten Plakaten, mit "He's just Ken" und den Barbie-Postern, aber auch mit der unmittelbaren Adaption dieses Marketings in den sozialen Medien, z.B. über Memes. Für mich hat sich der Film und der Diskurs, der ihm vorausging, auch in das aktuelle, feuilletonistische und literarische Reclaiming der Tussi und der Identität des Tussihaften eingeschrieben, das im Moment sehr stark passiert, z.B. durch Jovana Reisinger und andere. Ich habe mich sehr auf den Film gefreut und wollte ihn unbedingt sehen. Mit zunehmender Euphorie habe ich gemerkt: "Wow, das Diskursphänomen überholt mich ein bisschen". Tatsächlich bin ich erst sehr spät, Mitte August, ins Kino gegangen und habe mich, abgesehen von Maren Haffkes kluger Kritik, auch von den ersten Besprechungen des Films isoliert. Ich habe den Film nicht als Ereignis für mich rezipiert, ich hatte eher das Gefühl, ihn fast heimlich gesehen zu haben, aber ich hatte viel Spaß dabei. Und gleichzeitig war ich auch ein bisschen traurig. Ich stehe dem Film immer noch sehr ambivalent gegenüber. Einerseits hat er mir sehr viel Freude bereitet. Ich liebe Glitzer! Ich war dennoch nicht in Pink gekleidet, was gar nicht so einfach für mich ist, weil ich viele rosa und pinke Sachen habe. Aber wie gesagt, ich wollte mich dem Film als Ereignis nicht so hingeben. Nach dem Kino habe ich mich dann von all den Fragen und den affirmativen und kritischen Stimmen zum Film einholen lassen. Ich fand und finde es toll, so vielen unsagbar klugen Frauen und FLINTA zuzuhören, wie sie über Barbie denken. Das möchte ich auch den Rest des Sommers machen.

Julia: Ich fand es toll, den Film im Kino zu sehen. Es war eine sehr vergemeinschaftende Situation, es wurde viel gelacht und beim Rausgehen warf man sich diese Blicke zu – ja, ich verstehe, du kennst es auch... Ich hatte bei der Szene mit der 2001-Barbie am Anfang Tränen in den Augen. Das hat sich 115 Minuten nicht gelöst. Das Nachdenken über all die Widersprüche und das Potential des Films macht mir großen Spaß.

Ich fand aber zugegebenermaßen unheimlich, dass ich als Kind nie eine Barbie besaß, aber nach dem Film eine wollte (lacht). Insofern hat Mattel das Ziel erreicht. Das Phänomen Barbie mit dem neuen Claim von Barbie als feministischer Figur bzw. Erzählung funktionierte bei mir. Ich habe geguckt, welche Barbies es gibt und wie sie aussehen, allerdings ohne sie zu kaufen. Dieses Interesse sehe ich als Problem. Aber es wäre langweilig, nur zu sagen: "Das ist nur ein Konsumrausch und Feminismus wird hier an den Kapitalismus verkauft bzw. wird beides gegeneinander ausgespielt." Ich dachte: "Es kann auch beides sein – Kritik am erstarkenden Traditionalismus und der Versuch von Mattel, Barbie zu retten."

"Wie kann man bestimmte Inhalte platzieren? Wie kann man Dinge, die in Greta Gerwigs Schaffen wichtig sind, auf eine andere Ebene heben?"

Caroline: Ich möchte auf das eingehen, was du, Julia, gesagt hast. Für mich war das Interessante an dem Film nicht, Barbie zur feministischen Figur zu machen, denn ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt geht. Sondern die Frage: Wie kann man bestimmte Inhalte platzieren? Wie kann man sie für die Masse platzieren, und wie kann man Dinge, die mir beim eigenen Schaffen wichtig sind, oder die in Greta Gerwigs Schaffen seither wichtig sind, auf eine andere Ebene heben? Als Autorinnenfilmerin hatte sie mit ihren anderen Arbeiten keine derart enorme Reichweite wie mit diesem Film. Als sie gefragt wurde, ob sie sich vorstellen kann, ein Drehbuch für den Barbie-Film zu schreiben, der von Mattel finanziert wird, war ihr sicher bewusst, dass der Konzern ein Interesse hat, aus dieser Figur etwas anderes zu machen. Damit sollte wohl unter anderem das viel beschriebene Pink-Washing betrieben werden. Aber aus der Perspektive der Regisseurin gedacht hat mich das eigentlich viel mehr interessiert. Mensch möchte mit der eigenen Arbeit andere Menschen erreichen und vielleicht auch eine Reichweite haben. In den USA ist das nochmal besonders speziell, weil auch die Indie-Filme anders finanziert werden als in Europa. Es ist alles komplexer und schwieriger, es gibt viel weniger öffentliche Förderung, und mein Eindruck ist, es gibt oft den Wunsch von Arthouse-Regisseur*innen, mit dem nächsten Film noch einen Schritt weiter zu gehen und größer zu werden, dem ökonomischen Druck zu entkommen, gleichzeitig eine größere Reichweite zu haben und ein anderes Budget, mit dem sich "mehr" realisieren lässt. Wie kann man also Inhalte, die einem wichtig sind, aber im Format des klassischen Autorinnenfilms nur ein bestimmtes Publikum haben werden, anders denken und vielleicht sogar auch in der sogenannten "Industry" anders platzieren? In dem Moment, in dem man die Anfrage bekommt, ein Barbie-Drehbuch zu schreiben, ist das natürlich eine Möglichkeit und ein absurder, aber vielleicht gleichzeitig auch reizvoller Gedanke. Anfangs ging es in der Anfrage von Warner Brothers/Mattel an Gerwig, glaube ich, nur um das Drehbuch-Schreiben und nicht um die Inszenierung. Diese Anfrage an sich bringt einen Widerspruch mit sich. Möchte man es machen oder nicht? Ich fand persönlich interessant, dass Greta Gerwig tatsächlich sagt: "Ja, ich schreibe ein Barbie-Drehbuch". Und später dieses Buch dann so gut findet, dass sie es auch selbst inszenieren möchte, und zwar genauso, wie sie es geschrieben hat. Das wäre vor zehn Jahren in der Form wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Als weibliche, junge Regisseurin, mit dem dritten bzw. vierten Film als Regisseurin auf ein solches Budget aufzuspringen, mit einem Buch, das man selbst geschrieben hat, von dem man sagt: "Genau wie ich es geschrieben habe, möchte ich es drehen. Ohne inhaltliche Veränderungen und Mitsprache der Auftraggebenden." Ich finde interessant, dass wir an einem Punkt sind bzw. der Kapitalismus an einem Punkt ist, wo dies möglich ist und passiert. Darin steckt von Anbeginn ein großer Widerspruch. Also auch, dass ein Konzern wie Mattel sich darauf einlässt bzw. dies sogar tun muss. Und dass eine erfolgreiche Indie-Filmemacherin diesen Schritt wirklich geht, denn leider wird es nur mit dem Schritt in den Mainstream diese Reichweite geben. Das Radikale an diesem Film ist für mich: Der Film oder besser Greta Gerwig hat es geschafft, Inhalte, die ihr wichtig sind, in das Korsett des Mainstreams zu pressen und dabei den Mainstream zu sprengen. Das System zu hacken. Sie hat ein Werk geschaffen, das von unzähligen Menschen auf der ganzen Welt gesehen wird. Wegen Barbie. Auch von Menschen, die sich mit bestimmten Diskursen, bis zu dem Moment, an dem sie diesen Film sehen, nicht auseinandergesetzt haben. So, das war ein Exkurs, bevor wir über das Lachen reden.

"Es handelt sich nicht unbedingt um einen Barbie-Film. Viel mehr dreht es sich um die echte Welt, um die Dinge, die weiter in unserer Welt schieflaufen."

Und noch etwas: Es handelt sich nicht unbedingt um einen Barbie-Film, finde ich. Viel mehr dreht es sich um die echte Welt, um die Dinge, die weiter in unserer Welt schieflaufen. Obwohl wir manchmal denken, es sei nicht (mehr) so. Allem voran, was die Gleichberechtigung der Geschlechter betrifft. Dies wird auch in Greta Gerwigs anderen Arbeiten sichtbar und deutlich. Dieses Thema treibt Greta Gerwig um. Und schon brennen die Barbie-Puppen in den rechten Videoformaten.

Jiré: Julia, du hast über Kapitalismus und Kapitalismuskritik gesprochen und über das Verhältnis, in dem diese Themen zu Barbie stehen. In diesem Zusammenhang ist sicher auch der Faschismus interessant, der im Film inszeniert wird oder wie er inszeniert wird. Das fand ich sehr spannend und ich oute mich: ich war als Kind absoluter Barbie-Fan. Meine Mutter ist daran verzweifelt. Wir waren ein sehr kapitalismuskritischer Haushalt und da passten Barbies eigentlich nicht rein. Kennt ihr den Film zu Momo von Michael Ende?

Julia: Das BUCH kenne ich.

Jiré: Es geht darin um Kapitalismus und dessen Hinführung in faschistoide bzw. faschistische Strukturen und wie diese mit Zeit, Freiheit und Konsum zusammenhängen. Es gibt mehrere Szenen, in denen die Kinder dieser bis dahin als sehr unschuldig und frei dargestellten Welt in die Logik des Kapitalismus und dessen Zeitlichkeit eingespeist werden. Und dabei spielen Puppen als eine Art Verführung und ein Heilsversprechen eine wichtige Rolle. Diese Puppen sind zwar keine echten Barbie-Puppen, aber es sind Puppen, die Barbie-Puppen sehr ähneln, also eigentlich sind es doch Barbie-Puppen, und sie werden mehrfach als "vollkommen" bezeichnet. Es gibt eine Szene mit Momo, wo eine der Puppen versucht, sie dazu zu verführen, mit ihr zu spielen und sie so in die Logik des Kapitalismus einzuführen. Die Puppe wiederholt dabei ständig: "Spiel mit mir. Ich will mehr Sachen!" Momo findet diese Puppe erst spannend, dann recht schnell langweilig und dann richtig ätzend. Als Heldin des Films schafft sie es, fast als einzige Figur den Puppen und damit den Versprechungen des Kapitalismus zu widerstehen. Diese Szene wurde mir als Kind von meiner Mutter als pädagogische Maßnahme immer wieder gezeigt (lacht). Ich mochte Momo sehr gern. Das war meine erste Konfrontation damit, dass ich auf Versprechungen des Kapitalismus und damit dessen Strukturen hereingefallen bin. Ich war damals sieben oder acht Jahre alt und musste mich damit auseinandersetzen, was das bedeutet. Ich habe den Barbies dann schweren Herzens abgeschworen, weil es ideologisch ja nicht richtig war, sie zu mögen. Ganz selten habe ich sie heimlich aber trotzdem manchmal noch hervorgeholt, um mit ihnen zu spielen. Es war also ein ambivalentes und konflikthaftes Verhältnis. Ich fand es daher sehr interessant, mit dem Wissen in den Film zu gehen, dass mit einer Filmemacherin wie Greta Gerwig und mit dem, was ich im Vorhinein auf Social Media gesehen habe, der Film die ideologiekritische Auseinandersetzung der 80er-Jahre umdreht, die ich bei Michael Ende kennengelernt habe. Das hat viel mit Herangehensweisen zu tun, und der Hervorhebung des subversiven Potenzials, das in den Barbies steckt. Denn dieser Film inszeniert Barbie und damit auch sich selbst als subversiv. Und das ist auch interessant, wenn man Barbies historisch kontextualisiert: Sie waren in den 1960ern Astronautinnen, Ärztinnen oder Pilotinnen, lange bevor das in der Realität eine tatsächliche Möglichkeit oder gar weiter verbreitet war. Einstmals progressive Vorstellungen oder Praktiken werden im Laufe der Zeit aber oft selbst zu dem, was von nachfolgenden Generationen als konservativ empfunden wird. Gloria Steinem sagt zum Beispiel in der Doku "Tiny Shoulders: Rethinking Barbie" von 2018, dass Barbie so ziemlich alles ist, wovon die feministische Bewegung wegzukommen versuchte. Ab den 70ern wendeten sich Feministinnen also dezidiert gegen Barbie. Michael Ende steht in dieser Tradition. Der Film war auch daher interessant für mich, ich wollte sehen, was in dem Film und in Barbie steckt, wo Teile des Feminismus heute wieder bzw. anders hinwollen. Dabei war für mich auch die Frage wichtig: Wie kann man sich damit auseinandersetzen? Vor allem in der Kombination mit einer humorvollen und ironischen Inszenierung des Men's-Rights-Movements und dessen faschistoiden Strukturen und Vorstellungen.

"Mädchen haben gelernt, Marvelfilme zu sehen – das ist ein Film für sie"

Elisa: Betrachtet man die Marktmechanismen solcher Filme, ist es nicht verwunderlich, dass es so viele Marvel-Filme gibt. Sie stellen die größte Schnittmenge an Zielgruppen dar, und dabei handelt es sich um männliche Teenager. Filme für Teenage Boys werden auch von Mädchen gesehen. Mädchen haben gelernt, dass es zwar extra Produkte für sie gibt, dass sie sich aber v.a. auch an andere Produkte anpassen müssen. Aufgrund des Jugenschutzes können Erwachsene Teenagerfilme sehen, umgekehrt aber nicht. Wenn man jetzt einen Film klar als pinken Girl-Film deklariert, der eben vor ein paar Jahren nur ein Chick-Flick gewesen wäre und zwar im Mainstream, aber an dessen Rand gestanden hätte, und diesen auch noch zeitgleich mit dem super seriösen Oppenheimer-Film rausbringt, dann ist das etwas bisher wirklich einmaliges. Etwas, das lange nur für eine spezifische Zielgruppe vorgesehen war, ist mit Barbie ein globales Massenphänomen. Und damit gehen bestimmte Ambivalenzen einher, in einer Form von Abnutzungen bestimmter Feminismen. Wie platziert man Feminismus für ein möglichst breites, ja globales Publikum? Das dies aber eine wichtige Frage "für alles" ist, das mit einer solchen Vehemenz zu behaupten, allein durch den Slogan des Films: "If you don't like Barbie, this film is for you. If you love Barbie, this film is for you", ist außergewöhnich. Das wird geclaimt, benutzt und auf eine breite Bühne gestellt, ohne Kompromisse. Klar geht es geht ums Verkaufen. Man will einen Blockbuster, das ist klar. Aber es sind diese subversiven Themen und Fragen, wie Jenny gesagt hat, die man damit groß rausbringt. Es ist offensichtlich eine Provokation einer gewissen Männlichkeit, die, wie ich finde, beeindruckend ist.

"Warum lachen wir bei diesem Film?"

Jennifer: Warum lachen wir bei diesem Film? Darüber denke ich die ganze Zeit nach. Ich höre euch gespannt zu. Worauf bezieht sich das Lachen? Ich habe aus verschiedenen Gründen gelacht, die ich im Nachhinein hinterfrage. In dem Moment lacht man und fragt sich: "Warum?" Diese Momente, in denen man sich selbst ertappt. Man lacht über sich selbst in der Hinsicht, dass man diese Situationen einfach kennt. Man erkennt sie wieder, sie werden gespiegelt und man sagt: "Ja, genau so ist es." Das ist so ein Moment. Es gibt aber diese Metaebene, eine Art von Hypermedialität, die das Lachen evoziert. Das ist ein zweischneidiges Schwert. Ich habe gelacht über das Ausstellen dieser Typen und des Patriarchats, in welcher Form auch immer. Das Ausstellen dieser ganzen Kultur, die das in sich trägt. Wenn Ken mit einem Bücherstapel über das Patriarchat durch die Gegend läuft, freut er sich, denn er hat diese dicken Bücher (lacht). Alle kulturellen Artefakte, die das in sich trägt, werden ständig ausgestellt. Das ist ein typischer Moment der Distanzierung, die das Lachen evoziert. Dasselbe passiert mit Mattel in der kapitalistischen Grundanlage dieser ganzen Szenerie. Diese Typen, die bei Mattel arbeiten, werden auch ausgestellt. Andererseits hat Lachen eine Doppelbödigkeit. Die Frage ist, worüber oder über wen lacht man? Aus welcher Perspektive? Das hat mit Nähe und Distanz zu tun. Mit einem Blick darauf, mit wem ich mich solidarisiere. Ich fühlte mich zum Beispiel schlecht, als ich bemerkte, dass ich mich ja auch mit Mattel verschwistere, während ich vermeintlich distanzierend über Mattel lache. Also über einen Witz, der von Mattel autorisiert wurde. Ich dachte mir: "Mist, ich habe gelacht, und was mache ich jetzt?" Das ist eine Form, zum Schluss hin dachte ich sogar: "Jetzt ist der Film vorbei und in welcher Position bin ich?" Ich finde das Lachen in seiner Ambivalenz genial eingesetzt. Denn genau die erzeugt das Lachen. Aber die Ambivalenz bleibt.

Caroline: Der Film ist eine Komödie. Er arbeitet mit bestimmten Elementen, wie etwa Slapstick. Er arbeitet formal also mit einem gewissen Genre und das Drehbuch spielt mit sehr unterschiedlichen Arten von Humor. In dem Film steckt enorm viel, was sehr unterschiedliche Menschen an unterschiedlichen Stellen abholen kann. Es werden Witze erzählt, über die manche Leute nicht lachen werden, da sie sie nicht verstehen. Über andere Witze kann jede*r lachen. Vielleicht lachst du nicht darüber oder hierüber, weil du es nicht so witzig findest, wie 80 Prozent der anderen Leute neben dir. Und andersherum. Dieser Mechanismus ist den ganzen Dialogen und dem Drehbuch immanent.

Jennifer: Wie ist das Verhältnis von Humor, Lachen oder Komik zum Politischen? Diese Form des Lachens ist: "Ich weiß, ich habe gerade einen sexistischen Witz erzählt, haha." Man lacht, man macht sich vielleicht gemein, vielleicht aber distanziert man sich auch. Was macht das jetzt? In welchem Verhältnis steht das zum Politischen? Das ist eine nicht abschließend zu beantwortende Frage, weil sie genauso ambivalent ist wie die Frage: "In welchem Verhältnis steht die Ökonomie zum Politischen?"

"Warum können wir nicht aufwachen und morgens sagen: "Hey, Barbie", und abends "Every night is a girl's night"?"

Julia: Der Film ist auch eine politische Satire. Er arbeitet mit Slapstick und Übertreibung und Ironisierung. Zum Beispiel mit der Analogisierung zu dem Sturm auf das Kapitol (und auf Barbieland) mit dem Fellmantel (beim Sturm aufs Kapitol war es eine Fellmütze mit Hörnern, die ikonisch wurde).

Ich finde, der Film lebt zudem von der Ansprache an die Frauen und ist an mehrere Generationen gerichtet. Er arbeitet mit dem gleichen Modus, wie es die Szene in dem Lieferwagen vorführt, wenn Gloria, gespielt von America Ferrera, die Barbies „aufweckt“: "Ich muss euch das nur erklären und dann versteht ihr das. Ihr wacht auf und alles wird gut." Darüber musste ich lachen, weil das dieser Verzweiflungsmoment ist, den man oft hat: "I am talking to you as a sister of all genders. Du verstehst mich nicht, und wir sind entfremdet durch die Herrschaftsstrukturen um uns und in uns." Man lacht über die Auflösung der Entfremdung in dieser Utopie. Die politische Analyse ist messerscharf und präzise. Ich habe mich darüber intellektuell sehr gefreut. Diese Art und Weise, wie Barbie durch die Welt geht und sagt: "Ich fühle mich unwohl. Ich werde die ganze Zeit angestarrt. Wieso werten sie mich ab?" oder "Sag besser nicht, dass du ein Mann bist, denn sonst bekommst du keinen Job." Es ist auch dieses Anknüpfen an eine Lebenswelt von FLINTA, die das alles kennen und hier im Modus der Zuspitzung im Medium Märchen erfahren.

Das andere ist dieses Spiel mit der Barbielogik: Ich finde diese konsequente Durchinszenierung interessant, dass aus der Milchtüte keine Milch und aus der Dusche kein Wasser kommt. Dass man diese Spiel-Welt so liebevoll umsetzt, fand ich ein Statement. Nicht nur, weil es ein grandioses visuelles Spektakel ist, sondern weil es auch darum geht, dieses Spiel auf eine Weise zu verfilmen, wie es sonst nicht gemacht wird und dabei in einen formalen Realismus überzugehen. Dadurch entsteht die Utopie Barbieland. Man wird natürlich auch melancholisch. Warum können wir nicht aufwachen und morgens sagen: "Hey, Barbie", und abends "Every night is a girl's night"? Das geht offensichtlich nicht, wie Stereotypical Barbie am Ende des Films zu "And Ken" sagt. Warum eigentlich nicht? Vielleicht weil diese Welt unhaltbar ist, weil niemand stirbt, weil niemand altert, weil es keine Veränderung gibt. Dann auf einmal passiert eine Auseinandersetzung mit Tod, "Cellulite" und allen Dingen, die auf einen zukommen. Darüber muss man lachen, weil es auch melancholisch ist.

Am Ende des Films wird Barbie, gespielt von Margot Robbie, vielleicht eine Frau, mit welchen Geschlechtsorganen auch immer. Darüber müssen wir reden, weil das aus meiner Sicht vollkommen unklar ist. Auf jeden Fall hat sie Birkenstocks (lacht). Sie wird aber auch sterblich. In Weißes Rauschen von Noah Baumbach (der am Drehbuch von Barbie mitschrieb) mit Greta Gerwig in einer der Hauptrollen, geht es um die Theorie, dass der Faschismus immer den Anspruch hat, den Tod zu besiegen und ewig sein zu wollen. Angesichts von Kapitalismus, Rechtsruck und Klimawandel: Es geht in Barbie auch um Endlichkeit. Das wird die ganze Zeit ausgestellt – das Mechanische und Künstliche vs. das Organische. Es ist verrückt ineinander verschoben, weil Barbie hier mit ihrer Welt etwas verkörpert, was Gerwig gleichzeitig kritisiert.

"Wir kommen aus der Welt einer 'Frau Thomas Mann'. In Barbieland gibt es 'Barbie and Ken'."

Caroline: Ich fand witzig, dass Greta Gerwig Barbieland ernst nimmt. Wir kommen aus der Welt einer "Frau Thomas Mann". In Barbieland gibt es "Barbie and Ken". Diese simple Welt, diese Milchbox, aus der keine Milch kommt. Die Dusche, aus der kein Wasser kommt. Das Grundsetting wird ernst genommen und trotzdem im Sinne des Fortschritts reinterpretiert (lacht). Das Matriarchat in Barbieland versus das Patriarchat in der realen Welt. Es geht aber vielleicht darum, uns im Grunde ausschließlich etwas über die reale Welt zu erzählen. Dieser Grundgedanke ist simpel. Aber niemand hat bis zu diesem Film darüber gesprochen, was in Barbieland eigentlich so los ist? Ich bin mit Eltern aufgewachsen, die Barbie verteufelten. Ich hatte keine Barbies. Irgendwann hat mir die große Schwester einer Freundin eine ausrangierte Barbie geschenkt. Die durfte ich behalten. So radikal waren meine Eltern dann doch nicht. Die Tatsache, dass Gerwig ernst nimmt, was sie vorfindet, und auf eine Art und Weise ernst nimmt, wie es nie ernst genommen wurde. Und eins zu eins durchdekliniert, was es ist und was es mit der "Real World" zu tun hat oder auch nicht, ist besonders. Und natürlich kann dann nicht jeder Tag "a perfect day" sein. Oder doch?

Jiré: Ich fand auch das Element des Wassers und der Abwesenheit von Flüssigkeiten spannend. Das führt mich zu meiner ersten Kritik. Wenn man z.B. an eine Theoriebildung wie den Hydrofeminismus bei Astrida Neimanis denkt, in der Wasser als etwas beschrieben wird, das zwischen dem Menschlichem und Nichtmenschlichem oszilliert. Posthumanistische feministische Phänomenologie und neuer Materialismus. Viele von uns rufen Denkfiguren dieser Theoriebildung bei den Problematiken auf, mit denen wir uns auseinandersetzen, wenn es um eine Adressierung von Rassismus, Sexismus oder Speziesismus geht. Und nun ist Wasser in der Barbie-Welt materiell nicht vorhanden. Es ist nicht möglich, ins Wasser einzutauchen und dadurch auch einen Wandel herzustellen. Stattdessen ist man (vor allem Ken) immer wieder gegen das Plastik geprallt, dass das Wasser darstellen sollte. Und anders als Wasser ist das undurchdringlich. Das fand ich unheimlich interessant.

"Wenn Barbieland tatsächlich ein utopischer Ort und diese Utopie perfekt ist, dann machen diese Kens doch eigentlich keinen Sinn. Warum ist es keine lesbische bzw. queere Utopie?"

Generell musste ich musste häufig über die verschiedenen Ken-Figuren lachen. Die Präzision und Dimension politischer und geschlechterstereotyper Verhaltensweisen in alltäglichen Situationen war einfach so gut parodiert. In zugespitzter Form geht es dabei deutlich um das Men's-Rights-Movement, dessen Strukturen und Erklärmodelle. Was ich noch interessant fand, war, dass es bei den Kens oder spezifisch bei Ryan Gosling als dem stereotypischen Ken, der die stereotypische Barbie anhimmelt, ein dezidiertes Begehren gibt. Bei den Barbies hingegen gibt es das nicht. Warum ist das so? Ich fand das letztlich problematisch an dem Film.

Wenn Barbieland tatsächlich ein utopischer Ort und diese Utopie perfekt ist, dann machen diese Kens doch eigentlich keinen Sinn. Warum ist es keine lesbische bzw. queere Utopie? In diesem Zusammenhang fand ich es umso bezeichnender, dass ausgerechnet Kate McKinnon als eine queere, lesbische Ikone die "Weird Barbie" spielt. Zu der man zwar geht, weil sie irgendwie den besseren Durchblick hat und durch die Schwierigkeiten dieser Welten begleiten kann, aber die gleichzeitig eine Außenseiterin ist, über die es mehrfach heißt: "Sorry, that we called you Weird Barbie behind your back and also to your face". Das ist auf eine Art eine treffende Beschreibung davon, was Personen, die jenseits einer heteronormativen Matrix leben oder nicht als cis-Person in der (also dieser) Welt stehen, tagtäglich erfahren. Und dass das nicht aufgelöst, sondern als running gag funktionalisiert wurde, fand ich problematisch. Dazu gehört weiter auch das Ende, wo sie zur Gynäkolog*in geht. Ich fand die Szene erstmal toll inszeniert, weil man dachte, sie hat jetzt einen Job oder geht zu einem Jobinterview. Das wäre die kapitalistische, neoliberale Logik (lacht). Aber dann geht es darum, dass sie (vermutlich) nun ein Geschlecht, vielleicht eine Vagina (bekommen) hat. Aber was bedeutet das? Ist das gebunden an etwas wie an eine Subjektwerdung und damit an die Fähigkeit zu begehren? Das fand ich sehr problematisch. Vor allem aber der Punkt des Begehrens. Warum begehren die Kens und die Barbies nicht? Ist das Differenzfeminismus? Oder was ist das eigentlich, was sich da widerspiegelt?

Jennifer: Das ist eine gute Frage. Ich habe keine deutliche oder klare, abschließende Antwort. Ken möchte bei Barbie übernachten. Barbie sagt: "Wozu?" (lacht)

Elisa: "Why?" (lacht)

Caroline: Ken will Barbie küssen. Barbie sieht Ken nur an.

Julia: Und Ken sagt: "I don´t know."

Jennifer: Diese völlige Überflüssigkeit dieses Typen! Ich sehe das Problem des Begehrens in dieser Szene wohl recht pragmatisch. Diese Überflüssigkeit und sein Begehren, wozu? Um die Unabhängigkeit, die Autonomie von Barbie inszenieren zu können, macht es Sinn, genau das immer wieder infrage zu stellen. So wird deutlich, dass es nicht infrage gestellt werden kann. Das ist auch ein Mittel. Ken sucht immer. Er ist nichts ohne sie. Deswegen hängt Ken immer an Barbie. Er muss immer dabei sein. Ken sitzt im Auto, er hat seine Skates dabei. Er kann es nicht besser können.

Jiré: Ich hatte den Eindruck, das Begehren der Kens war Antriebsfeder des gesamten Handelns. Er will gesehen werden, eine Bindung herstellen, notfalls jemanden eben auch durch die Etablierung entsprechender Machtverhältnisse an sich binden. Der Antrieb entstammt einem Begehren, das Ken selbst nicht richtig benennen kann. Aber es ist dezidiert ein Begehren und das Subjekt ist klar vorhanden. Denn es weiß, dass es gesehen werden will. Es WEISS, was es möchte. Umgekehrt fragt Barbie: "Warum?" Die Subjektwerdung bei Barbie wird erst am Ende vollzogen, dann wenn Barbie vermutlich zur Frau wird. Was bedeutet das?

"Wir haben, ganz wie Sarah-Mai Dang es in ihrem Buch beschreibt, die Form der affirmativen und dekonstruktiven weiblichen Subjektwerdung in der Barbie vor uns"

Elisa: Vorher entschuldigt sich Barbie bei Ken, dass sie ihm nicht die nötige Aufmerksamkeit gegeben hat. Ken entschuldigt sich aber nie bei Barbie. Ich hatte ein Problem mit dem fehlenden Begehren und daher eine ähnliche Wahrnehmung wie Jiré. Die Vorstellung von was auch immer, Liebe, Intimität, Romantik, gibt m.E. Ken einen gewissen Subjektvorteil gegenüber Barbie. Ich würde das jedoch nicht als Idee der Autonomie lesen. Wenn wir in der Logik bleiben, dass wir die ganze Zeit ein Spiel sehen, in dem Wasser imaginiert werden muss, stellt sich die Frage: "Wer spielt Ken?" Die Aufladung wird deutlicher, wenn eine Form von Stereotypisierung oder ein perfekter Tag bei Barbie anders aussieht. Ich habe Sarah-Mai Dangs Buch Chick Flicks gelesen, um mich auf unser Gespräch vorzubereiten. Wir haben, ganz wie Sarah es im Buch beschreibt, die Form der affirmativen und dekonstruktiven weiblichen Subjektwerdung in der Barbie vor uns. Barbie tritt nicht wie Ken mit seinen Zielen und Begehrensmomenten auf. Alle haben etwas dazu gesagt, aber welche eigenen Spielerfahrungen oder Nicht-Spielerfahrungen habt ihr mit Barbie gemacht? Welchen rezeptionsästhetischen Moment hattet ihr, welche Erinnerung an ein vielleicht kindliches Spiel? Was wurde euch vorgelebt? Mich interessiert, wie das Spielen mit Barbie an eine feministische Filmtheorie anknüpft, in der es um eine Rezeptionserfahrung geht, die die Rezeption aneignet, beansprucht, umcodiert und umschreibt. Ich würde das gerne auf den Gebrauch von Weird Barbie beziehen. Warum weicht Weird Barbie in Barbieland ab? Weil sie anscheinend andere Möglichkeiten in dieser spielerischen Interaktion, oder was mit ihr passiert ist, angeboten hat, als "the perfect day". She was played too hard.

Caroline: "Spice up your life."

Elisa: Genau, Spice up your life von den Spice Girls läuft im Hintergrund. Übrigens auch eine sehr handgreifliche Szene. Da wird sehr viel körperlich an diesem Plastik gemacht. Ich habe gelernt, dass Spielen keine unschuldige und brave Erfahrung ist. Spielen ist immer gewaltvoll und ist immer eine Aushandlung von Macht. Inwiefern kommen durch das Spielen andere Potenziale und auch Begehrensstrukturen in die perfect Barbieworld hinein? Meine Barbies waren SELTEN unschuldig, denn sie haben Begehren ausgehandelt. Inwiefern prägt ein Erinnern an diese Form von Spiel in irgendeiner Weise eine Rezeptionserfahrung des Films? Geht es darum, den Film hard zu playen, zu strapazieren, zu zerren? Inwiefern werden Potenziale von Begehren dann möglich?

"Greta Gerwigs Agenda ist die Reinterpretation oder die Aneignung von dem, was sie vorfindet in der Barbie-Welt"

Caroline: Ich lese die Figur Ken in einer Gerwig'schen Neuinterpretation, weil Mattel Barbie und Ken als "the perfect couple" verkaufen. Die Mattel'sche Version ist natürlich total sexualisiert, even without genitals. Das ganze binäre Setup bringt das mit sich, ist auch immer da gewesen und total problematisch. Greta Gerwig will es – "the perfect couple"­ – negieren und nicht als Teil ihres Films haben. Deswegen hat Barbie kein Interesse an Ken, an Ryan Gosling, dem Schwarm Hollywoods, und lässt ihn einfach links liegen. Ich verstehe, was ihr sagt und in dieser Form des Nachdenkens darüber ist das natürlich problematisch. Aber Greta Gerwigs Agenda ist meines Erachtens die Reinterpretation oder die Aneignung von dem, was sie vorfindet und die Übersetzung in ihre Lesart der Barbie-Welt. Dieses Barbieland anders zu sehen als das, was es tatsächlich ist bzw. wie es sehr viele Menschen bisher wahrgenommen haben und wie es hinsichtlich unzähliger Faktoren extrem problematisch ist, wie es Menschen geprägt hat und sich bis heute einschreibt in beispielsweise auch das Bild von "the perfect couple". Das will Gerwig alles nicht machen, nicht bedienen. Aber so kommt dann das Problem des fehlenden Begehrens der Barbie auf. Wobei durch das Ende des Films, also durch die Menschwerdung, das Begehren und Fühlen vielleicht doch wieder hereinkommt?

Jiré: Was heißt das? Heißt das, dass Ken vorher mehr Mensch ist, wenn er Begehren hat?

Julia: Warum hat Barbie kein Begehren? Sie hat doch Begehren, man muss es mit einem weiten Begehrensbegriff sehen, nach Deleuze und Guattari, Begehren erfolgt da nicht aus einem Mangel heraus, schließt aber das kapitalistische Begehren ein. Barbie hat auch viele Pläne und viele Freund*innen, die sie begehrt, es gibt vielleicht mehr und anderes als sexuelles Begehren. Nur, weil sie Ken nicht begehrt, hat sie kein Begehren?

Es ist eine Coming-of-Age-Erzählung für Kinder und Jugendliche. Zum einen sehe ich diesen Moment, dass es darum geht, die Genitalien von Puppen zu erkunden und das Moment der eigenen Sexualität ambivalent von der Puppe verkörpert wird, womit der Film spielt, wenn beide Figuren nicht wissen, warum Ken bei Barbie übernachten sollte. In"The Toys That Made Us", einer Netflix-Doku, die Jennifer empfahl, geht es um das gestalterische Problem, wie sexualisiert Barbiepuppen sein dürfen: Wie das bei Mattel in der Produktion ausgehandelt wurde, dass Barbie Brüste hat, aber keine Vagina haben konnte. Ken brauchte auch etwas, so dass man eine Abstraktion für die Hosenformung entwarf. Das ist befremdlich, und etwas, das nicht nur Kinder interessiert, darüber lacht man ja seit jeher bei Barbie und Ken – generationenübergreifend. Ich könnte mir schon vorstellen, dass es darum geht, das unheimliche Moment der Entsexualisierung wieder in die Rezeptionserfahrung des Films einfließen zu lassen. Wenn wir bei der Psychoanalyse sind, über die man sich im Film sicher lustig macht (bzw. das Vorurteil, im Matriarchat gäbe es keinen Sex oder um normative Vorstellung von Begehren), geht es nicht darum, dass Barbie kein Begehren hat. Sondern es geht darum, dass eine Frau in einer Männerwelt kein Begehren haben kann wenn sie kein normativ sexuelles Begehren hat. Das ist eine Zuspitzung dessen, dass es diese Welt eigentlich nicht geben kann bzw. welche Vorstellungen von der "Real World" da einfließen, da ja alle Puppen von dort "gespielt" werden.

"Diese Utopie kann auch keine vollkommen andere Welt sein, weil sie unter den aktuellen Umständen nicht losgelöst von der Real World denkbar ist."

Zu deiner anderen Kritik, die ich sehr relevant finde: Angesichts des Jugendfilmcharakters und vielleicht auch für das globale Marketing sind bestimmte einseitige 'Entsexualisierungen' vorgenommen worden, glaube ich. Das kann man kritisieren. Es ist eine queere Gruppe in Barbieland, aber keine lesbische Utopie. Diese Utopie kann auch keine vollkommen andere Welt sein, weil sie unter den aktuellen Umständen nicht losgelöst von der Real World denkbar ist. Greta Gerwig flicht diese Kritik mit ein, denn das ist auch eine Kapitalismuskritik. Aber And Ken, Ryan Gosling, ist zumindest nicht am Ende mehr Mensch aus meiner Sicht. Er entwickelt sich nicht, während die ganze Geschichte darum geht, dass Barbie sich entwickelt, emanzipiert, Mensch wird. Ich würde aber nicht sagen, dass sie am Ende deshalb weiblich gelesene Genitalien hat – das war ja eine Kritik an dem Film. Vielleicht wünscht sie sich welche, das wäre doch eigentlich interessant, weil Barbie dann eine ganz andere Analogie beinhalten würde: Der Film ist ein einziger Transitionsprozess. Nur weil sie zur Gynäkologin geht, hat sie trotzdem vielleicht am Ende nicht unbedingt weiblich interpretierte Geschlechtsorgane. Das wissen wir nicht. Sie geht ja erst hin. Let's see in Teil zwei, was kommt und ob es so bleibt.

"Es gibt viele tolle Barbies, die sich gegenseitig begehren könnten und das tun sie eben nicht."

Jiré: Genau, aber nochmal zum sexuellen Begehren. Dass es, wie von Dir beschrieben, Julia, eine andere Art des Begehrens und darin sehr große Wünsche gibt, das ist klar und wichtig. Ich finde es trotzdem problematisch, dass das weibliche Begehren außschließlich DA liegt, anstatt dass es auch ein sexualisiertes Begehren gibt. Das gibt es vor allem in der perfekten Barbie-Welt nicht, als ob es dort nicht gebraucht wird. Das ist mein großer Kritikpunkt. In der Konsequenz müsste es nämlich eigentlich heißen, weil die Kens so dämlich sind, ist klar, warum man ihn/die nicht begehrt. Aber es gibt viele tolle Barbies, die sich gegenseitig begehren könnten und das tun sie eben nicht.

Julia: Ganz pragmatisch hat irgendwer diesen Ken erfunden. Es gibt Ken in dieser Mattel-Welt. Es gibt Alan und Ohrring-Ken und andere. Gerwig stellt die Pregnant Barbie aus, die Skipper Barbie, die mit den Kindern surft. Die teils irritierenden Ideen, die sie bei Mattel hatten, z. B. Barbie mit einem Monitor im Rücken. Das deutet darauf hin, dass das von Anfang an ungelöst ist. Barbie sollte eine Freundin sein, aber gleichzeitig "durfte" sie keine Sexualität haben, was die Kinder natürlich nicht in ihrer Fantasie stört. Es ist eher eine Kritik daran, als dass Gerwig das abfeiert. Aber vielleicht ist es auch ok, wenn Barbie keine oder noch keine Sexualität im normativen Sinne hat.

Jennifer: Was ich noch im Kopf hatte, ist: Wer spielt denn Ken? In der fiktiven Barbie-Welt könnte die Storyline des Films potenziell alles öffnen. Das kann sie aber nicht, weil Barbieland eben nicht fiktiv ist – und das ist keine Kritik –, weil Barbieland eben auch an die reale Welt gekoppelt ist. Der ganze Film funktioniert im virtuellen Raum. Was Barbie tut oder was nicht ist notwendigerweise an die Frage gebunden: "Wie spielen wir oder die jüngeren Menschen mit diesen Puppen?" Das finde ich wichtig und gut und ist für mich eine Stärke des Films. Der Film stellt die virtuelle Form der Aushandlung aus. Damit macht er dasselbe, was digitale oder eben andere virtuelle Medien tun. Der Film bewegt sich zwischen Realität und Fiktion und überall dazwischen gibt es die Scharnierformen. Hattet ihr einen Ken? Wie habt ihr mit Ken gespielt? Wie lässt sich mit Ken spielen? So würde ich die Frage stellen, und weniger, welchen fiktiven Entwurf für diesen Typen habe ich? Sondern: Wie spiele ich mit dem? Ich habe Barbie und alles dreht sich im Barbie. Und es gibt noch einen Ken. Ich hatte keinen. Man kennt ihn zwar, aber was macht man mit ihm? Das zitiert der Film. Damit sind ihm selbstverständlich die Hände ein wenig gebunden. Aber auf eine sehr positive Art und Weise, weil der Film nie vergisst, dass es NICHT darum geht, sich im entgrenzten Fiktiven, Utopischen auszutoben. Wofür ich zwar grundsätzlich immer bin – aber der Film macht die Probleme eben nicht zu einer Aufgabe des Symbolischen, des Fiktiven, des Utopischen. Sondern der Film macht das nie. Warum? Weil jeder Akt in Barbieland notwendigerweise mit der Realität verkoppelt ist. Barbieland gibt es nicht ohne die Realität. Barbieland wird gespielt, und damit eröffnet Barbieland auch Welten und virtuelle Möglichkeitsräume, die notwendigerweise an die reale Welt gekoppelt sind. Abgesehen von der Jugendschutzfrage hätte es nicht funktioniert, wenn Barbie sexuelles Begehren hätte. Da bin ich also Realistin, denn: wenn ein fünfjähriges Mädchen mit Barbie und Ken spielt, was führt es im Schilde? Das ist unsere Frage, wenn wir wissen wollen, was mit Ken los ist.

Kens auf der Kinoleinwand. @Jiré Emine Gözen

 

"Was will uns der Film erzählen? Selbst der Typ, der in der Ecke liegt und nur ein Ken ist, verbrüdert sich."

Caroline: Gleichzeitig erzählt uns der Film auch, dass Ken der Typ ist, der in der Ecke liegt und den es ohne Barbie nicht gibt. Die Ken-Variationen buhlen um Barbie. Aber am Ende finde ich das Interessante in Bezug auf Ken – auch wenn er im Film stellenweise witziger und mehr Subjekt ist – folgende konkrete Frage: Was will uns der Film erzählen? Der Film erzählt: Selbst der Typ, der in der Ecke liegt und "nur" ein Ken ist, verbrüdert sich. Und macht aus Barbieland innerhalb von wenigen Tagen ein "Kendom". Barbie ist kurz nicht da, und schon ist es Kendom. Und es braucht die Teenagerin, die junge Generation aus der Real World, die sagt, als sie Barbieland gerade verlassen wollen: "Mutter, wir drehen um. Sei so, wie du bist, und verstelle dich nicht die ganze Zeit. Du bist richtig, wie du bist. Und weil da hinten jetzt Kendom ist, können wir nicht wegfahren. Wir müssen umdrehen, um Barbie zu helfen. Obwohl Barbie "a fascist" ist, und ich sie eigentlich nicht mag. Kendom geht gar nicht!" Das finde ich das Interessante an diesem Ken-Ding. Das ist der Typ, der in der Ecke liegt. Er hat keine Rolle und was passiert? Selbst in Barbieland – quasi ohne die Patriarchatserfahrung der Real World, nur durch eine Mini-Begegnung mit patriarchalen Strukturen durch den Ausflug in die reale Welt, wird ja sofort noch einmal eine ganz andere Art von Begehren geweckt: Es sind die Typen, die sich am Ende verbrüdern und gemeinsam an die Spitze wollen.

Jennifer: Ja, Ken nicht ernst zu nehmen, könnte fatal sein. Das Spiel, in dem diese Puppe herumliegt – eine Freundin von mir damals hatte einen Ken, aber er hat nie richtig eine Rolle gespielt – könnte zum Problem werden. Das ist wieder diese Kopplung oder diese Ambivalenz und auch wieder ein virtueller Raum im Dazwischen. Ken ist völlig unnütz und wir können ihn völlig ignorieren und in die Ecke knallen. Es ist egal ob er da ist oder nicht. Wenn er eine Rolle spielt, nur, um Barbie noch toller aussehen zu lassen. Doch Vorsicht, denn so funktioniert das nicht. Das ist ein toller Move des Films. Man muss den Knaben im Blick behalten. Das ist eine sehr geschickte Art und Weise im Umgang mit diesen Figuren. Deswegen ist Ken sehr wichtig für den Film, und zwar gerade mit diesem Hinweis, dass er überflüssig ist. Dieser Hinweis wird ja selbst auch wieder ad absurdum geführt.

Elisa: Wie Ken die anderen Kens überzeugt, dass sie das Patriarchat machen, bekommen wir nicht mit. Wir kommen mit Barbie, Mutter und Tochter nur in der schon umgekehrten Welt an. Wie die Barbies sich wiederum gegenseitig überzeugen – Sisters of all genders, hört mir zu – das wird im Film gezeigt. Dass wir den Kippmoment ins Patriarchat nicht zu sehen bekommen, liegt m.E. daran, dass die Struktur im Barbieland immer schon patriarchal ist. Das Patriarchat ist da. Die Umkehrung ist sehr schnell geglückt. Die brauchen wir filmisch nicht zu zeigen. Die müssen wir nicht ausagieren. Wir brauchen nur zwei Bücher und ein paar Pferde, und wir haben Kendom.

Caroline: Ich meine die Szene mit der Schlacht. Mann bekämpft sich, und danach verbrüdert Mann sich. Wie Kendom zum Kendom wird, das Stereotypical Barbie nach ihrer Rückkehr aus Real World vorfindet, haben wir nicht mitbekommen. Aber dass es weiterhin Machtgerangel gibt und man nicht weiß, ob die Kens es durchhalten, bekommen wir mit. Nach dem Kampf gibt es dann aber doch sofort die Verbrüderung. Elisa, entschuldige, ich habe dich unterbrochen.

"Deswegen können wir in Barbieland nicht sehen, wie Kendom zu Kendom wird. Denn wir müssten sehen, dass die Barbies und Kens Durst und Hunger haben, dass es Wasser und ein echtes Toastbrot gibt, dass es Lohnarbeit und Produktion gibt."

Jennifer: Es ist kein Zufall, dass wir nicht mitgekriegt haben, wie Kendom zu Kendom wurde. Wenn wir uns in einer Form grundlegend darauf einigen können, dass Patriarchat etwas mit Kapitalismus zu tun hat, ist klar, dass wir das nicht mitkriegen können. Das ist einer der zentralsten Punkte, die auch der sensibelste Punkt ist, weil es Hollywood und Mattel sind. Denn wir hätten in einem ersten Schritt zu Kendom sehen müssen, dass sich Barbieland materialisiert. Im Sinne des historischen Materialismus. In Barbieland hätte es eigentlich sowas wie Lohnarbeit geben müssen. Dort hätte es ein Einkommen oder die Notwendigkeit eines Einkommens geben müssen. Anschließend entfaltet sich Kendom. Das sehen wir aber nicht, und das wäre eine Kritik an dem Film, die logisch ist, wenn man die ökonomischen Bedingungen des Films einbezieht. Der Film schafft es, die Rolle von Klasse komplett auszublenden. An einer Stelle hatte ich eine Erweckung und dachte: "Vielleicht schafft er es doch." Die lustige Szene, in der die beiden in diesem Malibu-Outfit auf ihren Skates unterwegs sind. Barbie merkt, das ist irgendwie mies, alle gaffen. Ken denkt: "Das ist cool." Sie treten in Resonanz mit der echten Welt. Aber es ist noch keine wirkliche INTERAKTION. Es ist eine Resonanz, aber keine wirkliche Interaktion. Was ist die erste Interaktion? Sie haben verstanden, dass ihr Outfit für Aufsehen sorgt. Sie gehen in einen Laden am Beach und suchen sich ein nicht weniger extrovertiertes, aber anderes Outfit. Sie gehen hinein und mit neuem Outfit wieder hinaus. Es folgt eine Szene, von der ich dachte: "Vielleicht schafft der Film es doch." Der Verkäufer läuft ihnen hinterher, winkt und sagt: "Ihr müsst das bezahlen!" Das war ein Erweckungsmoment, weil das der Schlüssel ist, um den es gehen muss. Aber der Film löst das nicht richtig ein. Gerade in den USA und Malibu hätte man andere Szenen zeigen können, die klarmachen, was das Problem ist, das dem Ganzen zugrunde liegt. Das macht er nicht. Deswegen können wir in Barbieland nicht sehen, wie Kendom zu Kendom wird. Denn wir müssten sehen, dass die Barbies und Kens Durst und Hunger haben, dass es Wasser und ein echtes Toastbrot gibt, dass es Lohnarbeit und Produktion gibt.

Julia: Was ist jetzt deine Kritik, dass Barbie nicht lohnarbeitet oder dass sie klaut? (lacht)

Jennifer: Der Kapitalismus als Grundlage des Patriachats wird nicht zum Thema des Films gemacht.

Julia: Aber das Patriarchat als Grundlage des Kapitalismus sehr wohl, mit Silvia Federici gesprochen. Das ist eine unklare Theoretisierung seitens des Films. Der Film stellt die Arbeit an den Widersprüchen aus, die Kapitalismus und Patriarchat mit sich bringen. Was kann und muss Barbie alles repräsentieren? Barbie can be anyone, heißt es am Anfang. Du bist Barbie, du bist auch Barbie. An einer Stelle heißt es: "Even if you just want to be a mother." Ich musste schlucken. "Just"? Es gibt immer eine Grenze dessen, was Barbie sein kann. Es gibt auch Welten, die nicht in Plastik aufgehen und es gibt keine ältere Barbie. Es ist schwer, sich eine Indigene Barbie vorzustellen, obwohl es viele Aneignungen Indigener Puppen gibt, z.B. Teletubbies. Mit diesem Repräsentationsanspruch und seinen Grenzen spielt der Film auch.

"Der Film ist eine Intervention in die massive Genderretraditionalisierung"

Trotzdem finde ich, der Film ist eine Intervention darin, dass es eine massive Gender-Retraditionalisierung in den USA und auch in Europa gibt. Im Film sehen wir, dass Barbie diese ganzen Berufe ausübt. Das ist eine Vision der 60er-Jahre gewesen, um Kinder zu empowern, die dann in den konservativen 80ern richtig Fahrt aufnahm mit Barbies vielen Aktionsfeldern. Das Spiel des Films ist aber, wieder dahin zurückzugehen, weil der Feminismus bekanntlich noch nicht zu einer Gleichberechtigung, vor allem intersektional, geführt hat – es bleibt ein stetiger Kampf und erkämpfte Rechte können angesichts der Retraditionalisierung verloren bzw. aberkannt werden. Insofern haben wir es mit einer umgekehrten Vision von Margaret Atwoods The Handmaid's Tale zu tun. Das ist interessant, weil das ganz viel von diesen Themen wieder aufgreift, uns in eine Welt bringt, in der wir schon sind und sagen: "Warum kann Barbie nur auf diese Weise emanzipiert sein?" Sie hat ihr eigenes Haus und ihr eigenes Auto. Das Auto würde ich aus anderen Gründen problematisieren, sie hat zum Glück auch ein Fahrrad. Aber warum braucht sie diese Dinge wie ein großes Haus und ein Auto? Warum kann sie nur reich und erfolgreich und dadurch emanzipiert sein? Das ist ein klassenvergessener Empowerment-Feminismus, aber es ist eben auch Feminismus unter den Bedingungen des Kapitalismus – denn es geht darum, eigene Räume und Dinge und eigenes Geld überhaupt zu haben. Der Ansatz kommt aus einer Zeit, in der Barbie dieser grundlegenden Vision der Unabhängigkeit ein Bild gegeben hat. Und vielleicht sind wir nicht so weit davon entfernt, dass traditionelle Rollen wieder wichtig werden. Mom-Fluencerinnen ist ein sehr erfolgreiches Genre in den Sozialen Medien. Ich finde es nicht so absurd, in den USA auf diese Weise darüber eine Diskussion anzustoßen, wie Gerwig es macht – die Selbstbestimmungsrechte über den Körper gehen zurück, wir haben massive gegenderte Ausbeutungsverhältnisse. Aber genau das wird medial in den Möglichkeiten kritisiert, die Gerwig in diesem Hollywood-Genre bleiben, man wirft ihr vor, nicht alles beachtet zu haben – Barbie nicht als Arbeiterin zu inszenieren...

"Der Film kann nicht alles richtig machen"

Caroline: Der Film kann nicht alles sein, und nicht alles richtig machen. Allein der Ausgangspunkt, dass man sich mit einem Konzern zusammentun muss, der extrem davon profitieren wird, macht dies unmöglich. Auch Greta Gerwig wird davon künstlerisch wie ökonomisch profitieren, klar. Aber zunächst werden die Marke und die Puppe profitieren. Ein neues Image wird kreiert und neue Umsätze generiert werden. Aber nochmal: was will dieser Film? Für mich will dieser Film, die Aufmerksamkeit der Menschen, die über bestimmte Dinge noch nie nachgedacht haben, darauf richten, was in unserer Welt beispielsweise in Bezug auf Geschlechterfragen los ist. Dass uns die ganze Zeit erzählt wird, das Patriarchat gibt es doch so gar nicht mehr. Aber es gibt das Patriarchat. Es wird nur besser versteckt, und es hat sich nicht wirklich viel verändert. Auch wenn wir nicht mehr "Frau Thomas Mann" heißen. Was wollte Greta Gerwig damit? Vielleicht wollte sie genau das. Keinen Film ausschließlich für ein akademisiertes Autor*innenfilm-Publikum machen, das sich mit diesen ganzen Diskursen sowieso befasst. Sondern einen Film für die Masse und die Masse darauf aufmerksam machen, was ihrer Meinung nach ziemlich schiefläuft in unserer Welt, und teilweise auch spezifisch in den USA.

"Die Fantasie und Utopie, alles, was wir uns ausmalen und spekulieren. Diese politischen Alternativen sollten wir spielen."

Jennifer: Ich teile das und möchte ergänzen, dass es ein ermächtigender Schachzug ist. Wie seid ihr aus dem Kino herausgegangen? Der Move besteht aus dieser Verknüpfung der Welten. Und Barbieland ist wie Farbtherapie. Das ist witzig und es macht Spaß. Aber es geht darum, dass Barbieland nicht jenseits der realen Welt existiert. Barbieland ist Teil der realen Welt und muss beschützt werden. Die Fantasie und Utopie, alles, was wir uns ausmalen und spekulieren. Diese politischen Alternativen sollten wir spielen. Das bedeutet, all das zu konfigurieren und nicht nur im Symbolischen und Utopischen zu lassen, sondern Barbie geht in die reale Welt. Das ist für mich ein ganz starker Move. Wir sind Barbie, wir sind Barbieland. Was das Denken von Barbieland für die reale Welt an politischer Kraft mit sich bringen kann, ist die Frage, wie wir spielen. Wir spielen es ernst.

Caroline: Absolut. Es wird gesagt, Barbie tauscht das Plastik von Barbieland in das Plastik der Real World ein. Und das in Los Angeles, in der Barbiewelt der Real World. Wie nimmt man dieses Matriarchat mit in das Plastik der realen Welt?

Jennifer: Erst dachte ich: "Ist die bekloppt, wieso geht sie in die reale Welt?" Aber alleine dieser Aspekt, dass man denkt: "Ist die bekloppt?" Was macht das mit einem? Damit das eine politische Kraft entfaltet, muss sie in die reale Welt. Das ist klar. Aber wie kommt es, dass ich dasitze, und denke: "Ist die irre? Wieso macht sie das?" Das ist auch schon etwas.

Julia: Deine Analyse, dass die Utopie immer Teil dieser Welt ist, finde ich genial. Diese Frage, die Jiré am Anfang gestellt hat, hat mich beschäftigt: "Ist das Differenzfeminismus?" Das sollte nicht als essentialisierender oder biologistischer Feminismus verstanden werden. Ich habe das vor dem Film nie verstanden, dass die Barbiewelt für euch als Kinder eine Gegenwelt war. Dieses Rosa und der Glitzer sind auch heute eine Gegenwelt zu den Superhelden-Spektakeln. Das wird sehr präzise durchgespielt. Man fragt sich trotzdem: "Könnte es als Differenzfeminismus gelesen werden, nun eine andere als die Marvelwelt zu inszenieren, weil es explizit eine Welt der Frauen ist?" Ich hoffe nicht. Wir spielen mit Barbie, und müssen dieses Spiel als bedeutungsoffenes und queeres verstehen. Barbieland kann aber nicht völlig losgelöst von Real World sein. Gleichzeitig könnte man sagen, dass das Feiern des Weiblichen unter bestimmen Umständen ausschließend sein kann – zudem erschließt es ja ganz eindeutig eine neue Zielgruppe. Das Ausschließen kennen wir politisch von transexkludierenden Feminismen. Der Film öffnet Barbie aber für verschiedene Geschlechter, schon als Kinder spielen verschiedene Geschlechter mit Barbie, oder? Es hat aber für mich im Rahmen dieses Films Sinn gemacht und ist nicht essentialisierend, weil Gerwig konsequent eine Welt umgesetzt hat, die sonst immer nur verlacht und abgewertet wird. Wenn man es schafft, dies mit einer Transperspektive zu verbinden, finde ich es gut. Wenn es am Ende eine Essentialisierung ist, ist es problematisch.

Aber ich habe auch angesichts all dieser Ansprüche an den Film und von mir selbst gedacht: "Muss Barbie wieder alles alleine schaffen, jeden Anspruch erfüllen? Mission Barbie: Müssen wir das wieder alles lösen?"

Jennifer: Nein, das muss sie nicht. Deswegen kommt Polly Pocket (lacht).

Julia: Aber bei Polly Pocket bin ich skeptisch. Wir haben eine Auskopplung aus Filmen in Figuren, die wieder in Filme gepackt werden und wieder Figuren werden. Das hat auch etwas mit Realität, Fiktion und mit Kaufbarkeit zu tun. Diese Wohnwelt, in der Frauen als Extension der Dinge situiert werden, ist für mich zudem problematischer als Barbieworld.

Jennifer: Bei Polly Pocket gibt es WELTEN, und nicht EIN Land.

Julia: Aber es gab bei Barbie auch ganz viele Welten, oder?

Jennifer: Das ist Barbieland.

Elisa: Es kommt auf das Spielen an.

Jennifer: Ja. Genau.

Julia: Das finde ich wichtig.

Jiré: Ich hätte es realistischer gefunden, wenn Barbieland voller Weird Barbies wäre. Das wäre eigentlich der Punkt, weil wir alle wild und hart mit diesen Barbies gespielt haben.

Julia: Es geht auch um die verinnerlichte Misogynie. Erst geliebt, dann gehasst.

Jiré: Es geht darum, sie von dieser Perfektion zu befreien. Das hat lange gedauert, wenn man die Haare gekämmt hat, aber irgendwann wurden sie zottelig. Ich fand das immer schön (lacht).

Elisa: Da werden andere Dinge möglich.

Julia: So versteht ihr das? Ich habe verstanden, sie wurde misshandelt.

Jennifer: Ja, das auch.

Julia: Denn dieser Spagat sah nicht schön aus.

Caroline: Aber er ist eher angeeignet. Ich verstehe es wieder als eine Aneignung. Und in Barbieland funktioniert das halt nicht richtig, weil alle aus einer Mattel-Perspektive so und so auszusehen haben. Sich nicht im Spagat befinden sollen. Aber das ist die Realität.

"Halte ich sie für heilig? Stehen sie in einer Vitrine?"

Elisa: Vielleicht sollten wir zwischen Gebrauchswert und Value unterscheiden, einer Zuschreibung von Wert. Es gibt Collector Barbies, die wertvolle Objekte darstellen, die nicht angefasst werden dürfen. Die Barbies werden gesammelt, sozusagen in Form eines Investments. Bei mir ging es sehr viel auch um eigenes Taschengeld. Man hat es gespart. Ich habe auch keine Barbie von meinen Eltern bekommen, weil sie die Kreativität einschränkten. Ich hatte selbstgenähte Puppen von meiner Mama. Waldorfpuppen, die wenige Gesichtszüge hatten, damit ich viel kreatives Potenzial in diese Spielzeuge hineininterpretieren konnte. Und ich hatte Holzklötze. Ich habe mein Geld gespart, um mir eine Barbie zu kaufen. Die Frage der Wertzuschreibung und der Kommodifizierung, auch von Alltagskommodifizierung von Kindern, die das im Alltag spielen, indem sie den Barbies Produkte kaufen. Ich habe es geliebt, denen Klamotten zu kaufen. Das einerseits, und diese Unterscheidung zwischen: "Halte ich sie für heilig? Stehen sie in einer Vitrine?" Nein, ich habe mit denen gespielt und sie mir angeeignet. Das war auch beides. Es war auch manchmal gewaltvoll und eine Auseinandersetzung mit dieser Materialität in einer gewissen Weise. Gleichzeitig aber auch etwas Befreiendes.

Jennifer: War es nicht so, dass man, wenn man mit mehr oder weniger guten Freundinnen spielte, es vorkam, dass die Barbie der anderen als Ausdruck einer stillen Konflikthaftigkeit verunstaltet wurde? Das gab es doch auch? Dass man einen Konflikt hatte und die Puppe der anderen malträtiert hat?

Jiré: Ich glaube, dass einige meiner Puppen so malträtiert wurden (lacht).

Jennifer: Irgendwie erinnere ich mich daran. Man sagt dann zur Freundin "Hey, gib die wieder her", dann reißt man da dran rum, die Haare reißt man mit raus.

Jiré: Wenn der Kopf einmal abgegangen ist, war die Barbie danach nie wieder die Gleiche (lacht).

Jennifer: Ja, das betrifft ja auch die Frage; "Wie stehen wir zueinander?" Alle grüßen sich nett, hi, Barbie. Alle sind solidarisch und überlegen zusammen, wie sie mit der Problematik umgehen können, dass es Kendom gibt. Das sagt auch etwas darüber, wie wir zueinanderstehen und wie wir mit den Puppen spielen. Diese Überschneidungspunkte der Barbie-Welt und der realen Welt sind die Diskurse, die es zu den digitalen Medien ja auch gab. Das Digitale ist etwas anderes und es gibt die Realität. Wir sind schon längst im Virtuellen angekommen und wissen, dass es diese Schnittpunkte gibt. Das spielt der Film unfassbar gut aus. Die Diskurse oder die Frage, ob das noch ein Spiel oder schon ernst ist? Ist das noch symbolisch oder schon materiell? Das sind Diskussionen, die ziehen sich durch unterschiedliche Mediengeschichten. Der Film positioniert sich politisch. Die entsprechenden Realitätsdimensionen existieren eben nicht unabhängig voneinander, und das kann oder könnte eine politische Kraft entfalten. Es kommt darauf an. Deswegen ist auch interessant zu sehen, wie der Film eingeschätzt wird. Das wird sich noch entscheiden und ist noch in Bewegung. Die Frage ist, was dieser Film in der realen Welt für Effekte zeitigt. Deswegen muss der Film uns dazu aufrufen, nicht nur zu sehen, was in dem Film passiert, sondern auch, was in der realen Welt mit dem Film passiert.

Caroline: Ich habe einen eher pessimistischen Eindruck: die Linke zerhackt sich über den Film, die Mehrheit ist dagegen. Und die "echten" Barbie-Fans sind enttäuscht, weil sie etwas anderes erwartet haben und nicht das bekommen, was sie sich von diesem Film gewünscht haben. Die Republikaner zünden Barbies in ihren Videoformaten vor laufender Kamera an und regen sich 45 Minuten darüber auf, das Barbie ein männerverachtender Propagandafilm sei.

Jiré: Deswegen möchte ich den ganzen Sommer weiter sehr klugen FLINTA zuhören, wie sie über Barbie reden.

Julia: Was nicht nur die Rechten nicht aushalten können, ist, dass diese Kommodifizierung von Frauen normalisiert ist, sie sind Puppen. Wenn das bei Männern passiert, ist es unaushaltbar – das Lachen über Ken wird als Angriff empfunden. Barbie muss brennen.

Es ist ein Märchen oder Fabel auf die Welt, wie bei Michael Ende mit dem Faschismus, Jirés Beispiel. Ich sehe, dass sich die Linke zerlegt, vor allem wegen der Hollywoodproduktionsbedingungen. Mattel hat die gleiche Summe wie in die Produktion bekanntlich in die Kooperation mit Firmen investiert. Über 100 Firmen stellen Produkte mit Barbie her. Das heißt, die Barbiesierung ist in vollem Gange. Wir werden alles in Barbie sehen – und vielleicht ist eine Welt in Pink auch Stein des Anstoßes? Aber das ist kein Grund, warum der Film nicht trotzdem vieles sehr klug analysiert und vorführt. Von dem Verlieren des Zuhauses und der Entmündigung der Barbies, wie wir das immer wieder erleben. Wir können die unzureichenden Repräsentationspolitiken zu Recht kritisieren und die Plastikwelt, die uns Petroprodukte unterjubelt. Aber es läuft trotzdem alles so ab, wie Gerwig es inszeniert, und sie nutzt das Medium des Märchens, um es auch an junge FLINTA zu vermitteln: "Passt auf. Ihr seht es vielleicht nicht. Aber nehmt wahr, was gerade passiert." Dafür eine Form zu finden, die das Indiefilm-Komplexe scheut, was Gerwig sonst in den Filmen hatte, und trotzdem die Frage zu stellen: "Wie geht ihr unter Barbies aller Geschlechter damit um?" Es geht nämlich wie auch in Barbie in Gerwigs Filmen auch immer um FLINTA-Beziehungen. Ich denke an Frances Ha, die von ihrer BFF verlassen wird. Über Fragen von Solidarität und Freund*innenschaft unter Bedingungen wie die derzeitigen nachzudenken, und das tut Gerwig, wiegt für mich mindestens genauso schwer wie diese Vorwürfe der Kommerzialisierung. Die findet im Übrigen auch bei Batman statt. Das ist bestimmt auch in den nächsten 5.000 Nebenschauplatzfigurenfilmen von Marvel und DC wieder so. Es heißt ja nicht, dass man jetzt nur noch Hollywoodfilme schaut. Warum ist das denn so ein massives Problem, wenn Greta Gerwig das einmal macht? Weil sie eine Frau ist, weil man von ihr alles erwartet und weil sie vielleicht gar nicht so eine Reichweite haben soll.

Auch von Barbie erwartet man alles: Mattel ging es sehr schlecht vor dem Film. Nach dem Film geht es Mattel finanziell besser. Mattel hat mich, wie ich oben augenzwinkernd sagte, als Zielgruppe gewonnen. Alles verabscheuungswürdig, aber am Ende dachte ich: "Du musst wirklich auf diese Kens aufpassen." Insofern ist es nicht nur die Masse, wie Caroline sagte, ich bin es auch, die der Film wachrüttelt.

Elisa: Ich habe am meisten über die Szene gelacht, in der Alan sagt: "Wir müssen hier raus, bevor die merken, dass sie die Mauer horizontal bauen müssen." (lacht) Und Alan sich im Anschluss mit all den Kens kloppt. Für mich ist das auch eine Schlüsselszene, in der die Teenagerin zu ihrer Mutter sagt: "Wir müssen umdrehen, JETZT." Das ist eine interessante Kapsel an dieser Grenze, wo Ken sich mit den Bauarbeitern schlägt und die Mutter mit der Tochter umkehrt.

Caroline: Ich musste sehr lachen bei: " She thinks I’m a fascist? I don't control the railways and the flow of commerce." Das fand ich sehr witzig.

Elisa: Ich musste zweimal nachdenken, worauf angespielt wird.

Jennifer: Ich würde gerne noch auf das Ende des Films kommen, nicht auf diese Gynäkologie-Szene, sondern auf Ruth. Die finde ich interessant. Die meinem Eindruck nach total paternalistisch auftritt. Das ist von Mattel geschickt gemacht. Mattel spricht als Corporation durch Ruth, um weise zu sagen, was es gilt zu beachten, wenn man diesen Übertritt macht. Sie nutzt eine großmütterliche und auch paternalistische Geste. Es ist wichtig, dass wir unsere Stimmen einsetzen, damit diese mit Blick auf diesen Übergang nicht die letzte Stimme ist. Sondern dass es darum geht, sich den Übergang anzueignen. Mattel hat in der Figur der Ruth den Chor eingestimmt. Davon kann man halten, was man will. Aber es geht darum, dass andere Stimmen das einfach weitersprechen, weiterspinnen und weiterspielen. Das machen wir und das ist wunderbar.

Caroline: Continue to hijack the system!

Julia: Jiré, du warst die Kritischste, aber es kann sein, dass mir die Nuancen entgangen sind. Ich finde, dafür gebührt dir das Schlusswort.

Jiré: Ich habe viele Sachen gesagt, aber würde mich anschließen. Ich würde gerne noch sehr vielen jungen FLINTA zuhören, wie sie über Barbie sprechen. Und auch anderen. Das Schlusswort könnte eine Einladung für weitere Gespräche über Barbie und vergleichbare Filme sein.

Julia: Toll, was wir nicht so gerne wollen, ist Kens zuhören, wie sie über Barbie reden.

Elisa: Die Mansplaining-Szene war sehr entlarvend.

Jennifer: Ich möchte noch eine Sache mit euch teilen, eine Erinnerung von 1992. Ich möchte, dass ein Bild - wenn ihr einverstanden seid und wenn ihr auch möchtet, und auch so krass beeindruckt von dem Bild seid wie ich - unseren Beitrag schmückt. Die Story geht so. Ich schicke euch erst das Bild, und dann gibt es die Story dazu. Es ist ein Foto, das vermutlich der Vater meiner besten Freundin Julia damals gemacht hat. Ich suche es.

Barbiemobil. ©privat

 

"Das war das echte Spiel. Wir haben in einem echten Auto gesessen. Wenn das Thema die Überschneidung unterschiedlicher Realitätsdimensionen ist, ist das für mich die Quintessenz."

Jennifer: Als ich wusste, dass wir diesen Talk machen, habe ich meine Freundin gefragt, ob sie mir ein Bild von diesem Trabbi schicken kann. Ihr Vater kam damals irgendwie an einen ausrangierten Trabbi ran. Dieser Mann hat nun also diesen Trabbi von Ost nach West transportiert oder transportieren lassen, und dieses Leben des Trabbis ist im Westen angekommen und dann ist der zum Barbie-Mobil geworden. Das stand dann bei meiner Freundin Julia im Garten. Und auf dem Foto spielt sie vor dem Barbie-Mobil auf der Wiese mit ihren Barbies, in dem ich auch viel und gerne gespielt habe, im Garten in Westdeutschland, in Dortmund, 1992. Das ist episch.

Elisa: Sublime.

Julia: Ist das auch problematisch wegen kapitalistischer Aneignung von Ostsymbolen, oder lassen wir das so stehen?

Jennifer: Es ist mit Sicherheit ambivalent. Aber es war so. Das war das Weiterleben dieses Trabbis.

Julia: Das halte ich nicht aus, ich bin wie in Barbiewelt gefangen und kann keine Widersprüche ertragen (lacht).

Elisa: Das ist wie Ferrari und Petrokapitalismus.

Jennifer: Das war das echte Spiel. Wir haben in einem echten Auto gesessen. Wenn das Thema die Überschneidung unterschiedlicher Realitätsdimensionen ist, ist das für mich die Quintessenz.

Julia: Da du jetzt das Auto erwähnst, muss ich an den Podcast Oh Witch Please denken, den Elisa geteilt hat. Petrokapitalismus finde ich eine wichtige Perspektive auf den Film: Barbie fährt nicht nur in ihrem Barbiemobil mit Öl, sondern die Puppe ist aus Erdöl. Erdöl lieben lernen kann man Barbie vorwerfen. Plastik ist ein Erdölprodukt. Zudem korreliert die Multifunktionalität von Plastik ja gerade mit dem vielfachen und von Mattel beworbenen Erscheinungsbild von Barbie: Barbie can be anything. Hannah McGregor und Marcelle Kosmann argumentieren in ihrem Podcast daher mit McLuhan, dass das Medium hier die Botschaft sei.

Elisa: Sie argumentieren, dass es eine falsche Informationspolitik in Bezug auf Recycling dieser Materialien gab. Das ist eine tolle Folge.

"Das Wort Feminismus kommt einmal ganz zu Anfang vor – das Wort Patriachat ständig"

Jiré: Ein letzter Punkt ist vielleicht noch, dass das Wort Feminismus genau einmal ganz am Anfang im Film vorkommt. Danach nicht mehr. Das ist interessant als Setzung oder als Nichtsetzung, dass Feminismus als Alternative zum Patriarchat nicht ausformuliert wird.

Elisa: Das Wort Patriarchat kommt ständig vor.

 

Nach dem Gespräch haben uns die verrücktesten und witzigsten Barbie-Geschichten erreicht – teilt eure mit uns und schreibt uns für den zweiten Teil des Gesprächs!

Bevorzugte Zitationsweise

Bee, Julia; Gözen, Jiré Emine; Eickelmann, Jennifer; Linseisen, Elisa; Pitzen, Caroline: Wir haben Barbie gesehen und woll(t)en den ganzen Sommer darüber reden!. Barbie – Das Gespräch. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/wir-haben-barbie-gesehen-und-wollten-den-ganzen-sommer-darueber-reden.

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