Medialität der Nähe
Bereits 2010 griff die erste Jahrestagung der Siegener Graduiertenschule Locating Media/Situierte Medien, mittlerweile DFG-Graduiertenkolleg, das Konzept der Nähe als Thema auf und machte es zum Hauptgegenstand diverser interdisziplinärer Vorträge und Diskussionen. Der hier vorliegende Sammelband Medialität der Nähe geht aus eben jener Tagung hervor und verhandelt das Konzept der Nähe neu. Ergänzt wurden die Tagungsbeiträge um Artikel aus dem Kreis der Stipendiaten und Postdoktoranden, sowie internationalen Gastvortragenden, welche aktiv an der Konzeption des interdisziplinär und transnational angelegten Bandes mitgearbeitet haben.
Nähe wird hierbei in Auseinandersetzung mit der Entstehung, Nutzung und Verbreitung aktueller geomedialer (wie auch historischer) Medienentwicklungen perspektiviert und in Abhängigkeit von orts- und situationsbezogenen Medienprozessen und Handlungszusammenhängen gelesen. Diese Verbindung, durch welche der mediale Raum folglich als kollektives Produkt gedacht wird, stellt eine entscheidende Ergänzung der Raumwende dar (12), denn: In einem solchen Raum präsentiert sich Nähe zwischen Entitäten als relationale und dynamische Kategorie, „die nicht durch die Weiterentwicklung der Technologie bedroht, sondern durch immer neue Formen und Dispositive transformiert wird“ (12).
Grundsätzlich werden Medien als Mittel zur Überbrückung von räumlicher und sozialer Distanz beschrieben, wobei die Leistungen und Effekte neuer Informations- und Kommunikationstechnologien gerade in Bezug auf die Überwindung des Raumes verhandelt werden. Nähe steht hierbei einerseits für die gelungene Vermittlung, andererseits bildet sie den unhinterfragt positiven Ausgangspunkt der Überwindung von Distanz (11). „Mediale Kommunikationsprozesse sollen unterschiedliche Akteure zusammenbringen und, soweit die Utopie des globalen Dorfes, gar für eine bessere, demokratischere und gerechtere Gesellschaft sorgen“ (11), so die Herausgeber Pablo Abend, Tobias Haupts und Claudia Müller in der Einleitung des Sammelbandes. Soziale und räumliche Nähe werden dabei häufig in eins gesetzt, lautet die vielleicht etwas einseitig ausfallende McLuhansche Ausgangsposition, von der sich der Band abgrenzt.
So rückt der Siegener Sammelband das Konzept der Nähe neu in den Blick: Denn Nähe, so die Überlegung, ist durch spezifische Situationen und Perspektiven bestimmt; sie präsentiert sich als relationale, orts- und situationsgebundene Kategorie, welche durch das handelnde Subjekt in situ bestimmt wird. Im global village der kurzen Wege sind Nähe und Distanz folglich nicht mehr allein in räumlichen Kategorien zu fassen, sondern unterliegen stets den Bedingungen situativer Handlungszusammenhänge (12). Der mediale Raum wird dabei gelesen als „kollektives Produkt..., das mittels Bedeutungsaushandlung konstruiert... und von individuellen Formen der Raumwahrnehmung und -aneignung geprägt ist“ (12). Innerhalb eines solchen Raumes wird Nähe zwischen Entitäten folglich zu einer relationalen und dynamischen Kategorie, welche, durch sozio-kulturelle und sozio-technische Praktiken, sowie durch heterogene Situationen und Perspektiven bestimmt wird. Als Ergebnis von Aushandlungsprozessen wird Nähe zu einer orts- und situationsgebundenen Kategorie, die topologische Beziehungen zwischen Entitäten beschreibt (12).
Der Band, der ein breites Spektrum an interdisziplinär angelegten, orts- und situationsbezogenen Zugängen rund um das Konzept der Nähe versammelt, fragt folglich: Welche Rolle spielen Medien in den Aushandlungsprozessen von Nähe? Inwieweit wird Nähe von einem personalen, technischen oder medialen Zentrum aus entworfen und bestimmt? Und: Mit welchen methodologischen Ansätzen lässt sich das (opake) Konzept Nähe am treffendsten beschreiben (13)?
Methodisch vereint der Sammelband dabei Text- und Medienanalysen mit (medien-)ethnografischen und aktionstheoretischen Ansätzen, um letztlich, ganz im Sinne des Locating Media-Ansatzes, den Blick sowohl auf Medienpraxen als auch auf Medientechnik zu schärfen. Seine große Leistung ist es medial-historische Momente mit aktuellen Tendenzen der digital vernetzten Welt zu koppeln, was somit ein Oszillieren an der Schnittstelle zwischen materiellen und digitalen Räumen gewährleistet.
Die erste Sektion wird unter dem Label Nahräume geführt und befasst sich mit dem Öffnen einstiger Privaträume mittels (digitaler) Mediennutzung. Via Webcam, Youtube-Videos, Message Boards, Websites, Blogs oder in sozialen Netzwerken teilen wir Informationen, gewähren Einblicke in unsere Privatsphäre (oder -Räume) und lassen andere an den Geschehnissen unserer unmittelbaren Umgebung teilnehmen. Auch erlauben uns digitale Karten eine räumliche Situierung fiktiver Charaktere im Medienverbund und machen diese somit zum Teil unserer Lebenswirklichkeit (14), so die Herausgeber. Der Nahraum beschreibt folglich nicht nur die Öffnung unseres eigenen Privatraums hin zum Anderen, sondern auch das aktive Heranholen des Anderen in unsere Lebenswirklichkeit. Was einst die geschlossene Privatsphäre war, wird somit zwangsläufig zur privaten Öffentlichkeit. Diese wird wissentlich auf einer öffentlich zugänglichen Schaubühne präsentiert und dabei letztlich zu einem Repräsentationsraum bzw. -modus neuen Formats (14).
Neben Heather A. Horsts detaillierter Fallstudie Aesthetics of the Self: Materiality and Connectivity in the Digital Age, die sich der Mediennutzung einer US-amerikanischen Jugendlichen widmet, sowie Regine Buschauers Beitrag zur medialen Figuration des Nächsten in den gegenwärtigen Formen der Tele-Medien wie iPhone und Wii-Konsole, präsentiert Jana Herwig unter dem Titel Post your Desktop eine technisch-ökonomische und medienethnografische Plattformanalyse der Website 4chan.org. Roland Leikauf diskutiert in ´Nam vs. World: Mythische Ortszuschreibungen des Zweiten Indochinakriegs die spezifischen Transformationsprozesse medialer Erinnerungsproduktion von Vietnamveteranen, während Ramón Reichert die zuvor angesprochene Öffnung des Privatraums hin zur öffentlich zugänglichen Schaubühne analysiert. In seinem Beitrag Make-up-Tutorials auf YouTube. Zur Selbstkonstitution in Sozialen Medien beschäftigt er sich mit diesem derzeit viel diskutierten, subjektzentrierten Online-Videoformat und stellt dabei Praktiken der Selbstdarstellung und visuellen Selbstinszenierung heraus. Neben offensichtlichen Formen der eigenen Identitätskonstruktion betont Reichert in seinem Beitrag den Einfluss auf die vorherrschende Partizipationskultur der Nutzerinnen und Nutzer und deren Eigenwert als kulturelle und soziale Aushandlungsprozesse. So fordern Schminkvideos im Sinne eines unmittelbaren show how zur Partizipation und Interaktion auf und führen so zur Aufhebung der Grenzen von Produktion und Rezeption: Ein signifikantes Muster der Make-up-Tutorials, so Reichert, ist somit die mediale Herstellung von kommunikativer Nähe, welche im permanenten Aushandlungsprozess von ‚Präsentation’, ‚Beobachtung’ und ‚Selbstthematisierung’ entsteht (104,113). Nähe präsentiert sich letztlich als kollektiver und kollaborativer Kommunikationsprozess (110), d.h. als kollektiv geteilte und verhandelte Erfahrung, sowie als situierte Praxis an sich, die sich an der Schnittstelle von körperlicher Praxis und medialer Technik bewegt (114).
Die erste Sektion schließt mit einem Beitrag von Annika Richterich, die sich unter dem Titel Narrative kartografische Nähe: Nicht bildhaft genug für Bilder, nicht kartografisch genug für Karten dem noch jungen Phänomen der geomedialen Literatur widmet. Dabei geht es um internetbasierte Medienangebote, die literarische Texte mit grafischen Landkarten und photografischen Satellitenbildern kombinieren. In ihrem Beitrag diskutiert sie die Unvereinbarkeit traditioneller Konventionen des Kartenlesens mit den neuen Anforderungen digitaler (Literatur-)Kartografien und hybrider Interfaces. Richterich konstatiert, dass deren visuell erzeugte Nähe, ein hoher Zoomfaktor und fragmentarische Ansichten irritierend auf den Nutzer wirken und dessen Orientierung und Navigation keinesfalls begünstigen.
In Sektion II des Bandes, den Reichweiten, geht es kartografisch weiter – wobei Medien dabei als Kartografien unserer selbst gelesen werden, die über unseren eigenen Radius und unser Wirkungsfeld Zeugnis ablegen: Sie kartieren unsere Bewegungen im Raum, verorten uns mittels geo-tags innerhalb unserer Lebenswelt und verbreiten Botschaften und Informationen, deren Zirkulation sich letzten Endes unserer aktiven Kontrolle entzieht. „Dabei ist die Reichweite nicht allein von der technischen Machbarkeit abhängig, sondern auch von der individuellen Nutzungskompetenz, von sozialen und politischen Restriktionen und dem eigenen kulturellen Kontext“ (17), wie die Herausgeber betonen.
Den Einstieg in jene Thematik gestalten Pablo Abend und Anne Beringer mit ihrem anschaulich aufbereiteten Beitrag ‚Ich bin um die Ecke’– Die Selbstverortung in ortsbasierten sozialen Netzwerken, in welchem sie zahlreiche Beispiele differierender Verortungspraktiken und -technologien aufgreifen und in den Diskussionskontext orts- und situationsbezogener Medienprozesse stellen. Im Fokus ihrer Betrachtungen stehen dabei stets hybride Praktiken der Verortung, Situierung und Lokalisierung von Mediennutzern durch netzwerkfähige, mobile Endgeräte, durch welche letztlich eine Form sozialer Nähe mittels technologischer Selbstverortung suggeriert wird: Die technische Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Nutzers und die darauffolgende Einbet-tung in das Profil seiner medialen Präsenz berge folglich das Versprechen, so die Autoren, die Nähe zu anderen Mediennutzern sichtbar zu machen und habe dabei implizit die Anbahnung eines unvermittelten Face-to-Face-Kontaktes zum Ziel (140). Angespielt wird u.a. auf Applikationen wie Places auf Facebook oder aber auf Lokalisierung basierende Netzwerke wie aka-aki, Foursquare und Gowalla, die allesamt mit sogenannten Location Based Services (LBS), an der Schnittstelle zwischen World Wide Web und physischem Raum, operieren. Als zentral erweist sich die Fragestellung, welche Funktion die Veröffentlichung der eigenen Position in virtuellen sozialen Netzwerken erfüllt und welchen Beitrag diese technologische Selbstverortung zur Gemeinschaftsbildung leisten kann, so die Autoren (140). Im Gegenzug dazu scheine es symptomatisch, dass Nutzer derzeit gängiger sozialer Netzwerke, wie Facebook, den gemeinschaftlich geteilten Ort als gemeinsame Basis aufweisen. D.h. der Herkunftsort oder die Heimatstadt schaffen eine imaginäre Näherelation; der ursprüngliche Face-to-Face-Kontakt wird um die Dimension der Interface-to-Interface-Kommunikation erweitert (148).
Adnan Barlas und Meltem Şentürk stellen in einer umfangreichen Studie die Veränderungen der Mediennutzung vor und nach dem Aufkommen des Mobiltelefons im urbanen Raum Ankaras heraus, während Tilo Grätz die Dimensionen medialer Nähe am Beispiel des Radios in Benin anhand eigener Feldforschungen in Westafrika verhandelt, in denen er die Rolle lokaler Radiosender bei der Herstellung unterschiedlicher Nähedimensionen diskutiert. Mediale Nähe ist dabei, so Grätz, von einer Kombination aktiver Strategien, sowohl von Produzenten- als auch Rezipientenseite abhängig, um Nähe durch die Inhalte bestimmter Programme zu erzeugen, sowie sich wechselseitig verstärkende soziale Kontakte im Alltag zu unterhalten (210).
Und auch die folgenden Beiträge bieten Fallbeispiele und Interviews aus ‚fernen’ Ländern, was die transnationale Qualität und Komposition des Bandes unterstreicht: In The Museum of Today: Towards Bridging the Socio-cultural Gap in Brasil beschäftigen Lorena Melgaço und Ana Paula Baltazar sich an der Schnittstelle von Architektur- und Medienwissenschaft mit der Überbrückung räumlicher und sozialer Distanzen zwischen Einwohnern brasilianischer Favelas; Felix Riedel diskutiert in einer weiteren ethnografischen Studie die Ausbreitung sowie die Aneignungsstrategien und Widersprüche neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, wie dem Internet, im westafrikanischen Staat Ghana; während Katherine S. Willis in ihrem Beitrag Beeing at Two Places at once: The Experience of Proximity with Locative Media sich den vielfältigen Verflechtungen des medialen und geografischen Raumes widmet, welcher durch die Nutzung situierter, digitaler Technologien zunehmend von Formen hybrider Präsenz durchdrungen wird (18).
Sektion III des Bandes beschäftigt sich schließlich mit Kontaktzonen und den daraus resultierenden Näherelationen, bei deren Konstitution Medien eine entscheidende Rolle spielen: Entweder als Wegbereiter der direkten Konfrontation an den Schauplätzen der Kontaktzonen oder gar als Kontakträume selbst, wenn sie ihrerseits erst einen Ort generieren, der Nähe zu Dingen zulässt, die trotz Bemühungen des Individuums fern bleiben (20). In jenen Kontakträumen kommt es dabei oftmals zu einer wechselseitigen Aushandlung von Nähe und Distanz, zwischen der medialen Rahmung und den Bedürfnissen des Mediennutzers, wobei Nähebeziehungen zum schlichtweg Anderen wie auch zum Göttlichen ausgehandelt werden.
Das Spirituell-Göttliche spielt u.a. in Rukiye Canlis medienethnologischem Beitrag In einer Stunde nach Amerika und zurück eine Rolle, in welchem sie das Konzept von Nähe und Ferne in kulturellen Praktiken türkischer Sufi-Gemeinschaften nachzeichnet. Es geht dabei um Praktiken und Rituale, die Einblick in eine ‚Vorstellungswelt’ bieten, die in ein Set von physikalischen Räumen, religiösen ‚Vorstellungswelten’ und medientechnisch unterstützter Praxis eingebettet sind (20).
Mit der Aushandlung von Nähebeziehungen zum Göttlichen und deren Abhängigkeit vom Medialen beschäftigt sich auch Tobias Haupts. In seinem Beitrag In weiter Ferne, so nah: Die Überwindung der Gottesferne durch den Geist des Fernsehen spielt er auf die Diskrepanz zwischen der unmittelbaren Teilnahme am Gottesdienst und der Übertragung im TV an, deren Kluft durch eine aktive, individual-psychologische Eigenleistung der Rezipienten überbrückt werden soll. Wenn auch die angestrebte Nähebeziehung zum Göttlichen nicht auf die Rezeption innerhalb einer festen Gemeinde beschränkt sei, ergebe sich durch die televisuelle Übertragung eine informelle Atmosphäre der Berieselung und Profanisierung (279); auf der anderen Seite, so Haupts, tragen live-Übertragungen zur eventhaften Medialisierung von ‚Populärreligion’ bei (282,283).
Auf ähnliche Weise medialisiert tritt auch das Konzept der Gastfreundschaft auf, dessen offensichtlichem Wandel Mareike Layer in ihrem instruktiven Aufsatz Der Klick der Gastfreundschaft. Wie es sich auf fremden Couchen surft, oder wo der ‚Nächste’ beginnt nachgeht. In ihrer illustrativen, aktualitätsnahen Analyse der Onlineplattform Couchsurfing diskutiert sie die Frage wie sich Interaktion, Kontaktaufnahme und Geselligkeit zwischen Gast und Gastgeber zu Zeiten des Web 2.0 neu ausjustieren und wie dadurch Formen prekärer Nähe entstehen können.
Neben der konkreten webbasierten Interaktion im Netz, nehmen sich Claudia Müller und Cornelius Neufeldt dem spezifischen Designprozess bzw. -hintergrund einer Website an. Geführt unter dem Titel Facetten medialer Nähe im Altenheim, liegt ihr Fokus auf den konkreten Nähekorrelationen zwischen Designern und hochaltrigen Nutzern. Hohe Relevanz messen die Autoren dabei sozio-technischen Begleitumständen bei, sowie auch sozialer und emotionaler Nähe zu den gestalteten Artefakten.
Eine weitere Facette sozio-medialer Nähe untersucht David Sittler, hier am Beispiel der Rassenunruhen in Chicago im Sommer 1919, wobei die urbane Straße als Vermittlerin neuer Formen von Nähe in den Fokus seiner Betrachtungen rückt. Die Straße präsentiert sich dabei als Komposition, die die Grenze zwischen Bühne und Publikum aufhebt und ihres Status als zufällige Kulisse enthoben wird. Vielmehr rückt sie als vermittelnder und performativer Bestandteil in den Diskussionsmittelpunkt. Die Straße der Großstadt Chicago gilt, so Sittler, als ein Medienensemble, das den Menschen auf ihr erlaubt, sich in einer städtischen Umwelt zu positionieren und zu orientieren (22). Statt innerhalb des urbanen Gewimmels eine Art psychischen Nähe von Vertrautheit zu schaffen, führt die teils klaustrophobisch anmutende Nähe jedoch zu einer gewissen Indifferenz und Blasiertheit gegenüber dem Anderen, wovon die Chicagoer Unruhen zeugen. In seinem aufschlussreichen Beitrag macht David Sittler deutlich, dass die Straße, als Medium gesellschaftlicher Erfahrungen, auf Vermischung, Berührung und Konfrontation von Sphären beruht, die sonst räumlich getrennt sind (341).
Einen Blick über den Rand der Stadt, hin auf die städtische Peripherie, wagt Thomas Waitz. Anhand des Films Durchfahrtsland (D 2002, Alexandra Sell) und des Bild-Text-Zyklusses Peripheriewanderung Bonn (Peter Piller) veranschaulicht Waitz wie sich durch die Effekte der automobilen Moderne und ihrer Bildpolitiken ein als Landschaft erfahrbarer Raum konstituiert, ein Raum des Dazwischen und der Peripherie: Der grüne Rand, als Resultat mobilisierter Distanzüberwindung.
Und um Distanzüberwindung geht es auch bei Niels Werber. In seinem Beitrag Das Glashaus. Medien der Nähe im 19. Jahrhundert stellt er zur Schau, wie jene Glaspaläste des 19. Jahrhunderts als prunkvolle Prestigeobjekte und Kunstwerke der Täuschung durch Negation der Wirklichkeit des Draußens die damaligen Besucher zu Reisen in völlig fremde Welten einluden.
Insgesamt stellt sich der hier vorliegende Sammelband des Siegener Graduiertenkollegs Locating Media/Situierte Medien einem gleichsam komplexen wie auch aktualitätsnahen Gegenstand: Medien im Zusammenhang mit Nähe(-relationen). Denn während neuen Medien lange Zeit eine Entortung der Kommunikation nachgesagt wurde, so ist diese Entwicklung mittlerweile in ihr Gegenteil verkehrt. Diverse Vernetzungs- und Globalisierungsprozesse führten zur Wiedergeburt des Ortes (10,11), was aktuelle Medientechnologien und -forschungen vor neue Aufgaben stellt: den Ort des Mediums, sowie die eigenen Praktiken angemessen zu lokalisieren und zu situieren.
Die große Stärke des Sammelbandes ist es hierbei, jenen komplexen Gegenstand facettenreich, aktualitätsnah, und angereichert mit einer Vielzahl an Fallstudien und konkreten Beispielen zu untersuchen. Die dynamische Mischung an inter- und transdisziplinären Denkanstößen und Impulsen erweist sich als großer methodischer Mehrwert, aus dem letztlich ein kohärentes Gesamtbild hervorgeht. Vielleicht wäre an manchen Stellen eine explizitere Herausstellung des Nähekonzepts wünschenswert gewesen, um eine punktuelle Rückkopplung zum ursprünglichen Forschungsanliegen und -gegenstand zu gewährleisten. So verschiebt sich der Fokus teilweise auf dispositive, rezeptive oder diskursive Bedingungen und Voraussetzungen, die innerhalb jenes Kontextes nur sekundäre Relevanz besitzen. Dennoch offeriert Medialität der Nähe einen innovativen Blick auf aktuelle Fragestellungen der Medienkultur und diskutiert das Konzept der medialen Nähe auf neuem, orts- und situations-bedingtem Hintergrund.
Juni 2012
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