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Videography

Der akzentuierte ‹Sound of Camp›

29.9.2023

 

English Version

Aufbauend auf meinen vorangegangenen Untersuchungen zu unkonventionellen Voiceovers in Videoessays1dient mir in diesem Beitrag Ridley Scotts House of Gucci (2021) als Anlass, die politischen Hintergründe des (italienischen) Akzents im Hollywood-Kino zu ergründen und mit unterschiedlichen Voiceover-Formen sowie ihren ideologischen Konnotationen zu experimentieren.2

Mein Augenmerk richtet sich auf einen künstlichen ‹ausländischen› Akzent der Hollywood-Schauspieler*innen in House of Gucci. Empfinden manche diesen wahlweise als Spott gegenüber Italiener*innen oder als schlechte Schauspielleistung, so argumentiere ich, dass die Distanziertheit und der künstliche Anschein als eine Form der Satire gegenüber den Figuren an der Macht – das heißt hier der Gucci-Familie und der Modeindustrie – dienen. Jener groteske Sprachstil bedient sich bewusst der Camp-Ästhetik, um die Extravaganz und Künstelei vorzuführen, die mit der Gucci-Familie assoziiert werden. Wie Susan Sontag betonte, sind diese Formen von Künstlichkeit und Übertreibung wesentliche Merkmale des Camp-Stils.3

Meine Argumentation ist viergeteilt. In Teil I präsentiere ich Filmbeispiele für sprachliche Stereotypisierungen des italienischen Akzents in Hollywood-Filmen. Wie auch Jane Hill, versuch ich zu illustrieren, dass das Karikieren von Ausdrucksformen marginalisierter Gruppen zu übergeordneten Machtstrukturen beitragen.4 In Teil II, angelehnt an Alan O’Leary und mittels derselben Filmausschnitte, konzentriere ich mich auf performative Aspekte.5 Durch Wiederholungen und Deformationen wird die akzentuierte italienische Sprache in rhythmische, melodische, verspielte, sowie übertrieben inszenierte Ausdrucksformen überführt, was wiederum die Distanzierungs- und Verfremdungseffekte des Films verstärkt. In Teil III vergleiche ich den Originalfilm mit seiner italienischen synchronisierten Version. Anknüpfend an Johannes Binottos Videoessay «Dubbing», argumentiere ich dafür, dass Übersetzungen und Synchronisationen, gerade aufgrund des Verfremdungseffekts, zu neuen Erkenntnisse führen.6 Anders als das in der synchronisierten Version verwendete Standard-Italienisch – dem der spöttische Unterton fehlt –, schafft der Akzent im Originalfilm eine Künstlichkeit, die eindeutig an Camp-Ästhetik erinnert. In Teil IV, inspiriert von Evelyn Kreutzers Voiceover in «Berlin Moves», nutze ich ein geflüstertes Voiceover und kontrastiere dieses mit ‹Glitches› in Bild und Ton.7 Legacy Russell betrachtet Glitches nicht als zufällige Fehler, sondern als Mittel, mit derer ökonomische, rassistisch motivierte, soziale sowie geschlechterbedingte Ungleichheiten und Globalisierungsstrukturen dargestellt werden können.8 Letztlich kann man den Akzent in House of Gucci selbst als einen Glitch im System betrachten, welcher die Missbräuche und Exzesse der Modeindustrie offenlegt.

Durch das Variieren der Ton-Register und Stimmen stellt mein Voiceover Sound-Konventionen infrage und betont dagegen künstliche und ironische Elemente, die das ‹zu viel› (wie Adrian Martin es nennen würde) der klassischen (akademischen) Sprache zu verfremden.9 Dabei stellt es eine andere Art des ‹zu viel› dar: den exzessiven, subversiven und destabilisierenden (das heißt akzentuierten) ‹Sound of Camp›.10

  • 1Siehe meine Videoessays «What is an Accented Video Essay? Who has the authority to speak?», (vimeo.com/523317867), «Empowering the Accent: an (accented) video essay» (vimeo.com/680718777), und das kürzlichere «An Accented Video Way of Thinking» (vimeo.com/815797007).
  • 2House of Gucci, Dir.: Ridley Scott, USA 2021. 
  • 3Vgl. Susan Sontag: Notes on Camp, London, UK: Penguin Books 2018.
  • 4Vgl. Jane H. Hill: Hasta La Vista, Baby: Anglo Spanish in the American Southwest, in: Critique of Anthropology, 1993, 13.2, 145–176, https://doi.org/10.1177/0308275X9301300203. Siehe auch Jacqueline Urla: Reclaiming Basque: Language, Nation and Cultural Activism, Reno, NV: University of Nevada Press 2012.
  • 5Vgl. Alan O’Leary: Men Shouting: A History in 7 Episodes, in: [in]Transition: Journal of Videographic Film & Moving Image Studies, 2023, 10.2.
  • 6Vgl. Johannes Binotto: Practices of Viewing VIII: Dubbing, 2022, https://vimeo.com/751287656
  • 7Vgl. Evelyn Kreutzer: Berlin Moves, in: [in]Transition: Journal of Videographic Film & Moving Image Studies, 2018, 5.1.
  • 8Vgl. Legacy Russell: Glitch Feminism: A Manifesto, London and New York: Verso 2020. 
     
  • 9Vgl. Adrian Martin: A Voice Too Much: The Audiovisual Essay, 2010, https://reframe.sussex.ac.uk/audiovisualessay/reflections/adrian-martin-a-voice-too-much/ 
  • 10Zur Ablehnung der wörtlichen Lesart von Susan Sontags Aussage «camp is apolitical»  [«Camp ist unpolitisch»] siehe Ann Pellegrini: After Sontag: Future Notes on Camp, in: George E. Haggerty, Molly McGarry (eds.), A Companion to Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, and Queer Studies, Hoboken, NJ 2008, 168 – 193.

Bevorzugte Zitationsweise

Zecchi, Barbara: Der akzentuierte ‹Sound of Camp› . In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Videography, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/videography-blog/akzentuierte-sound-of-camp.

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