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GAAAP_ The Blog

Trans_techno_ethik

Apples unsichtbare Hand beim Griff ins Klo beobachtet von Ulrike Bergermann

3.6.2016

‹Apple› und ‹Gender› treffen sich an einer ungewöhnlichen Stelle.

Auf den ersten Blick treffen sie sich gerade auf der Damentoilette. Für die konservative Rechte in den USA ist das zur Zeit einer der Orte, an dem Weiblichkeit gerettet (oder eher: die Männlichkeit), Kinder geschützt und Transgender verboten sind. Große Konzerne dagegen wissen, dass sie im globalen Wettbewerb sowohl fürs Image als auch für die internationale Personalsuche mit einer solchen Toilettenpolitik schlecht dastehen und protestieren, etwa mit Briefen an Gouverneure, zum Beispiel den von North Carolina, Pat McCrory. Einer der Protestierenden ist Tim Cook, Nachfolger von Steve Jobs als CEO bei Apple (und erster geouteter Top-Manager: Schwul zu sein sei eines der größten Geschenke, die Gott ihm gemacht habe).

Im SPIEGEL deutet Slavoj Zizek («Frauen und Männer», 20/16) diesen Protest als Bigotterie, als eine Form von Pinkwashing, die einer Political correctness folge. Damit adressiert er auch ein PC-Bashing, das reflexhaft behauptet, wenn etwas ethisch begründet argumentiert und sich auf Rechte von Minderheiten bezieht, sei das sowieso nur eine hohle Formel, eine selbstverliebte Geste, eine Unterdrückung von anderen (z.B. Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft oder derer, die zufällig einer hegemonialen Gruppe angehören), selbst ja nur ein Regelwerk und gar keine Freiheit, etc. etc. Im selbstverliebten (manchmal auch angeeigneten Opfer-)Gestus einer fast anarchistischen Ablehnung der regelgestützten Ermöglichung von Vielfalt und ohne irgendeinen Vorschlag, wie man auf ungerechte Verteilung von Sprecherpositionen, Geld etc. reagieren solle, außer: Der freie Markt des Diskursiven werde es schon von unsichtbarer Hand gesteuert richten. Nun, das ist der SPIEGEL, und dessen Sprecherpositionen sind immerhin flexibel und nicht in Stein gegossen, solange sie von irgendwo her den Gestus einer zurückgelehnten, halbironischen Überlegenheit aufrechterhalten können. Das kann man patriarchal nennen, unfeministisch, geschenkt. Es ist allerdings ein Text von Zizek, und der plädiert hier für eine Multiplizierung von Binarismen, was schön ist.

Aber eine Wissenschaftstheoretikerin hat weitergehend vor einiger Zeit noch einen anderen Ort für das gleiche unlikely encounter vorgeschlagen.

Vor über zwanzig Jahren stellte Susan Leigh Star, immer zwischen verschiedenen Denkkulturen unterwegs und u.a. Hirnforschung, KI, verteiltes Rechnen studierend, die Frage, was «The Cultures of Computing» seien1 – womit sich eine Frau, die sich viele Jahre zwischen Wissenschaftlern, Technikern, informatikern bewegt, aus der Perspektive dieser sich als Macher verstehenden Akteure selbst ins Häkelzimmer versetzt hat: Kulturen, ha! (In Silicon Valley arbeiten übrigens immer noch nur ca. 20 % Frauen und unter 5% Schwarze.) Die weiche Frauendomäne also. Nichtsdestotrotz scheut die Autorin sich nicht, auch noch die Einleitung erstens mit der Frage zu beginnen «What is a computer?» und die Antwort zweitens in ihrem eigenen Leben zu suchen: Wo haben Computer eine Rolle gespielt, wie hat sie wovon erfahren... in Beispielen, die sich natürlich anschicken, Fallbeispiele zur Theoretisierbarkeit im folgenden Sammelband zu werden (methodologisch bekannt aus dem Aufsatz zu den Boundary Objects, an einem naturhistorischen Museum entfaltet, mit James Griesemer)2: Nachrichten aus Katastrophengebieten ohne Telefon übermittelt; ein Besuch eines Wildparks mit unmarkierten, nicht sensorisch erfassten Jungtieren; elektronische Fußfesseln für Kriminelle oder Demente kommen zur Sprache, Konferenzen zu Computern und Embodiment, und dann auch noch der Körper der Forscherin. Nein, hier sind wir noch nicht zurück bei den Toiletten oder bei Apple. Und wir sind auch nicht in den Consciousness awareness raising groups der alten zweiten Frauenbewegung. Die Vernetzung geht woanders hin.

«I find my thoughts drifting during the discussion to the idea of embodiment and how I have felt in my body around computers. Right now, typing this, my neck aches and I am curled in an uncomfortable position. I try to think about my fingertips and the chips inside this Macintosh as a seamless ‹web of computing›, to use Kling and Scacchi's classic phrase (1982). But chips make me think of the eyesight of women in Singapore and Korea, going blind during the process of crafting the fiddly little wires; of ‹clean rooms› I have visited in Silicon Valley and the Netherlands, where people dressed like astronauts etch bits of silicon and fabricate complex sandwiches of information and logix. I think of the silence of my European ancestors who wore Chinese embroidery, marveling at its intricate complexity, the near-impossible stitches woven over a lifetime with the eyesight of another generation of Asian women. I think I want my body to include these experiences. If we are to have ubiquitous, wireess computing in the future, perhaps it is time to have a less boring idea of the body right now – a body politic, not just the substrate for meetings or toys.» (2f.)

Auf die weitere Argumentation von Leigh Star kann ich hier nur verweisen3, ebenso auf neuere Wiederaufnahmen in der Interaction analysis4. Die Frage lautet: Was ist das für eine ‹Erfahrung›, im Blick auf den Computer die Erfahrungen von unbekannten anderen in eine eigene hineinnehmen zu wollen?

Zunächst hat Zizek Recht. Er schrieb: «Tim Cook hat keine Mühe, das Schicksal von Zigtausenden Foxconn-Arbeitern zu verdrängen, die in China Apple-Produkte unter sklavenähnlichen Bedingungen fertigen - denn immerhin hat er ja mit großer Geste seine Solidarität mit Unterprivilegierten bekundet, indem er die Abschaffung der Geschlechtertrennung fordert.» (Spiegel, 20/2016, 128) (Gleichzeitig sieht man, wie langweilig und begrenzt dieser Vorwurf der Doppelzüngigkeit ist; Schuld daran ist natürlich Cook, der uns dazu nötigt, eine solche Kritik immer wieder formulieren zu müssen.) Zizek holt die unsichtbaren Arbeiter_innen ins Blickfeld, von denen die Wirtschaftswissenschaftlerin Evi Hartmann gerade ausgerechnet hat, dass sie dazu beitragen, dass jedeR von uns 60 Sklaven hält (Wie viele Sklaven halten Sie?, Campus 2016/Interview mit jetzt.de). Kämpft Cook für die Rechte von Transgender?  

Geöffnete Klotüren sind nicht zu verachten, und ein Marsch durch die Institutionen kann nicht einfach mit dem Hinweis auf dessen Versanden unterlassen werden. Aber es ist mehr drin. Fühlte Cook die Tortur einer 60-, 80-Stunden-Woche in Zwangsarbeitsähnlichen Bedingungen, wäre die körperliche Unversehrtheit eines indonesischen Nähers oder einer chinesischen Näherin Teil seines imaginären Körperbilds, dächte er an die Hunderte von ausgebeuteten, suizidalen, verbrannten Zuarbeiter_innen seiner weltverbessernden Produkte, so müsste er ein anderes Preismanagement erfinden, eine andere Produktkette, ein richtiges Product Life Cycle Management innerhalb des falschen, das wäre doch mal eine Aufgabe. It's the economy, stupid. Aber nicht diejenige Ökonomie, von der McCrory, Cook oder der Spiegel denken, dass sie relevant sei. Die Ökonomie des Zusammenhangs ist unbehaglicher. Und eine Theoriebildung, die ihre Peinlichkeitsschwellen und ihren Antifeminismus überwindet, könnte sich fragen, warum alle schönen Netzwerktheorien so clean sind wie ein Chip und was man gewänne, wenn Transmissionen neben Dingen, Apparaten und Usern auch Verbindungen umfasste, die etwa moralisch sind. Es gilt dann, deren Unruhe offenzuhalten (auch McLuhan stellte sich ‹die Welt vernetzt uns alle an unseren Fingerspitzen› vor, wobei er nicht der Typ für eine brotherhood of men war, sondern den Menschen eben gerne als signalverarbeitendes Nervenbündel mit unendlichen Anschlussverlängerungen betrachtete). Nicht alles, was man darin sehen wird, ist Leigh Stars Spitzenklöppelei.

  • 1Susan Leigh Star, Introduction, in: dies. (Hg.), The Cultures of Computing, Oxford UK, Cambridge MA (Blackwell Publishers/The Sociological Review) 1995, 1-28.
  • 2auch auf deutsch und im Open Access in: Susan Leigh Star, Grenzarbeit und Medienforschung, hg. v. Sebastian Gießmann, Nadine Taha, Bielefeld (transcript) 2016. Weitere Lesetipps: Sebastian Gießmann, Der Durkheim-Test. Anmerkungen zu Susan Leigh Stars Grenzobjekten, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, Bd. 38, Heft 3/2015, «Begriffsbildung – Begriffsgeschichte: Entstehung und Entwicklung wissenschaftlicher Konzepte» Teil 2, 211-226, 2.9.2015; Erhard Schüttpelz, Notiz zum Grenzobjekt, in: Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften, Universität Siegen, Heft I/2015, Medien der Kooperation, hg. von der AG Medien der Kooperation, 79f.
  • 3Es geht im weiteren um die Zweischneidigkeit der Vorteile des Vernetztseins (wir haben den Lebensraum der Wildtiere beschnitten, jetzt müssen wir sie überwachen; nachdem Rassismus und ungleiche Erziehung dafür sorgen, dass die Gefängnisse gefüllt sind, brauchen wir Fußfesseln; die Grenzen zwischen Freiheit und Gefängnis, Überwachung und Freizeit werden, mit Foucault gelesen, überall verwischt, Arbeitszeiten werden entgrenzt (3)) und um ein Plädoyer für eine praxeologische Analyse von «Computern» («Because computers are simultaneously communication media and product, objects of analysis and infrastructure for analysis, intimate and formal, they form good occasions to study a variety of basic processes: the development of material culture, the formation of practice-based networks, the fallibilty of language, the relationship between power and infrastructure. Where they model work processes and facilitate them, they are a mirror of those processes, as in systems and requirement analysis; where they simplfy or reify informal and local understandings, they are a house of mirrors for both designers and users.» 6f.).
  • 4Ebenfalls mit Rückgriff auf Leigh Star etwa im Blog von Alex Taylor und bei Kat Jungnickel, mit einer ‹Verheißung von Promiskuität› solcher Interaktion, erweitert um Ethik und eigene agency, in Assemblagen, die materiell sind, insofern sie auch diskursiv sind, ideologisch, ethisch, you name it: Alex Taylor, The Promiscuity of Interaction, 13.4.2016 (Blog des Microsoftlers über die entanglements von Hightech and subject matter at home, etwa «DIYbio»).

Bevorzugte Zitationsweise

Bergermann, Ulrike: Trans_techno_ethik. Apples unsichtbare Hand beim Griff ins Klo beobachtet von Ulrike Bergermann. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/transtechnoethik.

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