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Open-Media-Studies-Blog

Open-Access-Transformation in der Medienwissenschaft

9.12.2022

Die diesjährige Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft widmete sich dem Thema «Arbeit» und behandelte damit eine Thematik, die in der Medienwissenschaft selbst aktuell diskutiert wird, z. B. wenn es um die Arbeitsbedingungen (#IchBinHanna) oder die Förderpolitik geht. Unter wissenschafts- sowie medienpraxeologischen Gesichtspunkten erscheint im Zuge der Betrachtung der Arbeitsbedingungen in der Medienwissenschaft eine Konzentration auf die gegenwärtigen Publikationsverhältnisse notwendig, wird aber selbst in Diskursen um Open Access oftmals vernachlässigt. In einer Wissenschaftskultur, in der die Partizipation am wissenschaftlichen Diskurs primär durch Vorhandensein und Wirkung wissenschaftlicher Publikationen definiert wird, bestimmt sich Teilhabe an der Wissenschaft neu. Meinte Zugang in Bezug auf wissenschaftliche Publikationen bisher den Zugriff von Leser_innen auf Texte, so betrifft es in der neu entstehenden Publikationskultur den Zugang von wissenschaftlichen Autor_innen zu Publikationsmöglichkeiten. Die Frage ist also nicht mehr nur jene danach, wie Leser_innen Texte finden können, sondern auch, ob diese überhaupt veröffentlicht werden können bzw. wer Zugang zu den für Publikationen erforderlichen Produktionsstrukturen hat. Das sich hierdurch öffnende Themenfeld ist weit, komplex und harrt in großen Teilen immer noch der Erschließung. Aus der Perspektive von Offenheit und Zugang wollen wir uns der Erschließung dieses Themenkomplexes widmen und einen multiperspektivischen Diskurs anstoßen, der über einen längeren Zeitraum, auf verschiedenen Plattformen und in verschiedenen Formaten geführt werden soll. So gab es ein Panel auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM), das durch diesen multiperspektivischen Diskurs auf dem Open-Media-Studies-Blog begleitet wird, indem wir die Perspektiven von Bibliotheken, von scholar-led-Initiativen sowie von Verlagen zusammenführen. Abgeschlossen wird diese kleine ‹Serie› mit einen Bericht von Kai Matuszkiewicz und Sarah-Mai Dang über das besagte Panel.

Der vorliegende Bericht dokumentiert die Paneldiskussion Open-Access-Transformation in der Medienwissenschaft – Arbeitsprozesse mit Zukunft? auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft 2022 zum Thema «Arbeit» bzw. deren Ergebnisse. Der Text widmet sich, im Anschluss an eine Kontextualisierung und Einordnung der Paneldiskussion in übergreifende Diskussionszusammenhänge, der Darlegung der Diskussionsergebnisse. Gestaltet wurde die Paneldiskussion von der Redaktion des Open-Media-Studies-Blog, Mitgliedern der AG Open Media Studies sowie der Kommission für gute Arbeit in der Wissenschaft der GfM.

Medienwissenschaft, Arbeit und Publizieren

Gegenwärtig rücken Diskussionen über die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft unter Hashtags wie #IchBinHanna, #IchBinReyhan oder #stopthecuts die prekären Beschäftigungsverhältnisse im deutschen Wissenschaftssystem vermehrt in den Fokus und regen dazu an, auch die Modalitäten des Arbeitens in der Medienwissenschaft kritisch zu reflektieren. Dies betrifft die Medienwissenschaft in doppelter Weise – einerseits ist sie als wissenschaftliche Disziplin von eben diesen Diskursen unmittelbar betroffen und andererseits ist sie aufgrund ihrer theoretischen und methodischen Werkzeuge gefordert, die mediale Bedingtheit der Problemkonstellationen der vorherrschenden Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu analysieren. Aus wissenschafts- sowie medienpraxeologischer Perspektive erscheint hierbei eine Konzentration auf die aktuellen Publikationsverhältnisse notwendig, wird aber oftmals vernachlässigt. In einer Wissenschaftskultur, in der die Partizipation am wissenschaftlichen Diskurs primär durch Vorhandensein und Erfolg wissenschaftlicher Publikationen definiert wird, bestimmt sich Teilhabe an der Wissenschaft neu. Meinte Zugang in Bezug auf wissenschaftliche Publikationen im traditionellen Sinn (ergo vor der ‹Zeitschriftenkrise›) den Zugriff von Leser_innen auf Texte, so drängt sich gegenwärtig die Frage nach dem Zugang von wissenschaftlichen Autor_innen zu Publikationsmöglichkeiten erneut auf. Neben der Forderung eines kostenfreien Zugriffs auf Forschungsergebnisse, rückt die Problematisierung der Produktionsbedingungen von Wissen wieder stärker ins Zentrum der Debatten. Die Frage ist also nicht mehr nur jene danach, wie Leser_innen Texte finden und nutzen, sondern auch, wie, wo und von wem diese überhaupt veröffentlicht werden können. Wie beeinflussen gegenwärtige Publikationsbedingungen die Produktion und Verbreitung von Wissen und damit auch das Verständnis film- und medienwissenschaftlicher Fragen, Gegenstände und Methoden? Wie wirkt sich Open Access auf die Fachkulturen aus? Wer profitiert von Open-Access-Publikationen – und wer nicht? Diese Fragen berühren das Zusammenspiel aus Publikationsgewohnheiten, Finanzierungsmöglichkeiten, fachspezifischen Anforderungen und Erwartungen sowie impliziten und expliziten Machtstrukturen, wobei Open Access gleichermaßen Chance wie Herausforderung ist. Vor diesem Hintergrund war es der Redaktion des Open-Media-Studies-Blog ein Anliegen, einen multiperspektivischen Diskurs anzustoßen, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und auf verschiedenen Plattformen sowie in unterschiedlichen Formaten geführt wird. Der Vielschichtigkeit des Themenkomplexes sollte durch die Einbindung möglichst vieler verschiedener Akteur_innen Rechnung getragen werden. So begann der Diskurs mit einer Mini-Serie auf dem Open-Media-Studies-Blog, in der Adriana Slavcheva über Finanzierungsmodelle für die die Medien- und Kommunikationswissenschaft aus Sicht der Universitätsbibliotheken berichtete, Tobias Steiner die Bedeutung des scholar-led-Publishings beleuchtete (Teil 1, Teil 2, Teil 3) und Andreas Kirchner aus der Perspektive eines Open-Access-Verlags berichtete. Derartige und ähnlich gelagerte Aspekte wurden im oben genannten Panel auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft 2022 diskutiert. Als Podiumsgäste waren Andreas Kirchner, Sebastian Stoppe, Thomas Waitz und Michaela Wünsch an der Diskussion beteiligt, die von Sarah-Mai Dang und Kai Matuszkiewicz moderiert wurde.

Let’s Talk about Open Access

In der ersten Fragerunde wurden die Panelist_innen gebeten, zu skizzieren, welche Rolle Open Access für sie beruflich spielt und wie die hierfür notwendigen Arbeitsschritte konkret umgesetzt werden. Zudem wurde gefragt, wie Open Access die jeweiligen Arbeitsbedingungen verändert. Michaela Wünsch von der Kommission für gute Arbeit in der Wissenschaft (GfM) und vom Verlag b_books betonte, dass Verlags- und Redaktionsarbeit in der Wissenschaft oftmals ehrenamtliche und unbezahlte Arbeit bedeute. Für kleinere Verlage sei es oftmals schwierig, Open Access umzusetzen, was bereits bei der Zuweisung von persistenten Identifikatoren wie DOIs beginne. In diesen Zusammenhängen seien Fachrepositorien wie media/rep/ gefordert. Vergriffene Bücher seien darüber hinaus eine Möglichkeit, die Open-Access-Transformation im Fach voranzubringen, da diese als eBooks neu aufgelegt werden könnten. Grundsätzlich, dies verdeutlichten die Ausführungen, muss man sich mit der Frage auseinandersetzen, wer die Kosten für Open Access trägt und wer sich Open Access überhaupt leisten kann. Zudem wurde kritisiert, dass die aktuellen Förderbedingungen für Open-Access-Publikationen in der Film- und Medienwissenschaft die Fachkulturen nicht ausreichend berücksichtigen. Diesen Punkt teilte auch Andreas Kirchner vom Verlag meson press sowie vom Open Access Network und stellte zudem heraus, dass  Verlagsarbeit Arbeit neben der regulären Arbeitszeit, oftmals in den Abendstunden, bedeute. Dennoch seien kooperative Ansätze, wie sie etwa durch meson press praktiziert werden, und weitere community-led-Initiativen von großer Bedeutung für die Medienwissenschaft. Man dürfe dabei aber nicht vergessen, dass die hierbei entstehenden Open-Access-Publikationen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen müssten, was letztlich auch professionelle Workflows erfordere. Auch wenn ein Verlag wie meson press keine Gewinnbestrebungen hege, sei die Finanzierungsfrage  stets virulent. Das Preisleistungsverhältnis, so Kirchner, müsse stimmen, was bedeute, für Open-Access-Bücher Book Processing Charges (BPCs) von 1.500 bis 5.000 € nicht zu übersteigen und notfalls Publikationsprojekte mittels Querfinanzierungen durchzuführen. Verlage wie meson press und b_books funktionieren letztlich nur aus Leidenschaft. Leidenschaftlich fiel auch das Plädoyer von Thomas Waitz aus, der als Mitglied der AG Open Media Studies sowie als Redaktionsmitglied der Zeitschrift für Medienwissenschaft auf dem Podium saß und Open Access aus der Perspektive der Autor_innen und Herausgeber_innen ins Visier nahm. Er appellierte an die Verantwortung der Medienwissenschaftler_innen, sich um die offene und freie Zugänglichkeit ihrer Publikationen zu bemühen. Hierfür seien Creative Commons-Lizenzen ebenso erforderlich wie die mutige Nutzung von rechtlichen Grauzonen. Ein Ansatz könne beispielsweise darin bestehen, selbst verfasste Texte auf die eigene Website hochzuladen. Das übergeordnete Ziel der Open-Access-Transformation in der Medienwissenschaft solle darin bestehen, die legale Zugänglichmachung und Verfügbarmachung der Publikationen anzustreben und sich hierbei nicht privatwirtschaftlichen Unternehmen auszuliefern. Dies könne auch zu einer Neustrukturierung der Verlagslandschaft bzw. deren Finanzierung führen, die öffentlich gesichert werden könne, um sie von kapitalistischen Logiken zu befreien. Ferner betonte Waitz, dass Schluss mit der Selbstausbeutung von Medienwissenschaftler_innen in diesem Kontext sein müsse. Sebastian Stoppe vom Fachinformationsdienst adlr.link stimmte Andreas Kirchner zu und betonte, dass die Qualitätssicherung bei Open-Access-Publikationen entscheidend sei, um einem gängigen Vorurteil zu begegnen, das kostenlos zugängliche Publikationen von minderer Wertigkeit sind. Darüber hinaus erinnerte er daran, die entscheidende Rolle der Bibliotheken bei der Open-Access-Transformation nicht zu vernachlässigen. Hierdurch rückte Stoppe einen Aspekt in den Mittelpunkt, der in Diskussionen zu dem Thema oftmals ausbleibt: die Metadaten. Für eine dauerhafte und nachhaltige Zugänglichmachung von Forschungsliteratur seien diese entscheidend, wobei das Problem bestehe, dass Verlage bisher kaum umfassende Metadaten zur Verfügung stellten, was eine aufwendige Anreicherung und Aufbereitung durch Akteure wie Bibliotheken notwendig mache. Zudem verwies Stoppe auf die Bedeutung, die die Recherche bzw. Rechercheportale für die Open-Access-Transformation einnähmen. Neben adlr.link sei hierbei an Rechercheportale wie DOAJ oder DOAB zu denken.

Offene Diskussion für Open Access

In der zweiten Fragerunde standen die Probleme bzw. Herausforderungen im Mittelpunkt, die die Open-Access-Transformation der Medienwissenschaft mit sich bringt und welche Lösungsansätze es hierfür geben kann. Neben den Panelist_innen war in dieser Runde insbesondere das Plenum gefragt und beteiligte sich rege. In einem Diskussionsfeld ging es darum, zu klären, was Open Access ist bzw. welche Standards für Open Access in der Medienwissenschaft gelten sollten. Neben oft adressierten rechtlichen Aspekten seien z. B. auch die ästhetischen Fachspezifika zu berücksichtigen. Kritisch hinterfragt wurde auch, unter welchen Bedingungen Open Access einen Mehrwert für die Medienwissenschaft bedeute und wie mit zu beobachtenden Marktkonzentrationen umzugehen sei. Hier zeigte sich auch der Übergang zu einem zweiten Diskussionsfeld, nämlich der Aufrechterhaltung der Bibliodiversität, die sich in der Diversität von Verlagen ebenso widerspiegle wie in der Diversität von fachkulturell notwendigen Publikationsformaten. In diesem Kontext wurde aber auch deutlich, wie divers die Haltungen diesbezüglich sind, da auch reflektiert wurde, inwiefern Bibliodiversität heute noch das gedruckte Buch mit einbeziehe. Gegen Ende der Diskussion richtete sich der Blick auf die institutionellen Akteur_innen des Transformationsprozesses und wie diese agieren sollten. So wurde hervorgehoben, dass das Fach und die Fachgesellschaft die Hauptverantwortung für die disziplinäre(n) Publikationskultur(en) trage. Das Gelingen der Open-Access-Transformation hängt nicht nur von Fördergeldern ab. Nichtsdestoweniger ist es wichtig, die aktuellen Förderbedingungen, etwa im Kontext der DEAL-Verträge, genau zu beleuchten, da diese durch den Fokus auf Fachzeitschriften, die ausschließlich Open Access erscheinen, die fachkulturellen Publikationsgewohnheiten der Medienwissenschaft, in der Monographien und Sammelbände nach wie vor eine große Rolle auch bei Berufungen spielen, verkenne. Welche Gelder durch wen wo investiert werden, ist daher eine entscheidende Frage. Die Diskussion warf viele Fragen auf, die in naher Zukunft weiter – und breiter – diskutiert werden müssen.

Und was kommt jetzt?

Am Ende der Diskussion kehrte diese zu den Panelist_innen zurück, welche abschließend gebeten wurden, ihre Wünsche für eine erfolgreiche Open-Access-Transformation aus ihrer jeweiligen Perspektive zu formulieren. Thomas Waitz forderte allgemein eine größere Zugänglichkeit von und zu Publikationen und stellte aus, dass die Erstellung derartiger Publikationen ohne gute Arbeitsbedingungen nicht gelingen könne. Michaela Wünsch hob darauf ab, dass es eine konsequente staatliche Förderung medienwissenschaftlicher Publikationen geben müsse. Sebastian Stoppe unterstrich erneut, wie essentiell Metadaten für Open-Access-Publikationen sind. Die Auffindbarkeit einzelner Publikationen in einer zunehmend größeren Menge an Publikationen seien schon jetzt ein Problem, denn unzureichend attribuierte Publikationen drohten in der Menge an Veröffentlichungen unterzugehen. Abschließend wünschte sich Andreas Kirchner ein größeres Interesse seitens der Medienwissenschaft an Open Access und Publikationsprozessen, was sich letztlich auch in einem größeren Publikum bei Veranstaltungen zu wissenschaftlichen Infrastrukturen widerspiegele. Nur auf breiter Ebene können jene Diskussionen geführt werden, die wir als Film- und Medienwissenschaftler_innen führen müssen, wenn wir die Publikationskulturen und -infrastrukturen so gestalten wollen, dass diese nicht länger und noch stärker unsere fachlichen Bedürfnisse verfehlen, sondern einen offenen und pluralen Zugang für alle zu Wissen und Wissensproduktion erlauben.

Bevorzugte Zitationsweise

Matuszkiewicz, Kai; Dang, Sarah-Mai: Open-Access-Transformation in der Medienwissenschaft. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Open-Media-Studies-Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/open-media-studies-blog/open-access-transformation-der-medienwissenschaft.

Die Open-Access-Veröffentlichung erfolgt unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 DE.