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Marlene Dietrich im Potsdamer Stadtbild

Marlene Dietrich im Potsdamer Stadtbild; Foto der Autorin

Open-Media-Studies-Blog

Citizen Science. Vom Gewinnen im Scheitern (Teil 2)

Über die Umsetzung von Basisanforderungen an ein filmwissenschaftliches Bürger_innenforschungsprojekt.

23.6.2020

Im ersten Teil des Blogbeitrags habe ich erläutert, wie Citizen Science definiert und worauf ihr Hype zurückgeführt wird. Des Weiteren habe ich dargestellt, wie ich die Bürger_innenforschung konzeptualisiere. In diesem Teil stelle ich zunächst mein Projekt «Das filmische Gesicht der Stadt Potsdam» vor. Anschließend zeige ich auf, wie ich einige Basisanforderungen, wie sie gegenüber Citzen-Science-Projekten formuliert werden, umgesetzt habe. Was sich hinter dem im Titel angekündigten Phänomen des Gewinnens im Scheitern in Bürger_innenforschungsprojekten verbirgt, wird im dritten Teil aufgelöst.

Das filmische Gesicht der Stadt Potsdam

Zur Förderung der sogenannten kleinen Fächer hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung eine Drittmittel-Richtlinie aufgesetzt, die Vorhaben z. B. aus der Biostatistik, den Digital Humanities, der Jiddistik oder auch der Filmwissenschaft ermöglicht. Sie soll insbesondere für mehr Sichtbarkeit der Forschungsleistungen der kleinen Fächer sorgen. Mit meinem Projekt Das filmische Gesicht der Städte zur Imagebildung von Filmstädten als diskursiven Prozess habe ich eine Förderung erhalten. Es hat eine Laufzeit vom 1. Dezember 2019 bis zum 30. November 2022 und ist an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF sowie der Aarhus University angesiedelt.

Filmisches Artefakt: ein Edeka in Potsdam umgibt sein Logo mit einer Filmklappe (Quelle: die Autorin).

Wichtige These des Vorhabens ist, dass es – neben verschiedenen Akteur_innen und ihren textuellen und bildlichen Diskursbeiträgen – gerade auch filmische Artefakte im öffentlichen Raum sind, die zur Herausbildung des Images «Filmstadt» beitragen. Hierzu zählen beispielsweise Straßen, die nach Filmschaffenden benannt sind, und filmbegleitende Materialien wie Poster und Standfotos, die etwa im Frühstücksraum eines Hotels aufgehängt werden. Ebenso Objekte wie alte Filmkameras, Filmklappen und Scheinwerfer, die in Läden zur Dekoration aufgestellt werden. Ich gehe davon aus, dass diese materialisierte Filmgeschichte sowie Referenzen auf aktuelle Medienproduktionen bei einer Analyse des Images «Filmstadt» berücksichtigt werden müssen. Es ist deshalb eines meiner Ziele, filmische Artefakte im städtischen Raum von den beiden ausgewählten Fallbeispielen Potsdam und Aarhus zu erfassen, sichtbar und dadurch analysierbar zu machen. Die Artefakte sollen unter anderem dahingehend befragt werden, ob sie in der Stadt gebündelt als Knotenpunkte auftreten, ob bestimmte Filmberufe oder Filmcharaktere häufiger vorkommen, auf welche filmhistorischen Epochen sie verweisen oder ob genderspezifische Gewichtungen festgestellt werden können. Ausgangsthesen sind, dass sich Artefakte um Produktions- und Distributionsorte des Films bündeln, dass abgesehen von Schauspielerinnen mehrheitlich auf männliche Filmschaffende verwiesen wird und bei den Filmcharakteren weibliche Figuren dominieren. Eine weitere Annahme ist, dass im urbanen Raum nicht auf alle für eine Filmstadt prägenden filmischen Entwicklungsphasen gleichermaßen verwiesen wird.

Nach einem Workshop an der Universität Zürich mit dem Titel «Open-Scholarship & Audiovisual Sources» und dem Vortrag von Rosy Mondardini mit dem Titel «Citizen Science - just try it!» fühlte ich mich motiviert, die Suche nach den filmischen Artefakten gemeinsam mit Bürger_innen der Stadt Potsdam anzugehen. Vom 25. Januar bis zum 1. März 2020 habe ich die Potsdamer_innen dazu eingeladen, mir ihre filmischen Funde zu melden. Eine wichtige Quelle zur Vorbereitung des Teilprojektes waren diverse Leitlinien und Ratgeber von Universitäten, Hochschul- und Bürger_innenforschungs-Verbänden, die zu Citizen-Science-Projekten zu finden sind. Nachfolgend werde ich auf einige Basisanforderungen an Bürger_innenforschungsprojekte eingehen und erläutern, wie ich sie umgesetzt habe.

Meine Umsetzung von Basisanforderungen an Citizen-Science-Projekte

Open Science

Als Teil der Open-Science-Bewegung sollen Bürger_innenforschungsprojekte die Standards dieser neuen Wissenschaftskultur berücksichtigen. Forschungsziele, Thesen und Methoden müssen transparent kommuniziert werden. Es soll verständlich sein, wie mitgeforscht werden kann und welche wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele ein Projekt verfolgt.1 Daten gilt es offen bereitzustellen und über den Projektverlauf hinaus zu speichern. Sie sind so aufzubereiten, dass sie für die Nachnutzung geeignet sind. Und schließlich sind Ergebnisse im Open Access zu publizieren.2

Für die Darlegung der Forschungsziele, Thesen und Methoden war die Einrichtung einer Forschungswebseite wichtig. Laura Niebling gibt hier im Open-Media-Studies-Blog Hinweise zu wissenschaftlichen Webseiten und dieser besonderen Gattung der Forschungspräsentation. Es hat einige Zeit gekostet, die verschiedenen Aspekte des Projekts auf kurze und prägnante Texte herunterzubrechen. Hilfreich war dabei, dass ich parallel zum Aufbau der Seite das Projekt für die Plattform Bürger schaffen Wissen aufbereitet habe. Die Verantwortlichen gaben in Bezug auf die für diese Onlinepräsenz notwendigen Texte hilfreiches Feedback zur Transparenz und Verständlichkeit, das ich für meine eigene Seite adaptieren konnte.

Filmische Fundstücke in der Datenbank von Epicollect5 (Screenshot der Autorin).

Die offene Bereitstellung der gesammelten Daten habe ich über eine Datenbank der App Epicollect5 implementiert. Dabei handelt es sich um eine kostenlose Anwendung, die am Big Data Institute der University of Oxford entwickelt wurde und von vielen Forschenden verwendet wird. Sie ermöglicht es Nutzer_innen, in wenigen Schritten eine App nach individuellen Anforderungen für die Erhebung von Daten einzurichten. Die Anwendung stellt die gesammelten Daten automatisch in einer öffentlichen Datenbank in Listenform bereit und wandelt diese zusätzlich in eine Map um. Mit Epicollect5 konnte also etwa bei Spaziergängen in der Stadt ein filmisches Fundstück mit Geodaten, Beschreibung und Foto erfasst und in die Datenbank hochgeladen werden. Bis zum Ende der Laufzeit des Gesamtprojektes sollen die Daten dort öffentlich zugänglich bleiben. Da die von Epicollect5 angebotene Map nur sehr grob ausfällt und keine Differenzierung der filmischen Artefakte erlaubt, werden die Daten aktuell auf eine Google Map übertragen. Hier können verschiedene Farben und Zuordnungsebenen festgelegt werden. Diese Karte stellt, neben einigen Auswertungslisten, eine wichtige Grundlage für die Analyse dar.

Aktuell werden die filmischen Artefakte auf eine Google Map übertragen (Screenshot der Autorin).

Für die Langzeitspeicherung der Daten konnte ich zum Durchführungsstart keine befriedigende Lösung finden. Es wurde so verfahren, dass auf einem Server der Filmuniversität Speicherplatz für die Daten eingerichtet wurde, und es wäre im Prinzip möglich, die Daten hier am Ende des Projektes abzulegen und über ein Passwort Interessierten für eine Nachnutzung zur Verfügung zu stellen. Doch diese langfristige Speicherung würde wenig bringen, weil die Daten hier kaum für andere Forscher_innen aufzufinden wären. Damit würde meine Lösung der ersten Anforderung – «Findability» – der FAIR data principles nicht entsprechen. Hierzu hoffe ich auf Entwicklungen in den kommen zwei Jahren, die eine verbesserte Langzeitspeicherung für mein Projekt ermöglichen. Ideal wäre ein institutionsübergreifendes Medien-Repositorium – angelehnt z. B. an das der Humboldt-Universität zu Berlin, aber speziell für Film- und Medienwissenschaften betrieben. Dieses sollte mindestens mit den bereits etablierten Publikations-Repositorien media/rep/ und MediArXiv vernetzt sein, denn die Daten sollten an Orten eine Präsenz haben, die von Film- und Medienwissenschaftler_innen regelmäßig frequentiert werden. Was die Aufarbeitung für die Nachnutzung anbelangt, plane ich, neben den Rohdaten beschreibende Metadaten sowie (Auswertungs-)Listen in den Formaten .csv, .json und .xlsx bereitzustellen. Grundsätzlich gilt, dass die meisten Universitäten eigene Strategien zum Forschungsdatenmanagement entwickelt und Ansprechpartner_innen hierzu benannt haben sowie umfängliche Informationen auf ihren Internetseiten bereitstellen. Letztere sind häufig für alle zugänglich und es lohnt sich für Einsteiger_innen in das Datenmanagement von Bürger_innenforschungsprojekten, die Materialien verschiedener Institutionen zu studieren.

Lizenzierung von Forschungsdaten

Da die Daten der Bürgerforscher_innen nicht verschlossen im Projekt verbleiben, sondern veröffentlicht und ggf. auch von Dritten genutzt werden sollen, muss allen Beteiligten von Anfang an klar sein, wie mit den Rechten an den gesammelten Daten verfahren wird.3

Auf der Projektseite, in einem Erklärvideo sowie innerhalb der App Epicollect5 wurden die Bürgerforscher_innen von mir darüber informiert, dass ihre filmischen Fundstücke durch die Einreichung in die Gemeinfreiheit entlassen werden. Den Mitforschenden wurde also erklärt, dass sie ihre Forschungsdaten (Standort, Beschreibung und Foto) mit einer Einreichung unter Creative Commons 0 lizenzieren. Erläutert wurde, dass hierdurch die Forschungsdaten nicht nur von mir gespeichert, aufgearbeitet und veröffentlicht werden dürfen, sondern auch anderen zur Nachnutzung in weiteren Projekten zur freien Verfügung stehen. Weiterführende Informationen zu Creative Commons oder den Empfehlungen zur Lizenzierung von Forschungsdaten der DFG wurden bereitgestellt. Vor jeder Einreichung mussten die Bürgerforscher_innen zu diesem Verfahren aktiv ihre Zustimmung geben oder es ablehnen. Die Lizenzierung von Forschungsdaten in Bürger_innenforschungsprojekten über Creative Commons gilt als ein geeigneter Weg, für Rechtssicherheit zu sorgen.4

Datenschutz

Bei aller Offenheit in Bürger_innenforschungsprojekten muss der Schutz der persönlichen Daten der Mitforschenden unbedingt gewährleistet werden.5 Schon bei der Einrichtung der Projektseite mussten Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung umgesetzt werden. Erste Adresse sind dabei Datenschutzbeauftragte der eigenen Universität, sie stellen z. B. Textbausteine für Internetpräsenzen zur Verfügung. Sie können auch bei der Einrichtung eines speziellen Kontaktformulars behilflich sein, das die Kommunikation mit den Mitforschenden erlaubt: Denn nur wenn der Speicherung und Verarbeitung einer E-Mail-Adresse zugestimmt und aktiv akzeptiert wurde, dass die Adresse streng zweckgebunden zur Kommunikation genutzt werden darf, ist der Weg frei für einen Austausch mit den Bürgerforscher_innen per E-Mail.

Bei der Einrichtung der Datenerhebungs- bzw. Einreichungsinstrumente für die Bürgerforscher_innen bietet die App Epicollect5 den Vorteil, dass sich die Mitforschenden nicht mit einer E-Mail-Adresse, dem Klarnamen oder der Anschrift anmelden müssen. Gebeten habe ich allein um ein frei wählbares Kürzel aus drei Buchstaben und zwei Ziffern. Weder für mich als Projektleiterin noch für diejenigen, die auf die öffentliche Datenbank zugreifen, ist dadurch nachvollziehbar, wer die filmischen Funde eingereicht hat. Dies bedeutet aber nicht, dass die Mitforschenden keine Daten von sich zur Verfügung stellen. Ein grundlegendes Problem besteht darin, dass schon beim Herunterladen einer App Informationen z. B. zum Betriebssystem eines Smartphones versendet werden. Des Weiteren habe ich um Standortdaten gebeten. Wichtig ist, dass die Bürgerforscher_innen in Datenschutzerklärungen über diese datenrelevanten Vorgänge informiert, explizit auf die Privacy Policy der App verwiesen werden und aktiv der Datenübermittlung zustimmen oder diese abwählen können. Notwendig erschien mir deshalb auch, Alternativen zu einer Datenübermittlung per App anzubieten. Bei mir waren dies E-Mail und Instagram. Beide bringen wieder eigene Herausforderungen für den Datenschutz mit sich. Insbesondere in Bezug auf Instagram habe ich darauf hingewiesen, dass dieser Weg nur für solche Personen geeignet ist, die bereits bei der App angemeldet sind und für sich die Nutzungs- und Datenschutzbestimmungen akzeptiert haben. Gewundert hat mich, dass andere Bürger_innenforschungsprojekte kaum bis gar keine Angaben zum Datenschutz auf ihren Projektseiten machen. Dies hängt sicherlich nicht damit zusammen, dass sich dazu keine Gedanken gemacht und keine Vorkehrungen zum Schutz der Bürgerforscher_innen getroffen wurden. Es liegt wohl eher daran, dass mit jeder notwendigen Datenschutzerklärung für die Projektseite, die Datenübermittlungsinstrumente und die sonstige Kommunikation der Textumfang und die Verlinkungen untereinander anwachsen, die Übersichtlichkeit verloren geht und ein Projekt überfordernd oder sogar beängstigend wirken kann. Ideal wäre, wenn es ein Prüfsiegel für den Datenschutz von Bürger_innenforschungsprojekten geben würde. Dann bräuchte nicht jedes Projekt seine Regelungen auf diversen Unterseiten zu erläutern, sondern die Mitforschenden könnten sich darauf verlassen, dass der Datenschutz durch eine geeignete Instanz geprüft wurde. Für die Projektinitiator_innen hätte ein Prüfsigel den Vorteil, dass sie einen klaren Anforderungskatalog abarbeiten und vor Projektstart die Schutzmaßnahmen evaluieren lassen und ggf. noch korrigieren könnten.

Öffentlichkeitsarbeit

Um mit Bürger_innen gemeinsam forschen zu können, müssen sie von dem Projekt überhaupt erst erfahren. Des Weiteren muss über den Forschungsprozess hinweg mit den Bürgerforscher_innen kommuniziert werden. Wissenschaftler_innen, die ein Citizen-Science-Projekt durchführen wollen, werden deshalb darauf hingewiesen, dass solche Projekte nur mithilfe einer strategischen und umfänglichen Öffentlichkeitsarbeit realisiert werden können – sowie auf der Basis von klaren Zuständigkeiten und Kapazitäten für das Community Management.6 Die Öffentlichkeitsarbeit richtet sich natürlich nach der Zielgruppe, die erreicht werden soll. Hieraus ergibt sich eine Richtschnur für die Form der Ansprache und die Kanäle für die Öffentlichkeitsarbeit. Sehr empfehlen kann ich, frühzeitig einen geeigneten Medienpartner ins Boot zu holen. Bei mir waren das die Potsdamer Neueste Nachrichten. Mit ihnen habe ich vereinbart, dass mit mir ein Interview zum Projektstart geführt, mehrere Anzeigen zum Projekt kostenlos geschaltet und eine gewisse Social-Media-Präsenz aufgebaut wurde.

Eine der Anzeigen, die die Potsdamer Neueste Nachrichten für das Projekt in ihren Printausgaben abgedruckt hat (Screenshot der Autorin).

Um weitere Medien der Region für das Projekt zu interessieren, wurden drei Pressemitteilungen entwickelt, mit dem Ergebnis, dass auch die Märkische Allgemeine Zeitung, Radio Potsdam und HAUPTSTADT.TV über das Vorhaben berichteten. Zusätzlich konnten institutionelle Multiplikatoren wie das Filmmuseum Potsdam, ProWissen und die Stadt Potsdam für das Projekt gewonnen werden. Auch sie berichteten, neben der Filmuniversität, in ihren Social-Media-Kanälen über das Projekt. Einladungen wurden an Bürger_innenvereine und Stadtteilnetzwerke, die städtische Wohn- und Baugesellschaft, die Potsdam Marketing und Service GmbH und die örtliche Volkshochschule versendet. Neben dieser regional fokussierten Öffentlichkeitsarbeit wurde das Projekt auf Bürger schaffen Wissen vorgestellt, eine Facebookseite, ein Instagram- und ein Twitter-Account eingerichtet. Ich konnte feststellen, dass diese Netzwerkstruktur für die Öffentlichkeitsarbeit nur deshalb auf die Beine gestellt werden konnte, weil ich viele der genannten Partner schon gut kannte. Für den Einstieg in die Bürger_innenforschung ist es deshalb sinnvoll, sich auf eine bekannte und überschaubare Region zu fokussieren.

Indikatoren festlegen und beidseitig Wissen vertiefen

Eine weitere Forderung an Bürger_innenforschungsprojekte ist, dass im Vorfeld Indikatoren für den Impact festgelegt und kommuniziert werden sollen. Als Indikatoren gelten Veröffentlichungen von wissenschaftlichen Beiträgen, Vorträge auf Konferenzen sowie populärwissenschaftliche Präsentationen.7 Der Gedanke dahinter ist, dass im Vorfeld geplant sein muss, wie Zwischenergebnisse und Resultate ihre Wirkung nicht nur in der wissenschaftlichen Community, sondern auch in der Gesellschaft entfalten sollen. Die Umsetzung dieser Forderung kann mit einem anderen Anspruch verbunden werden, nämlich dem, dass Bürger_innenforschungsprojekte so konzipiert sein sollten, dass sie aufseiten der Berufsforscher_innen und der Bürgerforscher_innen gleichermaßen zu einer Wissensvertiefung beitragen. Es wird darauf verwiesen, dass hierfür durchaus auch pädagogische Fertigkeiten und spezifische Formate erforderlich sind.8 Das von dem Projekt BürGEr schaffen WISSen – Wissen schafft Bürger (GEWISS) herausgegebene Grünbuch Citizen Science Strategie 2020 für Deutschland spricht auch davon, dass die Beteiligten «auf Augenhöhe voneinander und miteinander lernen können»9 sollten. Meine Indikatoren umfassen entsprechend nicht allein Meilensteine der Dissemination und des Wissenstransfers bzw. der Wissenschaftskommunikation, sondern auch Formate, in denen gemeinsam mit den Bürgerforscher_innen die gesammelten Daten analysiert und in praktische Handlungsvorschläge für die Stadtentwicklung umgewandelt werden sollten. Neben Workshops war das eine gemeinsame Wanderung zu Fundorten von filmischen Artefakten und ihre Analyse im städtischen Kontext. Geplant war diese gemeinsame Feldexkursion für den Lies-eine-Straßenkarte-Tag am 5. April 2020. Einen Großteil der Pläne musste ich wegen der Corona-Krise vorerst auf Eis legen. In den nächsten Wochen muss ich entscheiden, ob ich alternative Online-Angebote aufsetzten kann.

Anerkennung für die Bürgerforscher_innen

Betont wird, dass die Bürgerforscher_innen nicht ausgenutzt werden, sondern Dank und Anerkennung für ihre Arbeit erhalten sollen.10 Empfohlen werden etwa die Nennung als Mitautor_innen oder auch «motivational rewards».11 Ich bin diesem wichtigen Grundsatz dadurch nachgekommen, dass die Mitwirkung durch Bürgerforscher_innen in den Metadaten, auf der Google Map und in Publikationen genannt wird. Des Weiteren wurden unter den Teilnehmenden verschiedene Preise verlost. Die Partnerinstitutionen, wie z. B. das Filmmuseum Potsdam mit seinem Kino, stifteten Eintrittskarten für Ausstellungen und Kinotickets; thematisch passende Bücherpreise habe ich privat beigesteuert, weitere Preise kamen von den Potsdamer Neuesten Nachrichten. Um trotz der für mich teilweise anonymen Einreichungen Gewinner_innen ermitteln zu können, waren die oben erwähnten selbst gewählten Kürzel erforderlich. Wichtig ist zu berücksichtigen, dass für jede Verlosung wiederum Regelungen zur Teilnahme und zum Datenschutz entwickelt und veröffentlicht wurden.

Screenshot meiner Projektseite mit einigen Preisen, die unter den Bürgerforscher_innen verlost wurden.

Forschungsethik

Jedes Forschungsvorhaben muss sich die Frage stellen, in welchem Umfang ethische Aspekte tangiert werden. Bei Bürger_innenforschungsprojekten ist je nach Forschungsdesign gleich auf mehreren Ebenen ethisches Fingerspitzengefühl gefragt. Deshalb wird eindringlich darauf hingewiesen, dass ethische Implikationen zu prüfen und zu berücksichtigen sind.12 Neben Publikationen speziell zum Thema Citizen Science und Ethik habe ich mich an einem Dokument der Europäischen Union zu Ethics in Social Science and Humanities orientiert und viele hilfreiche Informationen und Anregungen auf der Seite des VerbundFDB gefunden. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss aus Forschungsdatenzentren der Bildungsforschung, deren Angaben zum Datenmanagement und Ethik gut auf das Bürger_innenforschungsprojekt übertragbar waren. Neben der transparenten und wahrheitsgemäßen Kommunikation der Forschungsziele, der Offenlegung der Finanzierungsquellen und der Projektpartner_innen sowie der Bereitstellung von Kontaktmöglichkeiten, steht der Schutz der beteiligten Bürger_innen vor jedwedem Schaden an oberster Stelle. Dieser Schutz wurde zunächst einmal durch die oben beschriebenen Maßnahmen zum Datenschutz und Datenmanagement umgesetzt. Des Weiteren dadurch, dass gegenüber den Interessent_innen an verschiedenen Stellen betont wurde, dass die Teilnahme freiwillig erfolgt, dass ein Widerruf oder eine Beschränkung der gegebenen Einwilligungen möglich sind und hieraus für die Mitforschenden keine Nachteile entstehen.

Wichtig war es auch, die Mitforschenden über die gesetzlichen Rahmenbedingungen bei der Erstellung von Fotos im öffentlichen Raum aufzuklären und immer wieder darauf hinzuweisen, dass im Zweifelsfall keine Fotoaufnahmen vorgenommen werden sollten. Je nach Aufgabenstellung kann es erforderlich sein, Schulungen und Pretests im Vorfeld der Datenerhebung durchzuführen. Um weder die Bürgerforscher_innen, das Projekt oder die Menschen im öffentlichen Raum mit Komplikationen in Bezug auf Persönlichkeitsrechte zu belasten, wurden alle eingereichten Fotos geprüft und bei einer Einreichung tatsächlich auch Teile von Bildern geblurrt, sodass abgebildete Nummernschilder und Personen nicht zu erkennen sind. Indem diese Sicherheitsmaßnahme den Mitforschenden mitgeteilt wurde, konnten sich diese darauf verlassen, dass keine kritischen Daten in der Datenbank aufgeführt werden. In diesen Komplex gehörte auch der Hinweis, dass ich mir als Projektleiterin das Recht vorbehalte, eingesendete Forschungsdaten aus der Veröffentlichung auszuschließen, zu löschen oder zu bearbeiten, die als kritisch eingestuft werden, wenn sie z. B. rassistisch, obszön oder persönlichkeitsverletzend sind. Ein solcher Hinweis schützt nicht nur das Projekt beispielsweise gegen Trolle, sondern auch die Bürgerforscher_innen davor, dass ihre Daten neben kritischen Einträgen zu finden sind.

Die hier aufgeführten Basisanforderungen an Citizen-Science-Projekte sind nicht vollständig. Die Sicherung der Datenqualität etwa wurde lediglich tangiert; und gänzlich unerwähnt blieb die Evaluation von Bürger_innenforschungsprojekten. Der dritte und letzte Teil dieses Blogbeitrags geht in Richtung einer ersten Evaluation. Dort werde ich berichten, wie das Projekt tatsächlich verlaufen ist und warum ich – trotz einer Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis sowie eines scheinbaren Missverhältnisses zwischen Aufwand und Mitwirkungszahlen – eine positive Zwischenbilanz ziehe.

  1. Citizen Science. Definitionen und Citizen-Science-Hype in einem filmwissenschaftlichen Bürger_innenforschungsprojekt
  2. Citizen Science. Über die Umsetzung von Basisanforderungen an ein filmwissenschaftliches Bürger_innenforschungsprojekt
  3. Citizen Science. Über Projektverlauf, Erfahrungen und Zwischenbilanz eines filmwissenschaftlichen Bürger_innenforschungsprojekts

Bevorzugte Zitationsweise

Kiss, Anna Luise : Citizen Science. Vom Gewinnen im Scheitern (Teil 2). Über die Umsetzung von Basisanforderungen an ein filmwissenschaftliches Bürger_innenforschungsprojekt.. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Open-Media-Studies-Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/open-media-studies-blog/citizen-science-vom-gewinnen-im-scheitern-teil-2.

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