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Open-Media-Studies-Blog

Open Course Ware

Eine Gedankenskizze zur Hochschullehre von Lisa David

8.1.2019

Offenheit, zum Teil gegenläufig zu vielen gesellschaftlichen Entwicklungen, wird im akademisch-wissenschaftlichen Kontext immer mehr zum Programm. Neben Open Science und Open Access entstehen auch im Bereich der Hochschullehre spannende Projekte, die eine Öffnung voraussetzen. Open Education, bzw. Open Educational Resources ist der Oberbegriff verschiedener Arten von Bildungsressourcen, die für Lehrende und Lernende frei zugänglich und unentgeltlich nutzbar sind. Nachdem eine Verbreitung und Vernetzung im Internet sehr praktikabel und kostengünstig ist, wird im Rahmen von OER auch häufig, wenn auch nicht ausschließlich, von digitalen Lehr-Lernressourcen gesprochen. Diese sind häufig mit einer Lizenz (z.B. Creative Commons) versehen, wobei dafür keine Verpflichtung besteht. OER können eigentlich auch dem gültigen Urheberrecht eines Landes unterliegen, wie z.B. ein Video auf YouTube.


Offen können Bildungsressourcen auf drei Arten sein:

  • Erstens geht es um die Entwicklung, Bereitstellung und Organisation von Nutzungs- bzw. Weiterverarbeitungsrechten konkreter Bildungsressourcen für andere Lehrpersonen, Einrichtungen und Ressourcen selbst.

  • Zweitens können öffentliche (digitale) Ressourcen, z.B. Plattformen sozialer Medien für die Lehre verwendet bzw. adaptiert werden.

  • Eine dritte Möglichkeit besteht in der kollaborativen Entwicklung von Lehr-Lernressourcen gemeinsam mit den Studierenden .

Ich beziehe mich in dieser Gedankenskizze auf den ersten Punkt, wobei der Fokus auf der sogenannten Open Course Ware liegt. OCW ist ein Teilbereich der OER und umfasst qualitativ hochwertiges Bildungsmaterial für die Verwendung in hochschulischen Kontexten1 . Dieses Bildungsmaterial ist häufig in Form eines gesamten Kurses verfügbar und enthält (zumindest teilweise) alle Materialtypen, die für eine Lehrveranstaltung notwendig sind und die tatsächlich auch verwendet werden, z.B. Skripte, Foliensätze, Zeitpläne, Syllabi, Prüfungsfragen, Literatur, Videoausschnitte, aber auch Kurse in einem Learning Management System (LMS) und vieles mehr. So sammelt die Plattform Wikiversity Material aus allen Bereichen der Hochschullehre.

Die Idee hinter Open Course Ware ist, wie auch für Open Educational Resources im Allgemeinen, ideell geprägt. Der Gedanke besteht darin, Lehrveranstaltungs-Architekturen mit anderen Hochschullehrenden zu teilen. Wenn alle Lehrenden ihr Material zur Verfügung stellen, profitieren. Lehrende, die doch häufig zwischen ihren Lehr- und Forschungsstühlen «hängen», können sich Ideen von «fremden» Lehr-Lernszenarien einholen. Dies führt im Optimalfall zu einer deutlichen Entlastung und hat den Nebeneffekt bei den Recherchen nach geeigneten, an die eigenen Lehrkontexte angepassten Materialien über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen. Einblicke in andere Disziplinen und deren «eigenartigen» Denkweisen sind inbegriffen und haben möglicherweise einen inspirierenden, horizonterweiternden Effekt.

Open Educational Resources, und dazu gehört auch die Open Course Ware, werden trotz der offensichtlichen Vorteile für Lehrende kritisch diskutiert. Auf der Webseite e-teaching.org, die sehr viele aktuelle und relevante Inhalte zu digitalen Lehr- Lernressourcen an Hochschulen zur Verfügung stellt, ist eine Meinungsumfrage zu OER durchgeführt worden. Ein einschlägiger Kritikpunkt besteht in dem Mangel an Gewährleistung und Überprüfung der inhaltlichen, didaktischen und formalrechtlichen Materialqualität. Die Sorge wird formuliert, dass Lehrende und Lernende auf der Suche nach qualitativ hochwertigem Material möglicherweise überfordert sind. Qualitätskriterien und ein System der Qualitätskontrolle werden verlangt.

Prozesse der Qualitätssicherung und institutionalisierte Zertifizierungen kosten aber nicht nur Geld, sondern auch Zeit. Dies würde dem OER-Prinzip der freien Verfügbarkeit und Bearbeitbarkeit widersprechen. Auch würde durch die Finanzierung eine herrschaftliche Komponente eingeführt – dies birgt die Gefahr, die Idee an sich auszuhöhlen. Eine aktuelle, an sich sehr einleuchtende Idee besteht darin, Materialien, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurden, mit einer offenen Lizenz zu versehen2 .

Praktische Pionierarbeit leistet das MIT (Massachusetts Institute of Technology). Open Course Ware im Sinne der Veröffentlichung der meisten am MIT entstandenen Lehrveranstaltungsarchitekturen war die Antwort auf die Frage nach erhöhter Lehrqualität. Hier ist eine systematische Öffnung erfolgt, von der Hochschullehrende auf der ganzen Welt profitieren. Auch im deutschsprachigen Hochschulraum gibt es bereits einige solche Projekte. Eine Liste zu überdauernden OER-Projekten ist in dem zwei Jahre alten Projekt «Mapping OER» im Rahmen einer Ist-Stand Erhebung zu finden (Kapitel 5). Wer selbst Interesse hat das eigene Kursmaterial zu veröffentlichen, findet in diesem kompakten Leitfaden, des Projekts Open Education Austria Unterstützung bei den ersten Schritten.


Gedanken zu förderlichen Voraussetzungen und Effekten

Gedanke 1: Um Lehr-Lernmaterialien zu teilen, muss Lehre an sich sie als «wert»-voll betrachtet werden.

Obwohl es bereits viele Projekte zu OER und OCW im deutschsprachigen Raum gibt, sind diese jedoch bei weitem nicht (alle) systematisiert bzw. institutionalisiert. Deswegen muss ich mich als Lehrende fragen, was ich davon habe. Es kostet immerhin Zeit, Open Course Ware von der eigenen Lehrveranstaltung zu erstellen. Meine Gedanken sind folgende: Die sozialwissenschaftliche bzw. sozialökonomische Forschung spricht über Fairness und Solidarität als moralischen Grundwert mit biologischem, evolutionstheoretischem Bezug. Es bleibt jedoch immer die Frage im Vordergrund, was ich als Individuum vom Teilen habe. Teilen bedeutet ja auch immer etwas zu geben, wovon es gerade nicht genug gibt bzw. die Vielfalt noch erweiterbar ist3 . Dementsprechend muss ich meinem Gut einen Wert zuordnen. Und das setzt voraus, Lehre als wertvoll zu betrachten.

Gedanke 2: Durch das Suchen, Finden und Veröffentlichen von Lehr-Lernmaterialien gewinnen hochschuldidaktische Grundlagen an Bedeutung.

Aus didaktischer Perspektive löst das offene Teilen von Lehrveranstaltungsarchitekturen folgendes Problem: In einigen Fachkulturen  ist die Relevanz hochschuldidaktischer Theorie und Praxis für die eigene Lehre (noch) nicht klar. Lehrveranstaltungsarchitekturen sind jedoch das Produkt von didaktischen Überlegungen und methodischen Entscheidungen. Wie eine Aufgabe gestellt ist und mit welchem Lernziel sie versehen bzw. im gesamten Syllabus verankert ist, sind die Ergebnisse hochschuldidaktischer Überlegungen. Obwohl nicht alle Akteur_innen dies so bewusst wahrnehmen, dürfte das «Veröffentlichen» von ebendiesen Architekturen oder aber auch einzelnen Elementen aus Lehrveranstaltungen hochschuldidaktische Wirksamkeit beleuchten. Ob dieses Beleuchten nun mittels Scheinwerfer oder Taschenlampenstrahl passiert, bleibt personenabhängig. Die eigene (Lern-)Biographie, die Lehrtradierung aus der Fachkultur und die hochschuldidaktischen Weiterbildungsmöglichkeiten nehmen Einfluss. Wie bei allen Themen der Hochschullehre muss immer mitbedacht werden, welchen Stellenwert Lehre für das akademische Individuum einnimmt (oder auch: einnehmen darf) – eine Frage, die wieder zu Gedanke 1 führt.

Gedanke 3: Die offenen Einblicke in vielfältige Lehrveranstaltungsarchitekturen verhelfen der Hochschuldidaktik zu erhöhter Anerkennung in ihrer Funktion.

Als Hochschuldidaktikerin mit bildungswissenschaftlichen Fachwurzeln gelange ich immerzu in Erklärungs-«Zwang», wie denn «meine» hochschuldidaktischen Methoden zu natur- und ingenieurwissenschaftlichen bzw. wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Fachlogiken und Denkarten passen. Die Tatsache, dass Pionierarbeit von Seiten des MIT geleistet wird und nicht nur «weiche» Fächer (sprich Geisteswissenschaften) partizipieren, ist hilfreich. Ohne dem MIT oder anderen Universitäten an dieser Stelle eine herrschaftliche Position zuzuordnen, verhelfen deren riesigen Datenbanken fachkulturunabhängig anzuerkennen, dass gute Lehre in der Regel durchdacht ist, dass sie keine Gedankenträgheit zulässt und sich auf die Lernaktivitäten ihrer potentiellen Abnehmer_innen konzentriert:den Lernenden. Dies repräsentiert das Kerngeschäft der Hochschuldidaktik, deren Vertreter_innen sich dafür einsetzen, lernförderliche Lehre zu unterstützen.

  • 1Eine ausführliche, aber übersichtliche Einführung zu OER und OCW mit weiterführenden Links bietet open-education-ressources.de.
  • 2Kurze Einblicke in die aktuelle Diskussion zu OER lassen sich in dem Beitrag auf dem österreichischen Online Portal für Erwachsenenbildung nachlesen.
  • 3Die Gründe, warum Bildungsmaterial offen geteilt werden soll, werden deutlich in dem zwar bereits älteren, aber sehr umfassenden Papier «Giving Knowledge for free» der OECD (Kapitel 4) multiperspektivisch dargestellt.

Bevorzugte Zitationsweise

David, Lisa: Open Course Ware. Eine Gedankenskizze zur Hochschullehre von Lisa David. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Open-Media-Studies-Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/open-course-ware.

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