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Foto von Susan Yin auf Unsplash.

Open-Media-Studies-Blog

«Die meisten Argumente gegen Open Access sind eher marginal oder schlicht falsch.»

Interview mit Rolf F. Nohr von Dietmar Kammerer

24.4.2019

Dietmar Kammerer: Du gibst seit 2004 die Reihe Medien’Welten heraus. Was gab den Anstoß zur Gründung?

Rolf F. Nohr: Es gab mehrere Ideen, die dazu geführt haben. Zum einen hatte ich eine Reihe im Kopf, die einerseits so kostengünstig wie möglich sein sollte, und die zum anderen mir die volle Gestaltungshoheit geben sollte. Mit Herrn Weber vom Lit-Verlag habe ich dann einen Deal gemacht, der genau das möglich gemacht hat. Ich konnte die Mittel, die mir als Reihenherausgeber zustanden, anteilig in die jeweiligen Bände investieren, dazu noch Ausstattungs-Mittel aus meiner Juniorprofessur. Und damit die ersten 10 Bände anschieben. Und die waren nun vorrangig Promotionsschriften oder Sammelbände aus dem Nachwuchs, also klassischerweise Projekte, die froh waren, ihre Bücher für kleines Geld machen zu können. Wobei mich einige der damals verabredeten Bände dann doch eher später erreicht haben (hallo Band 3!).

Der zweite wichtige Aspekt war, dass ich an der HBK Braunschweig mit einer Gruppe junger Designer_innen und Buchgestalter_innen ein Grunddesign für die Reihe entwickelt habe, das leicht umsetzbar sein sollte, halbwegs schick und wiedererkennbar und im Zweifelsfall auch von nicht-Designer_innen umgesetzt werden konnte. Damit war es dann möglich, dem Verlag druckfertige PDFs anzuliefern und nicht auf die Gestaltung von Lit angewiesen zu sein.

DK: Warum der Apostroph im Reihentitel?

RN: Das Apostroph war so eine Idee… vielleicht nicht eine meiner besten. Ich hatte mir damals gedacht, dass die Reihe für eine Auslassung stehen sollte – also eine Leerstelle in der medienwissenschaftlichen Literatur sowohl produktionstechnisch als auch inhaltlich. Ersteres finde ich ja immer noch gut; bei letzterem Aspekt habe ich damals einen etwas kurzen Text geschrieben, der sich recht originell an der Idee von Apostrophierung, Auslassung und Differenzen von Medien und Welten abgearbeitet hat. Der war eher peinlich – und steht so zum Glück nur im ersten Band (da es damals ein eigener Sammelband war, muss ich mich zum Glück auch nur selber dafür schämen). Heute würde ich mich nur noch auf eine Zeile bei Frank Zappa beziehen, um das Auslassungszeichen zu rechtfertigen: «‹Once upon a time somebody say to me› (This is a dog talkin’ now) ‹What is your conceptual continuity? Well, I told him right then (Fido said) It should be easy to see - The crux of the biscuit is the APOSTROPHE [...]›.»

DK: Auf deiner Webseite findet man Informationen zu den Medien'Welten ebenso wie zu weiteren Projekten von dir. Welche Erfahrungen hast du mit dieser Art von Öffentlichkeitsarbeit gemacht, von der Bewerbung deiner Forschung? Welche Rückmeldungen kriegst du?

RN: Naja – das ist recht durchwachsen. Einerseits sehe ich schon, dass sich eine Reihe von Menschen mit unterschiedlichsten Anfragen oder Hinweisen bei mir melden, unter Verweis auf die Homepage. Eine Weile habe ich auch mit professionellen Auswertungs-Tools beobachtet, welche Bereiche sich welcher Aufmerksamkeit erfreuen. Man spürt dabei aber schnell einen gewissen Selbstoptimierungsdrang. Und bevor ich anfange mein Arbeiten auf die Nachfrage meiner Webseite abzustimmen, habe ich es lieber wieder sein lassen. Wo man es aber ganz genau sieht, ist der Downloadbereich, in dem die Open-Access-Bücher und -Schriften sind. Da ist die Rückmeldung durchweg positiv – die Menschen finden es gut, dass sie meine eigenen Arbeiten und Teile der Schriftenreihe einfach so saugen können.

DK: Seit einiger Zeit sind die frühen Bände der Medien’Welten unter eine CC-Lizenz gestellt. Was hat dich zu dieser Entscheidung bewogen? Wie hat der Verlag darauf regiert, wie die Autor_innen? War viel Überzeugungsarbeit notwendig?

RN: Ich habe kurz nach Start der Reihe mit dem damaligen Lektor Herrn Weber (der vor einiger Zeit überraschend verstorben ist) überlegt, wie wir mit der Idee des Open Access umgehen wollen. Es war anhand der Verkaufszahlen der Bücher zu sehen, dass der Verlag in den ersten ein oder zwei Jahren nach Erscheinen eigentlich ca. 95% seines Abverkaufs macht. Manchmal kann eine zweite Auflage das nochmal ankurbeln, oder eine gute Rezension, aber es gibt einen Punkt nach Erscheinen des Buches, nach dem eigentlich keine signifikanten Verkaufszahlen mehr auszumachen sind. Das Geschäftsmodell von Verlagen ist darauf ausgerichtet: Mit Drucklegung eines Buches in den Wissenschaften ist (nicht zuletzt über den gewaltigen Druckkostenzschuss, den man aufbringen muss) das Buch eigentlich buchhalterisch durchfinanziert.
Es spricht also nichts dagegen, dass man einen Zeitpunkt vereinbart, an dem das Buch nichts mehr kostet. Dazu muss aber sichergestellt sein, dass es weder für den/die Autor_in Kosten erzeugt, es zu distribuieren, noch für den Verlag. Und das ist dann eben über einen online-gestützten Open Access gegeben. Die CC-Lizenzierung entspringt dabei meiner eigenen netzpolitischen Positionierung.

Kurz gesagt: Beim Verlag musste ich ein wenig argumentieren, aber zumindest Herrn Weber war klar, dass ich am Ende mit der Idee recht habe. Bis auf eine einzige Ausnahme habe ich von den in der Reihe vertretenen Herausgeber_innen und Autor_innen nie etwas anderes als Zustimmung bekommen, manchmal im Sinne interessenlosen Wohlgefallens, oft begeistert. Und eben nur einmal eine ablehnende Haltung. Da war einerseits ein wenig die Angst, bei einem Sammelband nochmal den Kontakt mit den Beitragenden suchen zu müssen – und vielleicht auch ein wenig Berührungsangst mit dem offenen Format.

DK: Auch ich nehme gelegentlich Berührungsängste bei Kolleg_innen wahr, obgleich Open Access in unserem Fach in den letzten Jahren einige Fortschritte gemacht hat. Man kann ja tatsächlich gute Gründe angeben, vorsichtig zu sein – Stichwort Predatory Publishing oder restriktive Auflagen von Archiven, obwohl diese meiner Meinung nach damit gegen ihre Daseinsberechtigung handeln. Aber das größte Hindernis scheint mir Halbwissen zu sein und Gewohnheit: «Das haben wir immer schon so gemacht». «Die Rechteklärung ist mir zu kompliziert». – Trifft das auch deine Wahrnehmung der Entwicklung im Fach?

RN: Da würde ich dir voll zustimmen. Die meisten Argumente gegen Open Access sind eher marginal oder schlicht falsch. Open Access bedeutet ja nicht, seine Bücher nur noch als PDF auf die eigene Homepage zu stellen. Nach wie vor brauchen wir kontrollierte Distributionswege, ökonomisch sinnvolle Rahmenstrukturen, Urheberrechtsvereinbarungen und Qualitätskontrolle. Das ist aber genau das gleiche Problemfeld wie mit Print-Verlagen – denn da liegen diese Parameter genauso im Argen. Der Riesenunterschied ist meines Erachtens das Pay-to-Publish-System, in dem die Wissenschaft drinhängt. Öffentlich finanzierte Forschung in der Ergebnisdarstellung mit einer doppelten ökonomischen Schwelle zu versehen – dass Autor_innen sehr viel Geld aufbringen müssen, um überhaupt drucken zu dürfen und dass Leser_innen nochmal bezahlen sollen, um das zu lesen – erweist sich immer mehr als Systemfehler, bei dem es nur eine Gewinnerseite und mehrere Verliererseiten gibt. Die Wissenschaft spielt dabei nicht gerade im Siegerteam.

Das war uns offensichtlich solange egal, solange es öffentliche Förderung für alle gab, der Staat also gleich zweimal für die Forschung bezahlt hat. In Zeiten knapperer Kassen und austrocknender Füllhörner werden aber doch eine Reihe von Menschen wach und fragen sich, ob wir beim Veröffentlichen nicht mehr Unabhängigkeit und systemische Autonomie entwickeln sollten. Open Access und Repositorien, der Aufbau nicht-kommerzieller Scientific Hubs sind ein Weg, der Boykott bestimmter Monopolisten, vor allem im Segment der Fachzeitschriftenverlage, ist ein anderer.

Am Ende ist die Wissenschaft aber an mancher Stelle doch recht behäbig, was das Ändern ihrer Traditionen und Gebräuche angeht. Dieses «das war schon immer so» ist wirklich ärgerlich. Das Drucken von Dissertationen beispielsweise ist sowas: Dissertationen sind per Definition heiße Forschung – sind aber auch wegen des Verfahrens zu einem hohen Prozentsatz mit Inhalten befüllt, die im schlimmsten Fall nur drin sind, weil es der/die Betreuer_in gerne lesen wollte. Was also spricht dagegen, eine Dissertation elektronisch etwa über einen Hochschul-Server [DK: oder ein Fachrepositorium!] zu veröffentlichen und damit der wissenschaftlichen Veröffentlichungspflicht nachzukommen – und danach das Manuskript nochmal gründlich durchzukämmen und ein schlankes und pointiertes Buch daraus zu machen, dass man dann wirklich auch in den großen Verteiler schiebt? Wer am Dissertationsprojekt interessiert ist, findet auch die Dissertation im Netz, seine Leserschaft findet man aber vielleicht eher mit den knackigen 200 Seiten Buch zum Thema? In den Medien’Welten sind einige Projekte genauso zustande gekommen.

DK: Vor kurzem habe ich einen älteren Autorenvertrag von Fink in die Hand genommen und wurde angenehm überrascht: Der erlaubte mir, ein Jahr nach Publikation «frei über den Beitrag zu verfügen». Eine faire Geste – ärgerlich nur, dass dieser wichtige Passus von mir bislang übersehen wurde. Ich bin daraufhin weitere Verträge durchgegangen, mit zugleich deprimierendem und erheiterndem Ergebnis. Die meisten Verlage erstellen seitenlange Listen, welche Nutzungsarten sie sich exklusiv vorbehalten. Mitunter liest sich das wie ein Ausflug in die Mediengeschichte: Ich habe schon das Recht auf Verbreitung meines Textes auf Disketten und Videobändern abgetreten. Ganz zu schweigen vom Recht, Texte als Grundlage für Merchandising (!) zu nutzen... Vielleicht sollte man grundsätzlich auf Öffnungsklauseln wie im obigen Beispiel bestehen. Oder vielleicht sollten wir alle Verträge veröffentlichen, um das Ganze transparenter zu machen. Was meinst du?

RN: Da bin ich ganz bei dir. Die Öffnungsklausel halte ich für ein verlagspolitisch wichtiges Moment: Eigentlich ist es absurd, die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit an einen marktwirtschaftlichen Akteur abzugeben, dessen binnenlogisches Interesse selbstverständlich in der möglichst umfangreichen exklusiven Kommodifikation dieser Arbeit bestehen muss. Das ist wohl das, was man einen klassischen Interessenkonflikt nennt. Ich fände es jedenfalls gut, wenn die DFG (die ja in den meisten Fällen der Geldgeber für Forschung ist) auf Open-Access-Lösungen drängen oder gar dazu verpflichten würde. Dass man aber dann aber von Anfang an 2000 Euro zusätzlich im Druckkostenanteil mitbeantragt, um den Verlagen die Option auf Open Access abzukaufen, ist natürlich wiederum eine noch merkwürdigere Quersubvention der Verlage durch die DFG beziehungsweise den Staat.

Was die Dokumentation der verschiedenen Vertragsausgestaltungen und Nutzungsrechte angeht, so halte ich das auch für eine gute Idee: Man könnte dann sehen, welcher Verlag gerade wie rigide Verträge macht und danach womöglich auch ein wenig die Wahl des Verlages ausrichten. Wettbewerbsverschärfung wäre das dann; wir würden uns ein wenig dahin bewegen, Bücher nicht nur nach (gefühltem) Verlagsrenommée zu platzieren, sondern auch eher in Richtung eines Ausschreibungsprinzips. Zum anderen scheint mir das aber auch wissenschaftlich ganz interessant, eine Art Genealogie von Verwertungsformen und -phantasien wissenschaftlicher Arbeit erstellen zu können.

Was im Übrigen die Merchandising-Geschichte angeht: So erheiternd ich die Idee finde, mir ein Dietmar-Kammerer-T-Shirt anzuziehen («I read Bilder der Überwachung and all I got was this lousy shirt»), so ist das doch auch bittere Realität. Ich selbst habe ein Buch für einen kleinen Verlag als Auftragsarbeit geschrieben. Nachdem es dann doch als nicht kompatibel zum Verlagsprogramm qualifiziert wurde, hat man es eben genau als Merchandising vertrieben, um nicht vertragsbrüchig zu werden. Es hat eine ISBN-Nummer bekommen, die für Non-Books reserviert ist, und wird daher in keinem Bibliothekssystem gelistet.

DK: Letzte Frage: Da wir das Mail-Interview rund um Weihnachten geführt haben, hast du einen Wunsch frei: Was wünschst du dir von einem Repositorium wie media/rep/?

RN: Das ist einfach: Weitermachen wie bisher und möglichst alle Bücher, Aufsätze, Zeitschriften und Grauen Papiere, die ich gut und wichtig finde (und alle anderen auch) inkorporieren.

Bevorzugte Zitationsweise

Nohr, Rolf F.; Kammerer, Dietmar: «Die meisten Argumente gegen Open Access sind eher marginal oder schlicht falsch.». Interview mit Rolf F. Nohr von Dietmar Kammerer. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Open-Media-Studies-Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/die-meisten-argumente-gegen-open-access-sind-eher-marginal-oder-schlicht-falsch.

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