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Ein Frau sitzt an einem Tisch

PUMZI. Eine filmische Gegenerinnerung der ökolonialen Gegenwart

GAAAP_ The Blog

PUMZI. Eine filmische Gegenerinnerung der ökolonialen Gegenwart

23.8.2018

«Länder sind nicht arm, sie befinden sich nur in unterschiedlichen Zeitkapseln», schreibt Wanuri Kahiu in dem Band African Futures (Heidenreich/O’Toole 2016). Sie nennt Beispiele: Simbabwe ist da, wo Kenia in den 1980er Jahren war, und Kenia ist, wo Südafrika 2000 war. Wenn ich Alexander Gauland während des ZDF-Sommerinterviews zuhöre, dann – so scheint es – befindet sich Deutschland 2018 da, wo Kenia spätestens 2009 war. Gauland, der «glaubt», dass der CO2-Ausstoß und die aktuelle Hitze in keinem Verhältnis zueinander stünden und der Mensch nichts tun könne, um das Klima zu beeinflussen, können wir der Zeitlichkeit der Zu-spät-Gekommenen zurechnen. Das Bild des vom Westen reklamierten Fortschritts verkehrt sich in das des Ewig-Gestrigen. Wanuri Kahiu hingegen steht mit ihrem bereits 2009 erschienenen Science-Fiction-Kurzfilm Pumzi für ein Kenia, das in Anbetracht der Auswirkungen des Klimawandels längst schon realisiert hat, was die Zukunft birgt, wenn nicht jetzt Verantwortung übernommen wird. Dabei bringt der Film so geschickt Technologieaffinität und Naturverbundenheit in Einklang, dass man denken könnte, hier bräche eine Zukunft an, die gegenüber dem, was Kodwo Eshun SF Capital nennt (Eshun 2003: 290ff.), gewappnet ist. Das heißt: Im Film, der die Zukunft Afrikas nicht nur mit Dystopie belegt, sondern durch die Agency einer Schwarzen Naturwissenschaftlerin, die zugleich Traumarchäologin ist, mit der Möglichkeit verbindet, Leben in der Postapokalypse entstehen zu lassen, haben wir es mit einer Science-Fiction-Narration zu tun, die nicht allein darauf ausgerichtet ist, die Kino- oder Netflix-Kassen durch die Vorausprogrammierung der Gegenwart klingeln zu lassen. Statt Zukunft als nur wenig zu Überraschungen neigende Ableitung von Gegenwart zu simulieren und zu kapitalisieren, entsteht eine alternative Zukunft, die auf Gegenerinnerungen beruht. Aber nun mal langsam. Die Zeilen wachsen gerade so schnell wie der Baum, der im Zentrum des Filmes steht.

PUMZI

35 Jahre nach dem Dritten Weltkrieg – dem sogenannten Wasser-Krieg – lebt eine autoritär organisierte Gesellschaft – die Maitu-Community – aufgrund der lebensbedrohlichen Hitze auf einer überirdischen Kapsel inmitten einer kargen, nicht wirtlichen Wüstenlandschaft. Wasser ist knappe Ressource und wird nach einem strengen Sicherheitsablauf rationiert abgeben. Ein bestimmter Recycling-Apparat erlaubt es, den eigenen Urin und Schweiß in Trinkwasser umzuwandeln, das gleichzeitig als Währung fungiert. Strom wird schadstofffrei durch die Zwangsarbeit von auf Laufbändern arbeitenden Menschen erzeugt.

Asha – die Protagonistin – ist Kuratorin des Virtual Natural Museum und mit der Konservierung wie auch Erforschung der Rückstände eines Lebens beschäftigt, das ihr selbst unbekannt ist und nur durch Träume erscheint. Nach einem solchen Traum, der sie glücklich nach einem Baum greifend zeigt, erwacht Asha und findet nach Erledigung ihrer Morgentoilette ein ihr anonym zugesandtes Päckchen vor. Es enthält eine Erdprobe, die Asha sogleich und entgegen der Anweisung der per Hologramm zugeschalteten Vorgesetzten untersucht. Ihre Untersuchung ergibt, dass die Erde nicht radioaktiv verseucht ist und zudem einen außergewöhnlich hohen Wasseranteil aufweist. Die Riechprobe schließlich lässt sie in einen Traumschlaf sinken, der Bilder ihrer unter Wasser nach Luft ringend zeigt, während gleichzeitig Unterwasserwurzeln eines mächtigen Baumes zu sehen sind.

Aufgeschreckt aus dem Traum entscheidet Asha, in die Erdprobe einen bereits archivierten Samen einzubringen und mit dem wenigen Wasser, das ihr für den Tag zur Verfügung steht, zu beträufeln. Vom Anblick erster Regungen aufgewühlt, flieht sie kurzentschlossen und entgegen des Verbots, die Kapsel zu verlassen, um den Keim einzupflanzen. Gegen die Brutalität der Sonne ankämpfend bahnt sich Asha einen Weg, lässt sich von der Fata Morgana eines Baumes inmitten der Wüste leiten, pflanzt das mittlerweile und wie in Zeitlupe gewachsene Bäumchen an die Stelle der Fata Morgana ein, um sich über den Hoffnungskeim wachend zu opfern. Asha stirbt, um – wie das Ende des Filmes vermuten lässt – einen Wald zum Leben erweckt zu haben.

Der Traum und/als das Undenkbare im Afrikanischen Futurismus

Was auf narrativer Ebene klassisch erzählt zu sein scheint, wird auf filmästhetischer, visueller und symbolischer Ebene mehrfach gebrochen. Der Traum spielt hierfür eine wesentliche Rolle.

Träume wie die von einem Leben mit Bäumen und Wasser sollen nach Maßgabe der regierenden Matriarchin der Maitu-Community mittels Sedativa unterdrückt werden. Während in Inception von Christopher Nolan (2010) der Traum zum Einfallstor der Manipulation von Menschen wird und somit als Waffe fungiert (vgl. Fitsch 2018), ist der Traum in Pumzi der auch ästhetisch artikulierte Katalysator des Subversiven. Das Leben mit Bäumen, das sich in das nur durch den Traum zum Vorschein kommende Unbewusste abgelagert hat, wird entgegen den sonst langsamen und ruhigen Einstellungen mit schnellen, pendelnden Kamerafahrten und Zooms dargestellt. Damit wird ein Sog erzeugt, der Asha ergreift bzw. von dem sich Asha entgegen der Direktive ergreifen lässt. Der Traum, der sie im Wasser nach Luft ringen lässt, ist Auslöser ihres Widerstands gegen das autoritäre und auf Überwachung und Kontrolle beruhende System. Aus diesem durch den Traum bedingten subversiven Akt entsteht schließlich die Realität neuen Lebens. Das Undenkbare, «was innerhalb des Spektrums möglicher Alternativen nicht begriffen werden kann, was alle Antworten auf den Kopf stellt, weil es die Begriffe untergräbt, in denen die Fragen formuliert werden» (Troillot 2002: 94)1, erscheint aufgrund der Träume möglich.

Doch noch etwas Anderes ist an der zweiten Traumsequenz interessant. Ich würde sogar behaupten, dass sich in ihr die Positionierung Wanuri Kahius filmisch übersetzt. In ihrem 2014 veröffentlichten TED-Talk argumentiert Kahiu, dass ihre Arbeiten nicht unbedingt dem Afrofuturismus zuzuordnen seien, weil diese Terminologie zu sehr mit der Diaspora verbunden sei. Eines der oft im Kontext diasporischen Afrofuturismus’ genutzten Motive ist das der geschwächten oder bereits verstorbenen Schwarzen schwangeren Frau, die während des transatlantischen Sklavenhandels über Bord geworfen wurde und deren unter Wasser geborene Kinder ein Schwarzes Atlantis gegründet haben (Womack 2013: 87; Diederichsen 1998: 109). Dieser utopische Ort bildet neben dem Saturn eine wichtige afrofuturistische Topographie und wird – nach einer längeren Tradition der Aneignung durch Schwarze männliche Künstler wie Sun Ra, Drexciya und Underground Resistance – derzeit von vielen Schwarzen Künstlerinnen und Musikerinnern wie Aaliyah, Azeila Banks, Beyoncé, FKA Twigs uvm. adaptiert (vgl. Köppert 2017).

Kahiu nimmt das Motiv in der Traumsequenz auf, um es gleichzeitig zu verschieben. Die ins Wasser eintauchende Schwarze Frau scheint entgegen der Variante, in der die Kinder der Frauen in der Lage sind, unter Wasser zu atmen, keine Luft zu bekommen. Das Wasser wird nicht direkt zum utopischen Raum, der Traum nicht direkt das Fantastische. Eher entsteht das Unwahrscheinliche und Unerwartete in der Kopplung von Traum und Pragmatismus. Zwar rüttelt der Traum Asha auf, aber sie orientiert sich schließlich an den praktischen Abläufen einer Biologin, die aus der Beobachtung der Entwicklung von Leben entsprechende Schlüsse zieht. Insofern diese Schlüsse nicht nur rein erkenntnistheoretischer Natur sind, sondern praxisbezogener, erreicht Asha das kaum Denkbare, das für kaum noch für möglich Gehaltene: das Leben und Gedeihen eines Baumes.

Vielleicht ist es dies, was die Wendung oder Erweiterung des afrofuturistischen Motivs ausmacht: Nicht allein die Überwindung der Konträre Science und Fiction im Zusammenhang Schwarzer und afrikanischer Kultur scheint Kahiu zu interessieren, sondern die Überwindung, die sich in eine konkrete und praxisbezogene Handlung übersetzt. Getragen von den traumhaften Geschichten und rationalen Handlungsabläufen naturwissenschaftlicher Forschung steht die Agency Schwarzer Weiblichkeit im Mittelpunkt, die Natur hervorbringt: nicht qua Natur, sondern durch Natur und deren auf Technologie beruhenden Methoden der Erzeugung und Erforschung.

Traumarchäologie: Das de/koloniale Naturkundemuseum

Kodwo Eshun schreibt am Anfang seines Artikels Further Considerations on Afrofuturism: «Imagine a team of African archaeologists from the future [...] excavating a site, a museum from their past: a museum whose ruined documents and leaking discs are identifiable as belonging to our present, the early twenty-first century» (Eshun 2003: 287). Kahiu scheint dieses Vorstellungsbild filmisch übersetzt zu haben. Damit wäre sie nicht die erste, beruhen Eshuns Gedanken doch auf John Akomfrahs Film The Last Angel of History (1995). Jedoch wäre sie die erste, die filmisch eine Schwarze kenianische Frau in die Position der Archäologin aus der Zukunft versetzt, die mit den Restbeständen unserer Gegenwart ein Museum ihrer Vergangenheit aufbaut. Dass dieses ein koloniales ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass die ruinierten ‹Dokumente› der Natur, also die ausgetrockneten und radioaktiv verseuchten Überreste von Pflanzen und Tieren, Zeuginnen des neokolonial mitbedingten Klimawandels sind. Sie repräsentieren das durch neokoloniale Bedingungen geraubte Gut. Sind es heute naturkundliche Sammlungen, die – wie das dem Berliner Naturkundemuseum ‹gehörende› Skelett des Brachiosaurus brancai – zu verstehen geben, dass im Zusammenhang mit dem Kolonialismus naturkundliche Artefakte geraubt wurden (vgl. auch Zeller 2018), werden in der Zukunft Knochen, Skelette oder Pflanzenreste darauf verweisen, dass der Raubbau an der Natur heute unter neokolonialem Vorzeichen steht. Das heißt, dass die Kohleverbrennung, das Fahren von SUV-Autos, das Durchkreuzen der Meere mit Schweröl tankenden Luxusdampfern in einem kausalen Zusammenhang damit steht, dass der gesamte Kontinent Afrika bei einer Erderwärmung von 3 bis 5 Grad noch in diesem Jahrhundert keine Landwirtschaft mehr wird betreiben können.

Was heißt das für die Dekolonialisierung der Museen der Zukunft? Der Traum – so meine Behauptung – spielt auch hierfür eine zentrale Rolle.

Im gleichen Atemzug, in dem Asha Dokumente archiviert, legt sie Träume frei und die mit diesen Träumen wiedererzählbaren Mythen. Der Mythos von zum Beispiel Gĩkũyũ und Mũmbi besagt, dass Ngai, der höchste Gott der ethnischen Gruppe der Kikuyu, Gĩkũyũ, dem von Ngai erschaffenen Stammesvater, das ihm gehörige Land zeigte und auf einen Feigenbaum wies. An dessen Stelle sölle Gĩkũyũ seine Heimstätte gründen. Bei diesem Baum angelangt fand Gĩkũyũ Mũmbi, die Frau, mit der er neun Töchter haben sollte, die wiederum die neun Clans der Kikuyu gründeten. Asha, indem sie träumt, einen großen Baum aus weiter Ferne sehen und – durch digitale Bildebenenaufteilung und Zoom –  nahezu ergreifen zu können, scheint den Mythos wiederzubeleben und gleichzeitig zu transformieren. An Stelle des Gründungsvaters Gĩkũyũ ist sie es, die den Baum erblickt, was – würden wir den Mythos weitdenken – zu einer lesbischen Konstellation führen könnte. Als Asha später im Film an die Stelle des Baumes gelangt, erscheint ihr jedoch keine Mũmbi verkörpernde Frau. Nur sie und ihr Baumwinzling bilden die companian species oder – wie Susan Arndt es ausdrückt – «cross*species interaction[] of responsibility beyond anthropocentrism» (Arndt 2017: 137). Aus der Vereinigung aus Mensch und Pflanze entsteht schließlich das neue Leben. Pumzi suggeriert folglich, dass der Mensch – um es mit Donna Haraway auszudrücken (Haraway 2016) – Kompost geworden sein muss, um der Welt noch eine Chance zu geben.

Mythen, die sich im Kontext der Träume in die Museumsarbeit einfügen und sich gleichzeitig in Bezug auf Gender wie auch auf die Kategorie Mensch transformieren, bilden das dekoloniale Reservoir – das Virtuelle – des Virtual Natural Museums. Um Restituierung wird es nicht mehr vordergründig gehen: Es wird kaum noch wer da sein, der restituiert werden könnte. Eher scheint das dekoloniale Museum der Zukunft darauf angewiesen zu sein, mit Natur, die nicht ist, durch Träume und Mythen zu interagieren. Daraus kann dann sogar ein Keim entstehen. Allerdings nur in Kenia, denn wenn die Gaulands weiter Politik betreiben, wird Deutschland nie dort angekommen sein, wo Wanuri Kahiu mit ihrem Film bereits 2009 war.

Literatur

Arndt, Susan (2017): Human*Tree and the Un/Making of FutureS: A Posthumanist Reading of Wanuri Kahiu´s Pumzi, in: Nora Dahlhaus/Daniela Weißkopf (Hg.): Future Scenarios of Global Cooperation. Practices and Challenges, Essen: Global Dialogues 14, 127-137.

Diederichsen, Diedrich (1998): Verloren unter Sternen. Das Mothership und andere Alternativen zur Erde und ihren Territorialien, in: ders. (Hg.): Loving the Alien. Science Fiction, Diaspora, Multikultur. Berlin: ID-Verlag, 104-133.

Eshun, Kodwo (2003): Further Considerations in Afrofuturism, in: CR: The New Centennial Review 3/2, 287-302.

Fitsch, Hannah (2018): Technische Dystopien und Utopien im Science Fiction, in: Alfred Krovoza/Christine Walde (Hg.): Traum und Schlaf: Ein interdisziplinäres Handbuch, Metzler: J.B. Springer, 116-119.

Haraway, Donna (2016): Staying with the Trouble. Making Kin in the Chthulucene, Durham: Duke University Press.

Kahiu, Wanuri (2016): Ahnen der Zukunft, in: Lien Heidenreich-Seleme/Sean O’Toole (Hg.): African Futures, Bielefeld: Kerber, 175-186.

Köppert, Katrin (2017): Glanz. Zur Diffraktion des Spiegels. Beyoncé und FKA twigs als 'glänzende' Beispiele des ‹Schwarzwerdens›, in: FKW//Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur 63, 49-54.

Troillot, Michel-Rolph (2002): Undenkbare Geschichte. Zur Bagatellisierung der haitischen Revolution, in: Sebastian Conrad/Shalini Randeria (Hg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main: Campus, 84-115.

ders. (1995), Silencing the Past. Power and the Production of History, New York: Beacon Press.

Womack, Ytasha (2013): Afrofuturism. The World of Black Sci-fi and Fantasy Culture. Chicago, Chicago Reviewer Press.

Zeller, Joachim (2018): Postkolonialismus: Eine koloniale Schatzkammer, in: iz3w - informationszentrum 3. welt.

  • 1Michel-Rolph Troillot bezieht sich auf das Undenkbare und trotzdem Erfolgreiche der Haitianischen Revolution in seinem Buch Silencing the Past. Power and the Production of History (1995).

Bevorzugte Zitationsweise

Köppert, Katrin: PUMZI. Eine filmische Gegenerinnerung der ökolonialen Gegenwart. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/gender-blog/pumzi.

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