«the personal is not only political, but sexual»
Sex als queere soziale Praxis (des Gedenkens)
Take care:
Einen Tag nach dem Transizid in einem Nachtclub in Colorado Springs, USA, das posthum veröffentlichte neue Buch von Lauren Berlant auf meinem Schreibtisch liegen zu sehen, spendet ein bisschen Trost, vor allem insofern, als ich mir für den heutigen Eintrag in der Kategorie „take care“ mit Blick auf den vor Kurzem wiederentdeckten Film Community Action Center von A.K. Burns und A.L. Steiner (2010) vorgenommen hatte, an Sex als queere soziale Praxis zu erinnern. Als würde mir die Katze auf dem Cover von On the Inconvenience of Other People zuzwinkern und sagen wollen, dass es möglich sei, nach einem brutalen Anschlag auf Transgender Personen und Queers darauf zu insistieren, dass Sex, Begehren und Intimität eine Kraft darstellen, die «toward the co-destruction of bourgeois economies, nationalism, colonialism, the patriarchial family form, and practices of straight heterosex» 1 wirken.
Tatsächlich ist Berlant die*der beste Kompliz*in, um von den Katastrophen, die solche Anschläge bilden, wegzulenken auf das Gewöhnliche und die alltäglichen Interaktionen, zu denen Sex und Intimität gehören. Dies geschieht bei Berlant nie in der Absicht, Sex als Praxis der Heilung unter der Abwesenheit von negativen Gefühlen zu behaupten2: Sex kann ulkig sein, immer auch ein bisschen schamhaft, manchmal überfordernd. Jedoch stellen diese negativen Gefühle nie den Schock dar, der uns politisch mobilisiert. Die Radikalität der Transformation durch Sex geht nicht zwingend nur von der Radikalität der politischen Gesten aus. Stattdessen ist Sex eine Möglichkeit, «to experiment, to try out a range of pleasures and potential norms without being defeated by their unpredicted, weird, and out-of-control effects and variations».3
Der Film Community Action Center ist fast schon eine Handlungsanweisung, wie wir mit Begehren und Normen spielen können, ohne von den seltsamen Effekten dieses Spiels überwältigt zu sein. Und vielleicht ist es genau diese Szene, in der ein*e Protagonist*in einer*m anderen einen Federkranz an den Arsch näht, in der das Experimentelle des Sex eine soziale Praxis der Sorge ist, die die Normen nicht reproduziert, und trotzdem die unkontrollierbaren Auswirkungen sorgsam im Blick behält.
Der Film ist noch bis 4. Dezember im Rahmen der Ausstellung at dawn in der Julia Stoschek Foundation in Berlin zu sehen. Wer es nicht nach Berlin schafft, der*dem sei an einem Tag wie heute die Lektüre von Lauren Berlant ans Herz gelegt.
Bevorzugte Zitationsweise
Die Open-Access-Veröffentlichung erfolgt unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 DE.