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Onlinebesprechung

Leberpastete im Erdorbit. Neues aus der Weltraumforschung

1.4.2011

2009 gab es, passend zum 40. Jahrestag der ersten Mondlandung, eine Flut an Publikationen, die sich speziell mit diesem Ereignis oder mit unterschiedlichen Aspekten der Geschichte des Weltraumflugs beschäftigten.1 An und für sich ist das wohl nicht allzu verwunderlich oder gar spektakulär. Sind doch Jahrestage, vor allem im dekadischen Rhythmus, bewährter Anlass an vergangene Ereignisse zu erinnern, um ihnen so immer wieder neue gesellschaftliche Relevanz zuzuschreiben. Für MedienwissenschaftlerInnen gibt es wohl kaum ein öffentliches Gedenken, das nicht interessant wäre, allein schon, weil solch öffentliches Gedenken immer via Medien in Umlauf gebracht wird. Dennoch kann die Mondlandung als ein besonders medienaffines Ereignis gelten, hat sie doch bereits im Kern mit unterschiedlichen medialen Phänomenen zu tun.

Um nur an ein paar Aspekte zu erinnern: Knapp 600 Millionen Menschen sollen live vor dem Fernsehen gesessen haben, als Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betrat. Die Mondlandung wird dementsprechend aus berufenem medienphilosophischem Munde als „größte[s] Fernsehereignis aller Zeiten"2 bezeichnet und gilt immer noch als eines der Paradebeispiele für ‚Medienereignisse‘ im Sinne von Dayan & Katz.3 Die Weltraumprojekte der 1960er Jahre haben aber nicht nur mit der simultanen Versammlung von Millionen von Menschen vor dem Fernsehbildschirm zu tun. Sie sind darüber hinaus Produkte wie Agenten globaler Kommunikation. Beispielsweise in dem ganz einfachen Sinne, dass die (nahezu) globale Übertragung der Mondlandung, ja die Mondlandung überhaupt erst möglich gemacht wurden durch einen immensen medientechnischer Aufwand, um Satelliten und Empfangsstationen global zu koordinieren. Gleichzeitig war das Projekt Mondlandung selbst ein zentrales Movens zur technischen Mobilmachung im Erdorbit. Im sogenannten „Space Race“, also im Wettrennen um die Vorherrschaft im All resp. im Kosmos zwischen den USA und der UdSSR, ging es wiederum vor allem um Propaganda – und dafür benötigt man bekanntlich geeignete Propagandamedien, um seine Botschaft an den Mann und die Frau diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs bringen zu können. In diesem Zusammenhang ließe sich auch an den Sputnikschock denken, den die UdSSR 1957 mit dem Start des ersten künstlichen Erdsatelliten in der ‚westlichen‘ Welt ausgelöst haben, ein Schock, der die USA nicht nur dazu geführt haben soll, neue Bildungsprogramme zu lancieren, die in der Sendung Die Sesamstraße mündeten, um Kohorten an Informatikern und Raketenbauern heranzuziehen. Sputnik 1 brachte daneben unter anderem das US-amerikanische Militär dazu, sich der Umsetzung des Konzepts einer dezentralisierten Kommandostruktur zu widmen, was zur Entwicklung des Arpanet führte und damit letztlich zu dem Vernetzungsvehikel unserer „globale[n] Medienkultur“4 schlechthin, zum Internet.

Aus den vielen Publikationen, die 2009 zu diesem Thema erschienen, seien zwei besonders interessante herausgegriffen, nämlich Daniel Grinsteds Reise zum Mond und Michael Allens Live from the Moon. Besonders interessant sind diese beiden Bücher mindestens aus zwei Gründen. Erstens setzen sie sich dezidiert mit den ‚Medien‘ auseinander (und nicht etwa vorrangig mit den politischen Implikationen oder den Schicksalen der Menschen und Tiere im All)5. Zweitens ist es sehr aufschlussreich, wie unterschiedlich sich beide Publikationen ihrem Gegenstand nähern. Gerade in ihrer Kontrastierung lassen sich en passant einige Stärken und Schwächen verschiedener Zugriffsweisen innerhalb des medienwissenschaftlichen Feldes aufzeigen.

Bereits die jeweiligen Untertitel machen auf eine entscheidende Differenz aufmerksam: So will Grinsted eine umfassende „Faszinationsgeschichte eines medienkulturellen Phänomens“ schreiben, wohingegen es bei Allen sehr viel prosaischer und kleinteiliger um „Film, Television and the Space Race“ gehen soll. Und tatsächlich zeigt sich in den Texten ein solcher Unterschied recht deutlich: Bei Allen erhält man eine ungeheure Vielzahl an technischen Daten und Details, durch die die Entwicklung der Eroberung des Weltalls vor allem in den 1960er Jahren plastisch wird. Bei Grinsted hingegen wird sehr viel mehr Wert gelegt auf die Faszination, die der Mond über Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende auf die Menschen ausübte, um dann in der tatsächlichen Mondlandung von 1969 zu kulminieren. Grinsted interessiert sich dabei vor allem für das Zusammenspiel von Faszination und Medientechnik, weshalb man seinen Ansatz mit einigem Recht als einen medienkulturwissenschaftlichen bezeichnen kann. Allens Ansatz ist hingegen sehr viel eher als ein traditionell technikgeschichtlicher zu verorten.

Flotte Phantasmen

Grinstedt will anhand der Beschäftigung mit Weltraumprojekten und Mondphantasmen plausibel machen, dass bestimmte mediale Konstellationen überhaupt erst Faszinationen auslösen und so zur Triebfeder menschlichen Verhaltens werden. Um das einsichtig zu machen, geht der Autor weite Wege. Die Reise zum Mond ist demgemäß auch eine recht flotte Reise durch die Kulturgeschichte des Menschen. So wird beispielsweise auf knapp fünf Seiten ein „kurzer Blick auf die kulturhistorische Bedeutung des Erdtrabanten“ (S. 45) geworfen, auf weiteren fünf Seiten der „Mond als Gegenstand astronomischer Curiositas“ (S. 51) vorgestellt, um dann einen genaueren Blick auf den Einsatz des Fernrohrs durch Galileo Galilei Anfang des 17. Jahrhunderts zu werfen, wo Grinsted den eigentlichen Ursprung des „Phantasmas von der Reise zum Mond“ (S. 61) vermutet6. Weiter geht die Reise über die Station barocker Mondromane zu den fantastischen Werken des 19. Jahrhundert, in denen der Mondflug eine herausragende Rolle erhält (man denke nur an den berühmten Jules Verne Text Von der Erde zum Mond), über die Massenvergnügen auf dem Luna(!)-Park zur fotografischen und vor allem televisuellen Darstellung des Mondlandeprojekts der NASA in den 1960er Jahren bis hin zu medialen „Ursachen einer Verschwörungstheorie“ (S. 193), die behauptet, wir seien niemals auf dem Mond gewesen, und zum Einfluss der Mondlandung „auf die postmoderne Medienkultur“ (S. 23), die sich beispielsweise in Michael Jacksons Moonwalk manifestieren soll oder auch in den geschmacklichen Irrungen und Wirrungen der Moonboots.

Allein schon an dieser Aufzählung dürfte ersichtlich werden, dass Grinsted auf knapp 200 Seiten unglaublich viele Phänomene anführt und ins Verhältnis setzt. Zwar wirkt das an einigen Stellen etwas sprunghaft (vor allem zwischen den einzelnen Kapiteln ist der Zusammenhang nicht immer sofort ersichtlich, zumeist werden für meinen Geschmack allzu harte Zäsuren gesetzt). Ebenso ließe sich darüber streiten, ob jede der angeführten Informationen zielführend ist (etwa ist nicht recht klar, warum es für Grinsteds Argumentation wichtig ist, auch noch die Phantasmen wie „Marsmenschen und UFOs“ (S.73) oder die bereits benannten Moonboots anzuführen). Teilweise wird vieles eher angerissen als systematisch entfaltet.

Dass diese ‚Faszinationsgeschichte‘ dennoch selbst faszinierend ist, dafür lassen sich mindestens drei Gründe anführen: Erstens folgt die Arbeit bei allem Assoziationsreichtum einer klaren These: Medien sind Ermöglichungsbedingungen. Mit Bezug auf das Mondprojekt wird das ausbuchstabiert: „So wurde die Idee einer Reise zum Trabanten erst durch ein Medium ausgelöst“ (S. 14), nämlich durch das Fernrohr. „Medien“, wie Romane, Panorama oder der Film „ermöglichen“ weiterhin, „dass die lunare Reise zu einem anziehenden Massenphänomen wurde“ (ebd.). Insbesondere das Fernsehen ermöglichte wiederum, „die terrestischen Beobachter“ an den NASA-Missionen „teilhaben“ zu lassen (S. 14f.). So plausiblisiert Grinsted: Medien machen denkbar, imaginierbar, erlebbar und partizipierbar. Allerdings versäumt es der Autor, diese Ermöglichungsverhältnisse näher zu präzisieren und zu differenzieren. Schließlich macht es einen erheblichen Unterschied, ob etwas denkbar gemacht wird oder ‚nur‘ die Teilhabe an etwas ermöglicht. Zweitens ist so noch wenig gesagt über das Verhältnis von Medien(-technik) und Kultur: Machen die Medien etwas möglich, weil ihnen ein kulturelles Bedürfnis vorgängig ist oder produzieren sie erst das Bedürfnis? Oder muss man von einer Mischung ausgehen, die dann aber eben in ihren Prozessen beschrieben werden müsste, was wiederum methodologisch zu fundieren wäre. All das umschifft Grinsteds ‚Reise‘ elegant und bleibt deutlich ein Desiderat.

Die grundlegende These wird zweitens historisch entfaltet und zwar anhand eines Drei-Phasen-Modells, das Ursprung, Entfaltung und Verwirklichung der Mondreisefantasien umfasst: Der Ursprung solcher Fantasien soll das Fernrohr sein. Das scheint insofern plausibel, als das Fernrohr den Mond medial herangerückt, damit der Erde ähnlich macht, aber der Mond dennoch ausreichend entrückt bleibt, um als ideale Projektionsfläche fantastischster Begebenheiten zu dienen. Die Entfaltung dieser Fantastik wird dann in fiktionalen Medien wie dem Roman oder in spekulativen Zeitungstraktaten vollzogen und später im Panorama und Film sinnlich erfahrbar. Die letzte Phase, die Verwirklichung der Fantasie, findet sich dann in der tatsächlichen Mondlandung im Zuge der Apollo 11-Mission, die im Fernsehen live übertragen wurde.

Drittens ist die Ideenvielfalt beeindruckend, die in Die Reise zum Mond ausfindig zu machen ist. Mögen diese auch das ein oder ander Mal in die Irre führen oder manchmal von falschen Beobachtungen ausgehen,7 so sind es doch häufig inspirierende Beobachtungen und Verbindungen. So ist der Brückenschlag zwischen dem Wahrnehmungserlebnis vor einem Panorama im Luna-Park zu Beginn des 20. Jahrhunderts und dem „panoramatischen Blick auf die lunare Oberfläche“ (S. 187), wie es die Mondlandung ermöglicht hat, überraschend, macht aber plausibel, inwieweit fiktionale bzw. imaginative Muster die Dokumentation von faktischen Ereignissen – auch über lange Zeiträume hinweg – durchdringen. Eine ähnliche Durchdringung von Fakten und Fiktionen findet sich auch in der kleinen assoziativen Begriffsgeschichte, die Grinsted vorlegt bei der Beschäftigung mit dem Ausdruck ‚Columbia‘, um kulturelle Faszinationen und Mentalitäten aufzuzeigen. Die Assoziationsreihe, die Grinsted auf knapp zwei Seiten entfaltet (S. 126f.), und deren gemeinsamer Nenner offensichtlich in der Erschließung neuer Welten zu finden ist, liest sich wie folgt:

Christoph Kolumbus (Landung in der ‚Neuen Welt’ mit dem Schiff)
> Columbia als Bezeichnung für viele Schiffe, Städte, Flüsse, Universitäten
> Columbiade als Name der Rakete bzw. des Raumschiffs in Jules Vernes Reise zum Mond
> Filmproduktionsfirma Columbia Pictures Entertainment, Inc.
> Columbia als Bezeichnung der Kommandokapsel der Apollo-11-Mission (Landung in der ‚Neuen Welt‘ mit dem ‚Raumschiff‘)

An diesem Beispiel lassen sich auch pars pro toto die Vor- und Nachteile der Arbeit resümieren: Schlaglichtartig werden Zusammenhänge hergestellt, die überraschend, hochinteressant und bedenkenswert sind. Das Buch ist ein spekulativer Ideenhimmel voller Esprit. Jedoch werden die Ideen systematisch wie historisch kaum präzise und sukzessive entfaltet; damit fehlt ihnen die nötige Erdung.

Technikgeschichtliche Akribie

Im Gegensatz zu dieser überbordenden Ideenvielfalt steht Michael Allens Buch zur Reise zum Mond. Zwar stellt auch Allen kurz die Ideen- und Imaginationsgeschichte von Mond- und Weltraumreisen dar (S. 1ff.). Ebenso hat auch er eine grundlegende kulturgeschichtliche These, nämlich dass in den Repräsentationen des US-amerikanischen Mondlandeprojekts das Sublime zur Darstellung kommt. Diese Darstellungsform, die auf das Unfassliche, Große, Erhabene verweist, soll nicht nur für die Bebilderung des amerikanischen frontier-Mythos in der nordamerikanischen Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts konstitutiv gewesen sein. Das Sublime sei darüber hinaus auch in den medialen Inszenierungen der Apollo-Missionen am Werke. Insofern sollte auch hier der frontier-Mythos fortgeschrieben werden (siehe bspw. S. 184ff.). Diese These ist indes wohl das Uninteressanteste an Allens Buch. Bleibt sie doch vergleichsweise blass, wirkt pauschal und wird kaum argumentativ eingeholt. Man kann kaum dem Gefühl erwehren, dass die These nur vorgestellt wird, damit die Arbeit eine Art Rahmen erhält. Der kulturhistorische Teil ist also der Schwachpunkt der Arbeit. Sehr viel interessanter sind Allens Ausführungen zu den technischen Aspekten der Weltraumprojekte der 1960er Jahre. Nur drei möchte ich kurz herausgreifen:

1. Das amerikanische Mondlandeprojekt wird bei Allen auch und gerade vor dem Hintergrund der Konkurrenz zum Raumfahrtprogramm der UdSSR betrachtet (ein Vergleich, der etwa bei Grinsted so gut wie gar keine Rolle spielt). Dieser Zugriff ist beileibe nicht neu. Und es ist auch nicht gerade eine revolutionäre Einsicht, dass die zwei Großmächte auf sehr unterschiedliche Propagandastrategien setzten (S. 76). Interessant an Allens Buch sind vielmehr die Einzelheiten, die dem allzu eingeschliffenen Blick auf den Space Race zwischen Ost und West neue Perspektiven geben. So besteht etwa eine gängige Einschätzung darin, dass die Sowjetunion nahezu alle Informationen ihrer Weltraumprojekte geheim hielt und auf televisuelle Live-Übertragungen im öffentlichen Fernsehen nahezu vollständig verzichteten – im Gegensatz zu den USA, die so gut wie alles öffentlich machten (so auch Allen, S. 76). Dabei gab es zwar tatsächlich in der Sowjetunion sehr viel weniger Live-Übertragungen als seitens der USA, aber es gab sie. Und wurden sie auch nicht in den öffentlichen Fernsehanstalten live gesendet, so waren sie doch ein wichtiges Medium der Machtdemonstration. Denn selbst wenn die Bilder nur an das eigene Raumfahrtzentrum gesendet wurden, war den Russen klar, dass der amerikanische Geheimdienst mitsah. Ein schönes Beispiel für eine televisuelle Machtdemonstration findet sich mit der ersten live-Übertragung eines kosmonautischen Mahls:

„On 6 August 1961 Gherman Titov became the second Russian to achieve Earth orbit. [...] Such an achievement would have been more than enough if only reported by Pravda, the Soviet newspaper. But in the capsule alongside Titov were again a film camera and two television cameras [...] with resolutions to 400 lines. The improved quality of the pictures sent back to Earth – still only to Mission Control – confirmed Russian dominance in space. [...] The American could not reply, having nothing comparable to these spectacular technical advancements of the Soviets. The television pictures showed Titov eating the first meal in space – soup puree, liver pâté and blackcurrant jam in plastic dispensers – during his sixth orbit.“ (S. 84f.)

Ebenso war es ein gewiefter propagandistischer Schachzug der UdSSR, einen Tag vor dem Start des ersten künstlichen Erdsatelliten, Sputnik 1, die Frequenz bekannt zu geben, auf der die Radiosignale zu empfangen sein werden, die der Satellit während seiner Erdumrundung senden wird – und die damit eben global zu vernehmen waren (S. 42).8 Dieser Satellit löste in den USA dann tatsächlich auch dementsprechend den sogenannten und bis heute bekannten Sputnikschock aus, mit allerlei Konsequenzen für das Raumfahrt-, Militär-, wie auch Bildungsprogramm der USA. Solche Informationen sind inzwischen Gemeingut. Allen schafft es aber immer wieder, noch andere, weniger bekannte Aspekte zu beleuchten. So beschreibt er beispielsweise, dass zumindest für den US-amerikanischen Geheimdienst der Start der Sputnik 1-Rakete weniger einen Schock auslöste, als vielmehr mit Begeisterung aufgenommen wurde. Denn schon lange machte man sich dort Gedanken darüber, wie die UdSSR wohl reagieren würde, wenn man einen (Spionage-)Satelliten über ihrer Region fliegen ließe, ob die Sowjetunion es als kriegerischen Akt und Eingriff in die nationale Integrität auffassen würde. Da die UdSSR Sputnik 1 in die Erdumlaufbahn brachte, war diese Sorge hinfällig geworden, und die Geschichte der Beobachtungssatelliten nahm ihren Lauf. „Sputnik 1 [...] also established the freedom of space for the Americans by default.“ (S. 43; Hvh. S.G.)

2. Allen geht auch sehr ausführlich auf einen Aspekt ein, der bei Grinsted überhaupt keine Rolle spielt, nämlich die Dokumentation und Kontrolle der Weltraumflüge durch Film und TV für wissenschaftliche und technische Zwecke. Denn sowohl für die NASA als auch für das russische Weltraumprojekt waren die Medien nicht nur Propagandavehikel oder Mittel zur Realisierung des aus fantastischen Romanen und Filmen genährten Blütentraums einer Mondlandung. Sie waren auch ganz handfester Bestandteil und experimenteller Ort technischer Innovationen, Agenten der technischen Implementierung globaler Vernetzung und deren Koordination (siehe dazu ausführlich v.a. S. 17ff.).

3. Weiterhin spielt bei Allen das Wechselspiel von Mondlandeprojekten, Live-Übertragung der Mondflüge im Fernsehen und Entwicklung globaler Kommunikation via Satelliten eine zentrale Rolle (siehe v.a. S. 35ff.). So wird nicht nur analysiert, inwieweit die Weltraumvisionen zur Etablierung globaler Kommunikation durch Satelliten beitrugen, sondern auch umgekehrt, wie die Übertragung der Weltraumflüge in Radio und Fernsehen durch die Verwendung der ersten kommerziell genutzten Satelliten auf das Fernseh- und Radioprogramm ausgerichtet werden musste und welche Probleme dabei auftauchten. Seltsam mutet in diesem Zusammenhang jedoch an, dass Allen kein Wort über den Zusammenhang von Weltraumprojekten, globaler Kommunikation und dem damals erste Konturen annehmenden Arpanet verliert, obwohl dieser Zusammenhang gerade aus einer technikgeschichtlichen Perspektive nahe läge (Grinsted weist zumindest kurz auf diesen Zusammenhang hin – siehe S. 45).

Grinsteds Medienkulturwissenschaft vs. Allens Technikhistoriografie

Beide Bücher lassen sich mit erheblichem Gewinn lesen. Sie sind jedoch tatsächlich sehr unterschiedlichen Forschungstraditionen verpflichtet, was sich auch in der Art und Weise der Präsentation, der Argumentationsformen wie auch der Eingrenzung des Gegenstandes zeigt. Sprüht Grinsteds Buch vor Ideen, springt er zeitlich beinah mühelos über Hunderte von Jahren und verknüpft weit auseinanderliegende Phänomene, so ist Allens Buch konventioneller, Ideen und Thesen sind sparsam eingesetzt. An deren Stelle finden sich vor allem akribisch rekonstruierte technische Daten und Aufarbeitung eines vergleichsweise engen Zeitraums der 1960er Jahre.

Der Mehrwert eines solchen Vorgehens ist indes, dass erstens vieles eben nicht nur Behauptung bleiben muss, wie bei Grinsted und dass zweitens in einer detaillierten Analyse auch Aspekte des Medialen zur Sprache kommen, die bei Grinsted keine Rolle spielen, etwa die Dokumentation durch Medien für die technische und wissenschaftliche Entwicklung. Genau hierin scheint mir auch der Hauptunterschied der jeweiligen Zugänge zu liegen. Grinsted schreibt eine Faszinationsgeschichte, und d.h. Medien spielen hierbei eine wichtige – bzw. in Grinsteds Perspektive: eine ermöglichende – Rolle. Es geht damit um ganz bestimmte Aspekte von Medien, nämlich um deren Vermögen, Wahrnehmung und mentale Strukturen der RezipientInnen auszurichten. Die rezipientenabgewandte Seite, und damit die genaue Funktionsweise der technischen Apparaturen und Strukturen, die sich der Wahrnehmung der Rezipienten entziehen, ist kaum relevant. Das ist implizit der spezifischen medientheoretischen Tradition eines Marshall McLuhans verpflichtet: Erstens stimmten McLuhan und Grinsted darin überein, dass Medien nicht nur Kommunikation bedingen, sondern eben auch Wahrnehmung und Denken. Und so etwas lässt sich wohl am besten über längere Zeitverläufe aufzeigen, womit es kein Zufall sein dürfte, dass Medientheorien McLuhanscher Provenienz immer auch universelle oder doch weit ausgreifende Kulturgeschichten sind. Zweitens kümmert sich Grinsted wenig um technische Details. Auch das teilt der studierte Kulturwissenschaftler mit dem in Altphilologie ausgebildeten McLuhan.

Allen hat hinsichtlich der Wirkmächtigkeit der Medien weit weniger Ansprüche, ist doch seine Geschichte sehr viel weniger auf Mentalität und Denkstrukturen ausgerichtet, die vermeintlich durch Medien präformiert werden. Ihm geht es sehr viel mehr darum, wie technische Medien Kommunikation ermöglichen und limitieren, und zwar in einem zeitlich eng abgesteckten Bereich. Weiterhin geht er, wiederum im Gegensatz zu Grinsted und der McLuhanschen medienkulturgeschichtlichen Tradition, der Frage nach, wie technische, aber auch politische, ökonomische und militärische Faktoren zusammenspielen. Damit kommen immer wieder auch Details in den Blick, die unintendierte, zufällige und dennoch weitreichende Effekte auf die medientechnischen Entwicklungen haben. Das vorgestellte Beispiel des Satelliten Sputnik 1, das Allen diskutiert, scheint mir hierfür exemplarisch. Damit stellt Allen einen weit heterogeneren geschichtlichen Kosmos vor als Grinsted, der trotz aller Ideenvielfalt und Sprunghaftigkeit, seine Faszinationsgeschichte in einem vergleichsweise einfachen, linearen Ablaufschema von Entstehung einer Fantasie, deren fiktionaler Ausgestaltung und letztendlicher Verwirklichung erzählt.

Wenn man die Differenz zwischen Grinsteds Ansatz und demjenigen Allens in einer Metapher verdichten müsste, so könnte eine solche folgendermaßen aussehen: Grinsted ist ein Astronaut, der im Erdorbit kreist und seine interessanten, begeisterten und überbordenden Beobachtungen und Ideen dem Kontrollzentrum mitteilt. Währenddessen Allen im Kontrollzentrum sitzt und die ihm übermittelten Daten genau analysiert und gleichzeitig permanent seine Messinstrumente überprüft.

Diese Metapher ist aber insofern schief, als sie suggeriert, beide Herangehensweisen seien komplementär und so harmonisierend aufeinander zu beziehen. Aber dem ist wohl nicht so. Zu unterschiedlich sind die Herangehensweisen, Methoden und Ziele. Darum müsste die Metapher noch ausgebaut werden: Grinsted wäre dann ein Astronaut, der seine Beobachtungen an das Kontrollzentrum in Huston weiterleitet und immer wieder davon spricht, dass nun die final frontier endlich überschritten wird. Allen würde aber nicht in Huston arbeiten, sondern in einem Kontrollzentrum der UdSSR und analysieren, wie Titov sein erstes Essen im Weltraum vertragen hat und der Frage nachgehen, ob es eine gute Idee war, ihm als Hauptmahlzeit Leberpastete mit auf den Weg zu geben. Denn wenn Titov nun schlecht würde, so Allens Überlegung, könnte das die Geschichte der Weltraumforschung maßgeblich beeinflussen.

April 2011

  • 1Um nur einige deutschsprachige bzw. ins Deutsche 2009 übersetzte Publikationen zu nennen: Alexis von Croy, Der Mond und die Abenteuer der Apollo-Astronauten, München (Herbig) 2009; Andrew Smith, Moonwalker. Wie der Mond das Leben der Apollo-Astronauten veränderte, Frankfurt/M. (Fischer) 2009, Ralf Jaumann, Ulrich Köhler, Der Mond. Buzz Aldrin und Thomas Reiter im Gespräch, Köln (Fackelträger) 2009, Michael J. Neufeld, Wernher von Braun. Visionär des Weltraums – Ingenieur des Krieges, München (Siedler) 2009.
  • 2Lorenz Engell, Tasten, Wählen, Denken. Genese und Funktion einer philosophischen Apparatur, in: Stefan Münker u.a. (Hg.): Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffes. Frankfurt/M. (Fischer) 2003, 53-77, hier 61. Vgl. ders., Die kopernikanische Wende des Fernsehens, in: Ulrike Bergermann et al. (Hg.): Das Planetarische. Kultur-Technik-Medien im postglobalen Zeitalter, München (Fink) 2010, 139–154.
  • 3Siehe bspw.: Daniel Dayan, Elihu Katz, Medienereignisse. In: Ralf Adelmann u.a. (Hg.), Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft. Konstanz (UVK) 2002, 411-453.
  • 4So der Titel einer der Publikationen von Frank Hartmann – siehe: Globale Medienkultur. Technik, Geschichte, Theorien, Wien (WUV) 2006.
  • 5Siehe dazu bspw. Neufeld, Wernher von Braun oder auch Smith, Moonwalker.
  • 6Wenngleich er auch irritierenderweise sehr viel frühere Quellen aus der Antike anführt, bspw. S. 67.
  • 7Ein Beispiel für unklare Verknüpfungen findet sich am Ende der Arbeit: Dort verweist Grinsted ohne Not und ohne ersichtlichen Zusammenhang auf den ägyptischen Gott Thot, Gott des Mondes und der Schrift: „Die Medialisierung ist dem Mond somit buchstäblich eingeschrieben, und macht die Reise zu ihm zu einer medialen Erfahrung, deren Anlass ein irrationaler ist.“ (S. 202) Das ist eine sehr kryptische Stelle: Warum sollte die Reise zum Mond eine mediale Erfahrung sein, nur weil ein ägyptischer Gott für Mond und Schrift zuständig ist? Und warum sollte sie deshalb auch noch irrational sein? Schlicht falsch ist es, wenn Grinsted behauptet, dass Andy Warhols Sleep „aus einer einzigen Plansequenz besteht“ (S. 189; Hervorhebung von mir). Vielmehr besteht Sleep aus sehr vielen Plansequenzen, die sich in unterschiedlichen Zyklen wiederholen.
  • 8Hier kann man sich die bereits nach 27 Tagen im Kosmos verebbten Signale noch einmal zu Gemüte führen: www.youtube.com/watch?v=r-bQEiklsK8 (gesichtet am 10.10.10).

Bevorzugte Zitationsweise

Grampp, Sven: Leberpastete im Erdorbit. Neues aus der Weltraumforschung. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Onlinebesprechung, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/leberpastete-im-erdorbit-neues-aus-der-weltraumforschung.

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