XYZ, M.A. – Ein Wochenbericht
XYZ ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem geisteswissenschaftlichen Fach an einer Hochschule in Deutschland. Sie promoviert und unterstützt auf einer 50%-Stelle ihr Institut in Lehre, Organisation und Forschung. Drei- bis viermal pro Jahr fährt sie auf Konferenzen, um ihre eigenen Forschungsarbeiten in der wissenschaftlichen Community sichtbar zu machen, und sie veröffentlicht ein bis zwei Artikel pro Jahr. Die Promotion läuft quasi nebenbei. Mit dieser Biografie ist sie eine von vielen gut ausgebildeten, aber überaus prekär lebenden Nachwuchswissenschaftler_innen in Deutschland. Als Teil des wissenschaftlichen Mittelbaus nimmt sie dennoch gesamtgesellschaftlich betrachtet eine privilegierte Position ein, als weißes, nicht-behindertes Subjekt sowieso. Als Frau* und Teil der LGBTQ-Community wiederum ist sie auch in diesem akademischen Betrieb weniger privilegiert: Ihr Arbeitsalltag ist durchzogen von Diskriminierungserfahrungen und -berichten, von Machtmissbrauch und Grenzüberschreitungen. Je länger sie im Hochschulbetrieb angestellt ist, desto mehr hört sie von Leuten, die den Unibetrieb verlassen mussten oder wollten, weil sie die Bedingungen zu unerträglich fanden, oder die diese anprangernd aushalten. Von Kolleg_innen. Von Studierenden. Von Freund_innen. Von Leuten, die im Unibetrieb leben und arbeiten. Nach vielen Gesprächen hat XYZ den Eindruck gewonnen, dass das Gefühl, dass hier zu oft Grenzen zu weit überschritten werden, vielleicht doch keine Einbildung oder Übersensibilität von ihr ist, sondern an diversen Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen im Unibetrieb liegen. Und deshalb hat sie sich hingesetzt und eine Woche Tagebuch geführt.
Die folgenden Einträge sind sehr persönliche Eindrücke von XYZ. Sie beschreiben aus einer subjektiven Perspektive den Arbeitsalltag einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin, Doktorandin und Nachwuchswissenschaftlerin in Deutschlands Hochschullandschaft. Sie beschreiben auch strukturelle Probleme gegen die wenig getan wird. Dieser Text soll eine Einladung zum Dialog sein, aber auch dazu einladen, weitere Berichte dieser Art zu versammeln.
Montag
Montag ist Seminartag. Danach Sprechstunde. Danach sogenannte Alltagsarbeit: Nachbereitung vom Seminar, Emails abarbeiten, Tagung im Juli organisieren, Antrag auf Finanzierungshilfe schreiben und den Vortrag für Mittwoch noch finalisieren. Der Tag beginnt um 10 Uhr morgens und wird nicht vor 10 Uhr abends enden. Das Privileg der Wissenschaft: verhältnismäßig freie Zeiteinteilung. Abgesehen von den Gremien- und Institutssitzungen, den Auswahlgesprächen, Workshops, Seminaren, die auf die Raumsituation Rücksicht nehmen müssen, die Termine in der Verwaltung, Telefonkonferenzen und informelle Pre- and Afterwork-Meetings. Insgesamt vielleicht doch Jammern auf hohem Niveau und ja, klar, «ich hab es mir ja so ausgesucht».
Das Seminar begann recht unspektakulär, außer dass vereinzelte Studierende wie immer fehlten, weil sie arbeiten mussten oder in der Bahn feststeckten oder vielleicht auch einfach nicht kommen wollten. Die Diskussion verlief wie immer sehr schleppend, die Studierenden antworteten nur zögerlich auf meine Fragen und ich frage mich wieder einmal, ob das an mir liegt. Nach der Sitzung kamen zwei Studierende zu mir und bedankten sich für die anfangs ausgesprochene Content-Warnung, die scheinbar immer noch nicht gang und gäbe im Unibetrieb ist. Sie berichten mir von den Gewaltdarstellungen, mit denen sie in anderen Seminaren und Vorlesungen regelmäßig unvorbereitet konfrontiert werden. Aufeinander achten, Konsens einholen, Entscheidungsräume schaffen – banale Sachen, die so schwer zu sein scheinen und die aber auch ich erst lernen musste. Die Frage, ob die Seminardiskussion zu anspruchsvoll gewesen sei, verneinten sie, meinten jedoch, dass sie Angst hätten, etwas Falsches zu sagen, und auch nicht durch dumme Fragen auffallen wollten. Ob ich diesen Eindruck vermittle, wollte ich wissen, doch sie verneinten und verwiesen auf Erfahrungen aus anderen Seminaren. Aber was sollten sie mir in dem Moment auch sagen können? Letztendlich sind sie auch von mir abhängig, von meiner Macht, ihnen Noten zu geben, sie durchfallen zu lassen und das Studierendenleben zu verkomplizieren. Die Uni ist durchzogen von Hierarchien und ich stecke mitten drin, bin Teil davon, habe selbst Macht und bewege mich in (Seminar)Räumen, die von machtvollen Anordnungen durchzogen sind. Auch ich bin Kompliz_in in diesem Spiel und trage entsprechende Verantwortung. Mich selbst und meine Machtposition zu reflektieren ist das Mindeste, was ich tun kann, entsprechend handeln ebenso.
Dienstag
Ich bin wütend. Wütend und angeekelt. Heute war ich mit Kollegin FGH, ebenfalls Doktorandin und WiMi an einem ähnlich ausgerichteten universitären Institut wie meinem, Mittagessen, und was sie mir von ihrem Doktorvater berichtete, lässt mich doch wieder stark an diesem Betreuungsverhältnis und bestehenden Zustand an ihrer Hochschule (ver)zweifeln. Sie erzählte mir von teils sexistischen Anspielungen auf wörtlicher Ebene, aber auch von Vorfällen, an denen eine körperliche Grenze überschritten wurde. Ich möchte diese Vorfälle nicht noch einmal verschriftlichen, da es mich nur noch wütender machen würde, und darüber hinaus ist es nicht meine Erfahrung, die ich hier schildern würde. Nichtsdestotrotz schreibe ich es an dieser Stelle auf, da es nur eine Schilderung von vielen ähnlichen ist, die ich innerhalb des letzten Jahres gehört habe. Auf die Frage, ob das Verhalten gemeldet wurde, kam heute, aber auch an vielen anderen Tagen, die Antwort, dass die vorgesetzte Person bereits ganz subtil auf das befristete Arbeitsverhältnis hinwies, das ja nach den 2 bis 3 Jahren Vertragslaufzeit auch nicht unbedingt verlängert werden müsse. Gleichzeitig spielen natürlich bei Nicht-Verlängerung auch die Einschätzungen der vorherigen Arbeitgeber_innen eine Rolle, die zumeist gut vernetzt im Wissenschaftsbetrieb sind. In diesem Fall handelt es sich also um einen klaren Moment des Machtmissbrauchs, die durch das Standing sowie den Einfluss des Betreuers ermöglicht werden. Eine Vertrauensperson, an die sich Studierende oder WiMis an der Universität wenden können, gibt es in diesem Fall nicht. Die betroffene Person spricht zwar über den Gedanken, zu klagen, befürchtet jedoch, bei einem relativ hohen finanziellen Risiko, wenig Aussicht auf Erfolg zu haben und über eine mitschwingende Angst, sich dadurch die Karriere zu verbauen.
Ich weiß, das ist erstmal nicht mein Problem, ich sollte froh sein, dass ich diese Verhältnisse nicht am eigenen Leib erfahren muss, und ich sollte mich nicht in die Angelegenheiten anderer Menschen einmischen. Was ich ja auch gar nicht tue, sondern ich höre nur zu und empöre mich. Was irgendwie eine Art Anfang ist, und irgendwie aber doch auch so entsetzlich wenig.
Nach diesem frustrierenden Mittagessen gehe ich meiner eigentlichen Arbeit weiter nach – heute steht ein Gremientermin für den Nachmittag auf dem Kalender, der mit 3 ½ Stunden dann doch wieder wesentlich länger dauert als angesetzt. Abends gehe ich dann doch nochmal mein Vortragsmanuskript und die Präsentation dazu durch.
Mittwoch
Heute ist Vortragstag. Ich wurde zu einem anderen Standort eingeladen, um von meinem Dissertationsprojekt zu berichten. Ich halte gut 45 Minuten meinen Vortrag mit Anschauungsmaterial und kurzen Einschüben in Form von Fragen an die Zuhörer_innen. Anschließend ist eine Diskussion von insgesamt 40 Minuten vorgesehen. Es gibt anfangs konstruktive Kritik und Anmerkungen, die zum Wissenschaftsbetrieb gehören, an die ich mich mittlerweile gewöhnt habe und für die ich auch sehr dankbar bin. Anschließend eine weitere Wortmeldung: offensichtlich triggern manche Theorien bzw. Theoretiker_innen so sehr, dass eine konstruktive Kritik ausbleibt und voreingenommene Meinungen geäußert werden, die darin enden, dass das Forschungsprojekt als «langweilig» bezeichnet wird. Wenngleich diese subjektive Einschätzung vollkommen legitim ist und wir vermutlich alle schon mal diesen Eindruck nach einem Vortrag hatten, ist es doch etwas anderes, dies als vermeintliche Kritik zu verpacken und dabei mehr Raum einzunehmen als alle anderen zu Wort kommen wollenden Personen. Die kritisierende Person nahm insgesamt wesentlich mehr Zeit mit ihren Äußerungen ein in Anspruch, bis die Veranstalter_innen einschritten, um auch anderen Interessierten den Raum zum Fragestellen zu ermöglichen. Im Anschluss an die Diskussion entschuldigte sich der Redner bei mir unter vier Augen und nicht hörbar für die restlichen Anwesenden für sein Verhalten – eigentlich seien ja doch gute Ansätze dabei und es «war nicht so gemeint». Innerhalb dieses Raumes war letztendlich ein Hierarchiegefälle zwischen Professor_innen bis hin zu unbekannten Promovend_innen zu spüren, dass sich sowohl durch den Tonfall, die Formulierungen, aber auch durch das Problem der Regulierung der Redezeit einer Einzelperson zu beobachten war.
Nach diesem Vorfall fällt mir ein, wie viele solche Geschichten ich bereits vorher gehört habe und frage mich, ob ich doch zu sensibel bin, ob solche Vorfälle irgendwie dazugehören und ich ‹darüber stehen› sollte – wie gesagt, ich habe mir diese Laufbahn ja ausgesucht. Gleichzeitig weiß ich, dass dieses Verhalten nicht okay ist, ich es nicht hinnehmen möchte und eigentlich von erwachsenen Personen, die mitunter auch schon länger im Wissenschaftsbetrieb unterwegs sind, erwarte, dass sie mir als Kritik mehr Substanz zum Diskutieren und Nachdenken geben sollten.
Am Abend rufe ich eine befreundete Kollegin an und beschreibe ihr den Vorfall, der mich doch nicht so ganz loslassen möchte. Sie sagt, sie verstehe meinen Unmut vollkommen, aber ich solle versuchen, diesen Ausfall nicht so ernst zu nehmen, da ja keinerlei inhaltlicher Input kam, mit dem man hätte arbeiten können. Ok, das sehe ich ein. Trotzdem ist da noch ein kleiner Teil in mir, der sich das Gesagte zu Herzen nimmt – wir leben letztendlich ja doch von dieser Feedbackkultur und reflektieren über unsere Projekte. Gerade zu Beginn des Promotionsprojektes, wenn es sich noch um eine recht junge Idee handelt.
Donnerstag
Ich habe den gestrigen Tag immer noch nicht ganz verdaut, muss heute aber dringend das Konzept für meinen Lehrauftrag fertigstellen. Ich kann zwar von der 50%-Stelle mehr oder weniger okay leben, aber hin und wieder ein bisschen mehr Geld schadet nicht und außerdem möchte ich auch zusätzliche Lehrerfahrung sammeln, da ich plane, nach der Promotion an der Uni zu bleiben. Am Nachmittag rufe ich eine Freundin an, die bereits ein Seminar zu einem ähnlichen Thema gegeben hat, und tausche mich über mögliche und sinnvolle Konzeptionen für 5-stündige Blöcke aus. Danach berichte ich von einer Idee, die ich hatte – nämlich über Missstände an deutschen Hochschulen zu schreiben. Sie fragt nach, was das genau bringen solle, und ich kann ihr erstmal nichts Substantielles darauf antworten. Ja, was will ich damit eigentlich? Ich erzähle von verworrenen Machtverhältnissen, Abhängigkeiten, der Ausnutzung von machtvollen Positionen und Fällen in denen Grenzen nicht eingehalten wurden. Ich frage sie, ob sie nicht manchmal das Gefühl hat, dass hier etwas schief läuft. Sie ist anderer Meinung und erzählt daraufhin von dem guten Verhältnis zu ihrem Betreuer. Dieses Verhältnis ist so gut, dass er sie zumeist per WhatsApp kontaktiert und sich öfter mal beschwert, wenn sie innerhalb von 2-3 Stunden nicht antwortet. Dabei ist die Uhrzeit im Grunde relativ egal, genauso wie die Frage, ob gerade Wochenende ist oder nicht. Ich bin mir unsicher und frage nach, ob das dieses Privileg der freien Arbeitszeiteinteilung ist. Das hätte ich vermutlich nicht tun sollen, da ich in diesem Schritt etwas zu sarkastisch wertend war und entschuldige mich – dass hier im ersten Schritt eine Grenze nicht gewahrt wurde, ist schließlich nicht ihr verschulden. Jetzt könnte argumentiert werden, dass im Grunde jede Person selbst wissen muss, ob und wann sie erreichbar ist und ob und wann sie Nachrichten vielleicht auch mal ignorieren darf (und möchte).1 Gleichzeitig bleibt bei mir das Gefühl zurück, dass hier auch eine Grenze überschritten wird, und zwar von der Person, die in der machtvolleren Position ist und auch hier der Arbeitgeber und zugleich die letztendlich bewertende Person als Betreuer der Doktorarbeit ist. Und wieder: eigentlich nicht mein Problem – trotzdem frage ich mich, wie ich mit so einer Situation umgehen würde und ob und welche Handlungsmöglichkeiten es gäbe. Irgendwie ist das alles ziemlich frustrierend.
Freitag
Endlich Freitag! – Said no academic ever
Heute habe ich mir fest vorgenommen, endlich meinen Artikel für einen Sammelband fertig zu schreiben und setze mich an den Schreibtisch mit fast schon einer Art Vorfreude, heute auch mal wieder eigenständig etwas Text bzw. Inhalte produzieren zu können und zu dürfen. Das klappt ganz gut und ich schaffe tatsächlich, noch das Fazit anzufangen, bis mich mein Kalender an die heutige Deadline für die Einreichung eines Abstracts für eine Tagung erinnert.
Am Nachmittag telefoniere ich noch kurz mit meiner Doktormutter, um zu erfragen, ob sie meinen Artikel inhaltlich korrigieren könnte, und außerdem, um mal wieder einen Termin für ein Gespräch zur Dissertation auszumachen. Das kommt im Semesterbetrieb oft etwas kurz, wodurch auch die eigene Angst befördert wird, den Faden zu verlieren. Ich lege auf und freue mich, dass beide Wünsche erfüllt wurden, obgleich ich weiß, dass auch sie völlig überarbeitet ist und im Grunde kaum Zeit für ihre wissenschaftliche Arbeit hat. Auch das ist ein Problem – die Überarbeitung in eigentlich allen Statusgruppen. Ich versuche trotzdem positiv zu bleiben und gestehe mir mal wieder ein, dass ich es mit meinem Betreuungsverhältnis sehr gut habe.
Mir fällt ein kürzlich geführtes Gespräch mit einem Kollegen ein, der dieses Privileg nicht hatte. Seine Betreuung entsprach nicht seiner Vorstellung, was unterschiedliche Gründe hatte. Zum Teil waren es rassistische Äußerungen, zum Teil waren es Vorfälle der emotionalen Erpressung und der starken Thematisierung seiner Lebensweise, die eigentlich in den Bereich des Privatlebens fallen sollten. Er sprach daraufhin den Gedanken des Wechsels bei seiner Betreuerin an, auch weil er das Gefühl hatte, dass sie nicht besonders interessiert und glücklich mit ihm als Doktorand war. Dieser Schritt erschien ihm im Sinne des Konsens und nicht „hinter dem Rücken“-Aushandelns nur fair und logisch. Der Versuch eines Wechsels der Betreuerin dauerte letztendlich 1 ½ Jahre, da diese sich weigerte, Empfehlungsschreiben für das Dissertationsprojekt anzufertigen und darüber hinaus bei ihren Kolleg_innen Informationen zur vermeintlichen Unzuverlässigkeit des Doktoranden streute. Dabei sollte erwähnt werden, dass er keinesfalls Mitarbeiter bei ihr war. Neben dem Wechsel der Betreuerin gestaltete sich auch die Arbeitsplatzsuche, nachdem das Graduiertenkolleg ausgelaufen war, als schwierig, da das Promotionsprojekt an der Schnittstelle von u.a. Postcolonial Studies, Gender Studies und Queer Theory oftmals als «zu exotisch» bezeichnet wurde und auch die Positionierung als Person of Color die Stellensuche innerhalb des deutschen Wissenschaftsbetriebs nicht unbedingt erleichtert.
Um diese Tatsache zu realisieren, reicht es im Grunde schon, auf eine Konferenz zu fahren und die beteiligten Personen im Raum zu betrachten. Zurück zu mir: Ich gehöre ja selbst zu diesen beteiligten – überwiegend weißen – Personen im Raum. Bin ich im Grunde selbst Teil des Problems? Oder kann ich zumindest durch meine Positionierung als queere Frau*, aus einer Arbeiter_innenfamilie stammend, vielleicht bereits etwas an diesen strukturellen und personellen Problemen ändern? Reicht es, da zu sein, sprechen zu können und auf Probleme hinzuweisen? Reicht es, über die eigene Position zu reflektieren, oder sollte ich handeln – und sei es erstmal ‹nur› in der Verschriftlichung meines Unmuts.
Samstag
«Over-sensitive can be translated as: Sensitive to that which is not over.» (Ahmed 2015, Against Students)
Ich habe einen Entschluss gefasst: Ich möchte einen Artikel über (Betreuungs-)Verhältnisse an der Uni schreiben. Als Akt des Awareness Raisings. Um eine Diskussion in Gang zu bringen. Um zu zeigen, dass wir nicht allein sind, und dass es nicht an uns liegt. Dass niemand ‹zu sensibel› oder ‹zu wehleidig› ist, dass es nicht ‹an mir› liegt, sondern dass wir strukturelle Probleme im Unibetrieb haben. Das sind vielleicht im Grunde keine Neuigkeiten, trotzdem wird viel zu wenig darüber geschrieben, gesprochen und gehandelt.
Dieses Zitat, über das ich heute gestolpert bin, fasst die vergangene Woche, die Geschichten und die daraus entstandene Motivation, diese Erfahrungen zu verschriftlichen, perfekt zusammen. Und es gibt mir gerade sehr viel. Befriedigung. Antrieb. Das Wissen, mit meinem Unbehagen, mit meiner Wut, der Verzweiflung und diesem manchmal lähmenden Gefühl der Ohnmacht nicht allein zu sein und dagegen anzukämpfen. Sara Ahmed ist eine Queer-Theoretikerin, die sich in den letzten Jahren insbesondere mit Fällen der sexuellen Belästigung an Hochschulen auseinandersetzte und nicht nur Bücher innerhalb der (akademischen) Wissenschaft publiziert, sondern insbesondere auch auf ihrem Blog feministkilljoys schreibt. Aktuell schreibt und forscht sie dezidiert zur Möglichkeit der Beschwerde als queerer Methode.2 Sie trat 2016 von ihrer Stelle an der Goldsmith University of London zurück als Reaktion auf die gemeldeten Fälle sexueller Belästigung an Studierenden und die Konsequenzlosigkeit von Seiten der Hochschule. Durch den Rücktritt wollte sie ein Zeichen gegen diese Kultur der Ignoranz setzen. Allein dadurch stellt Ahmed wohl eine der interessantesten Wissenschaftler_innen dar, die für die Thematisierung von Machtmissbrauch und Grenzüberschreitungen an der Universität herangezogen werden können. Neben Ahmed könnten an dieser Stelle auch weitere, vorwiegend englischsprachige Wissenschaftler_innen genannt werden, die machtkritische, mitunter queerfeministische Positionen einnehmen. Doch auch im deutschsprachigen Raum nimmt die Debatte in den letzten Jahren mehr Gestalt an. Dahingehend müssen insbesondere in der Medienwissenschaft die geführten Debatten zu Guter Arbeit in der Wissenschaft in den ZfM-Debatten, die Umfrage von Doktorand*innen in der GfM sowie des Umsetzung und Einführung des Kodex für Gute Arbeit in der Wissenschaft erwähnt werden. Weitergehend fassten Ulrike Bergermann und Nanna Heidenreich die Problematik und prekäre Gesetzeslage von sexueller Gewalt an deutschen Hochschulen in der aktuellen ZfM Ausgabe zusammen. Doch auch über die medienwissenschaftliche Disziplin heraus organisieren sich Netzwerke des Mittebaus, unter dem Hashtag #unbezahlt berichten zahlreiche junge Lehrende per Twitter über die prekären und ausbeuterischen Verhältnisse an deutschen Hochschulen und Promovierenden-Netzwerke veröffentlichen Positionspapiere, wie bspw. das PhDnet der Max-Planck-Gesellschaft zum Thema Machtmissbrauch und Konfliktlösung. Mit dem Papier reagiert der Verbund auf sich wiederholende Meldungen über Machtmissbrauch innerhalb verschiedener Max-Planck-Institute, aber auch übergreifend in der Wissenschaft. Die im Papier vorgeschlagenen Maßnahmen sollen potenzielle Opfer schützen und Machtmissbrauch vorbeugen. Es finden sich dort sowohl präventive Maßnahmen in Form eines Verhaltenskodex als auch Handlungsvorschläge möglicher Konsequenzen für Personen, deren Verhalten gegen den Kodex verstößt. Letztendlich wirken diese und weitere Beispiele dazu, dass Fälle des Machtmissbrauchs sichtbarer werden und der Umgang damit diskutiert wird, es also durchaus Ansätze gibt, diesen zu verhindern als auch Konsequenzen zu erarbeiten.
Anschließend daran möchte auch ich mit Ahmed gesprochen, ein «willful subject» sein und ebenso ein «feminist killjoy». Ja, ich möchte eine feministische Spielverderberin sein und damit gleichzeitig eine universitär-wissenschaftliche Spielverderberin, die dadurch noch die Hoffnung hat, etwas an der jetzigen Situation ändern zu können: «A willfulness maxim: don’t get over it when it is not over» (Ahmed 2018, The Time of Complaint).
Sonntag
Ich nehme mir den halben Tag frei, es ist ja Sonntag und meine vorgesehene 20 Stunden-Woche liegt wie immer ohnehin eher bei 35 Stunden.
Am Nachmittag bereite ich mein Seminar für Montag vor und danach beginne ich die Verschriftlichung meiner Ideen für den Text über Machtverhältnisse im Mittelbau an Hochschulen: Montag...
Wochenfazit
Dieser Wochenbericht stellt eine ganz normale Woche dar und die geschilderten Ereignisse setzen auf sehr unterschiedlichen Ebenen an, haben jedoch gemeinsam, dass in diesen Fällen eine Grenze überschritten wurde, welches mit (bewusstem) Machtmissbrauch einhergeht. Er soll zudem klar machen, inwiefern auch auf emotionaler Ebene sowohl bei den Betroffenen als auch den Zuhörenden sehr verschiedene Zustände zum Tragen kommen. Damit einher geht auch die Problematik des Wo, Wie und Wann darüber Sprechens/Schreibens, auch wenn die Personen ‹nur› Zuhörende, also vermeintlich nicht direkt betroffen sind3, sowie die Auseinandersetzung mit diesen unbequemen Geschichten während des Schreibens. «It can be exhausting to talk about what is exhausting» (Ahmed 2019, White Friend). Dementsprechend kann es zusätzlich zu denen ohnehin schon schlechten strukturellen Rahmenbedingungen (Befristungen und Kettenverträge, Überstunden, zu wenig Zeit für die Weiterqualifikation) ermüdend sein, sich darüber hinaus auch mit den negativen Seiten innerhalb der Institution auseinanderzusetzen. Gleichzeitig erscheint es notwendig, genau dies zu tun, um durch das sich-Beschweren ein Bewusstsein anderer für diese Problematiken zu ermöglichen. Der Wochenbericht stellt dahingehend ganz bewusst ein Sammelsurium an unterschiedlichen Geschichten dar, die fast schon allgegenwärtig zu sein scheinen. Nichtsdestotrotz sind sie mindestens problematisch und sollen im bestmöglichen Fall weitere Meinungen und Schilderungen evozieren. Sie kratzen an der Oberfläche eines tiefergehenden Problematik-Komplexes, der mit strukturellen Rahmenbedingungen wie mehrfachen Abhängigkeitsverhältnissen, befristeten Verträgen und einem teils unreflektiertem Umgang mit eigenen Machtpositionen und Privilegien zusammenhängt. Der Wochenbericht soll dahingehend aufzeigen, wie sich Grenzüberschreitungen alltäglich und auf verschiedene Weisen artikulieren und einschreiben. Diese Überschreitungen hängen mit Hierarchieverhältnissen zusammen, wobei weniger die Hierarchien als der Umgang mit diesen sowie das Sprechen über und die Einhaltung von notwendigen Grenzen im Umgang miteinander das Problem zu sein scheinen. Dementsprechend spricht auch das Positionspapier des Max-Planck PhDnets davon, dass «[e]ine der wichtigsten Ursachen für Machtmissbrauch [...] das umfassende akademische und administrative Abhängigkeitsverhältnis [ist], in dem Doktorand_innen gegenüber ihren Betreuer_innen stehen» (Machtmissbrauch und Konfliktlösung) und schlägt einige erste Lösungsansätze für das Arbeitsverhältnis zwischen Betreuer_innen und Promovend_innen vor, die u.a. in Workshops und der Bewusstmachung von Machtpositionen umgesetzt werden. Neben diesem praktischen Ansatz scheint es aber auch zielführend, über Fälle des Machtmissbrauchs zu sprechen und schreiben, um diese in weiteren Schritten verhindern zu können. Ein Kratzen an der Oberfläche ist in diesem Fall also keinesfalls negativ, sondern als sichtbar-machendes Kratzen gemeint, das eine Spur hinterlässt, die möglicherweise für andere hilfreich sein kann. Die Verschriftlichung dieser Erfahrungen reiht sich dementsprechend in ein größer werdendes Gefüge aus verschiedensten Auseinandersetzungen innerhalb dieser Problematiken ein.
- 1Bspw. wenn die Nachricht samstags gegen 2 Uhr nachts und mit vermehrten Rechtschreibfehlern geschrieben wurde und der Inhalt mindestens fraglich ist.
- 2Vgl. hierfür den aktuellsten Vortrag von Ahmed: Mind the Gap! Complaint as a Queer Method, gehalten im HAU Berlin am 21.06.2019, der auch als Inspirationsquelle für diesen Artikel diente.
- 3Wobei wir ja dennoch innerhalb der Institution arbeiten und sich damit die Frage stellt, inwiefern wir nicht doch auch alle involviert sind.
Bevorzugte Zitationsweise
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