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GAAAP_ The Blog

Vaterlands Suppe

Über Frauenfußball und nationalökonomischen Paternalismus

13.7.2019

Es war einmal: 2011 ging es in den deutschen Werbekampagnen für die (Frauen-)Fußball-WM sehr stark um die Normalisierung der Fußballerin, die ihr «Mannsweib-Image» verlieren sollte. Es gab also diese Playboy-Ausgabe mit Fußballerinnen anlässlich der WM in Deutschland. Darin waren nicht nur unendlich weiße, unendlich heterokonforme Fotos von Fußballerinnen zu sehen. Es gab auch ein Interview, in dem die Spielerinnen sich mit Männern und deren fußballerischer Leistungsfähigkeit verglichen und erklärten, «was das Körperliche angeht, werden wir das nie schaffen. Wir werden nie so schnell laufen und so hart schießen können».1 Die Message lautete nicht nur im Playboy, sondern auch in Talkshows, Zeitungsartikeln und offizieller DFB Werbung: Sie spielen Fußball, sind aber trotzdem sexy Frauen. Don’t worry, die Gendernormen und Zwangsheterosexualität bleiben offiziell unangetastet, auch wenn Frauen Fußball spielen! Nun: Auch die heutige Vermarktung baut auf dieser Versicherungsarbeit und Normalisierung auf: «Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze», wie es in der Commerzbank-Werbung mit dem DFB-Fußballerinnen-Team (s. Abb.) heißt, ist eine provokante, aber zugleich eine zweigeschlechtlich abgesicherte Aussage. (Siehe hierzu auch den Blogbeitrag von Linda Keck, Am Ball geblieben.)

Heute wird Frauenfußball postfeministisch dienstbar gemacht im Projekt nationaler (oder persönlicher) Selbstbeschreibung als fortschrittlich in punkto Frauenrechte. Den immer noch zwangsweise eindeutigen Frauen (wie im Leichtathletik wird auch im Fußball die rigide, körperliche Definition von Weiblichkeit durchgesetzt) wird die Rolle der Top Girls der Gesellschaft zugestanden (vgl. Angela McRobbie). (Leistungs)Sport ist ein wunderbares Tool zur ideologischen Selbst_Führung, da geht es nämlich immer auch um Disziplinierung, Ein- und Unterordnung. Da hält man vor dem Match eine Messe, singt die Nationalhymne und formuliert normgemäß Motivation und Erfolg als Sieg über andere oder sich selbst. Die You-Can-Do-it (immer ableistisch kodierte) Leistungsideologie wird mit dem Frauenfußball mit gefördert. Die Fußball-Top-Girls sind also vermarktbar als richtig gute, und das heißt auch brav erfolgreiche Bürgerinnen.

Brüh im Glanze dieses Glückes!

Die Fußballerin im Nationaltrikot kann nur allzu leicht für antimigrationsrassistische Politik und nationale Ideologien (z.B. US-Exzeptionalismus) in Dienst genommen werden (Frauenfeinde sind dabei immer die rassifizierten Anderen), während den Sportlerinnen zugleich die eigene politische Agenda verboten ist. Als gute Staats-Bürgerin-Sportlerin darf man im (National-)Trikot nur Fußballspielen, die Hymne singen und über Sport reden. Alles, was als politische Rede definiert wird, ist Regelverstoß und wird geahndet. Schon das Nicht-Mitsingen der Hymne ist ‹grenzwertig politisch› (wie wir im Fall Rapinoe (awesome!) lernen)). Wer es wagt, auch nur ein wenig die Harmonie von sportlichem Nationalstolz und stolzem Unpolitisch-Sein zu stören, bekommt ebenso Ärger wie Aufmerksamkeit.

Interessanterweise ist das Sprechen über Frauenförderung im Sport (begrenzt auf den Wunsch sportlicher Förderung mit gleichem Gehalt und Jubel) heute erlaubt. Diese Frauenförderung wird dabei zu einer ziemlich apolitischen Angelegenheit, bei der das Bild des netten modernen Staats, der netten frauenfördernden DFB, ÖFB… FIFA und z.B. der netten frauenfördernden Commerzbank produziert wird (die stolz die Nationalmannschaft unterstützt, wobei Nationalstolz mit Frauenförderungs-Stolz vermischt und verharmlost wird – untermalt mit coolem Beat und säuerlichem Empowerment).

… Mainstream Feminismus …

Wenn Feminismus wie Mainstream aussieht, muss man leider mit bell hooks sagen – that’s absolut bullshit! Feminismus ist eine radikale, revolutionäre Bewegung zur Veränderung der herrschenden Gesellschaft – das kann man nicht mainstreamen.2

Auch ‹als Frau› (die man dann eindeutig zu sein hat) zu einem potentiell bewunderungswürdigen Leistungssubjekt erklärt zu werden, hat neben den angenehmen Effekten des In die Norm-Passens die furchtbare Seite, der Norm zu dienen. Wenn es um nationale Fortschrittslogik geht, gilt es die Behauptungen von Frauenförderung skeptisch zu betrachten. Für das akut antimigrationsrassistische nationale Projekt von ableistischer Leistungsideologie wird heute sogar ein Teil der biologistischen Herabwürdigung von Weiblichkeit gegenüber Männlichkeit im Sport aufgegeben – das ist kein Erfolg, der einfach zu feiern ist (auch wenn Feiern Freude macht, ebenso wie Fußballspielen). Das Lichte dieses Glückversprechens lässt nur ganz bestimmte Frauen und Körper glänzen, andere «verbrühen» sich daran. Die feministische Entscheidung, eine Spaßverderberin zu sein (Sara Ahmed), bedeutet eben auch, beim Frauenfußball dem Vaterland in die Suppe zu spucken.

Quelle: DFB-TV, Video: Kochen mit der Frauen-Nationalmannschaft 

Heilige Harmonie des Unpolitischen

Paternalistische Frauenförderung durch Frauenfußball scheint so harmlos und praktikabel geworden zu sein, dass sogar der Papst in seinem Vatikanstaat ein Team duldet und zur Vermarktung ins Ausland schickt. Das erste internationale Match des Vatikan-Frauenfußballteams im Juni 2019 in Wien wurde allerdings durch weniger katholisch-gustierbaren feministischen Protest vereitelt. Das Vatikanteam zog ab, als sich herausstellte, dass einzelne Spieler*innen des Gastgeber*innenteams auf dem Platz eine sichtbare queer-feministische Agenda (My Body, My Rules!) haben – so war das mit der Frauenförderung nicht gemeint gewesen. (Den Kampf um die bürgerlich-heilige Harmonie des unpolitischen Sportes kann man in den Kommentaren unter dem Interview zum Fall nachlesen.)

My point is:

Sportliche Förderung, persönliches Körpergefühl und Selbstbewusstsein durch Leistungs-Sport ist das eine (was in sich schon komplexe Beziehungen zur Normierung und Normalisierung birgt); Strukturen des Leistungssports und nationalpolitische, kulturelle Vermarktung sind das andere. Es gibt keine feministische Emanzipation durch dergestalt vermarkteten Frauenfußball. Was es gibt, sind Freundinnenschaften, Selbstbewusstsein und Freude an Bewegung3 – es wäre zu schön, das anders denn im Sinne von Leistungsideologie, Nationalstolz und Harmonieproduktion zu politisieren.

P.S.: Ich selbst spiele sehr gerne Fußball und das auch als Vereins-Leistungssport. Dass meine Kritik an dem Ast sägt, auf dem ich sitze, ist mir schmerzlich bewusst. Ich möchte aber nun mal gerne einen anderen Baum.

P.P.S.: Die Siegesrede der Co-Kapitänin der amtierenden Fußball-Weltmeisterinnen Megan Rapinoe zeugt zwar wieder von US-Exzeptionalismus, ist aber ein Silberstreif am Horizont bzw. wertvolle Spucke in der Suppe und verspricht, den Frauenfußball als Plattform für progressivere Politik nutzbar zu machen. Das ist erfreulich und wichtig. Und sicherlich nicht einfach, auch wenn es vielleicht von außen so aussieht. Mad props for that!

  • 1Die Frauen, die sich gegen Mannweiber(klischees) auszogen (warum eigentlich nicht für sie?), luden im Kampf für zweischneidige soziale Anerkennung Männer zum heteronormativen Gender-Verification-Test: «Ich lade alle Männer ein, sich bei einem Spiel live davon zu überzeugen, [dass die Spielerinnen] zwar sehr durchtrainiert, aber immer noch weiblich aus[sehen].» Playboy 07/2011, S. 44f.
  • 2Vgl. Politically Reactive, Podcast von W. Kamau Bell und Hari Kondabolu: Season 2: Speaking with bell hooks & Talking DACA, 14.9.2017, Minute 49:57. 
  • 3Auch hierfür bietet das DFB-TV Bilder an: Trainingsimpressionen vom Juni 2019.

Bevorzugte Zitationsweise

Haitz, Louise: Vaterlands Suppe. Über Frauenfußball und nationalökonomischen Paternalismus. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/vaterlands-suppe.

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