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Präsentation eines Tracking-Ensembles aus Laptop-Dashboard, Smartphone-App und diversen Wearables. Quantified Self Conference

Präsentation eines Tracking-Ensembles aus Laptop-Dashboard, Smartphone-App und diversen Wearables. Quantified Self Conference. Foto: Thorben Mämecke

Open-Media-Studies-Blog

Digitale Medien und Methoden

Zur methodischen Reflexion der medientechnischen Spezifika numerischer Diskurse

25.1.2021

In unserem Beitrag Die Medienwissenschaft im Lichte ihrer methodischen Nachvollziehbarkeit haben wir (Laura Niebling, Felix Raczkowski, Maike Sarah Reinerth und Sven Stollfuß) dazu aufgerufen, über «gegenstandsbezogene Methoden und Ansätze» zu sprechen. Zur Vorbereitung auf das von uns in diesem Zusammenhang geplante Methoden-Handbuch Digitale Medien und als Beitrag zu einer offenen Methodendiskussion im Fach kuratieren wir in den kommenden Monaten eine Sonderreihe zu «Digitale Medien und Methoden» im Open-Media-Studies-Blog mit ‹Werkstattberichten› zu den in der medienwissenschaftlichen Forschung eingesetzten Methoden.

Der dreizehnte Beitrag der Reihe stammt von Thorben Mämecke und setzt sich mit der Diskursanalyse als Methode zur Untersuchung der Online-Kommunikation im Rahmen des Self-Tracking Diskurses auseinander.

Vergleichsweise junge Technologien wie Tracking-Apps und Wearables zur Quantifizierung von Körperzuständen oder Alltagstätigkeiten sind während der vergangenen zehn Jahre kontrovers diskutiert worden. Nicht zuletzt, da mit ihnen soziotechnische Arrangements einhergehen, die zwar an viele bereits erforschte Medienpraktiken und Kommunikationsformen gekoppelt, aber gleichzeitig soweit eigenständig sind, dass sie den Bedarf einer dezidierteren Betrachtung mit sich gebracht haben.
Gerade durch die Amalgamierung dieser Technologien mit unterschiedlichsten Alltagspraxen, die im Zuge der globalen Verbreitung von Corona-Warn- und -Quarantäne-Apps noch einmal sprunghaft zugenommen hat, haben die Fragen danach, wodurch sich Self-Tracking-Technologien definieren und worin sich ihre rasante Karriere begründet, zusätzlich an Bedeutung gewonnen.  Um sie beantworten zu können, erscheint es zunächst vielversprechend, sich anzusehen, was diese Technologien selbst produzieren. Die voraussetzungsvolle Antwort, die zugleich eine weiterführende Frage ist, gibt den Titel meiner Forschung zu diesem Thema vor: Das quantifizierte Selbst.

Als heuristisches Konzept und als induktiver Feldbegriff stellt das quantifizierte Selbst eine Apostrophierung aller Probleme dar, die durch die Herstellung eines (in diesem Fall) technologischen und numerisch-diagraphischen Selbstbezugs gelöst werden sollen. Eine Analyse, die das Aufkommen und die Verbreitung dieser Technologien verstehen möchte, kann Self-Tracking und quantifiziertes Selbst weder getrennt voneinander, noch als in einem kausalen Zusammenhang stehend betrachten, sondern muss beides als voneinander abhängige Elemente analysieren, die durch diskursive Aushandlungs- und Deutungskämpfe ihre Form gewinnen. Dabei bilden nicht die Ursprungsnarrative populärer Individuen oder genuine Innovationsmomente den Fokus. Aus dieser Analyseperspektive ist vielmehr der Diskurs der Produktionsort sowohl eines speziellen Selbstverhältnisses als auch der dafür nötigen Technologien. Mit Foucault gesprochen wirkt der Diskurs als Subjektivierungsmaschine, die zwar durch die individuellen Anstrengungen aller Beteiligten betrieben wird, die dabei aber immer eine Eigendynamik entwickelt, die von einzelnen Diskursteilnehmer_innen nicht kontrolliert werden kann.
Eine Diskursforschung widmet sich daher vordergründig dem Versuch, herauszufinden, «ob die Maschine läuft und was sie produziert».1 Dabei fokussiert sie vor allem die Aspekte, die über die Summe aller zugehörigen Teile hinausgehen.

Dieser Beitrag soll die methodischen Herausforderungen und Potentiale reflektieren, die im Rahmen meiner Erforschung der Entwicklung, Genese und Verbreitung von Self-Tracking-Technologien bzw. der mit ihnen koinzidierenden Subjektivität deutlich wurden.

Dabei stehen drei Aspekte im Mittelpunkt:

  • Die Schwierigkeit, aus der Foucault'schen Diskurstheorie einen intersubjektiv reproduzierbaren Forschungsaufbau abzuleiten (Teil 1),
  • die Herausforderung, wissenschaftliche Forschungsdiskurse von denen der quantifizierten Selbsterforschung abzugrenzen (Teil 2)
  • und die Problematik, innerhalb interaktiver Online-Diskurse die Aussage vom Medium zu unterscheiden (Teil 3).

Teil 1: Die Diskursanalyse kennt keine Trennung zwischen Theorie und Methode

Typisch für eine Diskursanalyse Foucault’scher Prägung ist, dass die Klassifikations- und Konstitutionsregeln des Diskurses gleichzeitig ihren Gegenstand und ihr methodisches Werkzeug bilden, da sie sich schrittweise an den Kommunikationsfragmenten emporarbeitet. Die Diskursanalyse sucht auf diese Weise nach der Methodizität des Feldes selbst und folgt bei seiner Beschreibung den dort vorherrschenden Klassifikationen, Taxonomien und Teilungspraktiken.

Der deskriptive Teil der Analyse folgt diesen Eigenschaften des Diskurses, wohingegen der analytische Teil versucht, die Bedingungen zu beleuchten, die zu diesen Klassifikationen führen, die Begründungsmuster und ihre Herkunft zu rekonstruieren, das Fehlen von Aussagen, die diskursiven Brüche und institutionellen Zwangs- oder Ausschlusspraktiken sowie seine Machtpraktiken und Wissensformen herauszuarbeiten.

Ein solcher Ansatz, der von Streuung anstatt von Einheiten ausgeht2 und keine Elemente aus einer vorgängigen Gesellschaftstheorie bezieht, tastet sich langsam anhand empirischer Häufungen und Regelmäßigkeiten voran, die er im semiotischen Feld von Aussagen sucht und sie als systematische Zusammenhänge nachweist.

Das zunächst konfus wirkende Sammelsurium aus technischen Kuriositäten und unterschiedlichen Biografien einer kommunikativen Verweisungsstruktur, die sich untereinander kaum vergleichen lassen und aktiv auch wenig Bezüge untereinander herstellen, erscheint unter der aus Diskursaussagen ableitbaren Arbeitshypothese, dass sich der Diskurs über eine implizite Regel konstituiert, die vor allem das Neue, Individuelle und Unkonventionelle prämiert, somit als diskursive Produktion von Individualität und der dazugehörigen Innovationen. Derartige generelle Anwendungen einzelner Diskursäußerungen als analytische Bewertung von anderen Diskursaspekten, die ggf. mit einem vorgängigen Forschungsinteresse an einem bestimmten gesellschaftlichen Phänomen harmonieren, können helfen die schier grenzenlose Diversität online vernetzter Kommunikationsfragmente soweit einzugrenzen, dass sie im weiteren Verlauf für Detailanalysen greifbar werden. Die Prämissen des induktiven Forschungsverfahrens machen es dabei allerdings unerlässlich auf diesem Weg gewonnene Analysefoki kontinuierlich mit zu reflektieren (mehr dazu im zweiten Teil).

Diskurse wirken sich so als übergeordnete Möglichkeitsbedingung auf zukünftige Aussagen aus, etablieren Erwartbarkeitszusammenhänge, Wahrscheinlichkeiten, selektive Ausschlussprinzipien und führen so zu einer sukzessive sich herausbildenden Stabilität des Diskurses, die nicht selten durch Formationsregeln weiter verhärtet oder institutionalisiert wird. Hierin begründet sich ein Großteil der subjektivierenden Kraft von Diskursen.

Die Diskursanalyse, als mehr oder minder unbestimmtes Amalgam aus Methode, Theorie und epistemologischer Wissenschaftstheorie, dekonstruiert damit nicht nur Diskurse als klar eingrenzbare Forschungsfelder, sondern sie zeigt die oft vermachteten Ordnungsstrukturen auf, innerhalb derer diskursiv gültiges Wissen produziert wird – für die auch ihr eigenes Forschungsdesign keine Ausnahme darstellt.

Hieraus ergibt sich eine weitere Konsequenz die in einem diskurstheoretischen Forschungsaufbau berücksichtigt werden muss, die Unmöglichkeit einer Trennung zwischen den Wissenschaftsdiskursen und den durch sie untersuchten Diskursen.

Teil 2: There is no such thing as «thinking outside the box»

Diskurse sind keine sprachlichen Verarbeitungen von Dingen, die selbst außerhalb des Diskurses liegen und sie sind keiner außerdiskursiven Realität untergeordnet, die in soziale Praxis oder Kommunikation übersetzt werden könnte oder deren Wahrheit sich hermeneutisch erschließen ließe. Diskurse sind immer durch andere Diskurse kontextualisiert.

Dennoch haben Diskurse selektive Relevanzprämissen und Möglichkeitsbedingungen, die sie voneinander unterscheiden. Mit Blick auf die Operationalisierung einer Analyse von Diskursen drängt sich damit unweigerlich die Frage auf, wie dieses «Wuchern der Diskurse»3 forschungspragmatisch zergliedert, sortiert, ausgewertet und aufbewahrt werden kann.Wie lassen sich Start- und Stopp-Regeln der Untersuchung festlegen, wie umfassend muss die Verzweigung von Teildiskursen und Alteritäten im Binnengefüge des Kerndiskurses untersucht werden?

Ein Forschungsansatz, der darauf basiert, prädiskursive Gewissheiten strategisch in Zweifel zu ziehen, kann die Parameter einer Analyse nicht schlicht mit der Wahl eines (Forschungs-) Gegenstandes begründen. Vielmehr stellt die Beantwortung der Frage was die Gegenstände eines Diskurses sind, selbst einen elementaren Bestandteil der diskursanalytischen Arbeit dar. Ihr kann entsprechend nur schrittweise nachgegangen werden. Die aufsteigende Methode folgt nicht dem Prinzip der Definition und Exemplifikation. Der Vorentscheidung dessen, was genau den Kern des Diskurses ausmacht und zu welchem Zeitpunkt er durch welche Ereignisse begonnen hat, ist demnach der mehr oder minder grobe Umriss eines Interesses vorzuziehen, von dem aus sich nach und nach der Beantwortung dieser Frage angenähert werden kann. Ein Forschungsinteresse lässt sich leicht als Untersuchung des Self-Tracking-Diskurses oder des Quantified-Self-Diskurses labeln, mit Bedeutung werden diese Begriffe allerdings erst durch das relationale Gefüge ausgestattet, das sie diskursiv konturiert und konstruiert.

Im Fall des Diskurses der quantitativen Selbstvermessung bedeutet das, dass sich die Frage danach, was Self-Tracking ist, nicht nur der Forschung, sondern auch den Diskursteilnehmer_innen selbst stellt und die Versuche ihrer Beantwortung selbst zur Herausbildung des Diskurses und seiner Binnendifferenzierung beitragen – z.B. in Subarten des Trackings. So bildet der Diskurs (ganz im Sinne von Foucaults berühmter Sentenz vielmehr umgekehrt die Gegenstände von denen er handelt.4

Teil 3: Im Self-Tracking-Diskurs ist das Medium immer auch Message

Das Feld der Selbstvermessung ist in besonderem Maße dazu geeignet nachzuzeichnen, wie eine bestimmte Form der Subjektivität aus dem Spannungsgefüge verschiedener Deutungskonflikte und Macht-Wissen-Komplexe hervorgeht, da ihre Konstitutionsbedingungen in umfassender Weise offen liegen. Numerische Daten sowie Taxonomien und Klassifikationssysteme werden ebenso wie ihre sprachlichen Erläuterungen, Bedarfsbeschreibungen, Kommentare, Kritiken und Gebrauchsanweisungen durch ihre Anwender_innen und Entwickler_innen ausführlich dokumentiert und sind in rekonstruierbarer Weise miteinander verbunden.

Im Folgenden drei Beispiele, die vor dem Hintergrund verschiedener methodischer Grundprämissen näher diskutiert werden sollen: Dies betrifft die eigendynamische Dokumentation von Kommunikation im Zuge ihres technisch gestützten Prozessierens (3.1), die Analysemöglichkeiten die durch die Kommunikationsinfrastruktur selbst gegeben sind (3.2) und die Besonderheiten numerischer Elemente des Self-Tracking-Diskurses (3.3).

Teil 3.1: Selbstregistrative Diskurspraxis

Die passive Registration und Archivierung von Kommunikationsfragmenten (durch die digitale Infrastruktur von Blogs, Foren und Chatverläufen) und ihrer Meta-Daten (wie Aufruf- und Bewertungszahlen) stellen längst einen wesentlichen Aspekt von online-basierter Kommunikation dar. Dieser Aspekt erfordert daher auch doppelte Aufmerksamkeit im Analyseprozess, da er nicht nur neue Möglichkeiten für die analytische Rekonstruktion sinnhafter Ordnungsstrukturen eröffnet, sondern diese Möglichkeiten auch allen Diskursteilnehmer_innen zur Verfügung stehen und so das Diskursgeschehen selbst prägen.
Im Forschungsprozess geraten daher bereits im Zuge der Korpusbildung spezifische Eigenheiten des Selbstvermessungsdiskurses in den Blick, die mit der Medialität des Diskurses im Zusammenhang stehen. Dies betrifft z.B. hypertextuelle oder anderweitige medientechnologische Besonderheiten der Diskursorganisation – auch wenn diese Spezifik kein exklusives Merkmal des Self-Tracking-Diskurses darstellt, sondern angesichts der zunehmenden Medialisierung und gleichzeitigen globalen, kommunikativen Vernetzung längst den Normalfall darstellt.

Fernab aller Affinitäten der Diskursteilnehmer_innen für die systematische und möglichst umfassende Verdatung, Speicherung und Auswertung verschiedenster Körper- und Alltagsbereiche, stellt die passive Registration von Kommunikationsfragmenten und ihrer Meta-Daten (wie z.B. die Protokollierung des genauen Erscheinungszeitpunkts von Beiträgen) einen interessanten Nebenaspekt von online-basierter Kommunikation im Allgemeinen dar, der neue Möglichkeiten für die Rekonstruktion sinnhafter Ordnungsstrukturen und Entstehungskontexte von Diskursen eröffnet.

So bilden die textbasierten und zeitversetzten Kommunikationsmodi (durch Foren und Weblogs) im Verbund mit der digitalen Infrastruktur des Webs eine selbstregistrative Diskurspraxis aus, die sukzessive ein Archiv von Aussagen im Zuge ihrer Äußerung erstellt und durch Hyperlinks nicht nur über Gegenstandsbezüge oder rekonstruierbare Regelmäßigkeiten und Aussage-Wiederholungen, sondern auch auf technischem Weg eine assoziative Binnendifferenzierung herstellt.

Die technischen Aspekte der Hypertextualität, die Visualität aber auch die Interaktivität von Internetmedien setzen damit die Texte, Bilder und Videos zu multimedialen und multimodalen Mashups unterschiedlicher semiotischer Zeichensysteme zusammen, die im Fall des Self-Tracking-Diskurses zusätzlich durch die bedeutungsgenerierende Funktion numerischer Zeichen und die spezifischen Modalitäten ergänzt werden, in denen diese den Status von Äußerungen und Aussagen annehmen.

Für den Forschungszugang bedeutet dies, dass sich die Korpusbildung einerseits entlang dieser interaktiven Strukturen vollziehen kann, dabei allerdings auch die Eigendynamiken dieser Verweisungsstruktur berücksichtigen muss.

Die evolvierende Analyse eines Diskurses und seiner selbstregistrativen verzichtet daher auf die Vorab-Zusammenstellung einer Materialbasis – der Annahme, durch eine Stichprobe eine unverfälschte oder repräsentative Miniatur eines Diskursoriginals herstellen und unter Laborbedingungen untersuchen zu können, folgt sie ohnehin nicht. Denn Diskurse sind gleichzeitig operative Bedingungen und Operationalisierungen sozialer Wirklichkeit, die je nach Perspektive als eine andere erscheint. Zudem handelt es sich gerade bei gegenwärtigen Onlinediskursen immer nur um fluide und instabile diskursive Konfigurationen, die sich im zeitlichen Verlauf (d.h. schon im Zuge ihrer Analyse) rapide verändern.

Die Auswahl des Analysematerials vollzieht sich daher schrittweise, beginnt auf der Ebene der Gegenstände und folgt den diskursinternen Differenzierungskategorien, Häufungen und Verweisungsstrukturen, um so nach und nach ein immer deutlicher werdendes Bild des Diskurses entstehen zu lassen, das auf diese Weise bis zum Ende der Analyse eine Verbindung zum Diskursgeschehen beibehält und sensibel für aktuelle Ereignisse bleibt.

Teil 3.2: Tracking the Trackers

Dieses Vorhaben erleichtern konventionelle Suchmaschinen, aber auch gezielte Suchen im Deep Web, z.B. durch Wayback-Maschinen, die den Zugang zu bereits gelöschten Websites oder Blogeinträgen erlauben, spezielle Suchmaschinen für Bilder, Tools für die Analyse der in Bildern oder Videos eingeschriebenen Informationen, Suchmaschinen, die auf eine Suche nach diesen oberflächlich verborgenen Informationen ausgerichtet sind und spezielle Engines zur Analyse des Traffics von Websites  bzw. allgemein nach den eigenen Anforderungen trainierbare Suchmaschinen. Selbst derartig individualisierbare Suchmaschinen bewirken durch die oberflächlich nicht nachvollziehbare Selektivität ihrer technischen Funktionalität eine Prägung des sich so langsam konturierenden Diskursbildes. Obgleich dies kaum vermeidbar ist, lässt sich dieser Umstand bedingt analytisch nutzen, indem etwa die Ergebnishierarchisierung als zusätzlicher Indikator für die Popularität oder Verbreitung eines Fragments herangezogen wird. Die methodische Kontrolle eines derartigen Suchmaschinenbias vollzieht sich allerdings durch die analytische Bewegung innerhalb der kommunikativen Verweisungsstruktur von Diskursbeiträgen selbst, für die ein Suchmaschinenergebnis lediglich den Einstieg darstellt.

Im Kontext der Erforschung statistikzentrierter Diskurse können auch Zensus-Datenbanken5

oder offizielle Statistik-Panel eine Rolle spielen. Den Einstieg in ein weitverzweigtes Netz aus entsprechenden Blog-Artikeln findet sich auf der technologiepolitischen Webseite von Tactical Tech.

Von diesen Startkoordinaten bewegt sich die aufsteigende Analyse immer weiter in die Peripherie der Kommentare, technologischen Aneignungen und proprietären Vereinnahmung. Sie kann mit der Analyse eines populären Zeitungsinterviews starten und sich über die Kommentare, die andere Self-Tracker_innen hinterlassen haben, zu ihren Weblogs, den öffentlichen Protokollen ihrer Vorträge oder ihrer dokumentierten Selbstexperimente und Konstruktionsanweisungen zugehöriger Vermessungstechnologien ausweiten. Gleichzeitig kann sie auch den selbstreferentiellen Verweisungsstrukturen des institutionalisierten Kerndiskurses, also einer intendierten Vorauswahl und Leserichtung folgen, die etwa durch Community-Organisator_innen nahegelegt wird. Hierbei helfen die mit Blog-Einträgen zusammenhängenden Tags, die Suchfunktionen der Quantified-Self-Website sowie Newsletter, und Social-Media-Accounts.

Teil 3.3: Numerische Äußerungsmodalitäten

Die Gegenstände bilden in der Regel ein oder mehrere Zentren, von denen aus sich die (Re)konstruktion des Diskurses erschließen lässt. Die Aussagen hingegen stellen die eigentliche Analyseebene dar, auf der die Gegenstände erscheinen. D.h. der Diskurs setzt sich zwar aus Aussagen zusammen und bringt diese im Umkehrschluss hervor, die konzeptuelle Offenheit der Diskursanalyse für Äußerungen die nicht aus Sätzen oder Sprechakten gebildet werden, macht sie aber mehr als andere Forschungszugänge sensibel für die immanenten Spezifika unterschiedlicher Diskurse.
Im Falle des Self-Tracking-Diskurses werden sprachlich-textliche Elemente nicht selten um numerische oder diagrammatische Elemente gruppiert, die als spezifische Modalität von Äußerungen, die Gegenstände, Formationsregeln und Begriffe als diskursbildende Elemente ergänzen

Der Diskurs ist in mehrfacher Hinsicht bestimmt durch derartige numerische Äußerungsmodalitäten, die entweder als gegenseitiger Verweisungszusammenhang mit Text- oder Bildelementen eine Aussage herstellen oder die auf direktem Weg Individuen über die Zahlenaggregate und Durchschnitte interaktiver Bedienoberflächen von Computer-Programmen und Apps vermitteln.

Für eine Analyse, die die Eigenheiten der Subjektivierungsprozesse des Self-Tracking-Diskurses herausstellen will, ist es daher essentiell, auch diese nichtsprachlichen Elemente als Bedingungen zu behandeln, die beeinflussen in welcher Weise im Diskurs Wissen und Wahrheiten generiert, bzw. Subjektpositionen geformt, zugewiesen und eingenommen werden. Die hier erläuterten Ergänzungen des diskursanalytischen Instrumentariums  können die Perspektive auf medientechnische Spezifika von Online-Diskursen schärfen und den Forschungszugriff systematisieren; allerdings bleiben sie dennoch nur ein artifizieller Analyserahmen der sich fortlaufend selbst reflektieren und anpassen muss.

  • 1Vgl. Michel Foucault Archäologie des Wissens. Frankfurt a.M. 1981[1969], 194.
  • 2(Ebd., 45)
  • 3Michel Foucault Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I. Frankfurt a.M. 1983[1976], 119.
  • 4 Michel Foucault Archäologie des Wissens. Frankfurt a. M. 1981 [1969], 74
  • 5Hier ist beispielhaft die Zensus-Datenbank der USA aufgeführt, da viele der diskursrelevanten Biografien sozialstrukturell in die Tech-Metropole Palo Alto eingebunden sind.

Bevorzugte Zitationsweise

Mämecke, Thorben: Digitale Medien und Methoden. Zur methodischen Reflexion der medientechnischen Spezifika numerischer Diskurse. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Open-Media-Studies-Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/open-media-studies-blog/digitale-medien-und-methoden-8.

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