Wissenschaftliche Webseiten (Einleitung)
Über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Wissenschaft im Internet
Dies ist die Einleitung zur folgenden, vierteiligen Reihe über wissenschaftliche Webseiten. Darin soll es, ausgehend vom historischen Verhältnis von Internet und Wissenschaft (Teil 1), um die Anforderungen und konkrete Planungsfragen für Projektwebseiten (Teil 2) sowie einige Strategien für deren Bewerbung und Vernetzung heute und in der Zukunft gehen (Teil 3).
Der Philosoph Michael Bench-Capon scherzte 2019 über das Verhältnis von Wissenschaftler_innen zu ihren Publikationen in einem Tweet: «Broke: publishing in journals. Woke: self-publishing on your website. Bespoke: Leaving a storage unit full of incomprehensible handwritten notes for people to work through after you’re dead». Nun muss man als Akademiker_in nicht erst kurz davor sein, das eigene Äquivalent von Luhmanns – hoffentlich wenigstens digitalem – Zettelkasten zu hinterlassen, um diese Situation zu kennen. Die Frage nach einer Veränderung der Veröffentlichungspraxis scheint sich vor allem im Spannungsfeld zwischen jenen kostenintensiven Journal-Beiträgen (oder Büchern) und dem (selbst-)bewussten Veröffentlichen auf der eigenen Webseite zu bewegen. Dies gilt besonders auch für die Arbeit, die in Forschungsprojekten verschiedene Autor_innen zusammenführt. Um diese Forschungsprojektwebseiten soll es im Folgenden gehen.
Sind Webseiten also die ‹neuen Bücher›…
Wissenschaftliche Vernetzungsprojekte standen am Beginn dessen, was heute als Internet den Alltag vieler Menschen (mit)bestimmt. In einiger Verzögerung zu Journalen und Büchern entwuchsen die Netzmedien ihren technischen Unwägbarkeiten – und boten Raum für den Austausch wissenschaftlicher Forschung. Heute wählen viele Institutionen, Wissenschaftler_innen, Verbände und jüngere Forschungsprojekte als ‹neue›, vermeintlich kostengünstige Variante einer Präsentations- und Publikationsplattform eine Webseite.
Insbesondere für Projekte, die auf den ersten Blick eine längere Finanzierung und Personal haben, scheinen Webauftritte zunächst ein ideales Vehikel für die Präsentation von Daten über einen gewissen Zeitraum zu sein. Sie sind suchbar, können vielfältige Informationen liefern und bieten Möglichkeit zur Kontaktaufnahme.
…oder eine digitale Sackgasse?
Tatsächlich werfen Webseiten im heutigen Wissenschaftssystem allerdings Probleme auf: Ein Buch oder Artikel mit seiner zyklischen Produktion und dem langem Verbleib in den Bibliotheken stellt eine punktuelle Belastung dar, während eine Webseite dauerhafte finanzielle und inhaltliche Anforderungen stellt.
Anders als Bücher altern digitale Textassemblagen außerdem in problematischer Geschwindigkeit. Und sie demonstrieren oftmals eher ein Unverständnis für eine digitale Publikationsumgebung als dass sie Ergebnisse von Forschung und Arbeit präsentieren.
In der tatsächlichen Umsetzung werden Webseiten deshalb häufig zu einer digitalen Visitenkarte reduziert, auf der veraltete Lebensläufe und eine datierte Projektbeschreibung online ‹verstauben›, oder sie werden, qua Ankündigung im Förderantrag, in der letzten Minute ins Netz gefrachtet, während die Projektmitglieder bereits auf gepackten Koffern sitzen und sich in den Bemühungen um Anschlussjobs befinden.
Es braucht keinen Blick ins Backend dieser Forschungsseiten um zu wissen, dass der Zugriff auf solche Seiten, der Traffic, quasi kaum existiert. Das Wissen, das die Projekte produziert haben, zirkuliert derweil in den Bibliotheken, Buchhandlungen, Journals und – hoffentlich – in OA-Repositorien wie media/rep/ oder MediArXiv. Dort wird es sicherlich auch nicht täglich abgerufen, erzeugt aber immerhin keine Kosten mehr über das Projektende hinaus.
Aliquid stat pro aliquo
Sind Webseiten also der kleine, entscheidende Unterschied zwischen einer bewussten (‹woke›) Wissenschaft und einer_m armen (‹broke›) Wissenschaftler_in? Stehen sie nicht nur für sich, sondern auch noch für etwas Anderes? Öffnen sie beispielsweise die Wissenschaft im Sinne von Open Science und Open Access? Oder haben sie keinen Platz in der heutigen Wissenschaft? Sind sie am Ende nur eine fixe Idee? Eine Modeerscheinung der digitalen Zeit? Woher kommt überhaupt das Bedürfnis nach einem wissenschaftlichen Auftritt und Austausch im Netz? Und was braucht es dafür? Die folgende Reihe geht diesen Fragen nach.
Bevorzugte Zitationsweise
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