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Debattenbeitrag

«Eine eindeutig vermachtete Situation»

Über den Umbruch in der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft seit 1989 und die Folgen bis heute

29.9.2022

Dorothea Dornhof, Peer Pasternack und Gerd Zimmermann im Gespräch mit Manuela Klaut und Jana Mangold   

Eine gekürzte Version dieses Gesprächs ist erschienen in Zeitschrift für Medienwissenschaft, No. 27, 2022.

Dorothea Dornhof, Peer Pasternack und Gerd Zimmermann haben die Transformation des ostdeutschen Wissenschaftssystems nach 1989 unmittelbar erlebt und sie zum Teil auch wissenschaftlich ausgewertet. Dorothea Dornhof arbeitete 1989 am Zentralinstitut für Literaturgeschichte (ZIL) der Akademie der Wissenschaften der DDR, einem bis dahin einmaligen geisteswissenschaftlichen Forschungsinstitut im deutschsprachigen Raum. Im Gespräch berichtet sie von den Aktivitäten im Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung sowie von ihrem Weg nach 1989, der sie auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Kulturwissenschaftliche Institut der Humboldt-Universität zu Berlin führte. Peer Pasternack war 1989 Vertreter der Studierendenschaft der Universität Leipzig und hat den Umbauprozess in den Universitätsgremien miterlebt. Als Soziologe und Zeithistoriker sowie als Direktor des Instituts für Hochschulforschung Halle-Wittenberg (HoF) hat er seither nicht aufgehört, sich mit dem Stand der Wissenschaften in Ostdeutschland, der Vermittlung der DDR-Geschichte und mit gebrochenen Wissenskulturen zu beschäftigen. Gerd Zimmermann lehrte und forschte 1989 als Oberassistent am Wissenschaftsbereich Theorie und Geschichte der Architektur an der Hochschule für Architektur und Bauwesen (HAB) in Weimar. 1992 wurde er dort Professor für Entwerfen und Architekturtheorie und kurz darauf zum Rektor gewählt. In drei Amtszeiten leitete er maßgeblich die Umstrukturierungen der Weimarer Hochschule zur Bauhaus-Universität Weimar.

Abb. 1 Studierendendemonstration am Herderplatz 1990, Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne, FS/1/293

In unserem Gespräch, das wir im April 2022 geführt haben, geht es um Wissenschaftsstrukturen, die mit den politischen Ereignissen der ‹Wende› zerbrachen, um Themenspektren, die neu aufgestellt wurden, und um Lehrinhalte, die sich elementar veränderten.1 Dieser Round Table ist der Auftakt zu einer Gesprächsreihe mit Wissenschaftler_innen und Künstler_innen über die Entwicklung der Medien- und Kulturwissenschaft Ost/West seit 1989, die in loser Folge auf der Webseite der ZfM veröffentlicht werden soll.

Manuela Klaut: In Steffen Maus Buch Lütten Klein gibt es eine Stelle, mit der wir ins Gespräch einsteigen möchten. Da ist die Rede von den Transfereliten, die zur ‹Wendezeit› von West nach Ost kamen:

«Zwar wurden keinesfalls alle gesellschaftlichen Leitungsfunktionen von Westdeutschen übernommen, doch […] für die Nachwendezeit galt die Formel: Je höher, je einflussreicher, je bedeutsamer die Position war, desto wahrscheinlicher wurde sie mit jemandem aus dem Westen besetzt. Die Potsdamer Elitenstudie ermittelte für die frühen Neunziger einen Wert von vierzig Prozent. Und das betraf nicht nur Politik und Wirtschaft, sondern auch Behörden, Gerichte, Universitäten, Medien oder die Bundeswehr. Die ‹Westimporte› wurden mit Zulagen und Vergünstigungen in den ‹nahen Osten› geschickt. […] Für die Alteingesessenen bedeuteten sie häufig eine Art Erstkontakt mit dem Westen. […] Einen solch umfänglichen Elitenaustausch hat kein osteuropäisches Land erlebt.» 2

Uns interessiert die Perspektive Ihres ‹Erstkontakts› auf wissenschaftlichem Gebiet. Wie haben Sie den erlebt?

Dorothea Dornhof: Also ich hatte meinen Erstkontakt mit westdeutschen oder anderen, französischen oder amerikanischen Kolleg_innen nicht erst nach der ‹Wende›, sondern schon während der Zeit der DDR, vor allem im Rahmen unserer Konferenzen am ZIL. Aber diese Kontakte haben sich nach der ‹Wende› ziemlich verändert.

Ich sage nicht so gern ‹Wende›. Es war auch nicht der ‹Fall der Mauer›. Das assoziiert eher etwas Passives. Wir hatten die friedliche Revolution, in der die Bürger_innen der DDR ein System zu Fall brachten, einen Herbst und ein Frühjahr der Anarchie und der demokratischen Experimente. In diesem Umbruch wurde auch an der Akademie der Wissenschaften, zu der das ZIL gehörte, ein Runder Tisch initiiert, der an einer Strukturreform arbeitete und in einem demokratischen Verfahren das Präsidialbüro ablöste, sodass ein neuer Präsident gewählt werden konnte.3 Wir haben die Initiative Frauen in der Wissenschaft gegründet, die mit am Runden Tisch saß, weil auch der Frauenanteil gering und die Frauen- und Geschlechterforschung in der Akademie kaum vertreten war.

Was die Kontakte angeht, muss ich etwas weiter ausholen und auch etwas auf die Geschichte des ZIL eingehen. Es ging aus dem Institut für romanische Sprachen und Kultur hervor, das Werner Krauss 1950 gegründet hatte, dem von Theodor Frings begründeten Institut für deutsche Sprache und Literatur und dem von Hans Holm Bielfeldt gegründeten Institut für Slawistik. Und es war ganz im Sinne des Aufklärungsforschers Krauss einem epochengeschichtlich vergleichenden, Geschichte und Theorie integrierenden Konzept von Literaturgeschichte verpflichtet. Als Gründungsdirektor wurde 1969 der berühmte Brecht-Forscher Werner Mittenzwei ernannt. Forschungsschwerpunkte waren z. B. europäische Aufklärung, deutscher Vormärz, Exilliteratur und Faschismus, europäische Avantgarde, Kunst und Kultur der Weimarer Republik.4 Als interdisziplinäres, komparatistisch arbeitendes literaturgeschichtliches Institut hatten wir Kontakte zu westdeutschen Wissenschaftler_innen, die sich in einer kritischen marxistischen Tradition verorteten oder einfach Interesse am wissenschaftlichen Dialog hatten. So waren vor allem auf den jährlichen ‹Aufklärungs-Kolloquien› Klaus R. Scherpe, Gert Mattenklott, Michael Nerlich, Helmut Lethen oder Hans Ulrich Gumbrecht unsere Gäste.

Bei der Evaluierung des Instituts durch den Wissenschaftsrat 1990 kamen Wissenschaftler zu uns, die eher unkundig der DDR gegenüber waren und nach westdeutschen Evaluierungskriterien bewerteten. Sie galten zwar als Experten, hatten aber keine Expertise für die ostdeutsche Wissenschaftskultur.5 Dieser Kontakt war hierarchisierend und entwürdigend. Es ging ja um unsere Existenz, und wir hofften auf ein institutionelles Weiterleben im Rahmen demokratischer Reformen.

Gerd Zimmermann: Mein Erstkontakt mit den westlichen Kollegen und Kolleginnen war reiner Kontakt mit den Texten der Autoren und Autorinnen. Ich habe die gelesen, und zwar unendlich viel. Ich habe mich mit Architektur-Psychologie und Architektur-Semiotik beschäftigt, denn ich war in Weimar Teil einer kleinen Gruppe von Leuten, die im Rahmen der Promotion begonnen hatten, Architektur als Kommunikationsmittel zu begreifen. Dies habe ich dann als Mitarbeiter am Institut für Städtebau und Architektur der Bauakademie der DDR fortgesetzt. Die Idee war, alle Wissenschaften heranzuziehen, die Erklärmodelle bereitstellen, um diesem Fokus der Architektur als Vermittlungsinstanz und Bedeutungsträger ein wissenschaftliches Fundament zu geben. Ich saß also in Bibliotheken und las Bücher, Bücher, Bücher. Aber ich kannte keinen einzigen Autoren und keine einzige Autorin dieser Bücher persönlich. Ich war nicht in der Partei – das hatte ich abgelehnt –, also kein ‹Reisekader›, kein Westreisender.

Abb. 2 Hörsaalgebäude (abgerissen), Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne, FS/1/1551

Direkte Kontakte hielten sich sehr in Grenzen. Ich hatte sie eigentlich nur bei Konferenzen in der DDR oder in Prag, in Brünn oder in Sofia. Einige dieser seltenen Frühkontakte aber sind mir sehr wichtig gewesen: z. B. Silvano Custoza, ein Soziologe, den ich auf einer Konferenz in Dessau kennenlernte, vor allem aber Kari Jormakka, Finne und exzellenter, überaus inspirierender Philosoph und Architekturtheoretiker. Ich traf ihn, als er Weimar in den 80ern besuchte, und habe ihn später als ‹Gropius-Professor› an die Bauhaus-Universität berufen. Ich sollte erwähnen, dass ich schon während des Studiums in Weimar in einer internationalen Community gelebt habe. Meine Freunde und Freundinnen waren und sind aus dem Ausland: aus Griechenland, Italien, Frankreich und weiteren Ländern. Sie waren damals meist delegiert von Freundschaftsgesellschaften der kommunistischen Parteien. Meine Denkungsart, würde ich sagen, ist kosmopolitisch. Vielleicht nicht zuletzt, weil ich ein Altsprachler bin. Insofern hatte ich auch mit dem Kontakt zum Westen überhaupt kein Problem, verspürte keinerlei Ressentiment. Im Gegenteil war diese Öffnung mit dem Fall der Mauer für mich nichts als Befreiung. Was nicht heißt, dass dann die Dinge, die sich ereignet haben, problemlos und kritikfrei wären.

Peer Pasternack: Ich war damals einer der Studentensprecher der Uni Leipzig. Insofern bestand der Erstkontakt mit Scharen an westdeutschen Studierenden, vornehmlich Studierenden-Funktionären, also Leuten aus ASten westdeutscher Hochschulen. Die kamen nach Leipzig, da die Stadt von Christoph Hein am 4. November ʼ89 zur Heldenstadt ernannt worden war. Sie wurde das bevorzugte Ziel von Polit-Touristen, die sich über die Umbrüche informieren wollten. Ebenso hatten wir in den ersten Monaten nach dem Mauerfall viele Einladungen. Wir hätten ununterbrochen durch den Westen touren können, weil es da so ein Informationsbedürfnis gab. 6 Häufig waren die Veranstaltungen schon organisiert und man versuchte dann, uns ein wenig unter Druck zu setzen: Jetzt haben wir euch schon angekündigt, jetzt müsst ihr auch jemanden schicken. Das waren also die ersten Kontakte mit westdeutschen Studierendenvertreter_innen.

Zu intensiveren Kontakten mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen ist es dann erst nach der Abwicklung gekommen. Die war im Dezember 1990. In der Rückschau fließt das ja alles so zusammen: also 9. Oktober ʼ89 in Leipzig,7 Mauerfall im November, dann die Abwicklung des Wissenschaftssystems der DDR im Dezember 1990. Dazwischen lagen aber 14 Monate, die sehr ereignisreich waren und in denen jeder Monat etwas völlig Neues brachte, weswegen da auch genau getrennt werden muss. Also es gab da eine Dynamik, die im Dezember 1990 in der sogenannten Abwicklung kulminierte, d. h. der Schließung von entweder für systemnah oder für überflüssig erachteten Bereichen an den Hochschulen. Man nutzte die Abwicklungsmöglichkeiten aus dem Einigungsvertrag, wo es dann unterschiedliche Deutungen darüber gab, ob diese wirklich für Wissenschaft gedacht waren oder nicht eher für vermeintlich überbesetzte Finanzämter. Schließlich kamen, um die Aufrechterhaltung des Studienbetriebs zu erleichtern, in der Abwicklungsphase westdeutsche Professoren und Professorinnen. Die wurden zum Teil von Stiftungen entsandt. Vor allem die Konrad Adenauer Stiftung war da sehr engagiert. Die hatten natürlich ein politisches Interesse, das versteht sich von selbst. Aber sie hatten bei ihrer Auswahl der Profs eine glückliche Hand. Wir hatten dadurch ausgesprochen gute, wenn auch von ihrer politischen Position her durchgehend konservative Politikwissenschaftler in Leipzig, die regelmäßig einflogen, um eine Lehrveranstaltung zu machen oder Blockseminare.

1991 begann der Neugründungsprozess für die Politikwissenschaft und die Soziologie, an dem ich beteiligt war. Und da gab es dann interessante Erfahrungen: vom Gründungsdekan Wolfgang Schluchter, dem Heidelberger Soziologen, über einen Rechtssozialdemokraten, Carl-Christoph Schweitzer bis hin etwa zu Sigrid Meuschel. Schluchter schätzte es, dass es überhaupt Leute gab, die sich engagieren. Dank Schluchter wurde allgemein akzeptiert, dass ich kaum Seminare besuchte, weil ich Hochschulpolitik machen und in Kommissionen herumsitzen musste. Carl-Christoph Schweizer aber hat mich deswegen fast durch eine Prüfung fallen lassen. Der fand wohl mein Engagement etwas einseitig. Eine der Erstberufenen am neu gegründeten Institut für Politikwissenschaft dagegen unterstützte zwei Jahre lang mit ihrer Spende die von uns 1991 gegründete Zeitschrift hochschule ost.8 Das war Sigrid Meuschel, die wie alle westdeutschen Beamten ‹Busch-Zulage› bekam und das einfach ungeheuerlich fand. Diese Zulage hat sie dann für einen guten Zweck spenden wollen, und das war unsere Zeitschrift.

Politisch machten wir auch die Erfahrung, dass der sächsische Wissenschaftsminister einen durch die Gründungskommission Erstplatzierten nicht berief, sondern den Zweitplatzierten. Da ging es um Hartmut Elsenhans – der kam aus Konstanz, Politikwissenschaftler, der als Neomarxist galt, weil er sich nicht scheute, bei der Betrachtung von Ungleichheitsverhältnissen zwischen dem globalen Süden und Norden marxistische Denkfiguren einzubeziehen. Erst nachdem Platz zwei abgesagt hatte und es einen riesigen Aufschrei gegeben hatte, ist der Minister dann nicht auf Platz drei ausgewichen, sondern zurückgekehrt zum Platz eins, so dass Elsenhans tatsächlich noch nach Leipzig kam.

JM: Aus Ihren Erläuterungen höre ich heraus, dass es ein starkes Interesse füreinander gab und auch für die Idee, zusammenzukommen.

PP: Okay, also damit es nicht zu harmonisch klingt, muss ich die Bandbreite ergänzen um einen Figurentypus. Wir hatten in Leipzig einen Gründungsdekan für Rechtswissenschaft. Der ist aufgetreten wie ein Wehrmachtsoffizier, sodass der sächsische Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer ihn nach acht Wochen wieder entlassen hat. Es war wirklich eine ziemliche Bandbreite, und ich würde insofern dem Satz «Aber überwiegend war es doch schön» nicht zustimmen.

GZ: Ich kann vielleicht noch hinzufügen, dass der Kontakt mit den Fachkollegen und ‑kolleginnen grundsätzlich den Charakter der freundschaftlichen Interaktion hatte. Ich habe dann aber, als ich 1992 als Rektor begonnen habe, natürlich auch mit Beamten und Beamtinnen zu tun gehabt, die ‹Busch-Zulage› bekamen. Und da muss ich sagen: zwiespältig. Man hat eher weniger taugliche Charaktere dort gefunden, aber man hat auch gute und sehr gute Partner und Partnerinnen gefunden. Man fragt sich das immer: Gibt es da so eine Art Sozialisationsprägung, die bedeutet, dass die Westdeutschen schon von ihrer mentalen Disposition her als ‹Eroberer› gekommen sind? Natürlich hat es diese Fälle gegeben. Meine dominierende Erfahrung aber ist eine andere. Ich habe die Westkollegen und -kolleginnen als Teilnehmende in einem gemeinsamen Projekt der Neuformierung der Wissenschaften und Künste, ja der Neuerfindung einer ganzen Universität erlebt.

JM: Das ist interessant. Bei Gesprächen über diese Transformationsjahre hört man immer wieder, dass sich ʼ92 noch einmal etwas änderte in den Kontakten. Es muss ja eine rege Einladungspolitik gegeben haben von westdeutschen Kolleg_innen an die ostdeutschen Wissenschaftler_innen. Anscheinend hat jedoch nach einer gewissen Zeit der Aufregung und vielleicht auch der gemeinsamen Ideen das große Interesse, miteinander ins Gespräch zu kommen, nachgelassen. War das so?

DD: Natürlich gab es unmittelbar nach 1989 nach der ‹Wende› gerade von feministischen Wissenschaftlerinnen viele Anfragen zu Tagungen und Workshops, z. B. die Konferenz «Frauen – Literatur – Revolution» auf Einladung der Romanistin Helga Grubitzsch.9 Ich hatte vor der ‹Wende› bereits Kontakt mit der Hamburger Arbeitsstelle Feministische Literaturwissenschaft: Sigrid Weigel und Inge Stephan. Hier gab es Interesse an ostdeutschen Frauen- und Geschlechterforscherinnen und deren wissenschaftlichen Perspektiven, und sie haben uns zu Konferenzen eingeladen und versucht, eine deutsch-deutsche oder Feminismus-Feminismus-Kommunikation herzustellen, mit fachlich sehr interessanten, aber auch kontroversen Diskussionen. 10 Es gab Anknüpfungspunkte im feministischen Diskurs, aber auch Differenzen. Wir hatten ja – wie Sie es auch beschrieben haben, Herr Zimmermann – die Texte alle gelesen. Ich kannte die gleichen Texte wie meine westdeutschen Kolleg_innen. Wir konnten uns an der Akademie Literatur zuschicken lassen. Das war natürlich ein großes Privileg durch eine Sonderregelung beim Zoll. Und da wir alle mehr oder weniger Freund_innen und Kolleg_innen im Westen hatten, bekamen wir auch die Literatur, die international verfügbar war.

Abb. 3 Studierendenproteste/Wendezeit, Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne, FS/3/1638

GZ: Das ging uns auch so. Also das dauerte alles furchtbar lange. Fernleihe-Prozedur und so. Das war umständlichst.

DD: Ja, Fernleihe in der Bibliothek nur mit Sondergenehmigung.

GZ: Eine Sondergenehmigung brauchten wir nicht, weder in Weimar noch in Berlin. Mein Chef in Weimar, Bernd Grönwald, wollte ohnehin, dass wir unbegrenzt forschen können. Und er konnte das durchsetzen. Er steckte voll im System. Aber er war zugleich ein absoluter Idealist, der die DDR reformieren wollte.An einer späteren, hier nicht wiedergegebenen Stelle des Gesprächs erläutert G. Zimmermann auch die zentrale Position Bernd Grönwalds in der architekturgeschichtlichen und -theoretischen Diskussion der DDR und die damit einhergehende internationale Ausrichtung der Architektur in Weimar: «Mitte der 1970er Jahre brauchte Grönwald eine Wohnung für seine Familie in Weimar. Die Wohnungsverwaltung bot ihm daraufhin Wohnraum im Haus am Horn, dem Musterhaus der ersten Bauhaus-Ausstellung 1923, an. In dem Haus wohnte schon eine alte Dame und es galt als das hässlichste Haus Weimars. Aber Grönwald war da locker und zog da rein. Und anschließend konnte man beobachten, wie ein Haus Menschen formt. Das Haus hat eine Biografie und die steckt an. Denn für Grönwald war das der Beginn seiner Affinität zum alten Bauhaus. Dadurch hat er Kontakte zu Westberliner Linken, die zum Bauhaus forschten, aufgenommen, sie nach Weimar geholt und Mitte der 70er Jahre eine große Bauhaus-Forschung, u. a. mit den Internationalen Bauhaus-Kolloquien, etabliert. Und er hat von Weimar aus Dessau ‹neu gegründet›. Dessau war eine Ruine und wurde 1976 zum Datum des 50-jährigen Jubiläums der Eröffnung des Bauhaus Dessau saniert. Es wurde von Weimar aus als kulturelle Einrichtung für die Bauhaus-Bestände, für Seminare, Workshops usw. entwickelt. Man sieht, dass es durch die Reformer und Reformerinnen in der DDR Bewegungen gab. Und das ist ein sehr positives Moment.» Vgl. zu Grönwalds Enttabuisierung des Bauhaus in der DDR das Radiofeature von Marietta Schwarz: Der Mann mit dem Schlüssel, in: Deutschlandfunk/Deutschlandfunk Kultur, 8.3.2019, www.hoerspielundfeature.de/100-jahre-bauhaus-weimar-der-mann-mit-dem-schluessel-100.html (9.5.2022). Dies hat mich mit ihm verbunden.

DD: Über die Akademie bekam man Fernleihen recht unkompliziert.

PP: Aber diese Frage bezüglich der Kontakte und der Literatur würde Ihnen möglicherweise von drei anderen Leuten, die hier sitzen könnten, völlig anders beantwortet werden, weil die nicht an der Akademie, nicht in Berlin, nicht im Strahlungskreis von Bernd Grönwald oder in Leipzig waren, sondern weil die vielleicht an der Pädagogischen Hochschule in Zwickau saßen oder bei den Nordeuropawissenschaften in Greifswald und dort eine ganz andere politische Beaufsichtigung stattfand. Da muss man die örtlichen und institutionellen Konstellationen im Blick behalten, aber auch die Zeiten – die 80er Jahre waren anders als die 70er.

MK: Frau Dornhof, Sie sprachen zuvor davon, dass es auch schwierig war, bei den Konferenzen zu Beginn der 1990er Jahre eine deutsch-deutsche Feminismus-Kommunikation herzustellen. Welche Probleme sind Ihnen fachlich begegnet?

DD: Das große Interesse an einem Informations- und Begegnungsaustausch zu Frauen und Wissenschaft in Ost und West ließ schon in den frühen 90er Jahren allmählich wieder nach. Die Gründe dafür sind vielfältig und umspannen politische, mentale, methodische als auch konkurrenztechnische Perspektiven. In der DDR gab es bereits seit den frühen 80er Jahren Arbeitskreise zur Frauen- und Geschlechterforschung, wie den Interdisziplinären Arbeitskreis an der Humboldt-Universität, geleitet von der Kulturwissenschaftlerin Irene Dölling, aus dem 1989 das Zentrum für Interdisziplinäre Frauenforschung hervorging. Auch an den Universitäten Leipzig, Erfurt, Jena oder Rostock gab es inoffizielle und offizielle Arbeitsgruppen, in denen theoretische Fragen der Kunst und Wissenschaft von Frauen in den verschiedenen Disziplinen diskutiert wurden. Die Berliner Germanistinnen Hannelore Scholz und Eva Kaufmann gründeten im Frühjahr 1989 den Arbeitskreis Literaturwissenschaftliche Frauenforschung an der HU und organisierten einen Austausch mit Literaturwissenschaftlerinnen der Freien Universität. Bereits in den 1990er Jahren gingen diese von Neugier und Lust am Dialog geprägten Treffen in Fremdheit und Unverständnis zwischen den Wissenschaftlerinnen über. Es gab kaum Zeit und Interesse, sich über Differenzen zwischen den Frauen aus Ost und West sowie über die Differenzen der verschiedenen feministischen Theorien und Methoden zu verständigen, obwohl seit Beginn der 90er Jahre OSTFEM-Konferenzen und Ringvorlesungen organisiert wurden, in denen die ostdeutschen Forscherinnen Bestandsaufnahmen ihrer Projekte und Erfahrungen vorstellen konnten, wie z. B. zu methodischen Problemen der Ostbiografieforschung oder zum Thema kultureller Selbst- und Fremdwahrnehmung von Frauen während der Demokratisierungsprozesse in der DDR und in den Ländern Osteuropas. Dass sich die Ost-Wissenschaftlerinnen nun stärker auf die Untersuchung von Geschlechterverhältnissen in der DDR und in Osteuropa konzentrierten, hing damit zusammen, dass geplante Projekte der deutsch-deutschen Forschung, wie z. B. ein DFG-Projekt zu kulturellen Selbst- und Fremdwahrnehmungen von Frauen im Demokratisierungsprozess, nicht zustande kamen. Inzwischen war die Akademie der Wissenschaften abgewickelt und viele Kolleginnen an der Universität wurden arbeitslos, sodass wir Konkurrentinnen auf dem akademischen Arbeitsmarkt wurden. Aber das ist nur einer der Gründe für gegenseitige Enttäuschungen. Ich hatte eigentlich Glück, auf der letzten Tagung «Jüdische Kultur und Weiblichkeit in der Moderne» des Hamburger Arbeitskreises in Essen im Dezember 1990 Christina von Braun kennengelernt zu haben. Sie erhielt 1994 einen Ruf als Professorin an die HU und ich wurde später ihre Assistentin. So konnte ich mich 2002 am Institut für Kulturwissenschaft habilitieren. Inge Stephan kam auch 1994 als Professorin an die HU und Sigrid Weigel wurde 1999 an das von Erhard Lämmert 1996 begründete Zentrum für Literaturforschung (ZfL) als Direktorin berufen, wo einige Wissenschaftler_innen aus dem literaturgeschichtlichen Akademieinstitut weiterarbeiten konnten und wo vor allem das Projekt der Ästhetischen Grundbegriffe zum Vorzeigeprojekt in der deutsch-deutschen Wissenschaftsvereinigung wurde. 11 Das bereits seit 1983 entwickelte innovative Konzept einer Begriffsgeschichte grenzte sich von der deutschen Geistes- und Ideengeschichte ebenso ab wie von der dogmatischen marxistischen Ästhetik. Vor dem Horizont kultureller Umbrüche, wie der Postmoderne, den neuen Medientechnologien und der Ästhetisierung des Alltags, ging die Rekonstruktion der Geschichte ästhetischer Begriffe und ihres Bedeutungswandels von gegenwärtigen Erfahrungen aus, orientierte sich an einem Ästhetikbegriff im Sinne von aisthesis, nicht mehr am ‹System der Künste› und der philosophischen Ästhetik. Mit der ‹Wende› kamen neue Mitarbeiter_innen und neue Herausgeber aus dem Westen hinzu, aus der Poetik-und-Hermeneutik-Gruppe der Konstanzer Schule, mit der sich die DDR-Wissenschaftler_innen bereits kollegial-kritisch auseinandergesetzt hatten, z. B. mit der Rezeptionsästhetik von Hans Robert Jauß.12 So hat sich viel verschoben im ursprünglich emanzipatorischen Ansatz, der sich vor internationalem Horizont gegen wissenschaftliche Verengungen in der DDR richtete, aber eben auch in Westdeutschland, und auch konzeptionell hat sich Einiges verändert.13 Es gab Spannungen und kritische Auseinandersetzungen, vor allem um das Verhältnis von Geschichte und Gegenwart, aber auch um konkrete Begriffe wie ‹Kultur› oder ‹ästhetische Kultur›.14 Ich hatte noch vor 1989 den Herausgebern angeboten, als Co-Autorin für bestimmte Begriffe, wie z. B. Fantasie, Sensibilität, Kreativität, mitzuwirken, um das historisch eingelagerte Geschlechterwissen herauszuarbeiten. Das wurde so nicht akzeptiert. Allerdings konnte ich in einem umfangreichen Artikel zu ‹Weiblichkeit› die feministische Wissenschaftskritik im ästhetischen Diskurs einbringen.15

MK: Herr Zimmermann, welche Umstrukturierungen vollzogen sich nach 1989/90 in der Architektur? Gab es in der wissenschaftlichen Begegnung Vorurteile oder beiderseitige Missverständnisse, die im besten Fall produktiv ausgingen?

GZ: Wichtig ist mir eigentlich, Pauschalisierungen zu vermeiden. Es gab beispielsweise dieses Klischee der ‹Platte›. Das ist ja ein interessantes Thema für die Architektur, die Stadtplanung, die Soziologie. Für manchen im Westen war die DDR auf dem Gebiet der Architektur ‹die Platte›. Und das ist natürlich eine Pauschalisierung, die man zurückweisen muss. Und so ging es auch bei der Begutachtung der Fakultät Architektur in Weimar nach 1990 um die Frage der Entwurfsfähigkeit, und da begegnete einem dann schon das Vorurteil, dass die Lehre vom Großplattenbau dominiert gewesen sei. Das führte dazu, dass das Wissenschaftsministerium 1990 oder 1991 unbedingt wollte, dass drei Neuberufungen im Bereich des Entwerfens vorgezogen werden. Das machten wir dann auch. So fehlschlüssig das Motiv war, so gut waren dann aber auch diese frühen Neuberufungen.

An dem Begriff der Platte kann man ganz schön studieren, wie solche Klischees als Projektion wirken, und die waren bei einigen West-Beamten und -Beamtinnen fest eingerastet. Das war natürlich ein Zerrbild. Es gab vielleicht ein oder zwei ‹Platten-Päpste›, die nicht begriffen hatten, dass man damit auch anders umgehen kann und muss. Und natürlich war der realsozialistische Plattenbau städtebaulich hoch problematisch, zumal er den Verfall der Altstädte in seinem Schatten mitführte. Das Studium der Architektur hat der Plattenbau jedenfalls nicht dominiert. Und in der Konzeption des Großplattenbaus steckt, wenngleich simplifiziert und man könnte auch sagen korrumpiert, der alte Gedanke des ‹Baukastens im Großen›, den schon Walter Gropius verfolgte und der heute als Konzept rationellen Bauens wieder höchst interessant ist. Wir haben immer wieder das fatale Wirken der Kurzschlüsse. Vielleicht lässt sich da auch eine Parallele ziehen von der ‹Platte› im Bereich der Architektur zum Marxismus-Leninismus (ML) im Bereich der Philosophie?

DD: Ich würde gern betonen, dass das DDR-System während der 40 Jahre kein homogenes war, sondern man sollte konkret schauen, was sich in den jeweiligen Jahrzehnten in dem Verhältnis von Modernisierung und Politisierung und von Differenzierung und Entdifferenzierung verändert hat. So kann man auch während der Transformation verschiedene Phasen unterscheiden. Und natürlich ist sehr bedauerlich, dass ein kritischer Auseinandersetzungsprozess, der zwischen 1989 und 1991 innerhalb der Wissenschaft begonnen hat, nicht fortgeführt wurde. In der Literatur- und in der Kulturwissenschaft fragten wir uns: Was haben wir innerhalb der konkreten Verhältnisse bewirkt? Wo haben wir versagt, wo haben wir geschwiegen und verraten? All das.16 Aber der Prozess wurde ja überlagert von diesen – wovon Sie auch gerade sprachen, Herr Zimmermann – Pauschalurteilen und Stereotypen, die dann auch mit den Evaluierungsprozessen zusammenhingen. Da ging es nicht um die wissenschaftlichen Leistungen, sondern um ‹Staatsnähe›, um ein im Westen angenommenes Marxismus-Verständnis, das bei den Mitgliedern der Kommissionen vorherrschte. Bei denen also, die entscheiden sollten über Wissenschaftler_innen aus dem Osten, ohne zu bedenken, dass auch in der DDR kritisches marxistisches Denken verfolgt wurde. Bedeutende Wissenschaftler_innen verloren ihre Professur und wurden aus der Akademie der Wissenschaften ausgeschlossen, wenn sie kritische Vorlesungen hielten.17 Wir hatten durchaus plurale marxistische Positionen in der DDR und es gab diesen ‹ML› – Marxismus-Leninismus –, den seit 1955 Studierende aller Fachrichtungen absolvieren mussten. Dabei handelte es sich um einen spekulativen Weltanschauungs-Marxismus, der in undialektischer Weise die Wirklichkeit verklärte und somit wenig mit der Realität zu tun hatte. Seine Funktion bestand darin, das Herrschaftssystems zu legitimieren. Das utopische Moment im Marx’schen Theoriegebäude – der Sozialismus – wurde in der DDR als alle Wissenschaften umfassendes wissenschaftliches System verklärt und durchgesetzt. Das erzeugte Ausschlüsse und Strafen für die Wissenschaftler_innen, die den Marxismus kritisch weiterentwickelten. In Unkenntnis dieser Differenzen und der historischen Dimensionen und Veränderungen der DDR-Gesellschaft kamen Normen und Maßstäbe der westlichen Dominanzgesellschaft zur Anwendung, im Rahmen eines Narrativs, das mit den Stichworten Diktatur, Unrechtsstaat und Staatssicherheit wissenschaftlich und medial prägend war.

Abb. 4 HAB-Konzil 1990: Die Wahlkommission bei der Arbeit, Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne, FS/ko/2135

Damit sage ich nicht, dass ‹alles schön› war. Das Verhältnis von Anpassung und Widerstand musste ständig in individueller Verantwortung neu austariert werden. Wir hatten es mit den Anforderungen des Kontrollapparats zu tun, die wir versuchten für unsere Projekte zu übersetzen. Es gab ja nicht nur den SED-Apparat. Das Kontrollsystem der Partei drang über die Einrichtung wissenschaftlicher Räte und über die Abteilung Wissenschaft beim Zentralkomitee der SED (ZK) bis in die eigene wissenschaftliche Institution und in die eigene wissenschaftliche Arbeit ein. Auch über die Kader-Politik wurden Hierarchien unter den Wissenschaftler_innen implantiert, die Möglichkeiten begrenzten oder erweiterten. Die Kolleg_innen, die in den Westen reisen konnten, hatten ganz andere Chancen, sich mit der internationalen Scientific Community auseinanderzusetzen und daraus zu profitieren.

JM: Herr Zimmermann, wie verlief der bürokratische Prozess der Transformation aus Sicht der Hochschulleitungen? Und wie würden Sie das bewerten?

GZ: Nehmen wir einmal die Frage der Selbstverwaltung der Universitäten. Da ging es natürlich im Osten zunächst um die Etablierung einer neuen (inner-)universitären Demokratie, in ganz Deutschland aber, wie man wohl sagen kann, um Autonomiegewinne für die Hochschulen, um eigene Profile entwickeln und sich in der internationalen Konkurrenz durchsetzen zu können. Anfang der 90er hingen praktisch alle – um das mal salopp zu formulieren – am Tropf der Ministerien. Gut abzulesen am Berufungsrecht oder auch an der Methodik der Budgets. Hier war Reform dringend erforderlich. In Thüringen etwa, und nicht nur dort, entschied das Kabinett über die Berufung der Professoren und Professorinnen, mit der Folge einer nicht unerheblichen Langwierigkeit, vor allem aber einer gewissen Entmündigung der Hochschulen in einer ihrer Schlüsselfragen. Als Rektor habe ich es sehr begrüßt, als das Berufungsrecht an die Hochschulen ging.

Ähnliches kann für die Budgets der Uni gesagt werden, bei denen es darauf ankam, die kameralistische Subalternität zu überwinden. Der Bauhaus-Universität ist das im Rahmen eines Pilotversuchs in Thüringen gelungen und das wurde anschließend von allen Hochschulen des Landes übernommen. Wir waren da deutlich weiter als manche in den alten Ländern. Das könnte meine These stützen, dass der Epochenbruch im Osten exklusive Innovationen möglich machte, in welchem Ausmaß auch immer.

PP: Also das Berufungsrecht ist ja bundesweit erst seit Ende der 90er Jahre sukzessive an die Hochschulen übergegangen. Und ich würde das auch gar nicht so positiv bewerten wie Sie, Herr Zimmermann. Das hat auch massive Probleme mit sich gebracht, also problematische Berufungen, die im Rahmen von Nepotismus, Seilschaften und …

GZ: … ja, aber das ist eben die Verantwortung der Hochschulen. Die müssen Hochschulleitungen wahrnehmen, und sie müssen Vorkehrungen dagegen treffen …

PP: … ja, und das funktioniert häufig noch nicht. An meiner eigenen Universität in Halle hatten wir vor anderthalb Jahren einen solchen Fall in der Politikwissenschaft, wo das zweite Mal in Folge ein akademischer Generationenwechsel von der Lehrerin auf den Schüler organisiert werden sollte. Da sind die Vorkehrungen noch nicht ausreichend, obwohl es auch in Halle wie an fast allen Hochschulen sogenannte Berufungsbeauftragte gibt, die fachfremd, also frei von Verstrickungen, die Verfahren begleiten. Und weil wir gerade in Thüringen sind, schildere ich noch ein anderes Beispiel, hier aus dem Fachhochschulbereich. Dort war ein riesiger Fachbereich Sozialwissenschaften gegründet worden, und die Berufungskommission war irgendwie aus Versehen – weil man ja ʼ91 auch zu viele Leute für die Kommissionsarbeiten brauchte – von DKPisten und SEWlern18 dominiert, und die schlugen ausschließlich DKPisten und SEWler für die Professuren vor. Da dieser Fachbereich eindrucksvolle 23 Professuren zu besetzen hatte, bekam es das Ministerium irgendwann mit und begann, anstelle des ersten Platzes nur noch den Platz zwei zu berufen. Man hatte mitbekommen, dass Platz zwei meist die fachlich angemessene Besetzung war und Platz eins aus Sicht der Berufungskommission die politisch angemessene Besetzung.

JM: Es kam schon einige Male zum Ausdruck, die verschiedenen Jahrzehnte, die verschiedenen Zeiten bedeuteten für die Wissenschaft in der DDR auch verschiedene Formen der Offenheit. Wie haben Sie das wahrgenommen?

PP: Das war definitiv so. Die 80er Jahre waren anders als die 70er, die 70er anders als die 60er, und innerhalb der 70er gab es zwischen einer gewissen Öffnung ab 1971 und der Biermann-Ausbürgerung 1976 auch eine Wellenbewegung. Für die Hochschulen waren vor allem die Hochschulreformen wichtig. Die erste, 1946 bis 1948, wurde als ‹antifaschistisch-demokratische Umgestaltung› bezeichnet. Sie zielte auf die Öffnung der Hochschulen für Arbeiter- und Bauernkinder sowie auf die Etablierung des ML im Hochschulbetrieb. Das wurde mit der II. Hochschulreform 1952 verschärft. Im selben Jahr waren die Länder aufgelöst worden. Das Hochschulwesen wurde fortan zentralstaatlich gesteuert. Die III. Hochschulreform, die auch eine Akademiereform war, begann 1967 und war ambivalent: Die verbliebene Macht bürgerlicher Ordinarien an den Hochschulen sollte neutralisiert, die Wissenschaft auf Parteilinie gebracht, ihre Effizienz gesteigert und Ulbrichts Wirtschaftsreform wissenschaftlich abgesichert werden.

GZ: Aus Sicht des Bauens, der Architektur und allem, was damit zusammenhängt, waren die 60er eine große Öffnung. Es war der Durchbruch der Moderne, es ging um den Wiederaufbau der Stadtzentren. Das war eine sehr lebendige Szene in der DDR. Doch mit der Deklaration des Wohnungsbauprogramms Anfang der 70er ist das Baukastenprinzip Gropius’ sofort so minimiert und zusammengeschnurrt, dass es zu diesem absolut trivialisierten Massenwohnungsbau wurde. Und das führte dazu, dass über Alternativen zu dieser Architektur praktisch nicht mehr geredet werden konnte.

DD: Ich würde Ihnen gern widersprechen. Die 60er Jahre waren für Kultur, Literatur und Wissenschaften ein problematisches Jahrzehnt. Da gab es das berühmte Kahlschlag-Plenum, das 11. Plenum des ZK der SED 1965, wo eine ganze Jahresproduktion von DEFA-Filmen abgesetzt, verboten wurde und das auch in den Kunst- und Kulturwissenschaften zu widerstreitenden Debatten geführt hat und wiederum auch zu neuen Kontrollmechanismen. Es war ein inszenierter Kulturkampf gegen Künstler_innen und Schriftsteller_innen, um von der politischen Krise des Systems abzulenken. Die Theorieentwicklung und die Kunstpraxis wurden in den 60er Jahren stark beschädigt. Es gab mehr Verbote und Zensur als Anfang der 70er Jahre.

Um noch einmal auf die Akademie der Wissenschaften zu verweisen, wo die latente Bedrohung kritischen Denkens durch das politische krisenhafte System immer auch Elemente seiner Überwindung hervorbrachte: 1951 wurde das Institut für Gesellschaftswissenschaften gegründet, später hieß es sogar Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK. Mit der Hochschul- und Akademie-Reform 1969 gründeten sie dort wissenschaftliche Räte für die Gesellschaftswissenschaften. Alle Direktoren der jeweiligen gesellschaftswissenschaftlichen Institute der Akademie mussten dann monatlich bei Konferenzen erscheinen, bei denen Planungen abgesprochen wurden usw. Das Zentralinstitut für Literaturgeschichte wurde während dieser Reform 1969 gegründet, und es sollte ein Leitinstitut werden für die Germanistik, die Romanistik, die Slawistik. Das entsprach überhaupt nicht dem wissenschaftlichen Selbstverständnis der dort Forschenden. Und es war auch nicht durchsetzbar, es als Leitzentrum für andere Fachdisziplinen an den Unis zu installieren.

Der Gründungsdirektor Werner Mittenzwei hat ja die Brecht-Lukács-Debatte herausgegeben mit erstmals veröffentlichten Quellen von Brecht aus dem Exil. Diese umfasste auch eine sehr gute und interessante Bewertung der Brecht’schen theoretischen Entwicklung, der Brecht’schen Theorien zum Realismus usw. Damit wurde auch zum ersten Mal ein scholastischer Ästhetik-Begriff von Lukács in der DDR offiziell in Frage gestellt oder zumindest kritisch reflektiert.

GZ: Das fand ich übrigens auch sehr wichtig, diese Debatten. Dieses Buch …

DD: Positionen hieß das, dieses Reclam-Bändchen.19

GZ: Und es gab Ästhetik heute Ende der 70er Jahre.

DD: Ästhetik heute? Von den Berliner Kulturwissenschaftler_innen?20

GZ: Ja.

DD: Darin stellte die Berliner Ästhetikschule der HU ihr Konzept vor, das auch die Ästhetik des Designs und des Alltags umfasste.

GZ: Genau.

Abb. 5 FDJ-Studentensommer 1989: Studierende bei einem Arbeitseinsatz, Bauhaus-Universität Weimar, Archiv der Moderne, FS/ko/1884

DD: Ich habe als Studentin der Kulturwissenschaft und Ästhetik an der HU noch Vorlesungen zur Geschichte der Ästhetik bei Wolfgang Heise gehört, der als Persönlichkeit und Wissenschaftler maßgeblich den Studiengang prägte. Dort studierten wir bereits, wie Ästhetik eben nicht mehr nur auf Kunst zentriert ist. Denn der Studiengang wurde 1963 mit einem weiten Kulturbegriff gegründet, der unter anderem an Georg Simmel orientiert war, an seiner Unterscheidung von subjektiver und objektiver Kultur. Wie sind Lebensbedingungen und Lebensweisen beschaffen, dass sich Individuen entwickeln können? Da griff man eben auch auf die Frühschriften von Marx zurück, auf die Grundrisse, Kritik der politischen Ökonomie, in denen er die Individualitätsformen aus den verschiedenen Gesellschaftsformationen entwickelt hat. Irene Dölling, die auch die Geschlechterforschung in der Kulturwissenschaft begründet hat, hat eine Persönlichkeitstheorie psychologisch, entwicklungspsychologisch und soziologisch entfaltet. Also die Kulturwissenschaft an der HU war nach meinem Verständnis fast so etwas wie eine subversive Wissenschaft, weil die Persönlichkeit und das Individuum ins Zentrum der theoretischen Untersuchung rückten. Denn das Individuum spielte ja im Sozialismus keine so große Rolle und wurde nun dort zentral gesetzt. Interessant waren auch die Untersuchungen zu Massenkommunikation und Popkultur; die Kulturgeschichte nicht zu vergessen.
Und zum Glück ist dann die Kulturwissenschaft erhalten geblieben, obwohl sie auch abgewickelt werden sollte. Es gab zahlreiche Proteste und im letzten Moment wurde der Abwicklungsbeschluss vom Berliner Senat zurückgenommen. Also da gab es eben auch Beamt_innen, die glaubten, die Kulturwissenschaft müsse weg, weil die zu marxistisch war.
Und dann hat sich die neue Berliner Kulturwissenschaft gegründet. Also wir sagten immer: Wir sind die Berliner Kulturwissenschaft, mit Ästhetik heute und mit Dietrich Mühlbergs Publikationen, Irene Dölling, Geschlechterforschung. Im Bereich der Ästhetik21 blieben zwei Professorinnen aus der DDR, Karin Hirdina und Renate Reschke. Hirdina hat zur historischen Avantgarde geforscht. Das waren Forschungsgebiete, die im Westen anschlussfähig waren – ‹anschlussfähig›? Hmm, sag ich jetzt auch schon – und Reschke war Nietzsche-Spezialistin. Weitere Professuren wurden dann mit interessanten Wissenschaftler_innen aus dem Westen besetzt. Christina von Braun, die die Medialität von Geschlechterverhältnissen und die Verbindung von Bild und Schrift, von Geschlecht und Religion untersucht hat. Eine sehr interessante Persönlichkeit und Forscherin. Sie war hochschulpolitische unheimlich engagiert. Der Studiengang «Geschlechterstudien/Gender Studies» ging maßgebliche auf ihre Initiative zurück, aber auch das Graduiertenkolleg «Geschlecht als Wissenskategorie» und die an mehreren Universitäten Berlins und Brandenburgs vernetzten Jüdischen Studien. Als Filmemacherin kam sie von außen. Sie hat Medien-Seminare angeboten, wo die Studierenden selber Filme herstellen konnten. Thomas Macho untersuchte Kulturtechniken und Hartmut Böhme arbeitete an einer anderen Moderne-Theorie. Also wir hatten da sehr interessante Linien, die sich unterschieden von den kulturwissenschaftlichen Ansätzen, die ich noch studiert hatte. Holger Brohm hat in einem Aufsatz zur Geschichte der Kulturwissenschaft den stärker bedeutungsorientierten Nach-‹Wende›-Kulturbegriff gegenüber dem eher normativen in der DDR herausgestellt.22 In der DDR war Kulturwissenschaft auch ein bisschen praxisorientiert, aber nicht in Richtung Kulturhausleiter-Ausbildung. Das gab es ja in Leipzig, nicht? Der Erhard John hat dort Kulturwissenschaft unterrichtet und da wurden ja stark Kader für die Kulturinstitutionen ausgebildet.23 Die anderen wurden arbeitslos. Für uns war ja die Möglichkeit, sich bei anderen Institutionen zu bewerben, nicht so groß. Bei Naturwissenschaftler_innen war das anders. Die konnten in die Fraunhofer-Gesellschaft z. B. Es existierte aber keine Kompatibilität für die Akademie der Wissenschaften. Das gab es im Westen nicht. Insofern mussten neue Institutionen gegründet werden, wie die Geisteswissenschaftlichen Zentren.24
Dazu zählte auch das ZfL. Ich bekam noch an dem Zentrum für wissenschaftliche Neuvorhaben ein Postdoc-Stipendium und bin für ein Semester in die USA gegangen. Also für mich war das eigentlich eine gute Chance, hineinzukommen in die neue Welt. Aber für viele andere eben nicht, wenn man die große Zahl der Wissenschaftler_innen sieht, die arbeitslos wurden. An der HU z. B. ist der Anteil von 1236 Wissenschaftlerinnen im Dezember 1989 auf 530 im August 1992 gesunken. Bis zum August 1992 ergingen von 138 Rufen für C4- und C3-Professuren zwölf Rufe an Frauen.25

GZ: Ja, man darf die Dramatik, mit der das alles ablief, nicht übersehen, gerade wenn so eine Institution wie die Akademie der Wissenschaften geschlossen wurde oder auch die Bauakademie. Die ist ja mit meinem ehemaligen Institut für Städtebau und Architektur auch komplett abgewickelt worden. Heute können wir nur spekulieren, wie die Zukunft ausgesehen hätte.
In wenigen Fällen sind auch Hochschulen abgewickelt, in allen Fällen aber einem Transformationsprozess unterworfen worden. Mir war es als Rektor wichtig, die Chance des Epochenbruchs zu ergreifen und aus dem Strukturbruch einen Aufbruch zu machen, als – sagen wir – kollektive Anstrengung einer ganzen Hochschule, selbstverständlich nicht ohne auch massive Auseinandersetzungen über diesen Zukunftsweg.

Der Wissenschaftsrat legte 1991 seine Gutachten für alle akademischen Institutionen im Osten vor. Das Gutachten für die Weimarer Hochschule passte in meine Konzeption für ihre Zukunft ziemlich gut hinein. Der Grund war, dass es in der Kommission, die damals in Weimar tätig war, mindestens eins, zwei, drei ganz kluge Leute gab, die das mögliche Zukunftsformat dieser Hochschule als «Unikat in der deutschen Hochschullandschaft» begriffen, wie es der Wissenschaftsrat dann formulierte. Hier sollte, wie es schon einst das Bauhaus wollte, die Sphäre der Kunst und jene der Technik zu einer neuen Einheit gelangen können, eine alte Utopie also. Zugleich sind auch Fakultäten abgewickelt worden. Das war z. B. die Baustoff-Verfahrenstechnik, die sehr industrienah war und bei der man meinte, die braucht man jetzt an der Hochschule nicht mehr. Den Umbruch konnten wir abfangen, indem wir ein großes Institut an eine andere Fakultät andockten, das sich mit Baustoffkunde beschäftigt. Und das ist – aufbauend auf den Forschungen in der Zeit der DDR – heute ein weltweit renommiertes Forschungsinstitut für Beton und Zement. – Sorry, ich muss es erwähnen!

DD: Ganz wunderbar!

GZ: Ähnlich ging es mit der Fakultät Gebietsplanung und Städtebau, die geschlossen wurde, deren Kompetenzen wir aber innerhalb der Fakultät Architektur in einem neu gegründeten Institut für Europäische Urbanistik auf sehr spannende Weise rekonfiguriert haben. Der nächste analoge Fall war durchaus dramatisch. Nach dem Gutachten des Wissenschaftsrats mussten wir die Fakultät Informatik schließen.26 Ich bin zum Vorsitzenden des Wissenschaftsrats gefahren, um den zu beknien, in einem Moment, in dem es sozusagen auf der Straße lag, wie wichtig dieses Fach Informatik werden würde. Und ich habe hinhaltend Widerstand geleistet. Doch es gab auch diese irrsinnige Situation, dass es 1995 in ganz Deutschland kaum Studierende für die Informatik gab, geschweige denn in Thüringen, wo die Technische Universität Ilmenau, die Universität Jena und die Weimarer Uni Informatik anboten. Da war entschieden worden: keine Fakultät in Weimar, aber ein Studiengang, der Bauinformatik lehrt in Kooperation mit den grundständigen Studiengängen in Jena. Das klappte überhaupt nicht, weil die ja alle um die paar Studierenden, die es überhaupt noch gab, konkurrierten. So fand ich eines Tages einen Brief des Wissenschaftsrats vor, in dem mitgeteilt wurde, das gesamte Entwicklungskonzept für die Bauhaus-Universität stünde erneut auf dem Prüfstand, wenn nicht augenblicklich die Erklärung erfolgt, dass diese Fakultät geschlossen ist. Da habe ich – das vergesse ich natürlich nie – in Form einer Eilentscheidung als Rektor diese Fakultät geschlossen und mir vom Senat anschließend die Bestätigung geholt. Die hat er dann mehrheitlich auch gegeben. Und in der gleichen Senatssitzung haben wir die Fakultät Medien gegründet, die sozusagen das Folgeprojekt war. Natürlich nicht wörtlich, aber strukturell für diese Fakultät Informatik. Mit solchen Umbrüchen hatten wir permanent zu tun. Die Idee war: Nimm die Leute mit in den neuen Kontext. Entwickle aus dem neuen Kontext auch neue Impulse für das Fach. Und das gelingt dann natürlich nicht flächendeckend. Da gibt es Restbestände, die wegfallen. Aber grundsätzlich war das der Umbauprozess in Weimar.27

MK: Herr Pasternack, würden Sie eine andere Geschichte der Abwicklung erzählen? Wie haben Sie das von Leipzig aus erfahren? Gab es Projekte bzw. Institute, die in ihrer Einzigartigkeit ganz wegbrachen?

PP: Das war alles höchst dramatisch. Und dann wieder muss man das auch etwas relativieren. In der Wissenschaft bricht ständig irgendwas weg, ohne dass es irgendjemand bemerkt. In der Wissenschaft wird ja ständig auch irgendein Unsinn gemacht und es werden Ressourcen vergeudet usw. Diese Art von ‹verschwenderischem› Verhalten braucht Wissenschaft aber, sie braucht Probier-Routinen, und deshalb ist nicht jedes Drama, das individuell mit Berechtigung erzählt werden kann, immer auch ein großes Drama für die Wissenschaft. Gerhard Schröder als Ministerpräsident von Niedersachsen hat 1995 die Informatik an der Uni Hildesheim aus ähnlichen Gründen, wie sie gerade Herr Zimmermann geschildert hat, geschlossen. So etwas kommt vor. Und wir haben 1991 auch eine extrem gestaltungsoffene Situation gehabt. In dieser hing es extrem davon ab, welche Personen mit welchem Engagement und welchem Willen, sich einzubringen, in dieses Spiel eintraten.

GZ: Darf ich an dem Punkt einen kleinen Nachtrag machen zur Informatik? Im Moment nämlich, in dem wir die Informatik nach Willen des Wissenschaftsrats geschlossen haben, um die Konzeption der Uni weiterzutreiben zu können, haben wir auch gesagt: Wir wollen nicht, dass die Fakultät per Gesetz geschlossen wird; nicht vom Landtag, nicht von außen, sondern intern die Potenziale umbauen. Und wir haben dann diese Informatik, die Professoren und Professorinnen sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an die anderen Fakultäten angedockt mit der Idee, die vorhandene Anwendungsorientierung der Informatik zu verstärken. Und das war am Ende sehr richtig. Aber wichtig ist, dass man alles versucht, das nicht von außen und pauschal machen zu lassen. Denn dann gibt irgendeine Kommission, die eigentlich kein vitales Interesse hat, ein Urteil raus, das tödlich ist für die Mitarbeitenden und auch für dieses gesamte Fach. In unserem Fall haben wir die Informatik in gewisser Weise gerettet, indem wir sie einfach selber umgebaut haben und zugleich dem generellen Verdikt, die Informatik-Fakultät zu schließen, entgegengekommen sind.

PP: Damit haben Sie schon eine weitere Handlungsvariante angesprochen, nämlich man tut gleichsam aus Versehen etwas Richtiges in der Wissenschaftsentwicklung. Denn nur wenige Jahre später hätten Sie womöglich auf Landesanregung hin die Informatik wieder neu gründen müssen.

JM: Ich frage mich, ob das, was Sie gerade als ‹von außen versus von innen umbauen› bezeichnet haben, nicht in vielen Fällen zusammengefallen ist mit der West- versus Ost-Herkunft der Akteur_innen? Herr Pasternack, können Sie aus Ihrer Überblicksforschung heraus sagen, ob Personen, die schon vor Ort waren, den Umbau in einer gewissen Weise sanfter betreiben konnten oder vielleicht auch kreativer? Während es eher holzschnittartig verlief, wenn die Beschlüsse von außen griffen?

PP: Die Unterscheidung von innen/außen wurde in diesem Kontext ziemlich relevant. Das ist zunächst nicht transformationstypisch für Ostdeutschland, sondern das gilt immer, wenn in der Wissenschaft irgendetwas auf dem Prüfstand steht. Dann versucht man eine Innen-außen-Konstellation herzustellen, um damit einerseits Erfahrung, die aus dem Innen kommt, mit andererseits Innovation, die vielleicht nicht von innen kommt und also von außen organisiert werden muss, zusammenzuführen. Aber: Hier war es eine eindeutig vermachtete Situation – das war die Besonderheit. Und es war klar, wer hier die Macht hat. Das war auch uns als Studierendenvertreter_innen schon deutlich bewusst. Die machtvolleren Positionen waren westdeutsch besetzt. Und das spielte unterschwellig durchgehend eine Rolle. Diejenigen, die von ostdeutscher Seite her Positionen besetzten, waren in dieser Zeit häufig noch in ungesicherten Vertragsverhältnissen. Diese Situation führte dann zu einer Schieflage in den sozialen Anordnungen, in denen Diskussionen stattfanden. Insofern gab es doch eine deutliche Synchronisation von innen und außen und Ost und West. Gleichzeitig kann man auch nicht sagen, dass dort, wo alle so aktiv waren wie Herr Zimmermann und die Leute an der Bauhaus-Uni, auch alle die Chance hatten, das genauso hinzukriegen wie die Weimarer. Es gab ja andere Institute mit ganz ähnlichem Engagement und dort lief das vollständig ins Leere, weil andere Konstellationen gegeben waren. Zum Beispiel, Herr Zimmermann, ist es mir bis heute ein Rätsel, wie sowohl Sie als auch die Akteure und Akteurinnen in Ilmenau es hinbekommen haben, Ihre Hochschulen zu Universitäten zu machen und zu verhindern, dass sie wie Mittweida oder andernorts zu Fachhochschulen wurden – wahrscheinlich eine Thüringer Sondersituation.

GZ: Das war noch vor meiner Zeit als Rektor, als diese Frage ‹Fachhochschule oder Universität› behandelt wurde. Zwei Größen haben meines Erachtens dazu geführt, dass die HAB einrangiert wurde in den Status einer wissenschaftlichen Hochschule, die den Universitäten gleichgestellt war. Erstens: Die Ingenieurwissenschaften in Weimar waren hochentwickelt und international vernetzt. Dies galt z. B. für die Baustoffforschung mit Prof. Dr. Jochen Stark. Es galt schon in den 60er Jahren für Prof. Matzke, einen Mathematiker, der sehr früh Pionierleistungen in der Bauinformatik in Weimar bewirkte und entsprechend ausstrahlende Konferenzen organisierte. Und es galt, ohne dass die Nennung hier vollständig wäre, in besonderer Weise für Prof. Erhard Hampe, international renommiert im Sektor der modernsten Baukonstruktionen. Zweitens: die Tradition des Bauhauses, die seit Mitte der 70er Jahre auch in Weimar, dem Gründungsort, auf Bernd Grönwalds Initiative hin intensiv erforscht worden war. Diese beiden Faktoren bedeuteten: Diese Hochschule muss auf möglichst hohem wissenschaftlichem und künstlerischem Level gehalten und entwickelt werden. Wir hießen dann noch HAB und ich wollte unbedingt einen neuen Namen. Denn der Name deckte, insbesondere nach der Neugründung der Fakultät Gestaltung 1993, nicht mehr das Profil, das mir wichtig war: Ingenieurwissenschaften und künstlerische Disziplinen interagieren an einer Hochschule.

Der Begriff ‹Bauhaus› war die entscheidende Formel. Wir brauchten den Begriff in der Tat als Programm. Und den habe ich dann – mit Unterstützung der Thüringer Politik – durchgesetzt und im gleichen Atemzug, na ja, den Coup gelandet, das Wort ‹Universität› danebenzuschreiben – was zu der Zeit noch ungewöhnlich war, aber doch auch möglich. Das hat niemand auch nur einen Moment angezweifelt. Und das hatte auch alles ein bisschen was mit Tempo zu tun. Denn es ist alles wirklich in sehr intensiver Entwicklung passiert.

PP: Die Nutzung zeitlicher Dynamiken ...

GZ: Ja. Man muss – im richtigen Moment muss man es tun.

PP: Genau. Und es ist wesentlich abhängig davon, wie viele Akutprobleme z. B. so ein Ministerium gerade zu lösen hat. Für Berlin, wo 25 Prozent des gesamten Wissenschaftspotenzials der DDR konzentriert waren, muss man bei allem, was der Senat dort auch in höchst problematischer Weise entschieden hat, sagen: 1990/91 waren dort halt Entscheidungen zu treffen über 25 Prozent des DDR-Wissenschaftspotenzials von einer Landesregierung und -administration, die von nichts eine Ahnung hatte, die ja schon mit Westberlin überfordert war. Insofern gingen örtliche Konstellationen und zeitliche Dynamiken häufig ganz anders aus, je nachdem wo man sich befand.

MK: Die Frage nach der Dynamik und nach der Eile stellt sich in Auseinandersetzung mit unserem Thema sofort ein. Alles musste so schnell gehen. Ist das etwas, was Sie in dem Moment auch als Eile gespürt haben und wo Sie sich gesagt haben, eigentlich bräuchten wir jetzt noch mal zehn Monate oder auch zehn Jahre? Oder wurden die Entwicklungen im Allgemeinen eher mit Ungeduld angegangen, auch von Ihnen?

PP: Man hätte sich für alles viel mehr Zeit gewünscht. – Es gab den berühmten
Vermerk des damaligen sächsischen Finanzministers auf einer Rechnungshofbeanstandung: «Wird bei der nächsten Wiedervereinigung anders gemacht.» – Die Zeit gab es aber nicht. Ob das so sein musste, darüber gehen die Meinungen auseinander. Zum Beispiel hätte man auch auf die Altersstruktur vertrauen können. Dann hätte sich ab 1995 die DDR-Professorenschaft sozusagen von selbst aufgelöst, indem sie innerhalb von fünf Jahren fast komplett planmäßig in Rente gegangen wäre. Oder nehmen wir die Auswahl derjenigen, die für die Begutachtungen, für die Prüfungen von Institutskonzepten usw. engagiert wurden. Der Umstand, dass man die besten Fachvertreter und -vertreterinnen in eine Kommission bekommen hatte, konnte einerseits heißen, die kompetentesten Personen zu haben, und andererseits waren das diejenigen, die am wenigsten Zeit hatten, sich um diese Kommissionsarbeit zu kümmern, weil sie die Zampanos ihrer jeweiligen Fächer waren. Die Bewertungen der Institute hingen immer auch davon ab, ob jemand die umfangreichen Unterlagen für eine Evaluationssitzung mal kurz im Zug durchgeblättert hat oder sich gesagt hat: Nein, ich mache jetzt irgendetwas anderes, das auch wichtig ist, nicht und lese diese 180 Seiten, weil da halt das Schicksal z. B. der von Frau Dornhof erwähnten 150 Leute dranhängt. Und das war schwer steuerbar. Da konnte man bei den Personen, die so etwas taten, großes Pech und großes Glück haben und manches halt auch dazwischen. Und dazu kamen dann noch kollektive Dynamiken, die sich in solchen Gremien entfalten.

DD: Ich wollte noch einmal auf den zu Beginn zitierten Steffen Mau zurückkommen, um die Dramatik zu unterstreichen. Er beschreibt Ostdeutschland als eine Gesellschaft der Frakturen, die sich aus den Besonderheiten von Sozialstruktur und Mentalität ergeben. Fraktur ist eine Metapher für die Brüche und Widersprüche in den Sozialstrukturen der DDR, die nach 1989 und dann in der Transformation weiterwirken. Nach dem einmaligen Gefühl, Subjekt der Geschichte zu sein, spannte sich sehr bald in Ökonomie, Kultur, Medien, Wissenschaften der westliche Referenzrahmen auf und ließ all die Empowermenterfahrungen ins Leere laufen. Die DDR-Bevölkerung fand sich über Nacht auf den untersten Rängen in der Hierarchie der bundesdeutschen, nun vereinten deutschen Gesellschaft wieder. «Deklassierungs- und Entmündigungserfahrungen waren an der Tagesordnung, und dies zu einem Zeitpunkt, an dem man gerade zum ersten Mal die beglückende Erfahrung kollektiver Handlungsfähigkeit gemacht hatte.»28 Ich finde das sehr zutreffend beschrieben. Obwohl es günstiger verlaufene Einzelbeispiele gibt, von denen hier berichtetet wurde. Und auch die Kulturwissenschaft hat eine institutionelle Kontinuität an der HU erfahren. Das Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung wurde nicht zuletzt wegen seiner interdisziplinären Ausrichtung positiv evaluiert und heißt heute Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterforschung. Wir haben 1997 den bereits erwähnten Gender-Studiengang «Geschlechter-Studien» fakultätsübergreifend aufgebaut. Da sind die Jurist_innen dabei, die Mediziner_innen, Kunst, Theologie, Politikwissenschaft. In acht von elf Fakultäten und in 18 Fächern werden Lehrveranstaltungen angeboten. Das ist schon wirklich einmalig, was da passiert ist, auch gesamtdeutsch gesehen. Ich könnte eigentlich viel Positives sagen, was aber den Frakturen nicht widerspricht, denn beides gehört zusammen. Die Deklassierungserfahrungen und die Verwerfungen, ebenso wie die strukturellen Frakturen und die Zugewinne.

GZ: Die These von Mau stimmt, und sie stimmt nicht, kann also, wie mir scheint, nicht pauschal gelten. Im Falle der Hochschulrektoren und -rektorinnen, die ja aus den Hochschulen gewählt worden sind, war es so, dass – wenn ich es richtige sehe – am Anfang alle komplett Ossis waren. Und das hat lange angehalten. 2011 war ich selbst aber einer der letzten Ostdeutschen unter den Rektoren und Rektorinnen. So, das heißt, da ist genau das passiert, was vorher schon bei den Besetzungen der Professuren passiert ist. Das muss man einfach so sagen: Da waren kaum welche aus dem Osten dabei. Es gab am Anfang diese sogenannte Überleitung, wo eine externe Kommission – die bestand ja auch fast komplett aus Westdeutschen – in den einzelnen Fächern die Leute bewertet hat. Aber in den folgenden Konkurrenzen waren die Ostdeutschen weitgehend chancenlos. Ich sage Ihnen ein Beispiel: Wir haben 1993 die Fakultät Gestaltung in Weimar komplett neu gegründet und von 19 Professoren und Professorinnen dieser neu gegründeten Fakultät war ein einziger ein Ex-DDR-Bürger, und das war Olaf Weber. Das hat natürlich zu tun mit dem Leistungsbild, das man im Vergleich vorweist. Es sind sicherlich auch Lesarten, die eine Rolle spielen, Vorurteile, Haltungen. Aber es hat natürlich gerade auch im Bereich der Architektur oder des Ingenieurwesens damit zu tun, ob das Leistungsvolumen, das man da mitbrachte, konkurrenzfähig war mit dem, was jemand im Westen aufbauen konnte. Die Talente waren da, die Intelligenz war da, die Kreativität, das Engagement auch. Einer der fatalen Gründe für den Untergang der DDR war aber doch, dass deren Entfaltung permanent – man kann sagen systematisch – torpediert wurde. So entstand der historisch bedingte Nachteil. Und es gab keinen Bonus, der das kompensiert hätte.

JM: Aber hätte man nicht, gerade weil die Bedingungen andere waren, auch andere Kriterien in Berufungskommissionen aufstellen müssen? Das ist ja eine Frage der Gleichstellung. Herr Pasternack, Sie sagten vorhin, Sie waren als Student in diesen Berufungskommissionen schwer beschäftigt. Waren das Fragen, die man sich gestellt hat, oder spielte das einfach keine Rolle?

PP: Das hing wieder von ganz konkreten Akteuren ab. Wolfgang Schluchter fragte in Leipzig immer: Gibt es für diese Stelle Ostdeutsche, die wir einladen können zum Vortrag? Und dann wurden auch Ostdeutsche eingeladen, die man von der Papierlage her nicht zwingend hätte einladen müssen. Sie wurden eingeladen, weil sie ostdeutsch waren. Aber das hing davon ab, dass eine beteiligte Figur diese spezielle Aufmerksamkeit hatte. So ist das ja auch bei dem Durchbrechen gläserner Decken für Frauen oder migrantische Menschen. Es braucht immer jemanden, die oder der die Kanäle bahnt. Doch war die Situation der Ostdeutschen noch ein wenig anders: Sie waren faktisch – wie Mau schreibt – über Nacht auf der untersten Etage der sozialen Architektur der Bundesrepublik platziert. Und dann hatten alle die Chance, sich von dort aus gleichsam wie first generation students zu entwickeln, also wie Menschen, die als Erste aus ihren Familien an eine Hochschule gehen und dann manchmal auch ganz erstaunliche Karrieren hinlegen. Je nach Lebensalter – es ist ja ein Unterschied, ob man 20 Jahre oder fünf Jahre Berufserfahrung hat; gleichzeitig ist es ein Unterschied, ob man noch 30 Jahre vor sich hat oder eben nur noch 15, weil das in der Bewertung dann auch eine Rolle spielt, ob es sich ‹lohnt›, in eine Person zu investieren – konnte man sich darum bemühen, jetzt innerhalb von fünf Jahren eine Blitzkarriere hinzulegen, für die andere unter Normalbedingungen West eben zehn, 20 Jahre Zeit gehabt hätten. Und wer das bis Mitte der 90er Jahre nicht geklärt hatte, für den war, jedenfalls was Wissenschaft betrifft, die Sache abgeschlossen. Man hatte also ein extrem kurzes Zeitfenster, in dem man sich entwickeln konnte. Je nach Vorerfahrungen und deren Verarbeitung gelang das manchen leichter und manchen schwerer. Ich erinnere noch einmal an die unterschiedlichen Platzierungen: Wer Dissertation-B-Aspirant an der Pädagogischen Hochschule Zwickau war und dort ohne jeden West-Literatur-Kontakt eine Habil, die damalige Dissertation B, geschrieben hat, war mit höchster Wahrscheinlichkeit schlechter für dieses Aufholrennen gerüstet als jemand am Zentralinstitut für Literaturgeschichte in Berlin. Das waren unterschiedliche Ausgangsbedingungen, die sich nur zu einem geringen Teil den Einzelnen zuschreiben lassen.

GZ: Ich möchte auch eine Frage stellen: Ich finde, der Umbruch von 89/90 und die Folgejahre haben zu einer Situation geführt, in der die sogenannten neuen Länder und ihre Institutionen sich in mancher Hinsicht moderner weiterentwickelt haben als vielleicht einige Hochschulen oder akademische Institutionen im Westen. Das ist eine interessante Frage, wozu das führt, wenn man alte Strukturen bricht und neue aufbaut. Ich finde auch, das ist eine hochaktuelle Frage. Wir sehen ja deutlich, wie sich in einer ganzen Reihe von Feldern in Deutschland eine Art Beharrungsvermögen entwickelt hat, wo eigentlich Fortschritt und Weiterentwicklung dringend erforderlich wären, aber teilweise nicht stattfinden, weil sie z. B. in der Bürokratie stecken bleiben. Also ich glaube, es wäre nicht uninteressant, mal weiter zu fragen, was das, was wir hier diskutieren, für das Heute bedeuten würde. Was heißt das eigentlich? Brauchen wir ähnliche Aufbruchsformate wieder?

DD: So nicht noch einmal. Wir wurden mit Veränderungen konfrontiert, die unsere bisherige Erfahrungs- und Wissensräume überforderten und die nicht auf Augenhöhe verhandelt wurden.

GZ: Gut. Sie geben diese Antwort, und die kann ich gut verstehen. Ich würde aber sagen: Ja, wir brauchen wieder, sagen wir, eine Renaissance. Das soll und wird nie so aussehen wie ʼ89. Die Zeiten sind völlig andere und die Umstände sind auch völlig andere. Da will ich nicht missverstanden werden. Aber brauchen wir nicht auch wieder einen Geist des Aufbruchs und der Erneuerung, der uns teilweise abhandengekommen ist? In dieser Hinsicht durchaus so, wie im Herbst ʼ89.

DD: Ich möchte dazu sagen, dass eigentlich ein Aufbruch da war, der aber im Sog der nationalen Einheitsbestrebungen versandete. Also der Aufbruch begann mit der friedlichen Revolution, er fand mit neuen demokratischen Politikformen statt, in einer Zwischenzeit, wo es noch nicht Kapitalismus war, aber auch nicht mehr Sozialismus, also wo neue Denk- und Verhaltensmuster erprobt wurden, wo viele Optionen möglich schienen und enorm viel Hoffnung vorhanden war. An dieses Interregnum29 zu erinnern, halte ich für sehr aktuell. Denn es wurden ja aus der Krise heraus kaum neue Strukturen im Wissenschaftssystem geschaffen, sondern wir wurden eingefügt in bestehende Strukturen, und das waren die alten bundesdeutschen. Dieter Simon, der damalige Vorsitzende des Wissenschaftsrats, hat im Rahmen der Evaluierung der Ostdeutschen festgestellt, dass die Vereinigung auch der Bundesrepublik die Chance einer Erneuerung des Wissenschaftssystems geben könnte.30 Aber wo sind die Reformen geblieben? Wir haben jetzt ziemlich eingefahrene und prekäre universitäre Strukturen. Wir haben was Neues bekommen: die Geisteswissenschaftlichen Zentren, die aus den Akademie-Instituten einige Mitarbeiter_innen aufgefangen haben – für Zeithistorische Studien, Literaturforschung usw.31 Da sind aber auch die Direktoren alle aus dem Westen gewesen. Bei uns war es zum Glück Eberhard Lämmert, also ein uns ostdeutschen Forschenden sehr zugewandter Wissenschaftler, der sehr viel dafür getan hat, dass da einige weiterkommen. Aber im Großen und Ganzen hat sich doch überhaupt nichts erneuert. Es ist eingefügt worden und ich wollte eigentlich nur noch mal an diese Aufbruchstimmung erinnern.

GZ: Eigentlich hat es eine ganze Menge Reformen gegeben. Auch ziemlich tiefgreifende, wenn man z. B. an die Bologna-Reformen denkt.

DD: In der Aufbruchstimmung wurde Verschiedenes laboriert. Und da ist Vieles weggebrochen. Auch in der medialen Erinnerung. Sicherlich war das nicht nur die friedliche Revolution, das waren auch die Politik von Michail Gorbatschow und die Begehrlichkeiten von Helmut Kohl, an der Macht zu bleiben. Aber die Initiator_innen und Akteur_innen des Zusammenbruchs eines krisenhaften Regimes, das waren die Ostdeutschen. Und von dieser Aufbruchstimmung und Selbstermächtigung der Ostdeutschen, von den Experimenten mit neuen Demokratieformen, wie denen der Runden Tische, ist nicht viel übrig geblieben. Der ostdeutsche, vom Zentralen Runden Tisch in Auftrag gegebene Entwurf einer neuen Verfassung wurde komplett vernachlässigt. Er enthielt zahlreiche alternative Vorschläge und Modelle für ein gleichberechtigtes Miteinander und für eine umfassende Demokratisierung in Politik, Wirtschaft und Kultur.32

GZ: Also das sehe ich anders. Definitiv. In Weimar hat dieser Aufbau- und Erneuerungsprozess ja nie aufgehört. Wir – und ‹wir› ist hier Ost wie West – haben permanent neue Formate und neue wissenschaftliche Felder etabliert. Und das ist von innen gekommen, teils von außen angestoßen worden, z. B. durch Formate für Forschungsanträge, wie etwa die Exzellenzinitiative. Aber ich habe die Frage vorhin bewusst gestellt, weil sie mich beschäftigt: Was ist der Outcome dieser Jahre? Und ich glaube, dass sich natürlich viel getan hat in den Hochschulen. Also da spreche ich gar nicht nur für Weimar, wenn ich – um in Thüringen zu bleiben – an Jena denke, wenn ich an Ilmenau denke, dann kann ich nicht sagen, dass da Stagnation geherrscht hat in den letzten Jahren. Ob das genügt, international wirklich mitzuspielen – was das eigentliche Kriterium wäre –, ist eine andere Frage.

PP: Der typische Fall ist immer, dass es ein bisschen stagniert und ein bisschen innoviert. Das ist in Ost und West gleichermaßen der Fall und auch der Fall gewesen. Daneben kann man die Frage stellen: Gibt es irgendetwas, das sich darauf zurückführen lässt, dass da zwei Staaten und zwei Gesellschaften zusammengekommen sind, und wo man erkennen kann, dass da nicht nur eine einseitige, sondern eine wechselseitige Beeinflussung stattgefunden hat? Das müsste man an irgendetwas erkennen, das nicht spezifisch für den Westen gewesen ist. Nun ist es ein großes Problem bei der Outcome-Betrachtung des ostdeutschen Wissenschaftsumbaus, dass wir zwischenzeitlich den Bologna-Prozess hatten, der mit Ost und West und mit deutscher Vereinigung nichts zu tun hatte, aber sämtliche empirischen Ergebnisse verzerrt. Doch wir können uns immerhin eine Reihe von Sachen anschauen, die auch dabei durchaus sehr unterschiedlich gelaufen sind. Ich nehme mal ein Beispiel aus Leipzig: die Hochschule für Grafik und Buchkunst. Dort ist, wie an allen DDR-Kunsthochschulen, eine sehr solide handwerkliche Ausbildung geleistet worden. Das realistische und gegenständliche Paradigma war vorherrschend, wenn auch nicht alleinig existent. Und von denjenigen, die dort Absolventen gewesen sind, war zunächst völlig unklar, wie die sich werden behaupten können in einem gesamtdeutschen Kunstmarkt und Ausstellungsbetrieb. Dann gab es auch dort eine Neugründungskommission, und die hat etwas Ähnliches gemacht wie die Bauhaus-Uni in Weimar: mehr auf Medien setzen, Medientheorie, Medienpraxis, Verbreiterung des Kunstbegriffs usw. Es wurden entsprechende Professuren geschaffen, denn Medienaspekte in künstlerischen Ausbildungen galten als innovativ. In den nächsten Jahren aber nahmen Ausstellungsbetrieb und Kunstmarkt dann völlig andere Bewertungen vor: Sowohl in der Malerei als auch in der Fotografie kam die realistische Schule wieder zum Zug, und nun wurde auch wieder das Traditionelle des Leipziger Kunststudiums hervorgehoben. Jetzt kann man anhand dieses Beispiels nach innovierenden Wirkungen des Hochschulumbaus fragen: War das eine Innovation, dass sich am Ende etwas Traditionelles durchgesetzt hat? Oder war der Innovationsversuch, die Leipziger Kunstausbildung medienorientiert aufzurüsten, vielleicht etwas abwegig für diesen Ort? Also wir sind da doch in einer schwierigen Situation, wenn wir dazu evaluative Aussagen treffen möchten.

GZ: Kunst ist natürlich Medium und im digitalen Zeitalter hineingerissen in die globalen Umbrüche. Ich meine schon, dass der Mediendiskurs nicht einfach Mode und Mainstream ist, sondern fundamental und als solcher innovativ. Der internationale Erfolg der Leipziger Schule, der wirklich beeindruckend ist, liegt eben nicht einfach in der Beharrung auf dem Simpel-Traditionellen, sondern gerade in der medialen und somit globalen Präsenz. Dieser Raum ist die Folie, vor der die Einmaligkeit dieser Schule, gerade auch im Kunstmarkt, überhaupt erst definiert wird. Die digitalen Medien sollen die analogen, wie eben die Malerei, keineswegs ersetzen, sie schaffen aber ein völlig neues Milieu und Mittel der Kunstproduktion selbst. Und bei alldem können wir uns natürlich immer irren. Vielleicht aber sind die Irrtümer eigentlich das Beste, was uns passieren kann.

DD: Obwohl das ein schönes Schlusswort wäre, muss ich doch noch einmal intervenieren. Meine Bemerkung zielt jetzt auf etwas anderes, und zwar nicht unbedingt Ost-West-Repräsentanz an den Schulen, Universitäten und Medien oder Innovationen, die von welcher Seite auch immer gekommen sind. Ich würde sagen, eine Erneuerung der gesamtdeutschen Wissenschaftslandschaft, des Beitrittsgebiets und der alten Bundesrepublik, ist strukturell kaum passiert. Ich finde es ist eher prekärer geworden. Schauen Sie sich die Debatten um den Mittelbau an.33 Schauen Sie sich unsere Gesellschaft an, wie divers sie ist und wie unsere Universitäten ausgestattet sind. Wo haben wir PoC-Professor_innen? Der Anteil der Frauen an der Professor_innenschaft liegt im bundesdeutschen Durchschnitt bei 26 Prozent. Wie viele Professor_innen haben wir mit migrantischem Hintergrund? Multiperspektivität wird noch immer als Bedrohung der deutschen Diskurshoheit betrachtet. Ich meine solche Dimensionen der Gesellschaft, die ja auch zu einer Modernisierung des Wissenschaftsbetriebs führen sollten. Da hat sich doch so gut wie nichts getan bis heute.

GZ: Eindeutig zu wenig. Mir war allerdings besonders wichtig, ‹Multiperspektivität› gerade auch in der Figur der Weltoffenheit abzubilden, mit einem hohen Anteil internationaler Studierender und Professorinnen. 2012 war denn auch die Bauhaus-Universität die Internationale Hochschule in Deutschland, gewählt von Stifterverband und DAAD.

DD: Die neueren Exzellenzinitiativen halte ich für wenig zielführend. Da fließt viel Geld an die Universitäten für innovative Forschung. Es wird wahnsinnig viel geschrieben, viele Anträge, viele kluge Ideen. Dann werden ein paar Stellen geschaffen für jüngere Wissenschaftler_innen, und wenn die Projektlaufzeit beendet ist, bedeutet es in den meisten Fällen, dass die Forschenden arbeitslos werden oder erneut Anträge verfasst werden müssen. Das hat doch kaum Nachhaltigkeit. Also ich finde unsere Universitäten in einem Zustand, der erneuerungsbedürftig wäre. Sicherlich gibt es einige Erneuerungen für den Osten. Das hatte ich bereits erwähnt. Ich will ja Veränderungen, die partiell geschehen sind, auch nicht kleinreden. Aber die Erfolge gehen mit dem Scheitern und den ungenutzten Chancen der Vereinigung einher. Eine Reform des Wissenschaftssystems, die müsste grundlegender sein, struktureller.

PP: Ja, natürlich. Es gab auch ein paar andere Sachen, wo man sich hätte vorstellen können, dass die tatsächlich innovativ wirken. Zum Beispiel gab es in der DDR das, was in den 80er Jahren im Westen unter dem Begriff Area Studies diskutiert worden war: Lateinamerikaforschung in Rostock, Asien in Berlin, Afrika und Nahost in Leipzig. Das waren Agglomerationen von Fächern und Perspektiven, in denen Geschichte, Politik, Ökonomie und Kultur plus Sprache und Literatur immer für einen bestimmten geografischen Raum zusammengefasst wurden. Nach 1990 ist das re-traditionalisiert worden, wurde zerschlagen in Einzelphilologien, ergänzt um eine Politik- und eine Geschichtsprofessur, um einen Studiengang zu bilden.

Ich verstehe Herrn Zimmermann sehr gut, dessen eigene Gestaltungserfahrung für Weimar eine andere Antwort gibt. Aber wenn ich mir die ostdeutschen Universitäten vor Augen führe und das, was da eigentlich gelaufen ist, dann sehe ich dort nicht so viel Innovatives: Da haben wir etwa die Viadrina, das ist quasi eine Spezial-Universität geworden, die am Ende aus finanziellen Gründen kleingehalten wurde. Da hätte man sich vieles vorstellen können, eine viel größere Dynamik für Osteuropa-Forschung. Dass Osteuropa wichtig ist, das sehen wir nun gerade in diesen Tagen. Oder schauen wir nach Cottbus. Die TU dort dümpelte so vor sich hin. Vielleicht kommt da jetzt noch mehr Dynamik hinein durch das Kohleausstiegsgeld. Dann haben wir vier Agglomerationen an Wissenschaft. Das muss man auch würdigen, nur ist das nicht sonderlich innovativ, da es Vergleichbares auch andernorts gibt. Das ist Berlin mit Potsdam: ein riesiges Wissenschafts-Cluster. Da ist Jena, und man könnte auch sagen Jena-Weimar, schon deutlich kleiner. Und dann zwei mittelgroße Cluster: Leipzig und Dresden, wo jeweils mehrere Hochschulen mit zahlreichen außeruniversitären Forschungseinrichtungen an einem Ort versammelt sind. Aber das ist nicht im eigentlichen Sinne Innovation, sondern da ist halt regionale Gleichbehandlung hergestellt worden.

  • 1Eine gekürzte Version dieses Gesprächs ist erschienen in: Zeitschrift für Medienwissenschaft, Nr. 27, 2022.
  • 2Steffen Mau: Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, Frankfurt/M. 2019, 178.
  • 3Vgl. Hermann Klenner: Entstehung und Tätigkeit des RUNDEN TISCHES der weiland Akademie der Wissenschaften der DDR (1989/1990), in: Peer Pasternack (Hg.): IV. Hochschulreform. Wissenschaft und Hochschule in Ostdeutschland 1989/90. Eine Retrospektive, Leipzig 1993, 13–25.
  • 4Vgl. Petra Boden, Dorothea Böck (Hg.): Modernisierung ohne Moderne. Das Zentralinstitut für Literaturgeschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR (1969–1991). Literaturforschung im Experiment, Heidelberg 2004; Dorothea Dornhof: The Inconsequence of Doubt: Intellectuals and the Discourse of Socialist Unity, in: Michael Geyer (Hg.): The Power of Intellectuals in Contemporary Germany, Chicago 2001, 59–88.
  • 5Vgl. Marie-Christin Schönstädt: Transformation der Wissenschaft. Die Evaluation des ostdeutschen Wissenschaftssystems als Impuls für den Westen, in: Marcus Böick u. a. (Hg.): Jahrbuch Deutsche Einheit 2021, Berlin 2021, 215–241.
  • 6Vgl. «Von Helmut Kohls Plan waren wir gar nicht so weit weg» (Interview von Armin Himmelrath mit Kerstin Griese und Peer Pasternack), in: Spiegel Geschichte, 2.2.2020, www.spiegel.de/geschichte/studenten-bei-der-wiedervereinigung-von-helmut-kohls-plan-waren-wir-gar-nicht-so-weit-weg-a-f4740025-6f36-4352-948d-926bfcd8b751 (30.4.2022).
  • 7Am 9. Oktober 1989 fand eine der großen Montags-Demonstrationen in Leipzig mit 70.000 Menschen statt. Sie gilt als Schlüsselmoment der friedlichen Revolution in der DDR, Anm. d. R.
  • 8Die Zeitschrift hochschule ost wurde 1991 in Leipzig gegründet. Thematische Schwerpunkte waren die DDR-Wissenschafts- und Hochschulgeschichte und die Transformation der ostdeutschen Wissenschaft nach 1989. Volltextarchiv unter: www.hof.uni-halle.de/journal/hso.htm (13.5.2022). Seit 2002 wird die Zeitschrift als die hochschule vom Institut für Hochschulforschung Halle-Wittenberg (HoF) publiziert, siehe www.die-hochschule.de (13.5.2022).
  • 9Vgl. Helga Grubitzsch, Dorothea May: Frauen – Literatur – Revolution, Pfaffenweiler 1992.
  • 10So fand vom 3. bis 9. April 1989 an der Universität Hamburg das internationale Symposium «Frauen und Weiblichkeit im kulturellen und literarischen Prozess» statt, vgl. Inge Stephan, Sigrid Weigel, Kerstin Wilhelms (Hg.): «Wen kümmert’s, wer spricht». Zur Literatur- und Kulturgeschichte von Frauen aus Ost und West, Köln, Wien 1991.
  • 11Vgl. Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in 7 Bänden, hg. v. Karlheinz Barck, Martin Fontius, Dieter Schlenstedt, Burkhart Steinwachs, Friedrich Wolfzettel, Stuttgart, Weimar 2000–2005; vgl. auch Ernst Müller: Eberhard Lämmert am ZfL. Zur Fortführung der ‹Ästhetischen Grundbegriffe›/Eberhard Lämmert at the ZfL: On Cultivating the ‹Fundamental Aesthetic Concepts›, in: Trajekte, Nr. 31, 2015, 4–9.
  • 12Vgl. z. B. Manfred Naumann u. a. (Hg:): Gesellschaft – Literatur – Lesen. Literaturrezeption in theoretischer Sicht, Berlin 1973.
  • 13 Vgl. dazu: Petra Boden: So viel Wende war nie. Zur Geschichte des Projekts ‹Ästhetische Grundbegriffe› – Stationen zwischen 1983 und 2000, Bielefeld 2014.
  • 14Vgl. Ernst Müller: Ästhetische Grundbegriffe, in: ders., Falko Schmieder: Begriffsgeschichte und historische Semantik. Ein kritisches Kompendium, Berlin 2016, 951–970.
  • 15Vgl. Dorothea Dornhof: Weiblichkeit, in: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 6, hg. v. K. Barck u. a., Weimar 2010, 481–520.
  • 16Vgl. Karlheinz Barck: Literaturwissenschaften in der DDR. Ein Rückblick, in: Burkhart Steinwachs (Hg.): Geisteswissenschaften in der ehemaligen DDR, Bd. 1, Konstanz 1993, 213–229; Wolfgang Zapf/Georg Thurn (Hg.): Konferenzbericht. Zur Lage der sozialwissenschaftlichen Forschung in der ehemaligen DDR. Wissenschaftliche Interessen, Forschungserfahrungen, Strukturprobleme, Kooperationswege, Berlin 1990.
  • 17 Als Beispiel nannte D. Dornhof während des Gesprächs den Chemiker Robert Havemann, «der kritische Vorlesungen über ‹Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme› der Naturwissenschaften hielt. Vgl. Robert Havemann: Dialektik ohne Dogma. Naturwissenschaft und Weltanschauung, Reinbek 1964] und sowohl Widerstandskämpfer als auch Kommunist war. Er verlor seine Professur und wurde aus der Akademie der Wissenschaften ausgeschlossen von einem damaligen Präsidenten, der in der NSDAP war. Robert Havemann saß selbst im Konzentrationslager.»
  • 18DKP: Deutsche Kommunistische Partei; SEW: Sozialistische Einheitspartei Westberlins, 1962–1991.
  • 19Werner Mittenzwei (Hg.): Positionen. Beiträge zur marxistischen Literaturtheorie in der DDR, Leipzig 1969. Dieser Band gilt als Gründungsmanifest des ZIL, Anm. v. D. Dornhof.
  • 20Erwin Pracht, Irene Dölling u.a.: Ästhetik heute, Berlin 1978.
  • 21Mit Neugründung der Berliner Kulturwissenschaft entstand «ein Fakultätsinstitut Kultur- und Kunstwissenschaften (vergleichbar einem Fachbereich), dem die (Nenn-)Institute für Kulturwissenschaft, Ästhetik, Theaterwissenschaft und Kulturelle Kommunikation, Kunstgeschichte sowie das Winckelmann-Institut für Klassische Archäologie» angehörten, Peer Pasternack: Geisteswissenschaften in Ostdeutschland 1995. Eine Inventur. Vergleichsstudie im Anschluss an die Untersuchung «Geisteswissenschaften in der DDR», Konstanz 1990, Leipzig 1996, 156.
  • 22Holger Brohm: Art. Kulturwissenschaft, in: Rüdiger vom Bruch, Heinz-Elmar Tenorth (Hg.): Geschichte der Universität zu Berlin 1810–2010. Biographie einer Institution. Praxis ihrer Disziplinen, Bd. 6: Gefährdung und Selbstbehauptung einer Vision, Berlin 2010, 509–524.
  • 23Vgl. Thomas Höpel: Das Berufsbild des Kulturwissenschaftlers. Die Professionalisierung der Kulturfunktionäre in der DDR, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2012, www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1581 (2.5.2022).[/fn Und in Berlin ging das eher so in Richtung Verlage, Medien, aber auch wissenschaftliche Forschung.

    MK: Wie erlebten Sie die Umbruchszeit mit Ihren Kolleg_innen in den verschiedenen Institutionen und an den neu geformten Instituten?

    DD: Wir hatten am ZIL ungefähr 150 Mitarbeiter_innen mit allem Personal, und davon sind dann 15 Wissenschaftler_innen übrig geblieben. Die kamen dann mit den Projekten, die sie in der Evaluierung vorlegten, an das neue, von der Max-Planck-Gesellschaft gegründete Zentrum für wissenschaftliche Neuvorhaben.Die von der Max-Planck-Gesellschaft eingerichtete ‹Förderungsgesellschaft Wissenschaftliche Neuvorhaben mbH› bestand von 1992 bis 1996. Neben der Einrichtung der Forschungszentren wurde ein Erneuerungsprogramm für Hochschulen (HEP, 1992–1996) für Ostdeutschland verabschiedet, das mit dem Wissenschaftlerintegrationsprogramm (WIP) Wissenschaftler_innen der Akademie der Wissenschaften an den Hochschulen der betreffenden Bundesländer integrieren sollte, vgl. Gerd Köhler: Wissenschaftler-Integrations-Programm (WIP). Leistungen und Perspektiven, Frankfurt/M. 1996; Wolfgang Hansen: WIP — Wissenschaftler-Integrations-Programm oder Wissenschaftler in Perspektivlosigkeit?, in: Physikalische Blätter, Bd. 52, Nr. 5, 1996, doi.org/10.1002/phbl.19960520503.

  • 24Vgl. Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin (Hg.): 25 Jahre Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin, Berlin 2021, abrufbar auf der Homepage des ZfL: www.zfl-berlin.org/files/zfl/downloads/publikationen/volltexte/25-jahre-gwz.pdf (1.5.2022).
  • 25Gisela Petruschka. Eine Bestandsaufnahme zur Frauenförderung an der Humboldt-Universität September 1992, in: ZIF-Bulletin, Nr. 5, Berlin 1992, 59.
  • 26Vgl. zur Geschichte der Fakultät Informatik auch den Beitrag „Rechentechnische Reparaturkompetenz“ von Franziska Klemstein in: Zeitschrift für Medienwissenschaft, Nr. 27, 2022, 79–90.
  • 27Vgl. Frank Simon-Ritz, Klaus-Jürgen Winkler, Gerd Zimmermann (Hg.): aber wir sind, wir wollen, und wir schaffen. Von der großherzoglichen Kunstschule zur Bauhaus-Universität Weimar 1860–2010, 2 Bde., Weimar 2010–2012.
  • 28Mau: Lütten Klein, 15.
  • 29Antonio Gramsci spricht von einem Interregnum, als einer Autoritätskrise, wenn die politische Klasse den Konsens verloren hat und nicht mehr herrschend ist. Vgl. Antonio Gramsci: Kerkerhefte, Hamburg 1991, 354.
  • 30Dieter Simon: Die Quintessenz. Der Wissenschaftsrat in den neuen Bundesländern. Eine vorwärtsgewandte Rückschau, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 51, 1992, 29–36, 32.
  • 31Die ‹Förderungsgesellschaft wissenschaftlicher Neuvorhaben mbH› der Max-Planck-Gesellschaft begann 1992, den Empfehlungen des Wissenschaftsrats folgend, die Geisteswissenschaftlichen Zentren ‹Europäische Aufklärung›, ‹Literaturforschung›, ‹Moderner Orient›, ‹Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas›, ‹Allgemeine Sprachwissenschaften›, ‹Wissenschaftsgeschichte und -theorie› sowie ‹Zeithistorische Studien› aufzubauen, vgl. die Informationen auf der Homepage der Max-Planck-Gesellschaft: www.mpg.de/954408/38_event26-1992 (1.5.2022).
  • 32Vgl. den Verfassungsentwurf im privat geführten Online Dokumenten-Archiv unter www.documentarchiv.de/ddr/1990/ddr-verfassungsentwurf_runder-tisch.html (27.5.2022); vgl. auch Auszüge aus dem Entwurfstext und Kommentare in Possi. Magazin für (post)ostdeutsches Empowerment, Zine, hg. v. Seline Seidler u. Judith Rinklebe, Hildesheim 2021, o. S.
  • 33Eine Passage im neuen Berliner Hochschulgesetz, mit der Beschäftigungsverhältnisse von wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen entfristet werden sollten, wird nun von einem aktuellen Gutachten des wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Abgeordnetenhauses als verfassungswidrig eingestuft. Die «Wissenschaftsfreiheit» stehe auf dem Spiel, ebenso die Sicherung von Innovation und Wettbewerb an den Hochschulen. Vgl. Pech für Postdocs, in: Berliner Zeitung, Nr. 136, 15. Juni 2022, 4.

Bevorzugte Zitationsweise

Dornhof, Dorothea; Pasternack, Peer; Zimmermann, Gerd; Klaut, Manuela; Mangold, Jana: «Eine eindeutig vermachtete Situation». Über den Umbruch in der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft seit 1989 und die Folgen bis heute. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Debattenbeitrag, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/debattenbeitrag/eine-eindeutig-vermachtete-situation.

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