Methoden der Medienwissenschaft (nachher)
Wiederholte Kranzniederlegungen am Grabe Friedrich Kittlers sind kein Plan
besprochen von Vinzenz Hediger. (Rembert Hüsers Beitrag zum Workshop hier.)
«Was ist Ihre Methode?» soll bei einer großen Drittmittel-Projekt-Begehung einmal ein Philosoph eher konventioneller Prägung Friedrich Kittler gefragt haben. «Meine Methode? Seinsgeschichte!» antwortete Kittler. Der Philosoph war nicht zufrieden mit der Antwort; das Projekt scheiterte.
Die Anekdote handelt in zweifacher Hinsicht von dem Problem, dem sich das Rundgespräch «Methoden der Medienwissenschaft» widmete, das am 11./12. März 2015 in der Berliner Dependance der DFG stattfand und von Claus Pias (Lüneburg) koordiniert wurde.
Die erste Hinsicht betrifft die Methodenfrage selbst. Über die Methoden der Medienwissenschaft sollten in Berlin rund zwei Dutzend etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Zweige und Teilbereiche der kulturwissenschaftlichen Medienwissenschaft gemeinsam mit Zugewandten aus Nachbardisziplinen wie der Soziologie, der Philosophie, der Geschichtswissenschaft und der Kommunikationswissenschaft diskutieren. Ziel war es, eine Methodendiskussion und -Reflexion in Gang zu setzen, aus der im günstigsten Falle eine Selbstvergewisserung der immer noch jungen Disziplin hervorgehen soll. Die Grundlagen sind, wie Alfred North Whitehead einmal festhielt, das letzte, was sich eine neue Disziplin zulegt, und es ist jetzt langsam auch für die Medienwissenschaft der Moment gekommen, ihre zu konsolidieren. Auf dass ihren Vertreter/innen nicht mehr wiederfahre, was Kittler einst geschah: Dass eine eigensinnige Methodenauskunft von einem humorlosen Fachfremden gleich mit Nicht-Förderung bestraft wird.
Die zweite Hinsicht betrifft die Art und Weise, wie über Methodenfragen, wie auch über andere Aspekte der Disziplin, von deren Vertreter/innen gesprochen wird. Die Kittler-Anekdote gehört zum Repertoire der Geschichten aus heroischer Zeit. Sie handelt von damals, als die Medienwissenschaft noch unerhört neu war und sich allen Kategorisierungen mit souveräner Geste entzog; damals, als sie sich um Dinge wie die Konsolidierung von Grundlagen noch nicht kümmerte und im seligen Glauben agierte, so etwas nie tun zu müssen. Dass diese Geschichten aus heroischer Zeit das Selbstbild zumindest von Teilen der Medienwissenschaft immer noch bestimmen, war an dem DFG-Workshop durchaus Thema, und es zeigte sich.
Strukturiert war der Workshop durch eine Reihe von Panels, die alle einen Bindestrich-Titel trugen: «Medien-Philologie», «Medien-Ästhetik», «Medien-Philosophie», «Medien-Geschichte», «Medien-Soziologie», usw. Disziplinübergreifende Ansätze wie die Queer Theory oder die Gender Studies, die in der Medienwissenschaft ja durchaus eine wichtige Rolle spielen, wurden von diesem stark an Disziplinen bzw. Teil-Disziplinen ausgerichteten Programmraster nicht eigens aufgerufen. Auch ein Panel zur «Medien-Ökonomie» oder «Medien-Ökonomik» fehlte.
Die Panels bestand aus jeweils zwei Beiträgen in Form von Thesenpapieren, die vorab gelesen worden waren, von den Verfasserinnen und Verfassen kurz vorgestellt und dann im Plenum diskutiert wurden. Am Ende des Tages fassten namhafte Personen befreundeter Disziplinen die ausgelegten Stränge zusammen; am ersten Tag tat dies Joseph Vogl, am zweiten Elena Esposito. Die Methodenfrage wurde mit anderen Worten nicht als Frage einer Disziplin, sondern als Frage eines Feldes gestellt, das sich aus Schnittstellen mit einer Vielzahl von Disziplinen heraus ergibt. Oder anders gesagt: Die Medienwissenschaft, die sich hier die Methodenfrage stellte, wollte nicht über Gegenstände konstituiert sein und auch nicht über ein bereits feststehendes Set von Methoden oder Ansätzen. Vielmehr wollte sie sich als transdisziplinäres Feld verstehen, als übergreifende Ableitung aus einem Bündel von Disziplinen, die man sich als Gesprächspartner/innen aber weiterhin erhält.
Diese Konstruktion wurde von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchaus reflektiert und teilweise auch leise moniert, aber nicht wirklich in Frage gestellt. Mit seinen Binde-Strich-Panels bot das Programm zwar eine Vielzahl von interdisziplinären Dialogchancen (bei der Formulierung «interdisziplinäre Dialogchancen» handelt es sich, wie eine Google-Recherche zeigt, um einen Neologismus; bei Weiterverwendungen in Antragskontexten wird um Quellennachweis gebeten). Die Struktur des Programms entsprach aber weder dem aktuellen Entwicklungsstand der Disziplin (oder des Feldes) noch ihrer Geschichte. Sie trug überdies dazu bei, dass eine eigentliche Methodendiskussion so richtig nie in Gang kam. Methodenprobleme stellen sich in Zusammenhang mit Forschungsfragen, die sich wiederum im Ausgang von konkreten Probleme stellen, die meistens etwas mit konkreten Gegenständen zu tun haben, wobei die Methoden stets das Ihre zur Zurüstung der Gegenstände beitragen. Aus der Konstruktion des Programms, die solche Konkretion zumindest nicht aktiv einforderte, ergab sich, dass die meisten der verhandelten Papiere weniger Diskussionsansätze für Methodenprobleme enthielten als vielmehr Bekräftigungen bekannter theoretischer Positionen. In die Lücke, die das Programm so ließ, stieß der Thesaurus von Geschichten aus heroischer Zeit vor und übernahm die Funktion einer Zusammengehörigkeit und Bindungswärme stiftenden Clubmythologie. Besonders augenfällig wurde dies im Panel über Medien-Philologie. Drehte die Diskussion sich da anfangs noch um die Frage, ob philologische Verfahrensweisen auch das Potential haben könnten, etablierte Hierarchien von Werk und Beiwerk zu unterlaufen und der Medienphilologie damit die Routinen der Textphilologie zu ersparen, ging es rasch nur noch um die bislang ungekannten Herausforderungen, die der elektronische Nachlass Friedrich Kittlers für das Literaturarchiv Marbach darstellt.
Sinnvoll, und für die Diskussion durchaus produktiv – um nicht zu sagen: produktiver –, wäre eine historische Perspektivierung der Methodenfrage gewesen, entlang der Genealogie – oder genauer: der verschiedenen Genealogien – des Feldes in seinem aktuellen Zustand.
Eine solche Perspektivierung hätte zweierlei zutage gefördert:
- In einer innerdeutschen Perspektive fällt der Auftritt und die Etablierung der Medienwissenschaft und der Medientheorie in eine Phase intensivster Methodendiskussionen in den Kultur- und Sozialwissenschaften in den 1960er bis 1980er Jahren, und ohne diesen Entstehungszusammenhang ist das Feld im Grunde auch heute nicht zu denken. Die Geschichten aus heroischer Zeit sind ein nachträgliches Phänomen.
- Auch wenn die Medienwissenschaft in Deutschland sich manchmal im Geiste des Standortmarketing oder culture branding als Deutsche Medienwissenschaft zu verkaufen versucht, lässt sich nicht von der Hand weisen, dass viele Vertreterinnen und Vertreter des Feldes (oder der Disziplin) Bürgerinnen und Bürger mehrerer Welten sind, und zwar keineswegs nur in dem Sinne, dass sie noch eine Herkunftsdisziplin haben, der sie sich verbunden fühlen mögen, sondern auch in einem geografischen Sinne. Wer zum Beispiel den grundsätzlichen Vorbehalt gegen ausdrückliche Gegenstandsbezüge nicht teilt und sich in seiner Forschung vorzugsweise mit Film befasst, wird seine Fachgenealogien eher außerhalb Deutschlands ausmachen, etwa in den USA oder Frankreich, und dort Methodendiskussionen vorfinden, die bis in die 1940er Jahre zurückgehen, aber den Vorzug haben, dass sie Fragen behandeln – namentlich die Frage des Spannungsverhältnisses von Feld und Disziplin –, die sich, in historisch jeweils spezifischen Situationen, auch heute weiterhin stellen.
Von einem Experiment heißt es, dass es ein gutes sei, wenn es eine neue Forschungsfrage aufwerfe. Von dem DFG-Methodenworkshop könnte man sagen, dass er erfolgreich und produktiv war, insofern er ein weiterführendes Desiderat hat zutage treten lassen: Es braucht, wenn die Methodendiskussion sich nicht in Clubmythologie und höflichen interdisziplinären Aufmerksamkeitsbekundungen erschöpfen soll, mehr historisches Bewusstsein.
Was ja auch wieder ein ziemlich deutsches Ergebnis ist.
Und damit hätten selbst die Folkloristen einen Grund zum Weiterfeiern.
Bevorzugte Zitationsweise
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