
© Daniela Gutiérrez Fuentes
Artivismus und die Ästhetik des Widerstands
Residentes audiovisuelle Gegenerzählungen lateinamerikanischer Identität
Der Artivismus von Residente
Dieser Videoessay untersucht die kulturelle Bedeutung und den aktivistischen Diskurs von René Pérez, dem preisgekrönten puerto-ricanischen Künstler, besser bekannt als Residente und ehemaliges Mitglied der Latin-Rap-Band Calle 13. Pérez' Diskurs stellt eine starke Herausforderung für etablierte Machtstrukturen dar, hinterfragt (neo-)koloniale Narrative in Lateinamerika und kritisiert die imperialistische Präsenz der Vereinigten Staaten auf dem Kontinent. Dabei thematisiert er die anhaltenden Folgen der Kolonialität in der Region. Pérez ist zudem für sein politisches Engagement bekannt und ein Beispiel für eine zeitgenössische Welle sozial bewusster, auf Veränderung ausgerichteter Künstler, die das praktizieren, was als ‹Artivismus› bezeichnet wird.
Durch die Verbindung von Kunst und Aktivismus betont der Begriff Artivismus die tief verwurzelte Beziehung zwischen Kunst und Politik sowie die anhaltende Spannung zwischen den ästhetischen Werten der Kunst um ihrer selbst willen und ihren möglichen utilitaristischen Funktionen.1 Innerhalb der Kulturwissenschaften wurde Artivismus mit der Chicanx-Bewegung und ihren Ideen von Hybridität in den Grenzgebieten verknüpft, wobei die Praxis häufig mit Street- und Urban-Art in Verbindung gebracht wird. Es ist bemerkenswert, dass der Begriff in der kulturellen und künstlerischen Szene bereits vor seiner akademischen Aneignung verwendet wurde. Die Chicana-Wissenschaftlerin Norell Martinez hat beispielsweise das Konzept des Artivismus im Kontext eines feministischen Graswurzel-Zines eines Chicana-Kollektivs aus East L.A. untersucht. Sie beschreibt: «The poetry and art in Flor y Canto as an offering on an altar to illustrate how Chicanas deploy their artivism to speak against gender violence and ultimately heal from their trauma».2 Martinez stellt zudem fest, dass auch wenn Gloría Anzaldúa den Begriff Artivismus nicht explizit verwendete, sie bereits in den frühen 1990er Jahren zu seinem heutigen Verständnis beitrug. In Making Face, Making Soul schreibt Anzaldúa: «Creative acts are forms of political activism employing definite aesthetic strategies for resisting dominant cultural norms and are not merely aesthetic exercises».3
In der englischsprachigen akademischen Welt erschien eine der ersten Definitionen des Begriffs in einem Beitrag von Chela Sandoval und Guisela Latorre über die Arbeit der Chicana-Pädagogin und Aktivistin Judy Baca mit Latinx-Jugendgruppen und digitalen Wandmalereien in Los Angeles, Kalifornien. Sandoval und Latorre betonen die intrinsische Verbindung zwischen sozialem Engagement und kreativer Praxis: «The term artivism is a hybrid neologism that signifies work created by individuals who see an organic relationship between art and activism».4 Dies wird im besonderen Bezug zur Chicanx-Denkweise und -Praxis weiterentwickelt:
The term artivism and la conciencia de la mestiza reflect the same human-technology convergences that allow for creative work through digital media. ... Chicana/o artivism, like la conciencia de la mestiza, expresses a consciousness aware of conflicting and meshing identities and uses these to create new angles of visions to challenge oppressive modes of thinking. Ultimately, digital artivism is a form of political activism that seeks egalitarian alliances and connections across difference.5
Jüngere Verwendungen des Begriffs finden sich unter anderem in dem Sammelband Artistic Citizenship: Artistry, Social Responsibility, and Ethical Praxis (2016), in dem Rodney Diverlus in seinem Kapitel «Re/imagining Artivism» schreibt: «Artivism is a bold vision for alternatives, whatever they may be; it provides a roadmap for finding ways of moving closer toward a ‹utopian› reality. ... Artivism involves introducing audiences to radical and transformative concepts and visions – that are digestible and accessible – of and for many world contexts».6 In diesem Sinne stellt beispielsweise das Lied «Latinoamérica» von Calle 13 sowohl in seinen Texten als auch in seiner Bildsprache eine universell geteilte lateinamerikanische Utopie eines bereits existierenden «Eden» dar.
Die besondere Eignung des Videoessay-Formats zur Analyse von Musikvideos wird hier genutzt, um die visuellen Elemente von Pérez‘ artivistischem Projekt zu untersuchen und deren Verbindung zu seinen Texten aufzuzeigen. Durch die Symbolik und Bildsprache seiner Musikvideos wird deutlich, wie Pérez kulturelle Symbole, indigenes Erbe und historische Referenzen nutzt, um eine Kritik an zeitgenössischem Extraktivismus, Menschenrechtsverletzungen und US-Imperialismus zu formulieren. Das audiovisuelle Material wird aus einer dekolonialen ästhetischen Perspektive analysiert und umfasst Residentes Musikvideo «This Is Not America» (2022),7Calle 13s «Latinoamérica» (2010)8und Childish Gambinos «This Is America» (2018).9
«Latinoamérica», Calle 13s hymnische Ode an Lateinamerika, personifiziert den Kontinent als einen gezeichneten Überlebenden des 19. und 20. Jahrhunderts10und ist voller Symbolik und historischer Referenzen. Das Lied wurde zu einem Meilenstein in Pérez‘ Karriere und definierte seine spätere Arbeit als Dokumentarfilmer, Produzent, Songwriter und seine Solokarriere nach der Auflösung von Calle 13 im Jahr 2016. Die musikalische Untermalung dieses Videoessays ist die Live-Version von «Latinoamérica», die Calle 13 2011 beim Viña del Mar Musikfestival in Chile aufführte. Dieses Festival ist das älteste und größte in der Region mit mehr als 15.000 Live-Zuschauer*innen und einer durchschnittlichen Zuschauerzahl von 250 Millionen Menschen. Bei diesem Auftritt wurden sie von den chilenischen Musikern Inti-Illimani begleitet, die für ihre politisch engagierten Texte und ihre Fusion traditioneller andiner Folklore mit Jazz und Rock bekannt sind. Sie hatten ihren Durchbruch während der Pinochet-Diktatur als eine der zentralen Musikgruppen der Nueva Canción Chilena, dem chilenischen Pendant zur breiteren lateinamerikanischen Widerstandsbewegung La Nueva Trova. Ihnen schloss sich Camila Moreno an, eine zeitgenössische Indie-Pop-Sängerin und Songwriterin, die ebenfalls dafür bekannt ist, soziale Themen in ihren Liedtexten zu behandeln. Ihre Präsenz an der Seite der historischen Stimmen von Inti-Illimani betonte die Relevanz der Aufführung, indem sie eine Brücke zwischen den Generationen lateinamerikanischer Musikschaffender schlug, die ihre Kunst dazu genutzt haben, Ungerechtigkeiten anzuprangern und sozialen Wandel zu fördern. Daher war dieser Auftritt nicht nur aufgrund des musikalischen Bündnisses bedeutend, sondern auch wegen der politischen und sozialen Botschaften, die diese spezifische Zusammenarbeit vermittelte. Sowohl Moreno als auch Pérez machten explizite Referenzen zum Anliegen der Mapuche innerhalb des größeren Konflikts mit dem chilenischen Staat.
Wie ihre Vorgänger der Nueva Trova Latinoamericana prangerten diese Künstler nicht nur die Missbräuche und Ungerechtigkeiten an, die von den politischen und wirtschaftlichen Machthabern ihrer jeweiligen Epochen verübt wurden, sondern sie trugen auch zur Entwicklung eines einzigartigen kulturellen und künstlerischen Stils bei – einem Stil, der soziale Bewegungen in ganz Lateinamerika begleitet hat und weiterhin begleitet – von der Nueva Trova, die als sozialbewusstes Musikgenre im Kontext des kulturellen und bewaffneten Widerstands gegen die südamerikanischen Diktaturen entstand, bis hin zur zeitgenössischen karibischen urbanen Musik, die offen gegen die Ungleichheiten des Spätkapitalismus und des Neo-Imperialismus protestiert.
Über Jahrzehnte und Grenzen hinweg haben sich diese Musikstile vermischt und weiterentwickelt, während sie bestimmte strukturelle Merkmale beibehalten und sich gleichzeitig kulturellen Fusionen und Transformationen angepasst haben. Von der europäischen Kolonialinvasion bis zu den US-Interventionen des 20. Jahrhunderts werden die Geschichten Lateinamerikas weiterhin in unterschiedlichen Formaten und von diversen Stimmen erzählt. Pérez‘ Werk ist ein starkes Beispiel für diese Bewegung: Er mischt traditionelle indigene Musik mit modernen elektronischen Beats und macht explizite Referenzen zu Klängen, Texten und Artivisten der größeren lateinamerikanischen Region. Die Nueva Trova verkörperte den Geist des Widerstands gegen die Militärregime des 20. Jahrhunderts und die Komplizenschaft der Vereinigten Staaten in deren Unterstützung. Heute greifen Künstler wie Pérez nicht nur auf diese Traditionen zurück, sondern setzen deren Erbe mit ihrer eigenen Kritik an den anhaltenden Kämpfen in Lateinamerika und den Latinxs in den Vereinigten Staaten fort.
This is (Not) América
Der Videoessay beginnt mit Aufnahmen aus dem Musikvideo «This Is Not America», das während eines Good-Morning-America-Segments mit Pérez diskutiert wird. Ausgehend von der «kolonialen Wunde»11erklärt Pérez warum es wichtig sei, Lateinamerikaner*innen nicht aus der Vorstellung von Amerika, seiner Geschichte und seiner aktuellen Situation auszuschließen. Dieses Thema ist für lateinamerikanische Philosophen, Dichter, Songwriter, Muralisten und – wie hier gezeigt – für Rapper des 21. Jahrhunderts nicht neu. Vom kubanischen Dichter und Revolutionär José Martí des 19. Jahrhunderts bis zum ikonischen mexikanischen Popstar Luis Miguel haben viele versucht, den Begriff ‹America› zu definieren und umzuinterpretieren. Dies beinhaltet auch die Auseinandersetzung mit dem Erbe der kolonialen Enteignung und ihren aktuellen Herausforderungen – wie ungleiche gesellschaftliche Entwicklungen und die Qualität der Demokratien in der Region. Die koloniale Geschichte und die geopolitische Position Lateinamerikas erzeugen weiterhin offene Wunden, die malen, schreien und singen.
Childish Gambinos «This Is America» erlangte große Aufmerksamkeit für seinen Kommentar zu den anhaltenden rassistischen Spannungen in den USA. Das Musikvideo zeigt scharfe Kontraste zwischen spielerischem Tanzen und gewaltsamen Szenen. In seinem Good-Morning-America-Interview erwähnt Pérez, dass er aufgeregt war, als er den Titel des Songs zum ersten Mal hörte, weil er glaubte, dass Gambino eine inklusive und umfassende Sicht auf ‹America› bieten würde. Als ihm klar wurde, dass Gambino sich ausschließlich auf die Vereinigten Staaten von Amerika konzentrierte, wollte er das Gespräch erweitern und auch die Erfahrungen Lateinamerikas einbeziehen – mit seinem Song «This Is Not America». In dem Interview betont Pérez, dass ‹America› oft nur zur Bezeichnung der USA verwendet wird, dabei jedoch den gesamten Kontinent umfasst. Daher sollten die Kämpfe Lateinamerikas ebenfalls Teil dieses Gesprächs sein, insbesondere weil der Kampf für Gerechtigkeit und Gleichheit nicht auf die USA beschränkt ist, sondern ein kontinentales Anliegen darstellt. Zugehörigkeit ist daher ein zentrales Thema in Pérez‘ Diskurs, das sowohl in «Latinoamérica» als auch in «This Is Not America» präsent ist.
Während das Musikvideo von «Latinoamérica» eine vielfältige und reiche Palette lateinamerikanischer Kulturen und Landschaften zeigt und so die kulturelle Diversität des Kontinents feiert, behauptet es zugleich die lateinamerikanische Identität und Solidarität, indem es dominante Narrative der kulturellen Homogenität und Minderwertigkeit herausfordert. «This Is Not America» steht in Kontrast zu «Latinoamérica» – beide thematisieren Identität, geteilte Erfahrungen und bunte Vielfalt sowie den Kampf gegen Ungerechtigkeiten, doch «Latinoamérica» trägt einen positiveren und aspirationalen Ton.
«Latinoamérica» stammt aus Pérez‘ früherem Werk – der junge, hagere Mann, der in dem Video durch die peruanischen Anden wandert, steht im scharfen Kontrast zu dem Mittvierziger René, der im Musikvideo von «This Is Not America» mitten in einer Straßenprotestszene rappt. Obwohl «Latinoamérica» diesen hoffnungsvollen Ton trägt und das Video voller Beispiele für natürliche Schönheit und menschliche Widerstandskraft ist, enthält das Lied explizite Referenzen zu offenen Wunden der Ausbeutung und des Imperialismus – sowohl in seinen Texten als auch in seinen Bildern. Pérez schreit «Perdono, pero nunca olvido, ¡oye!» (Ich vergebe, aber ich vergesse nie, hey!), während die Kamera auf eine ältere Frau zoomt, die ein Schwarz-Weiß-Foto eines während der Diktaturen des Kalten Krieges verschwundenen Gefangenen hält.
In «This Is Not America», nachdem er zahlreiche komplexe Themen wie Narco-Regierungen, Putsche, ermordete Journalisten und wirtschaftlichen Bankrott auflistet und kurz bevor er Childish Gambino direkt anspricht, was ‹America› wirklich ist, verweist er explizit auf die Tradition des Artivismus:
Más de cien años de tortura
La Nueva Trova cantando en plena dictadura,
Somos la sangre que sopla la presión atmosférica,
Gambino, mi hermano, esto sí es América.12
Obwohl Calle 13 und Residente allgemein als Teil der Reggaetón- und Latin-Rap-Szene bekannt sind, werden sie auch dafür geschätzt, traditionelle, folkloristische und regionale Klänge aus verschiedenen Teilen Amerikas zu integrieren. Insbesondere «Latinoamérica» weicht stark von diesem musikalischen Stil ab und enthält starke Referenzen zu Melodien und Instrumentationen, die eher mit der lateinamerikanischen Folklore, insbesondere der Nueva Trova, assoziiert werden.
The understanding of the main musical influences of the duo is relevant for the analysis of Latinoamérica. … especially because it is an aesthetically different creation. The work as a sonority and a theme close to the movement Nueva Canción Latinoamericana, also known as «protest songs» from the 1960s and 70s. The vocal lead Residente has stated that he was inspired by the Argentinian singer Mercedes Sosa when he wrote the song.13
Im gesamten Musikvideo zu «This Is Not America» gibt es Szenen, in denen ein Mann ganz in Schwarz gekleidet in einem Stadion sitzt. Jemand wie ich – aus Santiago stammend, geboren unter einer Diktatur, aufgewachsen in einem sozialen und politischen Übergangsklima und später, während meines Politikstudiums in Kalifornien, erschüttert darüber, mehr über die Rolle der Vereinigten Staaten bei der Formung dessen zu erfahren, was aus meinem Land geworden ist (die Träume, die wir uns zu träumen erlauben) – erkennt sofort, dass dieser Mann der chilenische Singer-Songwriter Víctor Jara ist und dass das dargestellte Stadion das ist, das früher als Estadio Nacional (Nationalstadion) bekannt war und 2011 zu seinen Ehren in Estadio Víctor Jara umbenannt wurde. Diese einfachen Szenen des Mannes in Schwarz führen allmählich zu einer gewaltsamen und expliziten Darstellung von Jaras Ermordung.
Jara war einer der bedeutendsten Künstler der Bewegung Nueva Canción Chilena und ein entschiedener Unterstützer von Salvador Allendes sozialistischem Projekt für Chile. Seine Liedtexte kritisierten nicht nur Ungleichheiten, sondern setzten sich auch für die Rechte marginalisierter und entrechteter Gemeinschaften ein und weckten Hoffnung auf eine gerechtere Gesellschaft. Kurz nach dem von den USA unterstützten Militärputsch von 1973 wurde Jara verhaftet, gefoltert und schließlich im chilenischen Nationalstadion ermordet. Er wurde brutaler symbolischer und physischer Gewalt ausgesetzt: Seine Hände wurden langsam gebrochen – eine grausame Verspottung seines künstlerischen Schaffens –, und er wurde gezwungen, noch einmal Gitarre zu spielen, bevor er hingerichtet wurde. Jaras grausamer Tod ist, so empörend er auch ist, kein Einzelfall, sondern ein Sinnbild für die Tausenden, die während der Militärregime in den Amerikas physische, psychologische und symbolische Gewalt erlitten haben. Dies ist ein unauslöschlicher Teil der Geschichte der Region, der bis heute im kollektiven Gedächtnis der lateinamerikanischen Bevölkerung nachhallt. Die Gesamtzahl der Opfer politischer Gewalt in dieser Zeit wird laut laufenden Wahrheitskommissionen und Menschenrechtsuntersuchungen auf über 500.000 geschätzt – ein erschreckendes Zeugnis der Tiefe der Gräueltaten, die während dieser Ära staatlicher Gewalt begangen wurden.
Unidos, caminamos
Im selben Jahr, in dem Jara starb, wurde «El Pueblo Unido Jamás Será Vencido» von Sergio Ortega durch die bekannte Nueva-Canción-Gruppe Quilapayún populär gemacht. Schnell wurde es zu einer Hymne des Widerstands gegen Diktatur und Unterdrückung. Obwohl es in der politischen Unruhe Chiles seinen Ursprung hatte, fand seine Botschaft von Einheit und Empowerment weltweit Anklang. Übersetzt und in verschiedenen Sprachen gecovert, wurde «El Pueblo Unido» von zahlreichen Bewegungen aufgegriffen – von Chicano- und Gewerkschaftsbewegungen der 1970er Jahre bis hin zu zeitgenössischen Arbeitskämpfen in Europa und Anti-Austeritäts-Protesten in Spanien und den USA. Seine anhaltende Relevanz unterstreicht die universelle Wirkung des Liedes, das weiterhin globale Kämpfe für Gerechtigkeit und Menschenrechte inspiriert. Es wird noch immer bei Straßenprotesten auf der ganzen Welt gesungen.
Dieser Videoessay bietet nur eine kurze Erkundung der Symbolik und historischen Referenzen in Residentes Werk und zeigt seinen Aktivismus als ein zeitgenössisches Beispiel lateinamerikanischer kultureller Ausdrucksformen. Themen wie Zugehörigkeit, Solidarität und kollektive Stärke treten als freudvolle Reaktionen auf erlittene Gräueltaten hervor und widersprechen den dominanten Narrativen über lateinamerikanische Identität. In «Latinoamérica» betont Calle 13 die Einheit und kollektive Stärke der lateinamerikanischen Bevölkerung und greift damit die Botschaft von «El Pueblo Unido» auf. Die Liedzeilen unterstreichen die Solidarität, etwa mit «Aquí se respira lucha» (Hier atmen wir Kampf) und «Trabajo bruto pero con orgullo/aquí se comparte, lo mio es tuyo» (Ich arbeite hart, aber mit Stolz/hier wird geteilt, was meins ist, ist deins). Das Lied ruft zu Zusammenhalt im Angesicht der Unterdrückung auf und spiegelt damit die «united we stand»-Botschaft von «El Pueblo Unido» wider. Residentes künstlerischer Aktivismus (Artivismus) greift diesen Geist des kollektiven Widerstands auf und setzt sich mit Themen wie dem Widerstand gegen Imperialismus, Unterdrückung und der Kraft der Einheit im Kampf um Würde und Rechte auseinander.
Das Musikvideo zu «Latinoamérica» endet mit einer Betonung der Widerstandskraft der Menschen, die durch unterschiedliche Landschaften und Lebensbedingungen schreiten. Ebenso heißt es im Refrain von «This Is Not America»: «Aquí estamos, siempre estamos/No nos fuimos, no nos vamos» (Wir sind hier, immer hier/Wir sind nicht gegangen, wir gehen nicht). Die Menschen Lateinamerikas bestehen fort – sie gehen weiter, sie schaffen weiter, sie existieren weiter.
- 1Eduardo Costa: Manifesto de Arte Útil, 1969; John Dewey: Art as Experience, New York 2005 [1934].
- 2Norrel Martinez: Femzines, Artivism, and Altar Aesthetics: Third Wave Feminism Chicana Style, in: Chiricú Journal: Latina/o Literatures, Arts, and Cultures, Jg. 2, Nr. 2, 2018, 45-67, www.jstor.org/stable/10.2979/chiricu.2.2.05.
- 3Gloria Anzaldúa: Haciendo Caras, Una Entrada: An Introduction, in: Gloria Anzaldúa (Hg.): Making Face, Making Soul / Haciendo Caras: Creative and Critical Perspectives by Women of Color, San Francisco 1990, xxiv.
- 4Chela Sandoval and Guisela Latorre: Chicana/o Artivism: Judy Baca’s Digital Work with Youth of Color, in Raiford Guins and Chela Sandoval: Learning Race and Ethnicity: Youth and Digital Media, Cambridge, MA 2008, 82.
- 5Ibid., 83.
- 6Rodney Diverlus: Re/imagining Artivism, in: David J. Elliott, Marissa Silverman, and Wayne Bowman (ed.):Artistic Citizenship: Artistry, Social Responsibility, and Ethical Praxis, New York 2016, 191.
- 7Residente: This Is Not America, YouTube, 14.4.2022, https://www.youtube.com/watch?v=GK87AKIPyZY (5.2.2025)
- 8Calle 13: Latinoamérica, YouTube, 26.4.2010, https://www.youtube.com/watch?v=DkFJE8ZdeG8 (5.2.2025).
- 9Childish Gambino: This Is America, YouTube, 5.5.2018, https://www.youtube.com/watch?v=VYOjWnS4cMY (5.2.2025).
- 10Melinda S. Molina: Calle 13: Reggaeton, Politics, and Protest, in: Capital University Law Review, Jg. 43, Nr. 2, 2015, 146, https://journals.library.wustl.edu/lawpolicy/article/id/1119/.
- 11Walter Mignolo: The Darker Side of Western Modernity: Global Futures, Decolonial Options, Durham, NC 2011.
- 12
«Mehr als hundert Jahre Folter/Die Nova Trova singt inmitten der Diktatur/Wir sind das Blut, das den atmosphärischen Druck bläst/Gambino mein Bruder, das ist wahrhaftig Amerika». Übersetzung der Redaktion.
- 13
Ivan Bomfim: «You Can’t Buy My Life»: Calle 13, the Representations of the Continent in the Latinoamérica Musical Narrative and the Ambiguous Puerto Rican Context, in: Contracampo: Brazilian Journal of Communication, Jg. 37, Nr. 1, 2018, 72.
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