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Debattenbeitrag

Keine Wahlempfehlung

Ein Debattenbeitrag der Kommission für gute Arbeit in der Wissenschaft

19.2.2025

Wir leben in Zeiten, in denen eine rechtsextreme Partei (mit realistischen Chancen auf jede Menge Sitze im Bundestag) plant, ganze wissenschaftliche Disziplinen zu liquidieren, wie es Alice Weidel von der AfD bereits für die Gender Studies androht. Unwidersprochen bleiben solche Tabubrüche nicht, auch aus der Gesellschaft für Medienwissenschaft heraus positioniert sich die AG Gender/Queer Studies und Medienwissenschaft eindeutig gegen solche Anfeindungen.1 Derartige Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit treiben eine autoritäre ‹Bildungspolitik› auf die Spitze, in der sich bereits eine ehemalige FDP-Bildungsministerin kurz vor ihrem Fall übte. Auch wenn das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) im Vorfeld der Bundestagswahlen im Eifer anderer, dringlicher erscheinender Themen wie ein zu vernachlässigender Schauplatz erscheint, wollen wir mit diesem Beitrag eine kurze Bilanz der in wenigen Tagen endenden Legislaturperiode ziehen. Und wir wollen erläutern, warum Debatten um das WissZeitVG und gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft aus unserer Sicht Teil von (Wahl-)Kämpfen um gesellschaftliche Teilhabe, demokratische Werte und emanzipatorische Bildungspolitik sein sollten.

Ein kurzer Rückblick: Das WissZeitVG wurde 2007 in einem Klima neoliberaler Bildungspolitik eingeführt, die mit der Umsetzung der ‹Bologna-Reform› Anfang der 2000er Jahre in erster Linie eine höhere employability, also eine bessere Verwertbarkeit der Hochschulabsolvierenden auf dem Arbeitsmarkt, anstrebte.2 Das augenscheinliche Ziel, den jahrzehntelang üblichen Kettenverträgen in der Wissenschaft durch eine Befristung (sechs Jahre vor, sechs Jahre nach der Promotion) entgegenzuwirken, wurde schnell von Ambitionen rund um Begriffe wie Innovation, Fluktuation und Qualifikation überlagert.3 Mittlerweile zementiert das Gesetz das traurige Alleinstellungsmerkmal des deutschen Hochschulsystems: Der Anteil befristet beschäftigter Wissenschaftler*innen ohne Professur liegt in Deutschland deutlich höher als in anderen Ländern, genauer gesagt bei ca. 80%.4 Im Durchschnitt sammeln Wissenschaftler*innen an deutschen Universitäten über die zwölf Jahre ihrer maximalen Beschäftigungsdauer acht Arbeitsverträge an.5 

Drei Argumente werden gerne gegen eine grundlegende Reform des WissZeitVG vorgebracht: Erstens habe die chronisch unterfinanzierte Hochschule einfach nicht genug Geld, oder sie gibt zweitens die Verantwortung an den Bund zurück, schließlich ist Arbeitsrecht immer auch Bundesrecht. Sollten diese beiden Argumente die Kritiker*innen nicht überzeugen, wird auf drittens, das «hoch kompetitive Geschäft» der Wissenschaft verwiesen. Im Neoliberalismus ist dies als «Verstopfungsthese» bekannt. Dahingegen würden befristete Verträge durch hohe Fluktuation und Wettbewerb im Mittelbau das Innovationspotential der Universitäten aufrechterhalten. So würde verhindert, dass sich der Mittelbau auf seinem Bürostuhl einkuscheln6 und eine nachkommende Generation nicht mit ausreichend vielen Stellen versorgt würde. 2021 wurden in einem folgenreichen Kampagnen-Video vom Bildungsministerium diese einseitigen Thesen geteilt: Die fiktive Biologin und Promovendin Hanna, die sich von Vertrag zu Vertrag hangelt, müsse eben Platz für die nächste Generation schaffen. Wissenschaftler*innen teilten daraufhin in den sozialen Medien ihre Wut über das Erklärvideo zum WissZeitVG. Unter dem viralen Hashtag #ichbinhanna teilten sie ihre persönlichen Folgen der ständigen Befristungen: Stress, Zeitdruck und Depressionen beeinträchtigen Forschung und Privatleben. Auch außerhalb der sozialen Medien wurde #ichbinhanna durch Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon Teil einer breiteren gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Arbeitsbedingungen.7 Statt Instrumente zu finden, um den hohen Anteil der Befristungen zumindest zu minimieren, beginnen die Hochschulen sogar noch früher auszusieben. Und statt die Arbeitsbedingungen des Mittelbaus zu verbessern, soll an den Hochschulen die Beratung für Karrierewege außerhalb der Hochschulen ausgebaut werden.
 

Diskursverschiebung

Während Bildungsministerium und Regierungsausschüsse die Novellierung des WissZeitVG verschleppen, hat Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) das Vertrauen in sich und ihr Ministerium im Zuge der sogenannten Fördermittelaffäre weiter beschädigt. Im Kontext des «Statement von Lehrenden an Berliner Hochschulen», in der sich Dozierende für das Recht ihrer Studierenden auf Protest (gegen die ausufernde Gewalt der israelischen Regierung und des Militärs an der palästinensischen Zivilbevölkerung nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel) und deren Schutz auf dem Campus vor zu erwartender Polizeigewalt positioniert hatten, wurde eine Prüfung dienst- und strafrechtlicher Möglichkeiten gegen die Unterzeichner*innen veranlasst. Ebenso sollte geprüft werden, ob bereits bewilligte Fördermittel entzogen werden könnten. In einem offenen Brief wurde der Rücktritt Stark-Watzingers von über 3.000 Wissenschaftler*innen gefordert, die einen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit durch das Ministerium bestätigt sahen: «Politisch eine Überprüfung der Empfänger:innen von Forschungsgeldern auch nur anzustoßen, verrät eine Auffassung von Wissenschaft und Wissenschaftsförderung, die mit der Leitung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung nicht vereinbar ist.»

Es ist eine Affäre um Wissenschaftsfreiheit; eine echte Affäre mit Hinterleuten, Leaks und unleserlich gemachten Papieren, mit geheimen Chats, Anhörungen oder Verhören und Kündigungen.8 Das Anliegen der Protestierenden auf dem Campus der FU Berlin und nicht nur dort konnte dabei erfolgreich ausgeklammert werden. Mit Jacques Rancière gesprochen sind diese offenen oder verschlossenen Briefe, Chatverläufe, Gesetze und Beschlussvorlagen weniger politische als polizeiliche Ereignisse. Denn sie spielen sich in der Logik der Verwaltung, der Repression und des institutionellen Handelns ab.9 Das Politische, das darin bestünde, für Gleichheit einzutreten – hier für die Gleichheit derer, die an einer Hochschule gemeinsam arbeiten –, flackerte immer wieder auf und wurde schnell wieder erstickt.

Der geforderte Rücktritt der Ministerin ist dann tatsächlich erfolgt. Allerdings aus anderen Gründen, nämlich dem kalkulierten Sprengen der Regierung durch die FDP-Minister, die mit Zweite-Weltkriegsmetaphorik das vorzeitige Ende der Ampelkoalition herbeiführen wollten.10 Diese Affäre hat die Fördergeldaffäre und die Debatte um die Wahrung der Wissenschaftsfreiheit im Bildungsministerium überdeckt. Die Debatte um Wissenschaftsfreiheit hatte bereits die Proteste der Studierenden überlagert, und das Ringen um gute Arbeit, die die Voraussetzung ist, Kritik überhaupt leisten zu können, geriet in Vergessenheit. 

Neben dem offensichtlichen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit, ist die Unkenntnis der Ministeriums-Leitung über die eigenen Befugnisse und rechtlichen Möglichkeiten bemerkenswert. Diese feindselige Ahnungslosigkeit steht sinnbildlich für die Gleichgültigkeit der Entscheider*innen im Ministerium gegenüber den Arbeitsbedingungen in der deutschen Wissenschaft; und damit insbesondere auch gegenüber guten Arbeitsbedingungen. Letztlich reiht sich dieser Vertrauensverlust in die gescheiterte Reform des WissZeitVG ein, das in seiner jetzigen, beklagenswerten Fassung manchen fast schon bewahrenswert erscheint.
 

Verstopfte Siebe

Wenn im Rahmen der Diskussionen um das WissZeitVG ständig wiederholt wird, dass Entfristungen nur das System verstopfen würden, Befristungen im akademischen Mittelbau dagegen im Sinne einer meritokratischen11 Logik dazu führten, dass sich angeblich die Besten durchsetzen würden, dann stimmt daran eigentlich nur, dass einige sich durchsetzen und andere ausgesiebt werden. Übrig bleiben, dank Regelungen wie dem WissZeitVG, aber nicht unbedingt die Besten, denn ausgesiebt werden vor allem diejenigen, die sich die ständige Ungewissheit über ihre berufliche Situation nicht leisten können. Ausgesiebt werden diejenigen, die nicht nur für ihr eigenes Auskommen, sondern auch für das ihrer Kinder, Eltern, pflegebedürftigen Angehörigen, etc. verantwortlich sind. Ausgesiebt werden auch diejenigen, die selbst aufgrund von Krankheiten, Be_hinderungen oder Pflegeverantwortungen12 nicht innerhalb der strikten Zeitvorgaben13 den erforderlichen Abschluss erreichen. Ausgesiebt werden diejenigen, die keine finanziellen Rücklagen oder familiäre Unterstützung haben. Und ausgesiebt werden weiterhin diejenigen, die Ziel von (mehrfachen) Diskriminierungen an der Hochschule sind.

Wenn der Anteil der Promovierten in Deutschland, die mindestens einen promovierten Elternteil haben, bei 16 % liegt14 (zum Vergleich: in der Gesamtgesellschaft liegt der Anteil der Promovierten bei 1,8 %),15 dann sind Gesetze, die eine derartige Elitenreproduktion befördern, das Letzte, was wir in einem Land mit einem zutiefst sozial selektiven Bildungssystem16 brauchen. Deutsche Universitäten und Hochschulen sind im Vergleich zur Gesamtgesellschaft überdurchschnittlich weiß, deutsch und männlich, und vor allem wenig zugänglich für Menschen aus nicht-akademischen und sozial benachteiligten Familien (siehe #IchBinReyhan). Sie sind sicherlich nicht gut aufgestellt (vielleicht auch nicht gewillt), sich gegen demokratiefeindliche Angriffe auf Forschungsfelder wie kritische Migrationsforschung, Gender Studies oder Postkolonialen Studien zu wehren. Wissen ist situiert, und wer an Bildungsinstitutionen arbeitet, ist an der Produktion von Wissen beteiligt, die Wissenschaftler*innen genauso wie die Studierenden. Situiertheit und Positioniertheit – auch unsere, die wir hier schreiben – sind daher keine Nebensache. Deshalb sollte diese Personengruppe stellvertretend für die Gesellschaft stehen, in der wir leben und nicht eine homogene bildungsbürgerliche Elite darstellen. Auch hier geht es um einen grundsätzlich demokratischen Wert: Bildungsgerechtigkeit.
 

Proteste statt Novellen

Die Ampelregierung war mit großen Reformversprechen in die Koalition gegangen. Herausgekommen ist: nichts. Keine Novelle in Sicht, kein Wandel am Horizont und kaum Kritik an den grundlegenden Problemen wie der Unterfinanzierung der Hochschulen. Die letzte Anhörung zum WissZeitVG im November 202417 sorgte für wenig Optimismus, dass zeitnah eine tatsächliche Verbesserung für diese Generation des Mittelbaus erreicht wird. Dass inzwischen die beste Novelle des WissZeitVG lieber gar keine Novelle ist, versinnbildlicht das Dilemma des Status quo.

Auch wenn es angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland18 mitunter absurd erscheint, für ein Gesetz zu kämpfen, das die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft verbessern könnte, halten wir daran fest: Gerade um im aktuellen politischen Klima den Anfeindungen und Angriffen faschistischer Ideolog*innen an Hochschulen und Universitäten entgegentreten zu können, brauchen wir dringender denn je einen stabilen akademischen Mittelbau, der sich nicht zuletzt dafür einsetzt, dass wir weiterhin Arbeit haben, auch in Forschungsfeldern, die derzeit in ihrer Existenz bedroht sind.

Was wir wiederum nicht brauchen, weil es uns nicht hilft, uns gemeinsam gegen antidemokratische Kräfte zu wehren, sind Stellen, die auf wenige Jahre oder Monate befristet sind. Was wir nicht brauchen, sind Stellen, die unter dem Druck dieser Befristungen keine Zeit lassen, um sich über Projekt- und Qualifikationsarbeit hinaus in die Hochschulen und Universitäten einzubringen. Was wir nicht brauchen, sind Machtverhältnisse, die aus Sorge um die Weiterbeschäftigung Kritik im Keim ersticken.19 Was wir nicht brauchen, sind Institute, die hochschulpolitisch quasi nicht handlungsfähig sind, weil sich der Mittelbau aufgrund kurzer Vertragslaufzeiten die finanziellen und sozialen Kosten eines Wohnortwechsels nicht leisten kann. Was wir nicht brauchen, ist ein Arbeitsumfeld, in dem eine Ellenbogengesellschaft begünstigt wird, die Angst produziert, im Wettbewerb um Stellen das Nachsehen zu haben. Was wir nicht brauchen, sind Unsicherheiten, die eine Familien- und Lebensplanung jedes Jahr aufs Neue unmöglich machen.20

Ein kursorischer Blick in die Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2025 bestärkt die Vermutung, dass auch mit der nächsten Regierung die Diskussion um das WissZeitVG von vorne beginnen wird. Wissenschaft und Bildung, in den Programmen gerne im Tandem genannt und wenig differenziert, sei wichtig, müsse gestärkt und besser finanziert werden. Neben den Plattitüden und Allgemeinplätzen werden weder die Hochschulen als Arbeitgeberin in die Pflicht genommen, noch das WissZeitVG als Sonderbefristungsrecht angeprangert. Das WissZeitVG kommt in den Programmen – außer bei der Partei Die Linke21 – nicht einmal ausdrücklich vor. Grüne, SPD und BSW erwähnen immerhin, dass es mehr Dauerstellen geben müsse. Mit dem Hinweis auf die prekäre Situation von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen auf Qualifikationsstellen lassen sich scheinbar keine Wahlen gewinnen. Das WissZeitVG reiht sich ein in eine lange Liste verpasster Chancen.

Was bedeutet das für uns? Trotz und gerade wegen der schlechten Arbeitsbedingungen im Mittelbau gibt es gewerkschaftlich unterstützte Proteste und Streiks an den Hochschulen, eine im Juni 2024 übergebene Petition «Stoppt die Dauerbefristung in der Wissenschaft» mit 64.000 Unterschriften und immer wieder aufflammende Debatten in den Instituten und auf den Bürofluren. Wir, die wir auf Qualifikationsstellen sitzen, werden in Zukunft noch mehr protestieren müssen. Sollten wir zum Beispiel aufhören, Abschlussarbeiten zu betreuen, Prüfungen abzunehmen, Verwaltungsaufgaben und Zuarbeiten zu übernehmen? Die Kolleg*innen an der Uni Göttingen haben es vorgemacht.22 Fühlen wir uns in unserem Arbeitsumfeld dafür sicher genug? Oder müssen wir befürchten, dass es Konsequenzen hat, wenn wir uns für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen? Können wir auch eine Protestform finden, die den Druck nicht ausschließlich nach unten weitergibt und unter der unsere Studierenden leiden? Und werden viele mitmachen? Denn nur dann haben solche Protestformen Aussicht auf Erfolg.  

Unsere Wahlempfehlung für 2025 ist daher klar: Geht wählen und wählt demokratisch, aber vor allem: Engagiert euch! Geht an euren Hochschulen und Forschungseinrichtungen in die Gremien, Instituts- und Fakultätsräte, Senate! Die Institute, Dekanate und Fakultäten müssen sich selbst mit den Arbeitsbedingungen auseinandersetzen und diese verbessern. Dafür müssen wir institutionelles Wissen teilen: Macht mit bei Netzwerken, die seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen: Zum Beispiel NGAWiss oder das Netzwerk für nachhaltige Wissenschaft oder bei uns, der Kommission für gute Arbeit. Vernetzt euch! Tauscht euch mit Kolleg*innen über eure Arbeitsbedingungen aus! Rechnet den Studierenden euren effektiven Stundenlohn für Lehraufträge vor! Formuliert Forderungen an eure Hochschulen und Forschungseinrichtungen! Bleibt unbequem! Verstopft die Siebe!

Bevorzugte Zitationsweise

Kommission für gute Arbeit in der Wissenschaft: Keine Wahlempfehlung. Ein Debattenbeitrag der Kommission für gute Arbeit in der Wissenschaft. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Debattenbeitrag, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/keine-wahlempfehlung.

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In Debatte:

Für gute Arbeit in der Wissenschaft!