TONI SCHMALE SUPEREGO. Das Ich als ästhetisierte Anstrengung
Agnieszka Roguski über Toni Schmale in der Berliner nGbK
Die Ausstellung der Künstlerin Toni Schmale mit just diesem Namen zu betiteln, versehen mit dem Namenszusatz «Superego», verlangt Mut. Sucht man momentan nicht nach Ausdrucksweisen, die ein popkulturelles oder künstlerisches Ego als fragmentarisches und fiktionales Konstrukt demontieren, es vielleicht sogar auflösen oder wenigstens ironisieren, anstatt es mit Superlativen zu versehen? Gerade die Berliner nGbK (neue Gesellschaft für bildende Kunst) praktiziert Formen der Kollaboration und Kollektivität, die wenig mit der Glorifizierung einzelner Positionen zu tun haben. Strukturell in Arbeitsgruppen statt kuratorischen Einzelpositionen organisiert, bietet gerade die nGbK Raum für nicht standardisierte oder längst etablierte Formate. Warum also die «Rückkehr» der Arbeitsgruppe RealismusStudio zur Studioausstellung der in Wien lebenden Künstlerin Toni Schmale, die ausgerechnet dem Ego die volle Aufmerksamkeit gibt?
Wer die Räume der nGbK betritt, wirft seine vielleicht mitgebrachten Assoziationen zu einem glanzvoll leuchtenden «Superego» schnell über Bord. Narzissmus und Selbstbezogenheit finden hier nicht in Bildern und anderen Ausformulierungen eines um sich kreisenden, medial übermittelten Selbst Gestalt, wie es derzeit etwa Britta Thie, Amalia Ulman und andere KünstlerInnen unter dem Label «Post Internet Art» ausstellen. Vielmehr eröffnet Schmale einen Parcours direkter Konfrontationen, die jede Äußerung und Betrachtung gleichermaßen zu einem Akt des Abarbeitens machen. Massive Skulpturen, die wie überdimensionierte Abstraktionen und Weiterentwicklungen von Fitnessgeräten oder, wahlweise, Folterinstrumenten anmuten, lassen die Räume der nGbK so eng und lang wie selten erscheinen. Am Schluss des Ganges blickt man einem Video entgegen, in dem Schmale schier endlos gegen einen Sandsack boxt. Sie selbst scheint davon nicht nur zunehmend erschöpft, sondern mit einem Gegenüber konfrontiert, das mit jedem Schlag ein wenig mehr Substanz verliert und das Treffen schwerer werden lässt, bis der Sack leer ist. Ein Sieg zum Ende also? Der scheint unmöglich. Ist der Gegner besiegt, ist er überhaupt nicht mehr da – und so verkehrt sich die Anstrengung ins Absurde.
Toni Schmale weiß, was sie tut. Mit Mitte 30 hat sie nicht nur ein Kunststudium in Leipzig und Wien abgeschlossen, sondern auch eine Karriere im Profifußball hinter sich. Über ein Ego zu arbeiten heißt in dieser Kombination nicht nur, die eigene Persönlichkeit in ihren möglichen Ausdrucksformen zu erkunden, sondern sie in einen Kontext von Leistung, Überbietung, Training und Disziplin zu setzen. Dafür bietet «Toni Schmale Superego» in Berlin erstmals eine umfassende Werkschau.
Im Detail bedeutet die Spannbreite, die sich hier über Schmales Praxis legt, eine Variation von Skulptur, Zeichnung, Animation und Video, die eine performative Wirkweise suggeriert. Die Arbeiten deuten darauf hin, benutzt zu werden, von Handlungen zu zeugen oder für sie zu dienen, dabei jedoch immer dysfunktional aufzutreten. Mit Titeln wie analdusche, bettwurst, streckbank martha oder I HID MY FACE IN HER BURNING LAP erinnern sie dabei an schmerzhafte Abgründe der Pornografie, an Sinnbilder einer fetischisierten Brutalität. Schmales Skulpturen, die Objekt und Installation in sich vereinen, treten dabei jedoch schlicht und nüchtern auf, mehr noch, sie bewahren in ihrer Gewalt eine Ironie, die die abendländische Kulturgeschichte ebenso wie Sexshops leichtfüßig durchquert. Diese Verspieltheit verbindet sich mit einer Härte und Ausschließlichkeit, die von der Materialität der Arbeiten ausgeht. Eben diese sehr konkrete Materialität lässt die Thematik der Ausstellung abstrakter werden. Mit Ausnahme des Animationsfilms bewegen sich die Arbeiten bis hin zum Videobild in einer Farblosigkeit, die das verzinkte, durchbohrte und beschichtete Material eindeutig als Werkstoffe hervorhebt. Was Fetisch und Stilisierung zeigt, wird so zur reduzierten Arbeitsmethode.
Überdimensionale Ketten und Scharniere aus Beton und Stahl mögen auf den ersten Blick wenig mit einem sensiblen Selbst gemein haben. Dennoch ist es hier vielleicht gerade das «Super», das Toni Schmale nutzt, um die fragile Konstruktion von Identität zusammen mit gebrochenen Sehnsüchten zu inszenieren, die eben jener Konstruktion zu Grunde liegen. Nicht in Vitrinen oder auf Sockeln platziert sie ihre Arbeiten, sondern installiert sie direkt im Raum als Instrumente, die sich scheinbar selbst so weit überboten und verdichtet haben, dass sie unbenutzbar geworden sind. Menschliches Begehren und Körperlichkeit treten so als präzise Verarbeitungen dessen auf, was Identität formt – von innen wie von außen. Gefühle, Worte und Zuschreibungen nehmen abstrakte Formen an, die sowohl Geist als auch Körper verlassen haben, um ihrerseits zum Körper zu werden. Es geht um Formungen, um das Objekt-Werden dessen, was uns zum Subjekt macht. Die explizite Sichtbarkeit von Pornografie kommt hier gerade nicht zum Einsatz, vielmehr verwandeln sich Fantasien in groben Zement. Lust wird zum Disziplinierungsakt auf der Werkbank, das Ich zur ästhetisierten Anstrengung.
Abb. 4. loch ist loch, 2012, Aus der Portraitserie «zwischen-durch». Courtesy Galerie Christine König, Wien
Toni Schmales Ausstellung thematisiert offensichtlich Debatten um Gender und Neoliberalismus. Selbst diese werden jedoch in ihrer Macht so überdimensioniert, dass sie dort zum bizarren, immer wieder humorvollen Prinzip werden, wo sie sich sonst manchmal in ihrer eigenen Codiertheit von Kritik wiederholen. Selbstbezogen ist «Toni Schmale Superego» in diesem Sinne durchaus – doch mit gutem Grund, denn nur wenn die Ausstellung ihre eigene Funktionsweise überzeichnet, wird sie ihrem Namen gerecht.
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