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Sven Stollfuß zum Start des Open-Media-Studies-Blogs
Digitale Medien prägen unsere alltägliche Lebens- und Arbeitswelt in nachhaltiger Art und Weise. So sind in Deutschland nach einer aktuellen Studie neun von zehn Bundesbürger_innen online – rund 72% der ab 14-Jährigen täglich.1 Zentral ist dabei eine flexible, zeit- und ortsunabhängige Nutzung von Onlineanwendungen. In diesem Zusammenhang allerdings verändern sich nicht nur alltagskulturelle und unterhaltungsbasierte Mediennutzungsformen. Mit der zunehmenden Verschränkung vernetzter Strukturen im «connective ecosystem»2 digitaler Medien gehen ebenso strukturelle Verschiebungen einher, die unterschiedliche (medien-)bildungspolitische Konsequenzen nach sich ziehen und veränderte Anforderungen an Bildungs- wie auch Forschungseinrichtungen stellen.3 Die im Alltag mittlerweile nahezu selbstverständlich gewordene zeit- und ortsunabhängige Nutzung von digitalen Medien kollidiert dabei jedoch an vielen Schulen und Hochschulen mit einem noch immer schwerfälligen Transformationsprozess der digitalen Infrastrukturen. «Bildung in der digitalen Welt», so zum Beispiel das Strategiepapier der Kultusministerkonferenz, akzentuiert in diesem Zusammenhang jüngst unterschiedliche Dringlichkeitsfelder: vom Medienkompetenz- und Partizipationsbegriff über neue Kulturtechniken durch Digitalisierung und Anforderungen an Open Educational Apps für Smartphones und Tablets bis hin zu Fragen nach Open Resources und veränderten Herausforderungen im akademischen Lehr- und Forschungsbetrieb.
Die Aufarbeitung der individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen von «Digitalisierung» – auch wenn in gegenwärtigen politischen Debatten nicht immer klar ist, was im Einzelnen damit genau gemeint ist – bedeutet jedoch genauso einen umfassenden strukturellen Wandel der akademischen Forschungspraxis. Ein offener Zugriff auf wissenschaftliche Inhalte ist nicht nur in der Lehre für Studierende wie Dozierende gleichermaßen von Bedeutung, sondern auch in der Forschung selbst. Initiativen zur Etablierung und zum Ausbau von «Open Science» oder «Open Research» eint dabei die Intention, so Sarah-Mai Dang im Auftaktpost der beiden Blog-Initiatorinnen, «möglichst Viele an der Produktion und Distribution von Wissen teilhaben zu lassen. Transparente und damit nachvollziehbare, nachprüfbare und reproduzierbare Forschungs-, Lehr- und Publikationspraktiken sollen kollaborative und kooperative Arbeitsformen ermöglichen und so zu einer nachhaltigeren und produktiveren Wissenschaft beitragen».
Von der Verfügbarmachung von Forschungsliteratur auf frei zugänglichen Websites über softwarebezogene und methodologische Fragen im Kontext digital-vernetzter kollaborativer Open-Online-Forschung4 bis hin zu offenen Publikationsplattformen mit Annotationstools für eine gemeinschaftliche Bearbeitung von Texten, stellen Zugänge und Arbeitsformen im Sinne einer «offenen Wissenschaft» unterschiedliche Herausforderungen dar, die doch gerade für ein modernes Verständnis von einer digital-vernetzten wissenschaftlichen Praxis zu diskutieren sind. Wobei der Bedarf an und der Wunsch nach frei zugänglicher Forschung – im Übrigen auch forciert durch Drittmittelgeber wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – vielfach nicht nur auf lizenzrechtliche Probleme oder unterschiedlich elaborierte Open-Access-Modelle von Verlagen stoßen. Innerhalb der Scientific Community selbst wird die Diskussion um Open Research nicht nur positiv geführt, wenn es um die «akademische Währung», also die Qualität der (eigenen) Publikation bestellt ist. Open Access für Texte, die in einschlägigen Fachzeitschriften veröffentlich worden sind, wird mehrheitlich unterstützt. Neueren und insbesondere spezifischen Open Access Journals wiederum stehen viele insofern skeptisch gegenüber, da sie entweder (noch) nicht einschlägig für das jeweilige Fach sind oder es Bedenken hinsichtlich der Qualität des Journals gibt oder geben kann.5
Auch gegenüber wissenschaftlichen Blogs gibt es neben anerkennenden Stimmen auch Vorbehalte. In ihren Untersuchungen über wissenschaftliches Bloggen etwa schreiben Inger Mewburn und Pat Thomson: «Many of our colleagues seem worried that blogging and being active on social media is yet another addition to their already heavy work regime. It’s an understandable fear, given that blogging is not readily countable in conventional academic performance metrics. But does blogging really have no place in conventional understandings of journal impact factors and citation rates?»6 Auch wenn Mewburn und Thomson wissenschaftliches Bloggen begrüßen und Gill Kirkup an anderer Stelle davon ausgeht, dass Bloggen ein «Genre» darstellt, «through which academics perform their scholarly identity, engage in knowledge production, and become public intellectuals, at least on the internet»,7 bleibt die Frage nach der Ressourcenverteilung in Hinblick auf das Schreiben mindestens ambivalent: für einschlägige Fachzeitschriften und zusätzlich für einen Blog, der die Qualität der Texte einzurahmen scheint zwischen «academic attention economy»8, forciert durch Soziale Medien, und «public intellectuals, at least on the internet»9.
Vor diesem Hintergrund nun eine Debatte über «freies Wissen» und eine «offene und transparente Wissenschaft» gerade auf einem Blog zu führen, könnte man wohl durchaus als mutig bezeichnen. Trotzdem oder gerade deshalb braucht es eine breite Diskussion und Unterstützung für andere Formen des Nachdenkens und Publizierens innerhalb der Wissenschaft. Der Open-Media-Studies-Blog der Initiatorinnen und Kuratorinnen Sarah-Mai Dang und Alena Strohmaier versteht sich als ein Schritt in diese Richtung. Gemäß des Leitgedankens soll – angebunden an die digitale Publikationsinfrastruktur der Zeitschrift für Medienwissenschaft – ein öffentliches Diskussionsforum eingeführt und weiterentwickelt werden, um einen Austausch zwischen verschiedenen Ansätzen und interdisziplinären Positionen über Open Research herzustellen. Die damit verbundenen Fragen über theoretische Modelle, forschungs- und lehrbezogene Praktiken sowie methodische Vorgehensweisen, die in Fachzeitschriften nicht immer in prägnanter Form erörtert werden können und die für das mitunter äußerst langwierige Publikationsprozedere in anderen Kontexten doch zu dynamisch und schnelllebig sind, sollen in kuratierter Form sowohl der Fachcommunity wie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Darüber hinaus soll der Blog fachliche Aspekte zum Thema mit einer auch medienpolitischen Aufmerksamkeit für unterschiedliche Darstellungsformen verbinden: Prägnante Theorietexte stehen neben unabgeschlossenen Reflexionen als work in progress; spielerische Herangehensweisen können genauso wie klassische Interviews oder experimentellere Darstellungsformen wie Videoessays von den Autor_innen erprobt werden. Dass sich gerade die Medienwissenschaft mit solcherart Fragen zu modernen Forschungspraktiken befasst und sich über Open-Access-Formate sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Scientific Community in die noch verhältnismäßig junge Debatte einbringt, liegt eigentlich auf der Hand. Das Reflektieren über Medien und eine digital vernetzte Medienkultur ziehen doch auch ein Nachdenken über ein verändertes Arbeiten innerhalb digital vernetzter Medinumgebungen nach sich. Dass solche Fragen und Aufgaben erst mit einiger Verzögerung das Interesse der deutschsprachigen Medienwissenschaft geweckt haben, ist fraglos bedauerlich. Umso begrüßenswerter aber ist es nun, dass das Projekt «Open Media Studies» mit einer wissenschaftlichen und medienpolitischen Agenda vorangetrieben wird.
Der Vorstand der Gesellschaft für Medienwissenschaft befürwortet diesen Schritt und unterstützt die Initiative für eine Debatte um Offenheit, Zugang und Transparenz in der (Medien-)Wissenschaft.
- 1Wolfgang Koch, Beate Frees, ARD/ZDF-Onlinestudie 2017: Neun von zehn Deutschen online, in: Media Perspektiven 9, 2017, 434–46, http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/files/2017/Artikel/917_Koch_Frees.pdf, gesehen am 5.6.2018.
- 2José van Dijck: The Culture of Connectivity. A Crictical History of Social Media, Oxford 2013.
- 3Vgl. auch die Aufsätze in Petra Missomelius u.a. (Hg.): Medien – Wissen – Bildung: Freie Bildungsmedien und Digitale Archive, Innsbruck 2014.
- 4Christian Bröer u.a.: Open Online Research: Developing Software and Method for Collaborative Interpretation, in: Forum Qualitative Sozialforschung Bd. 17, Nr. 3, 2016, http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/2388/4039, gesehen am 5.6.2018.
- 5Vgl. hierzu die Studie von Suenje Dallmeier-Tiessen u.a.: Highlights from the SOAP Project Survey. What Scientists Think about Open Access Publishing, 2011, online unter: https://arxiv.org/abs/1101.5260, dort datiert 27.1.2011, zuletzt gesehen 5.6.2018.
- 6Inger Mewburn, Pat Thomson: Academic Blogging is Part of a Complex Online Academic Attention Economy, Leading to Unprecedented Readership, 2013, online unter: https://eprints.lse.ac.uk/72413/, gesehen am 5.6.2018. Siehe auch Inger Mewburn, Pat Thomson: Why Do Academics Blog? An Analysis of Audiences, Purposes and Challenges, in: Studies in Higher Education Bd. 38, Nr. 8, 2013, 1105–1119, http://dx.doi.org/10.1080/03075079.2013.835624.
- 7Gill Kirkup: Academic Blogging: Academic Practice and Academic Identity, in: London Review of Education Bd. 8, Nr. 1, 2010, 75–84, hier S. 83, DOI: 10.1080/14748460903557803.
- 8Mewburn, Thomson: Academic Blogging is Part of a Complex Online Academic Attention Economy.
- 9Kirkup: Academic Blogging, S. 83.
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