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GAAAP_ The Blog

You owe me big

Gabriele Dietze über sexuelle Belästigung, Gefallen und Gefälligkeiten

27.10.2017

In den USA wurden zwischen 2016 und 2017 systematische sexuelle Belästigung großen Stils in Politik, Medien und IT-Start-Ups enthüllt: Donald Trumps Pussy-Gate›1, eine Kette von sexueller Nötigung und Missbrauch bei dem Nachrichtenkanal FoxNews durch seinen Präsidenten John Ailes und den Moderator John O’Reill, 20 Entlassungen aus ähnlichen Gründen bei dem Online Taxi-Unternehmen Uber, und zuletzt wurden Harvey Weinstein, dem Hollywood Mogul, drei Jahrzehnte sexueller Nötigung nachgewiesen («Accusers tell their stories»). Donald Trump wurde nach der Enthüllung amerikanischer Präsident, die anderen Gentlemen verloren nach wochenlangen Pressekampagnen ihre Jobs. Nicht alle ertappten Protagonisten sind rassistische Ethnonationalisten. Harvey Weinstein z.B. hat sogar eine Gastprofessur finanziert, die nach der feministischen MS-Herausgeberin Gloria Steinem benannt ist. Gemeinsam haben die Belästiger nur ihr Geschlecht und dass sie ihrem Betrieb vorstehen oder zumindest eine mächtige Position bekleiden. Ich rede also nicht über pfeifende Bauarbeiter oder Grabscher im Stoßverkehr, sondern von großen Tieren.

Mir geht es hier nicht um eine Anklage über die Ungeheuerlichkeiten von männlichem Sexismus im Allgemeinen und den von Big Shots wie Strauss-Kahn und Trump im Besondern – diese müssen unbedingt geschrieben werden und ich habe, wie viele andere auch, welche geschrieben, – sondern mich interessieren hier implizite und explizite Vertragsverhältnisse. Mein Augenmerk gilt der Arbeitsplatzkultur in höheren Management-Ebenen, wenn vermehrt gut ausgebildete Frauen dort auftauchen. Die Motive, sie einzustellen oder zu befördern, sind nicht immer emanzipatorischer Natur: In der IT-Branche möchte man das Image von pickligen verklemmten Computerstrebern loswerden, einem Fachkäftemangel entgehen, und Medienbetriebe nutzen gern das sex sells-Paradigma.2 Schaut man die großen Nachrichtenkanäle wie CNN und MSNBC, so hat man manchmal den Eindruck, dass die Welt von jungen schönen Kommentatorinnen, Spezialistinnen und Politikberaterinnen beherrscht wird und Männer eine aussterbende Spezies sind. Insofern wäre es weit gefehlt, sexuelle Belästigung für eine Strategie zu halten, um Frauen von den Agenturen der Macht fern zu halten. Im Gegenteil, Frauen werden gebraucht und vorgezeigt.

Den Frauen auf den höheren Karriereleitern mag durchaus bewusst sein, dass sie auch eine Alibi- und Schaufunktion haben. Sie nehmen das in Kauf, in der Hoffnung, ihre inhaltliche Kompetenz werde sich schon in gender-neutrale Anerkennung ummünzen, wenn man(n) erst einmal sähe, was sie zu leisten vermögen. Weniger bewusst ist Karrierefrauen, dass männliche Kollegen sie zusätzlich auch als Teil des Bonus-Pakets betrachten, in dem Extrazuwendungen wie Betriebsaktien, Dienstwagen, Büros mit Eckfenstern und Firmenkreditkarten verhandelt werden. Susan Fowler, eine Software-Ingenieurin im Internet-Taxi Unternehmen Uber – sie hat später einen Blog über sexuelle Belästigung in Silicon Valley verfasst – berichtet, dass an ihrem ersten Arbeitstag eine Kollege erklärte, dass er in einer offenen Beziehung lebe und keine willigen außerehelichen Partnerinnen fände. Seine Angebote via e-mail waren so explizit, dass Fowler Screenshots gemacht hat, um im Fall von Auseinandersetzungen Beweismittel zu haben. Beschwerden bei der Firmenleitung führten zu Unverständnis und schlechten Beurteilungen – für sie.

Der entsprechende Manager war sich keiner Unangemessenheit bewusst. Das führt uns zurück zum Bonus-Paket. Ein erfolgreicher Manager erwartet sexuelle Gratifikation für harte Arbeit. Die kann stattfinden über Las Vegas-Betriebsausflüge, bei denen die Firmenleitung diskret willige Damen aufs Zimmer schickt. Die kann aber über die hübsche Vorzimmerdame oder Assistentinnen arrangiert werden, die im Fall eines ‹Missverständnises› wenig Mittel haben, um die erwarteten Zusatzleistungen zu skandalisieren. Kompliziert wird es erst, wenn Status dazwischenkommt. Das Muster ‹Modernität-Demonstrieren-Durch-Sichtbare-Weibliche-Machtpositionen› clasht immer häufiger mit dem männlichen Habitus, sexuelle Gratifikation in Reichweite des Arbeitsplatzes zu erwarten. Der überarbeitete Manager unterscheidet oft nicht zwischen statusgleicher Kollegin und untergeordneter Assistentin. Deshalb greift er sich auch mal die Falschen, und manche davon stecken das nicht so einfach weg, denn sie haben den Mut und das Geld, es auf einen Rechtsstreit ankommen zu lassen.

So ist es kein Zufall, dass Fox‘ John Ailes von der Moderatorin Gretchen Carlson seiner Entlassung zugeführt wurde. Oder der Moderator O’Reilly durch die Harvard Law School-Absolventin Lisa Wiehl sein Waterloo erlebte. Wiehl war lange Zeit bei Fox News Spezialistin für Rechtsfragen gewesen. Nachdem O’Reilly ihr einen besseren Job im Sender verschafft hatte, wird folgender Dialog berichtet: «‹Hey you know, Liz, I got you this job›, he said, ‹you know that›. ‹I know you did, I know›, she replied. ‹So you owe me›, Mr. O’Reilly said, ‹you owe me big› [meine Kursivierung, G.D.]. ‹No, no, no›, she replied.» Was hier der Fall ist, ist die sexuelle Ausnutzung einer üblichen Geschäftsgepflogenheit, der über die Worte: ‹Ich schulde Dir was› in Funktion gesetzt wird. Alle Krimileser_innen kennen das. Der verzweifelte Ermittler kommt nicht voran und ruft einen alten Kollegen vom FBI an, der ihm einen Gefallen schuldet. Der gibt ihm Einsicht in geheime Papiere, und schon ist der Fall gelöst. Ein guter Polizist hortet deshalb Bringschulden, um Falle eines Falles einen Ermittlungsvorteil zu erlagen. Dieselbe Technik, ein Konto von Gefälligkeiten zu horten, die aber im Nachhinein bei Frauen in sexuellen Bringschulden konvertiert werden, scheinen hochrangige Manager, Amtsinhaber und Eigner von sexy Industriezweigen zu verfolgen.

In der Kolonialgeschichte nennt man das ‹ungleiche Verträge›, wenn ein übermächtiger Vertragspartner einen anderen dazu erpresst, einen bindenden Vertag zu seinen Ungunsten abzuschließen, um größeres Unheil – wie Ausrottung im Fall der Native Americans3oder Vollkolonisierung im Falle von China4 – zu verhindern. Nun sind die ‹Ich-schulde-dir-was›-Verträge implizite Verträge, sowas wie ‹common law›. Man kennt die Verpflichtung, hält sich daran oder fliegt aus dem Netzwerk. Auch Karriere-Frauen nehmen den Austausch von Gefallen in Anspruch. Sie liefern und fordern ein. Die ganze Sache wird erst dann zum Problem, wenn das Verständnis von ‹Gefallen› des anderen Vertragspartners sich auf den Körper der Frau ausdehnt. Dann wird aus dem Äquivalententausch ein ungleicher Vertrag. Es mag Frauen geben, die dieses Ungleichgewicht umdrehen und wie Sex-Arbeiterinnen das männliche Begehren zu ihrem Vorteil manipulieren. Aber den meisten erscheint diese Inanspruchnahme ihres Körpers nicht als Vertragsbestandteil, sondern als Belästigung, Nötigung, Bedrohung ihrer Karrierechancen oder einfach als Gewaltakt.

Habeas Corpus ist eine alte Rechtsregel, die in fast allen modernen Gesellschaften Gültigkeit hat. Diese Regel soll verhaftete Menschen davor schützen, dass sie ohne Prüfung durch einen Richter gefangen gehalten werden können. Der Haftrichter muss den Gefangenen in angemessener Zeit vorführen lassen. So gesehen haben die Belästiger die Körper der Frauen in Haft(ung) genommen, ohne sich dafür verantworten zu müssen. Mit Verantwortung meine ich, dass sie bestraft werden und dass sie öffentlich mit Namen und Anschrift für ihr Fehlverhalten geradestehen und selbst (anstatt der Frauen) die Bürde der Scham tragen. Gerade das aber ist, wie wir nach letzten Skandalen wissen, über Jahrzehnte nicht passiert. Es hat zwar inzwischen, besonders unter den höheren Chargen, eine nicht unerhebliche Anzahl von Frauen gegeben, die bereit gewesen wären, die männlichen Körper vor Gericht zu bringen. Nur genau das ist nicht geschehen. Die Gentlemen standen nicht vor Gericht.

Warum das? Das hat damit zu tun, dass fast alle Belästigungs-Anklagen mit einer außergerichtlichen Einigung (settlement) enden. Den Frauen wird damit erspart, sich zu exponieren, den Unsicherheiten eines Geschworenenurteils auszusetzen und möglicherweise den Prozess zu verlieren. Darüber hinaus garantiert eine außergerichtliche Einigung eine Entschädigungssumme. Als Harvey Weinstein aufflog, wurde bekannt, dass er bereits acht außergerichtliche Einigungen über drei Jahrzehnte abgeschlossen hatte. Diese Tatsache und seine ungebrochene Neigung zu dieser Belästigungsform war seinem Vorstand bekannt und von ihm gebilligt, solange er für jede außergerichtliche Einigung der Firma 250.000 Dollar für den Erstfall nach Vertragsabschluss und 500.000 Dollar und dann exponentiell wachsend für jede weitere Klage zahlt. Noch bizarrer liegt der Fall bei Bill O’Reilly. Er hatte bereits 13 Millionen für 10 außergerichtliche Einigungen entrichtet, als herauskam, dass sein Arbeitgeber Fox, und dahinter der britische Medienmogul Murdoch, mit ihm einen vierjährigen Arbeitsvertrag über 100 Millionen abgeschlossen hatte, obwohl diesen kurz davor bekannt wurde, dass er 31 Millionen (in Worten einunddreißig Millionen) an die oben erwähnte Lisa Wiehl hatte zahlen müssen. Es geht also nicht nur darum, dass Verfehlungen stattfanden, sondern auch besonders darum, dass sie systematisch gedeckt und damit gebilligt wurden.

Nun besteht der Witz an den außergerichtlichen Einigungen in den Zusatzvereinbarungen, die dem Angeklagten das Schweigen der Abgefundenen garantieren (affidavits of non-disclosure). Die Auszahlung der Entschädigungssumme für sexuelle Nötigung oder Belästigung ist mit der Unterzeichnung einer eidestattlichen Erklärung verbunden, und die ist wiederum mit der Aussetzung einer hohen Strafgebühr gekoppelt, falls die Schweigepflicht gebrochen wird. Harvey Weinstein hatte die ersten Zeuginnen seines Fehlverhaltens mit Klagen bedroht und konnte nur durch seinen Rechtsberater von einem erneuten publicity Desaster abgebracht werden. D.h. die neue Konfliktfähigkeit von gut ausgebildeten Frauen führt zwar zu Entschädigungszahlungen, ist aber gleichzeitig mit einer Omerta verbunden. Deshalb hat die Öffentlichkeit, obwohl die sexuellen Belästigungen systematisch waren und über Jahrzehnte anhielten, bis vor Kurzem nichts davon erfahren. Als durch Indiskretionen immer mehr prominente Fälle herauskamen, haben fast nie die betroffenen Frauen selbst gesprochen, weil sie Vertrauensbruch-Klagen befürchten mussten, sondern die Tatbestände wurden mit anonymen Quellen belegt.

Frauen können inzwischen Karriere machen, ja, auch ganz große Karrieren. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass ein unüberbrückbarer Abgrund zwischen Wandel durch Emanzipation und der Persistenz5 von mehr oder weniger subtilem Sexismus besteht. Sexismus muss gar nicht darin bestehen, Frauen Gewalt anzutun, nicht einmal darin, sie zu verachten. Sexismus besteht häufig nur darin, Frauen als wandelndes Genussmittel zu betrachten, als ‹Gratifikation› eben, oder Bringschuldnerin, die mit ihrem Körper einen Gefallen entgelten, also gefällig sein soll. So ist es kein Zufall, dass einen weiblichen Körper zu haben am Arbeitsplatz voraussetzt, Stilettos und figurbetonte Kleidung zu tragen6 – niemand verlangt von Managern enge Hosen und taillierte Hemden. Top-Girls7 mögen von sexueller Ermächtigung sprechen, oder Bourdieu-inspirierte Soziologie mag Euphemismen wie ‹Erotic Capital›8 in Umlauf bringen, ohne über die Spannungen nachzudenken, wenn ökonomisches Kapital mit erotischem Kapital in Konflikt gerät. Ich dagegen – und mit mir viele Feministinnen – sage, solange weibliche Körper ausgestellt, als Tauschobjekt angesprochen, als Gratifikation betrachtet und im Beschwerdefall zum Schweigen verurteilt werden, wird der Abgrund zwischen Wandel und Persistenz nicht kleiner werden, sondern nur dessen Verschleierung raffinierter. 

Abb.: Marilyn Minter, Plaque. Foto Konstanze Hanitzsch

  • 1Siehe den Clip der Fernsehsendung Access Hollywood mit dem berühmten Satz «I grab them by the pussy» https://www.youtube.com/watch?v=NcZcTnykYbw.
  • 2Siehe: Rodger Streitmatter, Sex sells! The media's journey from repression to obsession, New York 2004.
  • 3 Francis Paul Prucha, American Indian treaties: the history of a political anomaly, Berkeley 1994.
  • 4Jürgen Osterhammel, China und die Weltgeschichte. Vom 18. Jahrhundert bis in unsere Zeit, München 1989.
  • 5Andrea Maihofer, Gender in Motion: gesellschaftliche Transformationsprozesse – Umbrüche in den Geschlechterverhältnissen? Eine Problemskizze, in: Dominique Grisard/Anelies Kaiser/Sibylle Saxer (Hg.), Die Konstruktion von Geschlecht in Raum und Erzählung, Sulzbach 2007, 218-315, 301.
  • 6Naomi Wolf, The beauty myth: How Images of Beauty are Used against Women, New York 2013.
  • 7Angela McRobbie, TOP GIRLS? Young Women and the Post-Feminist Sexual Contract. In: Cultural Studies. 21, (4-5), 2007,  718-737.
  • 8Catherine Hakim, Erotic Capital, in: European Sociological Review. 26, (5), 2010, 499-518.

Bevorzugte Zitationsweise

Dietze, Gabriele: You owe me big. Gabriele Dietze über sexuelle Belästigung, Gefallen und Gefälligkeiten. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/you-owe-me-big.

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