Methoden der Medienwissenschaft (vorher)
DFG-Workshop «Methoden der Medienwissenschaft» in Berlin, 11./12. März 2015, Thesenpapiere
11. März 2015
Fragestellung und Konzept. Claus Pias (Lüneburg): «1. Seit geraumer Zeit häufen sich Forderungen nach einer Diskussion der Methoden, mit denen die Medienwissenschaft ihre Gegenstände bearbeitet und konstituiert. […] Dazu zählen z.B. Beobachtungen, woher der gegenwärtige Druck einer Explikation von Methoden kommt, inwiefern die wirkmächtigsten Ansätze der Medienwissenschaft überhaupt mit ausgewiesenen bzw. stringenten Methoden operiert haben, oder welche ‹impliziten› Methoden in medienwissenschaftlicher Forschung (auch durch die wechselnden medialen Bedingungen der Forschung selbst) vorherrschen.»
Medien-Philosophie. Lorenz Engell (Weimar): «Die Frage nach der Methode der Medienwissenschaft entspringt der Notlage, in die Gutachterinnen und Gutachter geraten, wenn sie medienwissenschaftliche Forschungsanträge zu bewerten haben, mit deren Episteme sie grundlegend nicht vertraut sind. […] Wo immer jedoch kreative idiosynkratische Ansätze der Medienwissenschaft zu bloßen Methoden gerinnen – wie es etwa der Kittlerschen Herangehensweise widerfahren ist, sobald sie als ‹Technikhermeneutik› oder ‹Medienarchäologie› formatiert wurde, der Derridaschen Dekonstruktion, seit sie wie ein Textanalyse-Modul abrufbar ist – verschwindet deren Produktivität, deren Fähigkeit zur Generierung von Primärtexten und damit deren eigentliches medienphilosophisches Potential.» / Sibylle Krämer (FU Berlin): «Die Entstehung jeder neuen Wissenschaft ist ein Dissidenzphänomen, bei dem Vertreter einer etablierten Wissenschaft durch Subversion ‹ihrer› disziplinären Methoden und nachhaltige Widerständigkeit gegen diese wissenschaftliches Neuland entstehen lassen. […]. Dann aber könnte man in diesem Papier wieder zurückgehen auf These 2 und folgende.»
Medien-Geschichte. Stefan Rieger (Bochum): «Die Frage, mit welchem methodischen Instrumentarium man welche Themen zu bearbeiten gedenkt, ist die wohl intrikateste Sparte bei der Erstellung von Anträgen jedweder Art. […] Und für Fragen der Akzeptanz solcher Systeme, in der viele die Problemlösung für die Zukunft überalternder Industriegesellschaften sehen, könnten vielleicht sogar die verschmähten Methoden der Sozialwissenschaften wieder von Belang sein.» / Hans-Christian von Herrmann (TU Berlin): «In ihren ganz unterschiedlich gelagerten Anfängen bei Walter Benjamin, Harold Innis, Marshall McLuhan und Friedrich Kittler tritt Mediengeschichte jeweils auf als ein Umschreiben herkömmlicher Geschichten (Kunstgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Literaturgeschichte). […] Die Aufgabe der Mediengeschichte bestünde dann vor allem darin, darauf hinzuweisen, dass die Forschung der exakten Wissenschaft heute zumeist Forschung an Artefakten ist, die aus symbolischen Operationen hervorgegangen sind.»
Medien-Ästhetik. Vinzenz Hediger (Frankfurt): «1. Der Feind ist bekanntlich die eigene Frage als Gestalt, und die bislang politisch tragfähigste und wirkungsvollste Bestimmung der Medienwissenschaft bleibt diejenige, die in der Lehrstuhldenomination von Friedrich Kittler an der Berliner Universität eingetragen war: Geschichte und Ästhetik der Medien.» […] 7. Medienästhetische Probleme lassen sich mitunter am besten in ökonomischen Begriffen formulieren.» / Marie-Luise Angerer (KHM Köln): «Die Medienwissenschaften haben, wie andere Disziplinen auch, in den letzten Jahrzehnten unterschiedliche turns (iconic, affective, performative, u.a.) erlebt, die sich je anders auf das methodische Repertoire auswirken. […] Neuro-Ästhetik.»
12. März 2015
Medien-Soziologie. Andreas Ziemann (Weimar): «Im Zentrum der Mediensoziologie steht die Analyse der vielfältigen (sowohl historischen als auch gegenwartsnahen) Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft, Medien und Individuum. […] In diesem Sinne könnte und sollte man den Methodenwandel qualitativer Sozialforschung auch als Medienwandel reflektieren und diskutieren.» / Urs Stäheli (Hamburg): «Die Annahmen, dass Methoden über die Qualität eines soziologischen Textes entscheiden, muss meist nicht begründet werden. […] Eine Reflexion von Methoden müsste diese Politik der Methoden ernst nehmen – ja, es ginge darum zu verstehen, warum Methodenauseinandersetzungen so leidenschaftlich geführt werden.»
Medienethnographie. Erhard Schüttpelz (Siegen): «Medien werden seit dem 19. Jh. durch Ingenieurswissenschaften und aus naturwissenschaftlichen Laborgrößen entwickelt; sie werden durch soziotechnische Kollektive gestaltet und z.T. durch angewandte Sozialforschung organisiert; und sie werden durch Kulturwissenschaften ausgelegt und dokumentiert, mitsamt den Rückwirkungen bestehender Medien- und Kommunikationstheorien auf Mediengestaltungen und Erfindungen. […] Wie wird sich die Medienwissenschaft entscheiden?» / Ute Holl (Basel): «Methodisch zeichnet sich Medienwissenschaft durch die Beziehung aus, die sie zum Nichtwissen unterhält. […] Auch Kontingenz, Hegemonie und Universalität (Butler et al.) müssen immer wieder ins Verhältnis zum Nichtwissen gesetzt werden.»
Medien-Philologie. Friedrich Balke (Bochum): «Medienphilologie, über die wir uns in Bochum seit einiger Zeit Gedanken machen, ist überhaupt nicht als Reaktion auf irgendeine ‹Forderung› entstanden, die man an die Medienwissenschaft richtet und die darauf abzielt, dass diese Disziplin ihr Verhältnis zu den vielen Methoden, mit denen sie umgeht, klärt – eventuell in der Perspektive, einige von ihnen auszuscheiden und andere zu kanonisieren. […] Eine derartige Philologie klammert die Standardeinheiten philologischer Arbeit (Werk, Autor, Epoche, Buch etc.) ein und fragt stattdessen, erstens, danach, wie philologische Praktiken ihre Objekte von den Rändern her konstituieren (durch Apparate, Supplemente und Operatoren, auf Texte bezogen: Fußnoten, Glossen, typografische Spezialzeichen, Interpunktionen), wie sie, zweitens, Textcorpora und auf diese Weise die Kohärenz von Werken, Epochen, Stilen, Gattungen etc. hervorbringen, und wie drittens philologische Operationen, die immer auch Reinigungsvorgänge sind, Reste erzeugen (weil sie der Kohärenzstiftung im Wege stehen) und gleichzeitig solche ausgeschiedenen Elemente durch erneute Bearbeitung in signifikante Gegenstände verwandeln, die die Konturen einer durchgesetzten symbolischen Ordnung erkennen lassen.» / Wolfgang Ernst (HU Berlin): «Zu den Methoden der größtenteils in der GfM organisierten, kulturwissenschaftlich orientierten und techniknahen Medienwissenschaft gehört im Bouquet der hier diskutierten Methodenvielfalt dezidiert auch die im deutsch- und englischsprachigen Raum praktizierte Medienarchäologie und die mit ihr verschwisterte Medienphilologie. […] Dazu gehört vor allem die sogenannte Diplomatik: eine Urkundenkritik, die nicht erst an den semantischen Inhalten, sondern an der Materialität der Urkunde ansetzt, so wie die Paläographie die Schrift selbst zum Thema macht.»
Medien-Technik. Hartmut Winkler (Paderborn): «1. Die technische Seite der Medien ist eine der Dauer-Sorgen des Fachs; das gilt inhaltlich, praktisch und in methodischer Hinsicht. […] Medienwissenschaft sollte nicht darauf verzichten, eigene Experimente mit Medientechnik zu machen, auch wenn diese gemessen am Stand der Technik unterkomplex bleiben.» / Wolfgang Schäffner (HU Berlin): «1. Im Schatten der digitalen Medien-Revolution geschah und geschieht eine vielleicht noch tiefgreifendere Veränderung: Material und Materie ist nicht länger eine dumpfe, opake und passive Masse, die nur zum Träger von mechanischen oder symbolischen Operationen werden kann. […] Insofern stehen wir, 50 Jahre nach Feynman, mitten im digitalen Zeitalter am Beginn eines Materialismus analoger Medien.»
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