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Verpixelte Bildflächen auf grauer Betonwand mit Treppe

Jonas Töpfer (Kassel, 2025)

GAAAP_ The Blog

Radikale Einfallslosigkeit

(Grundlage und Effekt gegenwärtiger Konsensproduktion)

2.2.2025

Unser Beitrag schlägt vor, das Imaginationsvermögen als gesellschaftliche Ressource zu verstehen, die sich intensivieren oder brachlegen oder zumindest hemmen lässt. Letzteres geschieht gegenwärtig auch durch die Einsätze rechter bis extremrechter Kräfte, deren Strategie des Erreichens kultureller Hegemonie als Vorstufe politischer Hegemonie als erfolgreich angesehen werden kann. Ein Teil dieser rechten Arbeit war und ist die Verknappung des Vorstellbaren, und ihr Erfolg berührt auch die akademische Reflektion über und Intervention in die autoritären Shifts der Gegenwart.
 
Daher ist die Personalisierung dieser Hegemonie ein Problem. Auch dieser Text wollte sich zunächst mit der Person ‹Elon Musk› und seiner Einschreibung in die deutsche Wahldebatte beschäftigen: Warum er einen Gastbeitrag mit AfD-Empfehlung in der Tageszeitung Die WELT veröffentlichen konnte; warum der Gegenkommentar des neuen Chefredakteurs Jan Philipp Burgard, Musks unternehmerische Virtuosität feiernd, primär auf wirtschaftliche Nachteile einer AfD-Regierung einging und den Themenkanal chauvinistischer Wirtschaftspolitik nicht verließ; und warum auch die diversen Skandalisierungen des Artikels sich nicht zum ethnonationalistischen Grundton des Beitrags äußerten.1 Zwei Hitlergrüße, eine Flut semifaschistischer Trump-Dekrete und eine im Kern rassistische Bundestagsdebatte später redet man noch immer über Personen: Ob man den Hitlergruß nicht als Asperger-Symptom sehen müsse; ob Trump von den Checks and Balances nicht doch gezügelt würde; ob Merz sich eben verzockt, in der Sache aber doch eine wichtige Intervention gemacht habe; ob man nicht im Ganzen mehr Trump oder Milei oder Name XY wagen müsse, weil harte Einschnitte eben angezeigt seien.
 
Weder mediale Gefüge noch Tech-Oligarchien noch faschistische Programme oder Regierungen lassen sich auf Einzelfiguren reduzieren. Bleiben wir in den USA. Personalien hängen wahrscheinlich nur peripher mit der Konstellation zusammen, die am 20. Januar 2025 dort den Regierungsapparat überreicht bekam: mindestens zwei Abgesandte der Alternative für Deutschland waren nachgewiesenermaßen im Publikum, als Trump den Amtseid ablegte, die CEOs der größten Tech-Konzerne standen hinter seiner Familie. Man kann Strukturen und Machtverhältnisse beschreiben, um nicht über Figuren und deren Spiele sprechen zu müssen. Man kann von einem mehrheitsfähigen deutschen Presseorgan sprechen, das über Bande eines amerikanischen Investors und Schattenministers die Alternative für Deutschland unterstützt und damit die Annäherungsposse im Bundestag2 ins Rollen brachte. Die WELT druckte Elon Musk ab – sein AfD-Endorsement kam Wochen vorher auf X –, und artikulierte damit einen Konsens, der bisher so nicht ausgesprochen war: Nur die AfD kann Deutschland retten.3Die damals dem Musk-Beitrag zur Seite gestellte Erwiderung des neuen Chefredakteurs der ‹Welt›-Gruppe stellte sicher, dass die Frage «AfD Ja oder Nein» den Themenkanal der klimafeindlichen Wirtschaftspolitik nicht verließ. Beide Beiträgen zusammen stellten allein die Frage, ob Faschist*innen der deutschen Wirtschaftsgröße schaden. Damit machten sie aktiv Ethnonationalismus, Antisemitismus, Rassismus und deren Zusammenhang mit kapitalistischer Weltvernichtung vergessen und eröffneten so die Bühne für die folgende Debatte.


Der von der WELT formulierte Konsens ist nun der durchgängige Wahlkampfsound, von fast allen Parteien in verschiedenen Tonlagen geäußert. Heißt: Die ‹Nation› ist diskursiv dorthin gebracht worden, wo sie gerettet werden muss. Die Bundestagsdebatte am 31. Januar 2025 verdeutlichte die umfassende Hegemonialität dieses Diskurses. Debattiert wurde nur mehr dazu, mit welchen Mehrheiten Deutschland vor dem «Zustrom»4 errettet wird. Die entstehende Koalition wird im Netz, unter anderem von Musk, bereits mit dem Namen «Make Europe Great Again» versehen;5 die Wahlergebnisse im Februar werden ihr, wie überall in Europa, weitere Namen und Gesichter geben, noch mehr Personalien also.


Aus unserer Sicht sind diese Personalien nachgeordnet. Ihnen vorgängig ist der gesellschaftliche Konsens, den die transatlantische rechtspopulistische Intervention erfolgreich hergestellt und kontinuierlich lauter gestellt hat. Natürlich hat die WELT dies eingefädelt: Döpfner bestellte den Musk-Text über seinen Sohn, der bei Thiel arbeitet, der mit Musk befreundet ist und so weiter. Diese Netzwerke, die hinter den von allen benutzten Alltagsmedien (Zeitungen, Fernsehsender, Soziale Medien) stehen – sie bilden einen Konsens ab, genauso wie sie ihn herstellen, auch durchaus manipulativ. Der Konsens lautet: Die Nation steht vor dem Untergang, und sie benötigt eine rassische und geschlechtliche Eindeutigkeit, um diesem entrissen zu werden. In den USA wird der Rettungsanspruch derzeit in tödliche Dekrete gegossen, in Deutschland diskutiert man über die Machbarkeit größerer Internierungslager für Geflüchtete.


2019 erklärt der österreichische Identitäre Patrick Lenart mit Gramsci auf Youtube, dass für das Erreichen der gesellschaftlichen Vormachtstellung die Herstellung eines kulturellen Konsens zentral ist: «…eine Partei muss in der Zivilgesellschaft tonangebend sein... dass eine patriotische Politik zuerst auch in den Medien gut dargestellt werden muss, dass diese in der Bevölkerung anerkannt wird, damit die Leute eben wissen, ok, patriotische Politik, das ist gut, wenn man gegen Massenzuwanderung ist, wenn man unsere kulturelle Identität schützen möchte».6 Lenart erklärt weiter, die FPÖ hätte bisher eben nicht verstanden, dass im Parlament vertreten zu sein und Gesetze zu machen nicht ausreiche. Was ihr bisher gefehlt habe, sei kulturelle Hegemonie, die vor der politischen kommt. «Politics is downstream from culture», so vulgarisierte Andrew Breitbart vor zwanzig Jahren diese als «Metapolitik» bezeichnete Einsicht Gramscis, die eine internationale Rechte nun als Mehrheitskultur durchgesetzt hat. We are now downstream. 
 
Es sind eben nicht die diversen Faschos und ihre Zujubler*innen, sondern die vorlaufenden und andauernden Einfühlungen, mit denen ein Medienapparat an Zeitungen, Fernsehen, öffentlich-rechtlichen Medien und Social Media Plattformen die transatlantisch-rechte Umarmung organisiert. Die WELT-Einladung Musks zum Kommentar ist die Kirsche auf dem Kuchen aus rechten Themensetzungen, die seit mindestens einem Jahrzehnt mitgemacht, begrüßt und verspeist wurden. Ob man nun mit Relativierung, Empörung oder schlichter Begeisterung (z.B. wegen erhoffter wirtschaftlicher Effekte) auf Trumpismen oder die gewaltförmigen Merz-Rhetoriken zu asylsuchenden Personen reagiert – alle Reaktionen auf das realpolitische Feuerwerk ethnonationalistischer Akteure spielen auf dem kulturellen Boden, den rechte Metapolitik vorbereitet hat. Faschisierung tritt eben nicht nur als politische oder ökonomische Vorherrschaft von Oligarchen oder Populist*innen auf, sondern auch als kultureller Konsens. 
 
Überraschend und kritikwürdig ist damit nicht die hiesige Begeisterung für oder Entgeisterung über einzelne Figuren und Szenen, sondern die Akzeptanz dieser Kultur, und weiter die Forderung, diese Kultur zur Grundlage von Realpolitik werden zu lassen. Sicher war Musk in der WELT ein Scoop, so wie jede Geste dieser Figurationen, jedes Gespräch, das sie miteinander führen, ein Scoop ist, eine Sensation, ein Reizpunkt. Die Faschisierung vollzieht sich jedoch nicht nur durch die Wirkmächtigkeit der Netzwerke zwischen besonderen Figuren, sondern in der kulturellen Akzeptanz, dass strukturelle Verständnisse von Gesellschaft, Medien oder Politik memetischen Stürmen Platz zu machen haben; dass solche Verständnisse zurücktreten müssen, Beiwerk sind, Nebensächlichkeiten, für die sich die Twitter-Accounts dieser Autokrat*innen nicht interessieren müssen. Wogegen wir uns daher richten ist, dass deren ewig gleiche Ausbeutungs- und Verödungsideen, zumeist als Effizienz und Optimierung lackiert, den Erfindungsgeist oder die neue Ernsthaftigkeit unserer Zeit ausdrücken sollen. Von Gramsci lässt sich auch lernen, dass Herrschen das Organisieren von Denkweisen bedeutet und dass dazu gehört zu verhindern, dass Leute sich etwas anderes ausdenken und vorstellen können. Wenn wir also darauf bestehen, über Strukturen zu reden dann auch deshalb, um uns andere Strukturen ausdenken zu können.
 
Als Forschende in und zu Medien und Ästhetiken ist es für uns dilemmatisch und letztlich auch langweilig, dauernd über diese Personagen reden zu müssen. Es zeugt von Einfallslosigkeit und ist ermüdend, wenn die Komplexität der Gegenwart – Medien, Faschismus, Kapital, Klima, Krieg – auf die Interpretation von Milliardärsgesten oder die Poker-Manöver von Politikern eingeschrumpft wird. Gewollt radikale Einfallslosigkeit herrscht zudem dort, wo der einzige Diskursreflex – gegen Trump, Musk, Merz, AfD, Milei, und so weiter – im Zulassen wirtschaftspolitischer Binsen besteht.7 Denn auch auf diesem thematischen Terrain würden wir gerne wieder, auch mit den Medien, über Strukturelles reden. 


Wir fordern, auch von Medien, größeren Erfindungsreichtum, um Lebens- und Arbeitsweisen zu beschreiben und zu entwerfen, die von anderen Produktionsverhältnissen getragen sind als der umfassenden Ausbeutung aller. Wir wollen mehr Einfälle in journalistischen Analysen und politischen Rhetoriken: um zum Beispiel gleiche (Menschen)Rechte für Alle zu verknüpfen mit einem Denken des Zusammenhangs zwischen Klimagerechtigkeit als planetarischer Notwendigkeit und sozialökologischer Wirtschaftspolitik. Wir wollen informiert werden dazu, was die Verbindung ist zwischen Entmilitarisierung, Deutsche Wohnen enteignen und den antikolonialen Kritiken am westlichen Universalismus. Wir wollen mehr analytisches Futter, haben einen Hunger nach Kontexten und Interpretationen angesichts der steten Zunahme feindlicher und verächtlicher Aussagen von Politiker*innen über Menschen, die Ableismus erfahren. Wir haben eine Sehnsucht danach, die kurz- und langfristigen (auch wirtschaftlichen) Effekte der staatsräsonistischen Verdrehereien der letzten Monate kontextualisiert zu bekommen, die dazu beitragen, dass Kontexte der Kritik an Genozid, Völkerrechtsbruch und zerstörerischer Landnahme kriminalisiert werden; dass multiperspektivische öffentliche Trauer und Erinnerung durch die brachiale, autokratische und behördengestützte Vereinnahmung des Kampfes gegen Antisemitismus verunmöglicht werden; und dass all dies dazu beiträgt, den Kampf gegen Antisemitismus zu spalten. Uns interessieren keine Musks und ihre KI-geschriebenen Meinungsbeiträge. Uns interessieren die medialen, ökonomischen und sozialen Kontexte und ihre vielfachen Interpretationen als Vorstufe zur Veränderung. Wir schreiben an gegen Prozesse der Entleerung/Verflachung der Wahrnehmung, durch die Fantasie als gesellschaftliches Vermögen willentlich, nachhaltig eingedämmt wird. Wir schreiben an gegen die radikale Einfallslosigkeit, entlang der Sehnsucht, etwas anderes zu imaginieren. 

  • 1

    Z.B. NZZ zu Meinungsfreiheit: https://www.nzz.ch/meinung/deutschlands-politiker-und-journalisten-hyperventilieren-wegen-eines-gastbeitrags-von-elon-musk-doch-meinungsfreiheit-gilt-nicht-nur-fuer-die-bequemen-meinungen-ld.1864344; FAZ zu als im Hintergrund verabredeter Scoop: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/elon-musk-wirbt-in-welt-am-sonntag-fuer-afd-was-die-reaktionen-zeigen-110202835.html; ZEIT ONLINE zu Beitrag als KI-produzierter Text: https://www.zeit.de/digital/internet/2025-01/elon-musk-welt-am-sonntag-kuenstliche-intelligenz-text-journalismus.

  • 2

    «Mehrheit stimmt nach Regierungserklärung für Migrationsantrag der Union», https://www.youtube.com/watch?v=oVikS5HjoAU.

  • 3

    «Nur die Alternative für Deutschland könne das Land grundlegend reformieren, meint Elon Musk», so der Untertitel der WELT-Redaktion für den Beitrags Musks; Musk selbst darin: «Die Alternative für Deutschland (AfD) ist der letzte Funke Hofnung für dieses Land.» WELT AM SONNTAG, Nr. 52, 29.12.2024, 9.

  • 4

    «Unionsgesetz zur Zustrombegrenzung mit knapper Mehrheit abgelehnt», https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2025/kw05-de-zustrombegrenzungsgesetz-1042038.

  • 5

    «Musk pushes hard-right 'Make Europe Great Again' slogan amid EU inquiry», https://www.euronews.com/2025/01/18/musk-pushes-hard-right-make-europe-great-again-slogan-amid-eu-inquiry

  • 6

    https://www.youtube.com/watch?v=nU3hIOm94Ms, 14:06'.

  • 7

    Wir sagen radikale Einfallslosigkeit, Alex Demirović sagt, «Wirtschaftspolitische Vokabel, die seit den 1970er Jahren gängig sind» – Wirtschaftsstandort stärken, Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, weniger Bürokratie, attraktive Steuern für Unternehmen – werden gegen ökologische Nachhaltigkeit ausgespielt, während so getan wird, als seien diese Vokabel «irgendwie modern». A. Demirović, Irre normal. nd, 23.12.2024. https://nd.digital/editions/nd.DerTag/2024-12-23/articles/16141999

Bevorzugte Zitationsweise

Schaffer, Johanna; Strick, Simon: Radikale Einfallslosigkeit . (Grundlage und Effekt gegenwärtiger Konsensproduktion). In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/radikale-einfallslosigkeit.

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