Unzeit
von Ulrike Bergermann
2016: Krieg in Syrien, die sogenannten Flüchtlingsströme, Trump/Clinton, es verlässt Großbritannien die EU, die Türkei die Demokratie, Attentate und Amokläufe nehmen auch in Deutschland zu, weiße Polizisten zeichnen für immer mehr Schwarze Tote in den USA verantwortlich, Massenproteste wie Nuit Debout werden ohne Medienöffentlichkeit vom französischen Ausnahmezustand geschluckt, Kriege gehen weiter. Und Gender?
Man ist versucht, auf alte Ideen von Haupt- und Nebenwiderspruch, auf Mikro- und Makrogeschichte zurückzukommen; Frauenbefreiung ist schließlich in der Regel eine nur vorgeschobene Legitimation von Gewalt, Pinkwashing ist Realität, Gender im Intersektionellen ja schon drin, und überhaupt gibt es gerade zur Zeit brenzligere Felder der Auseinandersetzung als die, auf denen Geschlechterfragen offensichtlich an erster Stelle stehen. Der Eindruck wird immer stärker, dass TINA nicht nur für den Kapitalismus gilt, sondern mindestens so anhaltend für das Patriarchat. There is no alternative, und da Männer unsere Banken, Firmen und Universitäten leiten, unsere Häuser decken und Autos reparieren, die meisten Rennen gewinnen, Preise bekommen und Erfindungen machen, verdienen sie mehr, sterben früher, führen Kriege, bringen sich selbst um...
Das ist richtig, und es beeinträchtigt einen schmalen, medienwissenschaftlich motivierten Blog darin, sich im Kleinen dazu zu verhalten. Aber gehen wir davon aus, dass es immer Unzeiten sind, verflochtene Parallelwelten, deren Dringlichkeiten sich erst retrospektiv und immer wieder neu lesen lassen werden, die das Verhältnis von ganzer Welt und Genderwelt bestimmen, so wird es weiterhin relevant gewesen sein, wie die Sun über Theresa Mays Pumps schreibt, ob es Frauenräume in Flüchtlingsunterkünften gibt, Chelsea Manning Männerunterwäsche tragen muss, Tou Youyou die Malaria bekämpft oder Regisseurinnen auch in Bolly- und Nollywood aufholen. Unzeit ist unsere zukünftige Zeit. Protokollieren wir sie. Je nach Neigung mit Brecht für 'die Zeit danach' (wir können selber nicht freundlich sein, An die Nachgeborenen) oder im Sinne eines pars pro toto – wie das kleine Private exemplarisch für ein großes Politisches sei –, oder in Ablehnung von Großerzählungen (oder doch mit einer Großanalyse von universalisierbarer toxic masculinity, wenn sie überzeugend wäre –?), oder auch nur, weil man das Leben auch an der eigenen Haustüre bewältigen muss... der Gender Blog sucht wieder und weiter:
- Gedanken zum Livevideo des angeschossenen Ehemanns von Philando Castile,
- Kampagnen um Hillary Clinton,
- Medienpräsenz weiblicher Geflüchteter,
- Waffen, deutsche Exportschlager, Jugendliche, Amokbilder,
- Miss Uhura 2016,
- iphones und Transgender als Authentizitätsmarker für Tangerine L.A.,
- Genderings von Datenschutz und Privacy,
- die Merkel-Raute,
- Burkinis,
- ...
- Autorinnen und Autoren. Co-bloggers welcome!
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