Zur Ästhetik des Gemachten in Animation und Comic
Symposium der GfM-Arbeitsgruppen für Comic- und Animationsforschung, 9.-11. November 2016, Tagungszentrum der Volkswagenstiftung in Hannover, organisiert von Hans-Joachim Backe (Kopenhagen), Julia Eckel (Marburg / Bochum), Erwin Feyersinger (Tübingen), Vé
Das internationale Symposium der GfM-Arbeitsgruppen «Animation» und «Comicforschung» brachte mit der Frage nach einer «Ästhetik des Gemachten» Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen mit Akteuren aus der Praxis zusammen. Die Beiträge zur Materialität, Ästhetik und Medialität von Comic und Animation machten deutlich, dass sich das Spannungsverhältnis zwischen ‹hypermedialer Ästhetik› und vermeintlicher ‹Unmittelbarkeit› medienunabhängig diskutieren lässt. Zahlreiche Untersuchungen zeigten, wie selbstreflexive Verweise Immersionseffekte bewusst durchbrechen können und dadurch die jeweilige ‹Gemachtheit› der Texte in den Vordergrund tritt – sei es durch das Auftauchen der Autorinnen und Autoren innerhalb der Diegese, durch die Thematisierung des Herstellungsprozesses im Text selbst sowie in begleitenden Paratexten oder durch die Dokumentation der künstlerischen Arbeit in Filmaufnahmen. Ebenso vielfältig wie die Wahl der Mittel zeigten sich die jeweiligen Wirkungsweisen, die sich bei genauerer Betrachtung nicht auf die Funktion der ‹Immersionsstörung› reduzieren ließen. Trotz der offenkundigen Unterschiede in der jeweiligen Medienspezifik von Comic und Animationsfilm konnte das Symposium durch die Fokussierung auf ausgestellte ‹Gemachtheit› vor allem die Gemeinsamkeiten der Gegenstandsbereiche in ihrer Ästhetik und ihrem oftmals expliziten Ursprung in ‹Handarbeit› aufzeigen.
Die beiden Keynotes von Jaqueline Berndt (Kyoto / Stockholm) und Nicola Glaubitz (Darmstadt) betrachteten jeweils Gegenstandsbereiche, in denen die Nähe von Animation und Comic auf unterschiedliche Weise offenbar wurde. In Jaqueline Berndts Vortrag «Die Beharrlichkeit des Handwerks: Zum Ausstellen von Gemachtheit in Manga und Anime» bezog sich dies auf die japanische Anime- und Manga-Industrie, in der traditionell eine produktionstechnische und damit auch personelle Nähe zwischen Comic und Trickfilm besteht. Obwohl Mangas in Japan auf eine lange Rezeptionsgeschichte zurückschauen, werden sie heute eher von einer kleiner werdenden und tendenziell älteren Leserschaft rezipiert. Computerspiele und animierte Fernsehserien geben inzwischen ästhetische Impulse, die wiederum auf die Manga-Produktion zurückwirken. Doch trotz technischer Entwicklungen bleiben auch in der Anime-Produktion Handzeichnung aufgrund ihrer medienspezifischen Tradition ein entscheidendes Element.
Auch Nicola Glaubitz konzentrierte sich in ihrer Keynote «Der Prozess als Performance: Zur Geschichte des Schnellzeichnens» auf Praktiken der Produktion. In den von ihr vorgestellten Akten des öffentlichen Zeichnens fallen Produktionsprozess und Werk in der Aufführungssituation zusammen. Durch die Prozesshaftigkeit des öffentlichen Zeichnens eröffnet sich eine Nähe zum Animationsfilm, die sich gerade in Beispielen aus der Zeit des frühen experimentellen Trickfilms beobachten lässt. Dabei hat Nicola Glaubitz jedoch ausführlich dargestellt, dass das ausgestellte Spektakel der Schnellzeichnung historisch in ganz eigene soziokulturelle Diskurse des Vorläufigen oder gar Dilletantischen eingebunden wurde, die es von künstlerischen Diskursen und deren Genie-Zuschreibungen abgrenzten.
Das weitere Programm des Symposiums widmete sich in sieben Panels unterschiedlichen Facetten der Gemachtheit, wie beispielsweise technischen Aspekten, Sensualität, Materialität und Performativität, dem Verhältnis des Gemachten zum Dokumentarischen und natürlich immer wieder der Beziehung von Comic und Animation selbst. Die Vortragenden vertraten ein breites Spektrum von Disziplinen: allen voran Medienwissenschaft, aber auch Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft, Amerikanistik und Anglistik, Germanistik, Japanologie, Gender Studies und Geschichtswissenschaften waren repräsentiert. Dabei wurden Phänomene aus dem Comic- und Animations-Mainstream (Malte Hagener, Susanne Marschall) ebenso besprochen wie bereits kanonisierte Klassiker (Christine Gundermann, Lukas Etter) und intermediale Adaptionen von beidem (Véronique Sina, Andreas Rauscher); des Weiteren ging es um japanische Populärkultur (Lukas R. A. Wilde, Jaqueline Berndt), digitale und transmediale Comicprojekte (Nina Heindl), Beispiele aus der Kunst (Suzanne Buchan, Fabienne Liptay, Juergen Hagler), Verbindungen zur Theaterpraxis (Mathias Bremgartner) und um historische Texte und Praktiken aus der Anfangszeit von Comic und Animation (Christina Meyer, Nicola Glaubitz).
Verschiedene Fragestellungen zogen sich durch mehrere Vorträge, sodass sich intensive Diskussionen und vielfältige Anschlussmöglichkeiten ergaben. Beispielsweise thematisierte das Panel «Zum Verhältnis von ‹Gemachtem› und ‹Realem›» Authentizitätseffekte und Realitätsbezüge in der dokumentarischen Darstellungspraxis der Lebenswissenschaften (Bettina Papenburg, Düsseldorf), die Inszenierung verschiedener Formen von ‹Triftigkeit› in Comics mit historischen Elementen oder historiographischem Anspruch (Christine Gundermann, Köln) sowie die Möglichkeiten des Post/Dokumentarischen im Computerspiel (Jan-Noël Thon, Tübingen).
Andere Vorträge analysierten Inszenierungen von Autorenschaft und schlossen damit teilweise an die bereits angesprochenen Authentifizierungstrategien an. Lukas Etter (Siegen) diskutierte, ob der künstlerische Stil als individuelle Spur des Gemachten im Comic betrachtet werden kann; in den von Fabienne Liptay (Zürich) vorgestellten Arbeiten aus dem Werk von William Kentridge wurde der künstlerische Arbeitsprozess selbst zum Gegenstand des Kunstwerks; Maike Sarah Reinerth (Hamburg) stellte spielerische Selbstbezüglichkeit von subjektiven Imaginationsdarstellungen anhand von drei Kurzfilmen vor, die scheinbar von den Filmfiguren selbst produziert werden und dadurch die Autorenschaft von realen Autorinnen und Autoren und von fiktiven Figuren überlagern – ähnliche Erzählweisen finden sich ebenfalls in den japanischen Beispielen von Jaqueline Berndt, in denen die Protagonistinnen zu Autorinnen ihrer eigenen gezeichneten oder animierten ‹Storyworld› werden. Ingrid Tomkowiak (Zürich) zeigte die Selbstinszenierung von Stop-Motion-Produktionen als ‹handgemacht› und sprach damit neben der Markierung von Autorenschaft auch die Bedeutung der Materialität für die Inszenierung von Authentizität im Animationsfilm an.
Das Hervorheben der Materialität oder eine Fokusverschiebung vom Inhalt zur Form wurde in weiteren Beiträgen zentral. Theoretisch untermauert wurde dieser Aspekt bereits im ersten Panel von Matthias C. Hänselmann (Münster), der den bewusst(-)gemachten Verweis auf den filmischen ‹Discours› unter Anderem im Rückgriff auf Viktor Šklovskij rezeptionstheoretisch zwischen Materialsinn und Illusionssinn konzeptionierte. Malte Hagener (Marburg) bezog Giorgio Agambens Theorie der Geste auf das animierte Pixar-Logo und fand damit auch in rein digitalen Kontexten eine Materialität zwischen Praxis und Poesis, indem er das Digitale zwischen Zweck und Mittel einordnete. Susanne Marschall (Tübingen) regte anschließend an, die verschiedenen Aspekte der technischen Hervorbringung des Materials ‹Farbe› zu berücksichtigen und schlug dabei einen Bogen von historischen Entwicklungen zu kulturellen und kognitiven Aspekten der Farbwahrnehmung. Véronique Sina (Köln) stellte die Dekonstruktion von Genderkategorien in der ‹Hypermedialität› der Sin-City-Comics und in dessen Remediation im Kinofilm dar. Suzanne Buchan (London) legte den Fokus auf die Ästhetik des Imperfekten und der Störung in ‹Glitch-Animation› und ‹Data-Mashing›. Jeff Thoss (Berlin) zeigte wie Alan Moores und Kevin O'Neills Black Dossier die Materialität und Medialität der titelgebenden Sammelmappe simuliert, um sich selbst zum fingierten Gegenstand der Handlungsebene zu machen.
Auffällig war, dass trotz des ästhetischen Fokus sowohl in der Comic- wie auch in der Animationsforschung nicht nur die medialen Artefakte, sondern auch ihre soziokulturellen, historischen und produktionstechnischen Kontexte Beachtung fanden. Daran anschließend wäre ein intensiverer Austausch mit den anwesenden Kunst- und Kulturschaffenden (Mariola Brillowska, Andreas Hykade, Andreas C. Knigge, Aisha Franz, Felix Mertikat, Annegret Richter) in der dafür vorgesehenen Podiumsdiskussion produktiv gewesen. Doch leider driftete diese Diskussion zu schnell in eine Debatte um essentialistische Fragen der Medialität von Einzelmedien ab – die dem offenen Diskurs des vorangegangenen Symposiums nicht ganz gerecht wurde. Hier wäre ein etwas mutigeres Heraustreten aus den wissenschaftlichen Themen als Kontrapunkt am Abend eines langen Veranstaltungstages wünschenswert gewesen.
In einem Vernetzungstreffen wurde das Symposium als Ausgangspunkt für eine andauernde und intensive Kooperation der beiden GfM-Arbeitsgruppen begriffen und wurden weitere gemeinsame Projekte in Aussicht gestellt. Ebenfalls angesprochen wurden verschiedene Möglichkeiten, Wissenschaft und Praxis stärker aneinander anzuschließen. Dies könnte einerseits bedeuten, in Anlehnung an die ‹Production Studies› den Entstehungsprozess der jeweiligen Werke und die technische Bedingtheit ihrer ästhetischen Ausdrucksweisen stärker zu berücksichtigen, aber andererseits auch die Ergebnisse der Forschung vermehrt in die Praxis zurückzuspielen und einen produktiven Austausch zwischen wissenschaftlicher Forschung und künstlerischer Ausbildung anzustreben. Besonders für die Animationsforschung boten sich im Gespräch mit anwesenden Vertretern von Berufsverbänden sowie Film- und Kunsthochschulen zukünftige Kooperationsprojekte an. Aber auch Comicforschung und -praxis könnten zukünftig von einem gegenseitigen Austausch profitieren. Dies wurde insbesondere im Hinblick auf aktuelle technische Entwicklungen und den damit verbundenen ästhetischen Experimenten im Bereich digitaler Comics diskutiert. Insgesamt bot das Symposium zahlreiche Vernetzungsmöglichkeiten für beide Arbeitsgruppen, die auf zukünftige (kooperative) Projekte hoffen lassen.
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