Trump und die allgemeine Überschätzung des Liebesobjekts
Donald Trumps bisherige Amtsbilanz ist verheerend. Er führt sein Land an den Rand eines Weltkrieges, steigt aus dem Klimaabkommen aus, und er bereitet eine Steuerreform vor, die ausschließlich den Superreichen zu Gute kommt und breite Teile der Mittelklassen benachteiligt. Die New York Times veröffentlicht regelmäßig Aufzählungen über Trumps Lügen, uneingelöste Wahlversprechen und Vorteilsnahmen. So gibt eine ständig aktualisierte Aufzählung, wie viele Personen, Orte und Institutionen er per Twitter beleidigt hat, eine andere Liste registriert, dass er in seinen ersten 40 Amtstagen jeden einzelnen Tag eine Lüge oder Falschinformation in die Welt setzte, und eine weitere Zusammenstellung gibt Auskunft über Skandale persönlicher Vorteilsnahme, wie etwa der Tatsache, dass er ausländisches Staatsbesucher und Regierungsmitglieder auf Staatskosten in seinen eigenen Luxushotels unterbringt oder dass er beim chinesischen Ministerpräsidenten erfolgreich für eine Niederlassung einer Fabrik seiner Tochter Ivanka geworben hat.
Während Donald Trump inzwischen die niedrigste Zustimmungsrate aller bisherigen amerikanischen Präsidenten im ersten Amtsjahr hat (36 %), stehen im Oktober 2017 80% der republikanischen Trumpwähler_innen unbeirrt zu ihrem Kandidaten. Während die liberale Presse und die meisten großen TV-Kanäle außer Fox News, inklusive der Nachrichtensendungen von CNN, MSNBC und PBS News «Trumpwatches» eingerichtet haben und mit gnadenloser Energie, ja manchmal Hysterie, auf Trumps Unzulänglichkeiten herumreiten, während auch die beliebteste Politsatire-Sendung Saturday Night Live in Alec Baldwin jeden Samstag eine beißend bösartige Trump-Imitation bei höchsten Zuschauerraten auf die Bühne stellt, bleibt seine ‹Base›, wie man hier in Sportsprache sagt, völlig unbeeindruckt.
Die weitestgehende Konzession, die man aus den vielen Befragungen der ‹Trump-Base› heraushören kann, ist das Bedauern darüber, dass «der Sumpf von Washington» zwischen Trump und seinen Plänen steht und dass trumpfeindlichen Medien nichts weiter ausrichten als seine Unterstützung zu verstärken. Geno DiFabio, der in Ohio einen Reparaturladen führt und sich für eine Langzeitbeobachtung von Trump-Unterstützern zur Verfügung gestellt hat, sagt zur Einhelligkeit der Trump-Gegnerschaft der Medien: «All they’re doing is solidifying the people that voted for him, believe me. Sometimes he says stupid stuff, but he’s still the only one that’s going to do anything for us, fight for us, actually fight for us.»
Die Zustimmung kann sogar dann erhalten bleiben, wenn Trumps ehrgeizigstes Projekt, ‹Obamacare› abzuschaffen, ohne eigene Krankenversicherung anzubieten, konträr zu den direkten Interessen seiner Wähler_innen steht. Das betrifft nicht nur die Frage, ob man dann noch versichert wäre, sondern ob man überhaupt noch einen Job hat. In Baxter, Nebraska z.B. wählte man überwiegend Trump, obwohl der einzige prosperierende Arbeitgeber, der neue Leute einstellt, ein großes Hospital ist, das seit der Einführung des Affordable Care Act (Obamacare) 16% mehr Leute angestellt hat. Andy Borowitz, Satiriker beim The New Yorker, fasst dieses Paradox in folgenden fiktiven Monolog: «‹I went to bed Thursday night and slept like a baby, assuming that when I woke up I would have zero health insurance›, Carol Foyler, a Trump voter, said. ‹Instead, this nightmare›».
Was mich hier interessiert, ist die Lust am ‹Trotzdem›, die sogar dann einsetzt, wenn es zum eigenen Schaden ist. Die oben angesprochenen Paradoxa realisieren sich unter einer Logik, die der französische Ethnopsychoanalytiker Octave Mannonie mit dem Satz ‹Ich weiß das ganz genau, aber nichtsdestotrotz› (je sais bien, mais quand-même) charakterisiert hat und der als Denkfigur inzwischen von vielen Kulturkritiker_innen genutzt wird.1 Psychoanalytisch sollte dieser Satz eine Verleugnung beschreiben, die es dem Sohn ermögliche, über die mütterliche Kastration hinwegzusehen und sein Begehren auf Fetische wie Pelze, Schleier etc. zu richten, die die Aufmerksamkeit von der Kastrationswunde ablenken, aber das Begehren aufrechterhalten können.
Man muss nicht sich nicht auf die Freudianische Anatomie von Kastration und Wunde einlassen, um die Funktionsweise von Verleugnung zu verstehen. Sie ist im Alltagsbewusstsein von jederfrau/jedermann vorhanden. Es ist das Nicht-Wissen-Wollen, was hier beschrieben wird. Man möchte etwas dermaßen stark, dass gegenteilige Informationen nicht verfangen. Man findet das häufig bei unglücklich Liebenden, die sich mit Formeln über Wasser halten wie ‹sie/er liebt mich sehr und stellt mich nur auf die Probe› oder ‹sie/er weiß noch nicht, wie tief sie/er bereits fühlt›. Verleugnung ist ein mächtiges psychisches Vehikel. Solche übertragenen Lieben halten oft nur so lange, wie die Anerkennung des Nicht-Geliebt-Seins schmerzhafter ist als die Aufrechterhaltung der Hoffnung. Insofern lassen sich inzwischen durchaus Trump-Unterstützer finden, bei denen Enttäuschung aufgetreten ist (s. den Twitter-Account Trump-regrets).
Aber die Zahl der Unbeugsamen ist gleichbleibend hoch. Da muss noch etwas dazukommen, um die Standfestigkeit zu belohnen. Nach Freud wird die Tatsache, dass man einen Verlust aushält, mit einem stellvertretenden Genuss belohnt, mit dem Fetisch. Man könnte probeweise behaupten, dass der zu genießende Fetisch in der Freude an einer illusorischen Weltwahrnehmung besteht. Zu dem Genuss, eine eigene Wirklichkeit zusammenzubauen, kommt die Freude, rationale Argumentationsprinzipien und Faktenbeweise der politischen Gegner_innen aus den Angeln zu heben. Insofern sollten die von Führer_innen rechtspopulistischer Bewegungen in Umlauf gebrachten ‹alternativen Wahrheiten› nicht nur als Täuschung und Propaganda interpretiert werden, sondern als Phänomene, die in sich selbst einen alternativen Genuss erzeugen, die Fesseln von Fakten und Schlüssen abgelegt zu haben, mit denen die ‹Eliten› ‹das Volk› in angeblich ‹alternativlose› Pfadabhängigkeiten treiben. Die journalistischen Bemühungen, rechtspopulistische Sympathisanten mit ‹Fact-Checking› von ihrer Wahl abzubringen, sind deshalb wenig erfolgversprechend. Man könnte die Klientel dieser Parteien auch als unwahrscheinliche Adepten Foucaults betrachten. Ihnen ist der Konnex zwischen Wissen und Macht, die sie bei ‹denen da oben› verorten, absolut klar. Das macht sie immun gegenüber Wahrheitspolitik von sogenannten ‹Eliten›.
Dieser Ausstieg aus dem Common Sense generiert ein revolutionäres Klima: Demnach ist mit dem System nichts zu erreichen, sondern nur über eine totale Opposition nicht nur gegenüber den Machtverhältnissen, sondern auch gegenüber deren Denkweisen. Der Genuss der Trump-Unterstützer an der Ersatzbefriedigung übersteigt noch immer den Abgrund an Erfolglosigkeit, Peinlichkeit und zunehmende Isolierung seines Landes, der bisher seine Regierungsperiode gekennzeichnet hat. Insofern ist die «Liebe» ungebrochen.Trump sprich über die Beziehung zu seinem ‹Volk› als Liebesverhältnis. Auf einer Ralley in Phoenix Arizona im August 2017 sagte er: «Our movement is a movement built on love. Love for fellow citizens, for the struggling American who is left behind, and love for every American child who deserves a chance to have all of their dreams come true.» > Video auf CNN. In dieser Frage können wir noch einmal Sigmund Freud zu Rate ziehen, wenn er von der «allgemeinen Überschätzung des Liebesobjekts» spricht. Diese zeige sich «als logische Verblendung (Urteilsschwäche) angesichts der seelischen Leistungen und Vollkommenheiten des Sexualobjekts sowie gläubige Gefügigkeit [meine Kursivierung, G.D.] gegen die von letztem ausgehenden Urteile. Die Gläubigkeit der Liebe wird so zu einer wichtigen, wenn nicht zur uranfänglichen Quelle der Autorität».2
- 1Slavoij Žižek hat diese Denkfigur auf das Funktionieren von Ideologien im Allgemeinen ausgeweitet und nennt sie ‹Ideologische Phantasie›: eine Kombination von Wissen und Verleugnung. Er benutzt dabei die Marx’sche Kritik am bürgerlichen Freiheitsbegriff, der sich der Einsicht verschließt, dass damit auch der Arbeiter von seinem Produkt befreit wird und lediglich die Freiheit erhält, seine Arbeitskraft zu verkaufen. Die Ideologische Fantasie bestehe nun darin: «They know that their idea of freedom is masking a particular form of exploitation, but they still follow the idea of freedom.» Slavoj Žižek, Ideological Fantasy, in: ders. (Hg.), The Sublime Object of Ideology, London 1989, 30-35, hier 33.
- 2Sigmund Freud, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie [1914], in: ders., Gesammelte Werke, Bd. I, Frankfurt/M. 1975, 27-159, 49f.
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