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Schwarz-Weiße Collage zeigt eine weiße lächelnde Puppe in geblümtem Kleid, die auf sich überlappenden Ausdrucken liegt, von denen einer die amerikanische Flagge angeschnitten zeigt, sowie ein generisches Flugzeug und die Schlagzeile einer Newsmeldung auf Englisch

Collage zum Thema weiße Flüchtlinge in den USA

GAAAP_ The Blog

Geschichtsrevisionismus und weiße Viktimisierung

10.10.2025

Am 13.5. 2025 – gerade 31 Jahre nach den ersten freien Wahlen in der Republik Südafrika, einer der Nationen Afrikas, in der die Dekolonisierung am spätesten erkämpft werden konnte – geht morgens die Schlagzeile durch die Presse: «Trump Administration defends white South African refugee program amid group’s arrival».1 Ein Bild im dazugehörigen Artikel zeigt lächelnde weiße Menschen, die Kleinkinder auf dem Arm halten, denen kleine amerikanische Flaggen zum Spielen gegeben wurden, an denen sie nuckeln. Das erste Flugzeug mit ca. 59 sogenannten refugees aus Südafrika ist gerade in Washington DC gelandet – auf Kosten der amerikanischen Steuerzahler*innen.2 Zuvor mussten diplomatische Gesandte diese ‹Flüchtlinge› erst einmal in Südafrika suchen gehen. Nach Ankunft in den USA wurden sie von dem stellvertretenden Außenminister Christopher Landau freundlich begrüßt. In Südafrika gelten ca. 7.3 Prozent der Bevölkerung als weiß, die Hälfte davon sprechen hauptsächlich Afrikaans und rechnen sich dieser Gruppe der Buren, ehemals aus Holland eingewanderter Siedler*innen, zu. Die andere Hälfte der weißen Bevölkerung ist vor allem aus Großbritannien eingewandert und spricht Englisch.3
Dieses Bild steht konträr zu den anderen Bildern, die mich in den letzten Monaten aus den USA erreichten: Eine türkische Doktorandin wurde im März von in Zivil gekleideten ICE-Agenten festgenommen und schreit um Hilfe, viele Black-Lives-Matter Murals werden mit Bulldozern zerstört oder übermalt, angebliche Gangmitglieder auf martialische Weise nach Salvador deportiert.4 Außerdem will Trump bereits seit Jahresbeginn 2025 das seit 150 Jahren bestehende Geburtsrecht auf amerikanische Staatsbürgerschaft ändern, dies hätte weitreichende Folgen, auch für alle, die derzeit mit Visa legal in den USA leben.5
Seit Trumps zweitem Amtsantritt unter dem Banner des neuen harten Durchgreifens und des Nicht-Duldens sogenannter illegaler Migrant*innen wurden ALLE Programme zur Aufnahme von Geflüchteten gestoppt, unter anderem auch jenes für Afghan*innen, die für die US-Armee arbeiteten. Trump setzte außerdem die finanzielle Unterstützung (US Aid) für Südafrika aus, die beispielsweise in Programme zur Bekämpfung von HIV/Aids und Tuberkulose fließt. 
 
Als sei das nicht genug, unterzeichnete Trump obendrein eine seiner unzähligen präsidialen Verfügungen (executive orders) zur Beendigung des ‹weißen Genozid› in Südafrika, der dort angeblich an weißen Bauern begangen wird.6 Eine kleine Gruppe von weißen Südafrikaner*innen dankt es ihm, es kursiert ein Bild, wo ein Transparent mit den Worten «Thank you very much, Mr. Trump» gehalten wird.7 Auf einer Ebene scheint die Ausnahme gewährt zu werden, um mehr weiße Kinder für die USA zu gewinnen. Die Gruppe der Afrikaaner könnte einen rein vom Erscheinungsbild an den Mob der Kapitol-Stürmer*innen erinnern, die seit dem 2. Amtsantritt zum größten Teil frei kamen.8 Es wird nun das ohnehin kritikwürdige Programm des von Teju Cole geprägten white saviorism,9 nochmal verschärft, es gilt nur noch für Weiße und umgedreht: nur noch Weiße müssen gerettet werden. 


Before in history


Rufen wir uns kurz die südafrikanische Geschichte in Erinnerung: Die südafrikanischen Gebiete waren nicht unbewohnt wie in den Vorstellungen der europäischen Imperialisten, sondern die Pastoralisten Khoi und San lebten dort. Seit ca. 1486 kam es zu ersten Kontakten mit portugiesischen Seefahrern. 1652 errichteten niederländische Kaufleute und Siedler*innen ein Fort in einer Bucht in der Nähe des Tafelbergs, um mit ihren Schiffen auf dem Weg nach Indien, Zugang zu frischem Wasser und Vorräten zu haben. Dies war der Beginn von der sowohl niederländischen als auch britischen Besiedlung des Landes und der Enteignung der Khoi, San, Xhosa und Zulu. 1913 verabschiedeten Briten und Afrikaaner den sog. Native Land Act, der den Landbesitz von der afrikanischen Bevölkerung auf 7 Prozent des gesamten Territoriums begrenzte, und Nicht-Weiße außerdem von jeglicher politischer Teilhabe ausschloss. Der Native Land Act bestand bis 1991 und machte es den «native South Africans» unmöglich, Land zu kaufen oder zu mieten, außer in einigen wenigen unwirtlichen und landwirtschaftlich unbrauchbaren Gebieten. Der Schwarze Südafrikaner Solomon Tshekeisho Plaatje beschrieb diese Situation folgendermaßen: «Awaking on Friday morning, June 20, 1913, the South African Native found himself, not actually a slave, but a pariah in the land of his birth».10 Plaatje, der in Südafrika als Übersetzer im Gericht für die Briten arbeitete, versuchte in Großbritannien, gegen dieses Gesetz zu protestieren – jedoch erfolglos. 
Fast forward – 1948 kam die von den weißen Afrikaanern dominierte National Party an die Macht. Nicht-Weiße und Arme hatten bisher nicht wählen dürfen. Die weiße Minderheitenregierung entwarf unter der rassistischen Doktrin der separaten Entwicklung – Stichwort Apartheid – ein System der Privilegierung weißen afrikaanischen Lebens und des Ausschlusses von sowie der nekropolitischen Maßnahmen gegen die nicht-weißen Anderen, das 1962 von der UN als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurde. Neben der Diskriminierung und ökonomischen Ausnutzung standen Maßnahmen im Mittelpunkt, den nicht-weißen Bewohner*innen der lokalen Bevölkerung jegliche Rechte zu entziehen, wohingegen die Weißen zu Staatsbürgern gemacht wurden. Als black und colored Kategorisierte wurden aus den Europeans, also den Weißen vorbehaltenen Städten verbannt in die sog. Bantustans, die in ländlichen kargen Gegenden lagen, weit entfernt von jeglicher Infrastruktur und Arbeitsmöglichkeiten. Außerdem wurde Afrikaans die Pflicht-Unterrichtssprache in den Schulen für alle Schwarzen südafrikanischen Kinder. Dagegen protestierten die Schüler*innen, was einige von ihnen wie Hector Pieterson 1964 mit ihrem Leben bezahlten. Dennoch blieb die Apartheid-Doktrin trotz ständiger Proteste und Boykottaktionen noch 30 Jahre weiter offiziell Gesetz. Erst 1994 erhielten Schwarze Südafrikaner*innen das Wahlrecht und Nelson Mandela wurde als erster Schwarzer südafrikanischer Präsident gewählt.
Der nach dem Ende der Apartheid eingesetzten Truth und Reconcilliation Comission, die von Bischof Desmond Tutu geleitet wurde, gelang es zwar teilweise symbolische Versöhnung herzustellen, aber sie waren völlig unzureichend, um die ungerechten Besitzverhältnisse zu ändern.11 Hier lassen sich Parallelen zu den USA nach der Abschaffung der Sklaverei und dem Ende des Bürgerkrieges ausmachen: Schwarze Menschen wurden zwar nicht mehr versklavt, aber sie wurden auch nicht kompensiert, und hatten oft weder Einkünfte, noch Land, noch Unterkünfte.
Die fortwährende unfaire Verteilung von Land und Einkommen ist ein Erbe der Apartheid. Südafrika ist stets eines der Länder mit der höchsten Rate sozio-ökonomischer Ungleichheit geblieben. Auch nach dem offiziellen Ende der Apartheid wurden die Reichen (zumeist weißen) noch reicher (siehe auch der prominente Fall Elon Musk) und die Armen (zumeist Schwarzen) noch ärmer. «Black poverty in South Africa is sixty-four per cent. White poverty is one per cent».12 Der Landzensus 2017 ergab, dass, obwohl sie nur 7 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen, über fast drei Viertel des privaten für Landwirtschaft geeigneten Landes weißen Südafrikaner*innen gehört.13 Diese Zahlen sprechen für sich. Außerdem sind der Besitz und Reichtum gegendert, und die sogenannte «male-led households» sind wohlhabender als die «female-led households».


 
Ankunft in den USA


Nachdem die weißen Afrikaaner*innen in USA gelandet sind, hat sogar die Episkopalkirche, eine der ältesten Kirchen in den USA, die bei der Integration von Geflüchteten aktiv ist, ihre Zusammenarbeit mit der Regierung verweigert. Dort erinnern sie sich nämlich noch an den Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu und seine Rolle in der Anti-Apartheidbewegung in den 1980er Jahren und als von Mandela bestimmter Vorsitzender der Truth and Reconciliation Commission. Tutu setzte sich auch für LTBQ-Rechte ein. Außerdem kritisierte er die späteren Präsidenten Thabo Mbeki und Jacob Zuma.
Eine südafrikanische Kollegin auf Forschungsaufenthalt in Berlin reagiert amüsiert: «Konnten sie nicht mehr als diese paar Afrikaaner finden?» Die prominente südafrikanische-amerikanische Schauspielern Charlize Theron hätte sich schon vor einiger Zeit darüber lustig gemacht, wie unwichtig diese Gruppe sei, denn es würden nur noch «ca. 44 Menschen Afrikaans sprechen». Ebenso kursieren in den sozialen Medien Videos, in denen Nutzer*innen rhetorisch fragen, ob Theron oder der seit langem in den USA lebende südafrikanische Comedian Trevor Noah sich schon darum reißen würden, diese Gruppe zu treffen. (Sie tun es nicht.)
Ganz sicher ist eines: die Gruppe wird in Südafrika von niemandem vermisst. Buyaphi Mledle schreibt auf Facebook: «Let the recently moved ‹SA illegal immigrants› move. Since the beginning of time people have always moved. We don’t own, nobody own movement of the people.»14 Mledle erinnert daran, dass aus der «native perspective» die weißen Südafrikaner*innen als ‹illegal› in Südafrika angesehen werden können. Ebenso nannte der Schwarze südafrikanische Premierminister von Gauteng, Panyaza Lesufi, die Ausgereisten «untransformed human beings», ohne die es Südafrika besser ginge. Im Hinblick auf abgeschottete weiße Enklaven wie Kleinfontein oder Orania in Südafrika, wo keine nicht-weißen Südafrikaner*innen leben, gibt er zu bedenken: «This is South Africa, it’s one country, one flag, we can’t have people doubling up having their own things, having their own flag, own currency and thinking that their area is a no go area and it’s them alone that can stay in that area, that nonsense must come to an end.»15
Im Januar 2025 unterzeichnete der südafrikanische Präsident Cyril Rhamaposa ein Gesetz, dass Enteignungen ermöglicht «if it is in the public interest», es hat jedoch bis jetzt keine einzige stattgefunden. Auch in anderen Staaten, wie auch in den USA sind Enteignungen für Großbauprojekte und anderes möglich und gesetzlich erlaubt (unter dem Stichwort: eminent domain).


 
Die sogenannten südafrikanischen Farmmorde


Der angeblich stattfindende ‹weiße Genozid› in Südafrika, von dem Trump und andere sprechen, besagt, dass weiße Farmer*innen systematisch ermordet werden. Es gibt – wenig überraschend – sehr viel Gewalt und Verbrechen in Südafrika, wie in jedem Land mit so hoher sozialer Ungleichheit, einer Geschichte von Unrecht und Verletzungen der Menschenrechte und der fortwährenden ungerechten Verteilung von Ressourcen. Auch Farmen werden überfallen, davon sind jedoch sowohl weiße wie auch Schwarze Bauern betroffen. Der weiße südafrikanische Autor Jonny Steinberg dokumentiert 2002 in Midlands die andauernden gewalttätigen und dadurch auch Gewalt auslösenden Besitzverhältnisse und das Erbe extraktivistischer und kolonialistischer Verhältnisse, die auch nach dem Ende der Apartheid nicht aufgearbeitet wurden.16  Für viele Schwarze Pächter*innen und die Gruppe der sogenannten squatter, die aus Sicht der zumeist männlichen Landbesitzer illegal sind, hat sich die Situation seit dem Ende der Apartheid wenig geändert: Sie leben immer noch in Armut, der weiße Landbesitzer bestimmt alles, von der Anzahl der Tiere, die sie weiden lassen dürfen, bis hin zur Anzahl der Familienmitglieder, die dort leben dürfen.17
Rechte Medien beschwören dagegen lokal und international einen ‹weißen Genozid› in Südafrika, den es jedoch nie gegeben hat.18 Stattdessen ist es notwendig zu differenzieren: Es hat das Phänomen des ‹white flight› gegeben, weiße Südafrikaner*innen – meist aus der Gruppe der Afrikaans-Sprecher*innen –, die kein Interesse daran hatten, gemeinsam mit der Schwarzen Mehrheit eine neue demokratische Nation aufzubauen und die ihre Privilegien und diskriminierenden Besitzverhältnisse und Arbeitsbedingungen nicht ändern wollten, sind tatsächlich aus Südafrika ausgewandert, und das bereits in den 1990ern, insbesondere nach Australien und Neuseeland. In Südafrika existiert bereits länger eine Community-Webseite, die unter dem Titel «Busting the Myth of white genocide», die anderswo  behaupteten Fakten überprüft (sie sind fast alle falsch) und weitere Informationen liefert. Beispielsweise sind die meisten (wenn nicht sogar alle) der in die USA ausgewanderten Gruppe KEINE Farmer*innen, sondern u.a. Autoverkäufer, Gästehausbesitzer*innen und ein IT-Geschäftsmann, die aus anderen Gründen Interesse haben, in die USA überzusiedeln.19


Digitale Chatbot Echos


Selbstverständlich wird der Kampf um ideologische Meinungen und Opferstilisierungen zu einem großen Teil online ausgefochten und er schrieb sich auch in von KI generierte Antworten des Chatbot Grok ein. Grok wurde von Elon Musks Unternehmen xAI entwickelt, und Musk zählt bekanntermaßen selber zu der Gruppe der weißen südafrikanischen Migrant*innen.  Am 14.5.2025, einen Tag nach der Ankunft der sogenannten Flüchtlinge aus Südafrika in den USA, machten Nutzer*innen darauf aufmerksam, dass Grok in seinen Antworten – merkwürdiger Weise ohne jegliche Verbindung zum Inhalt der Frage – immer wieder auf den sogenannten ‹white genocide› zu sprechen kam.20 Als einige User*innen direkt ‹nachfragten›21, antwortete Grok, «it appears that I was instructed to talk about ‹white genocide›». Am 15.5.2025 gibt es diese Antworten und Reaktionen nicht mehr.22 Es passt fast schon zu genau in eine apokalyptische Vision, dass fake news nun auch noch gezielt von Chatbots verkündet und verbreitet werden. Gleichzeitig ist der Vorfall ein Indiz für die zunehmende Unzuverlässigkeit der im Internet verbreiteten Informationen, wie sie sich auch in der Forderung des Kritikers Cory Doctorow nach einer „enshittification“ der Online-Plattformen finden lässt.23 Aufgrund der Intransparenz der Trainingsprozesse des Chatbots wird vielleicht nie herauskommen, welcher menschliche Akteur hier eingegriffen hat – sowohl in der Verstärkung der Erwähnung des Themas am 14.5.2025, wie auch in der der darauffolgenden Korrektur ab dem 15.5.2025. Zumindest ist bekannt, dass Elon Musk sich selber als Opfer eines ‹reverse racism› in Südafrika sieht.24 Sein mehr schlecht als recht funktionierendes Starlink-System ist bis jetzt nicht von der südafrikanischen Regierung gekauft worden, wohingegen seine unterschiedlichen Unternehmen von SpaceX zu xAI in den USA einen staatlichen Auftrag nach dem nächsten einheimsen. Musk behauptet, dies sei, weil er weiß sei. Tatsächlich hat der BBC darüber berichtet, dass Musk sich nie für eine Lizenz bei der zuständigen südafrikanischen Behörde beworben hatte.25

 

Die Durchlöcherung der Geschichte – Schluss


 
Es ist signifikant, welche Geschichten erzählt werden über Flucht und Migration und von wem, und ebenso wie über sogenannte Kriminalität und Gefahr gesprochen wird, da mit diesen Narrativen stets Politik gemacht wird, der auch Gesetzesveränderungen folgen. Derzeit lässt sich beobachten, wie ehemals zersplitterte lokal und global agierende alt-right-Bewegungen ins Zentrum der Macht rücken, insbesondere seit dem Beginn der 2. Amtszeit von Trump. Mitte Oktober, einige Monate nach der Ankunft der weißen Südafrikaner*innen in den USA scheint es Anzeichen dafür zu geben, dass die USA in Zukunft nur noch weiße Flüchtlinge aufnehmen werden.26
Johanna Schaffer und Simon Strick fordern zu Recht andere Imaginationen, ebenso wichtig erscheint mir jedoch auch, Geschichte zu erinnern und Umkehrungen zu markieren.27
Im Englischen wird der Ausdruck memory holing für diese Operationen verwendet, der zuerst von George Orwell in seinem dystopischen Roman 1984 eingesetzt wurde.28 Im Deutschen ließe sich dies mit «selektiver Wahrnehmung und Erinnerung» oder Gedächtnisverlust übersetzen. Gedächtnislücken oder auch die Durchlöcherung der Erinnerung, und die Behauptung und Zementierung unwahrer Dinge werden massiv und mit einer Kultur der Straflosigkeit vorangetrieben. Wie mit der Geschwindigkeit umgehen, in der falsche Fakten geschaffen werden – with the speed of the click of the mouse? Es lässt sich selbstverständlich keine abschließende Aussage treffen, doch es lässt sich festhalten und markieren, was bisher geschah – ein bescheidenes Unterfangen, und doch dringend notwendig. Vielleicht hätten die deutschen Reichsbürger*innen, gegen die am selben Tag, wo die weißen ‹Flüchtlinge› in den USA landeten, mehrere Razzien durchgeführt wurden, ja auch eine Chance ihr Königreich Deutschland nach Amerika zu verlegen? Eine Petition bei der UN zum «Schutz bedrohter Völker» haben sie bereits versucht einzubringen und ähnliche Tendenzen wie die der Afrikaaner – die Nichtanerkennung des Staates, dessen Bürger*innen sie sind, die komplette Absonderung und Isolation, sowie neo-faschistische und völkische Vorstellungen – sind auch bei ihnen vorhanden.29 
Um nochmal zusammenzufassen: warum dieser Text? Weil auch dieses kleine Detail einer eigentlich unbedeutenden Gruppe von 49 sogenannten ‹Flüchtlingen› ein Indiz für etwas ist und zwar für neue Achsen der weißen Vorherrschaft und eine Verschärfung des white saving whites-Syndroms auf Kosten aller anderen, selbst der eigenen Staatsbürger*innen. Auch weil hinter den ganzen executive orders eine Ideologie und Methode steckt und weil diese Geschichtsrevision und Lügen markiert werden müssen. Denn «History can not be changed unless it is acknowledged», so lautete der Text eines Black Lives Matter Murals neben dem Antlitz des ermordeten George Floyd, das gerade von Bulldozern abgerissen wurde. Man muss nicht unbedingt George Orwells 1984 bemühen, und doch lassen sich Parallelen ausmachen: «Every record has been destroyed or falsified, every book has been rewritten, every picture has been repainted, every statue and street and building has been renamed, every date has been altered. And that process is continuing day by day and minute by minute. History has stopped.» Was in der Gegenwart sich anders darstellt ist folgendes: History has not stopped, history is falsified and re-written.

 

Bildquelle: Collage von Marietta Kesting aus rechtefreien ausgedruckten Materialien

  • 1

    Hannah Demissie, Shannon K. Kingston, Michelle Stoddart:
    «Trump administration defends white South African refugee program amid group's US arrival», ABC-News, 13.5.2025. abcnews.go.com/Politics/trump-administration-defends-afrikaner-refugee-program-amid-groups/story?id=121723163 (1.6.2025). Dieser Text wurde in Reaktion auf dieses Ereignis und die Berichterstattung darüber im Juni 2025 verfasst und kann daher nicht auf alle bis zur Erscheinung auftretenden Entwicklungen eingehen.

  • 2

    Einige, wie der südafrikanische Mail and Guardian berichten von 49 Flüchtlingen, andere wie die ABC-News von 59, siehe Des Erasmus, «Trump expands refugee resettlement to racial minorities», in: Mail and Guardian, 14.5.2025, mg.co.za/news/2025-05-14-trump-expands-refugee-resettlement-to-racial-minorities-in-south-africa/ 5.6.2025), und Demissie, Kingston, Stoddart: Trump administration defends white South African refugee program.

  • 3

    Es gibt jedoch selbstverständlich auch z. B. deutsche sowie andere europäische Einwander*innen.

  • 4

    Siehe u.a. Andrew Willis Garcés, «The Video of Rumeysa Ozturk Being Detained by ICE Was Publicized By a Community Defense Network», 30.4.2025, Teen Vogue Online, www.teenvogue.com/story/rumeysa-ozturk-detained-ice-community-defense, (24.6.2025) Torey Akers, «Washington, DC demolishes Black Lives Matter mural and plaza», 13.3.2025, www.theartnewspaper.com/2025/03/13/black-lives-matter-plaza-mural-washington-dc-dismantled (25.6.2025); Gilda Sahebi, «Absolute Willkür», taz online 30.4.2025, taz.de/Trumps-Migrationspolitik/!6082246/, (24.6.2025).

  • 5

    The White House, o. A.: «Protecting the Meaning and Value of American Citizenship», 20.1.2025 www.whitehouse.gov/presidential-actions/2025/01/protecting-the-meaning-and-value-of-american-citizenship/ (21.1.2025) und Michael D. Shear, in: New York Times Online, www.nytimes.com/2025/01/21/us/politics/birthright-citizenship-visa-holders.html (24.6.2025). U. auch Rosalind Morris, «Tyranny is Dead, Long Live the Tyrant», Vortrag 17.3.2025, ICI Berlin www.ici-berlin.org/events/rosalind-morris-lecture-series-scale/ (24.6.2025).

  • 6

    Robin Wright, «Why Trump talks about a ‹Genocide› in South Arica», 14. Mai 2025, in: The New Yorker.Robin Wright, «Why Trump talks about a ‹Genocide› in South Arica», 14. Mai 2025, in: The New Yorker.

  • 7

    Siehe das Foto von Joao Silva in der New York Times online veröffentlicht am 9.5.2025, www.nytimes.com/2025/05/09/world/africa/trump-afrikaner-refugees.html, zuletzt 1.6.2025.

  • 8

    Siehe das Video, dass die Gruppe zeigt, Demissie, Kingston, Stoddart: Trump administration defends white South African refugee program.

  • 9

    Teju Cole, «The White Savior Industrial Complex», The Atlantic, 21. 3. 2012, www.theatlantic.com/international/archive/2012/03/the-white-savior-industrial-complex/254843/, zuletzt 1.6.2025.

  • 10

    Solomon Tshekeisho Plaatje, Native Life in South Africa, www.gutenberg.org/ebooks/1452, zuletzt 15. Mai 2025.
    Solomon Tshekeisho Plaatje, Native Life in South Africa, www.gutenberg.org/ebooks/1452, zuletzt 15. Mai 2025.

  • 11

    Zur Kritik der TRCs siehe u.a. Ulrike Kistner, Commissioning and Contesting Post-Apartheid's Human Rights. LIT: 2003.

  • 12

    Isaac Chotiner, «Make South Africa Great Again? How the country’s post-apartheid politics may inform the world view of Elon Musk and Donald Trump», in: The New Yorker www.newyorker.com/news/q-and-a/make-south-africa-great-again?_sp=7137de48-2db5-4a3d-ac6a-a8c7beb89ef6.1747315944527 (26.6.2025) und siehe die aktuellen von der südafrikanischen Regierung veröffentlichen Statistiken: www.statssa.gov.za/?p=17995 (16.5.2025).

  • 13

    Ebd.

  • 14

    Buyaphi Mledle, Post auf Facebook, 12.5.2025.

  • 15

    Lunga Mzwange, «Lesufi calls relocated Afrikaners untransformed human beings», Mail and Guardian, 14.5.2025, mg.co.za/politics/2025-05-14-lesufi-calls-relocated-afrikaners-untransformed-human-beings/ 16.5.2025.

  • 16

    Jonny Steinberg, Midlands: The Unwritten Rules of Policing South Africa. Jeppetown, Johannesburg, SA, Jonathan Ball Publishers 2008.

  • 17

    Ebd.

  • 18

    Für einige Beispiele der Fake News, die angeblich Beweise für einen ‹white genocide› liefern, siehe die Webseite Busting the Myth of white Genocide, o.A.; www.bustingthemyth.com/fakes-gallery (1.10.2025).

  • 19

    Ebd.

  • 20

    Dara Kerr, «Musk’s AI Grok bot rants about ‹white genocide› in South Africa in unrelated chats», 15.5.2025, Guardian, www.theguardian.com/technology/2025/may/14/elon-musk-grok-white-genocide (17.5.2025).

  • 21

    Es ist selbstverständlich eine anthropozentrische Projektion anzunehmen, dass man einen Chatbot etwas ‹fragt› und sich in einem Dialog befindet. Tatsächlich gibt man eher einen Befehlt über die prompts, und die ‹Antworten› des Chatbots sind so vorprogrammiert, dass sie den menschlichen Nutzer gefallen sollen. Siehe auch Marietta Kesting «Large Language Models, Parrots, and Children Modelling Speech, Text, and Learning Processes», in: Breaking and Making Models, ed. by Christoph F. E. Holzhey, Marietta Kesting, and Claudia Peppel, Cultural Inquiry, 33 (Berlin: ICI Berlin Press, 2025), pp. 217–37, hier 220-221, ​doi.org/​10.37050/​ci-33_09; sowie Rob Horning, «Companionship without Companions», 3.8.2024, robhorning.substack.com/p/companionship-without-companions (1.10.2025), and Benjamin Bratton & Blaise Agüera Y Arcas, The Model is the Message, S. 4 und Leif Weatherby, Language Machines: Cultural AI and the End of Remainder Humanism, Minneapolis: University of Minnesota Press 2025. Diese Fragen würden einen eigenen Fortsetzungsblogeintrag verdienen.

  • 22

    Paige Oamek, Kyle Robinson, «Elon Musk’s Grok AI Can’t Stop Talking About ‹White Genocide›», Wired, https://www.wired.com/story/grok-white-genocide-elon-musk/ und Derek Robertson, «Grok’s ‹white genocide› glitch and the AI black box», Politico, 5.15.2025, www.politico.com/newsletters/digital-future-daily/2025/05/15/groks-white-genocide-glitch-and-the-ai-black-box-00352709 (25.6.2025).

  • 23

    Cory Doctorow, Enshittification: Why Everything Suddenly Got Worse and What To Do About It, Verso 2025.

  • 24

    Nick Dall, «‹Kill the Boer›: The anti-apartheid song Musk ties to ‹white genocide›», 26.3.2025, Aljazeera, www.aljazeera.com/news/2025/3/26/kill-the-boer-the-anti-apartheid-song-musk-ties-to-white-genocide (1.10.2025).

  • 25

    Khanyisile Ngcobo, «Racially charged row between Musk and South Africa over Starlink», 16.4.2025, BBC News www.bbc.com/news/articles/cly3d8gd8mno (17.5.2025).

  • 26

    Zolan Kanno-Youngs, Hamed Aleaziz: «Trump Considers Overhaul of Refugee System That Would Favor White People», New York Times 15.10.2025, www.nytimes.com/2025/10/15/us/politics/trump-refugee-white-people.html (17.20.2025).

  • 27

    Schaffer, Johanna; Strick, Simon; «Radikale Einfallslosigkeit. (Grundlage und Effekt gegenwärtiger Konsensproduktion)». In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, 2. Februar 2025, zfmedienwissenschaft.de/online/radikale-einfallslosigkeit (4.7.2025), sowie zur Wichtigkeit, gegen die executive orders anzuschreiben, siehe auch Judith Butler, «This is Wrong», London Review of Books, Vol. 47 No. 6, 3 April 2025, www.lrb.co.uk/the-paper/v47/n06/judith-butler/this-is-wrong, (25.6.2025).

  • 28

    George Orwell, 1984, zuerst veröffentlicht 1949 von Secker & Warburg, London, England.

  • 29

    Maik Baumgärtner, Tobias Großekemper, Henrik Neumann und Wolf Wiedmann-Schmidt, «Selbsternanntes ‹Königreich Deutschland› wird verboten», 13.5.2025, Spiegel Online, www.spiegel.de/politik/deutschland/reichsbuerger-selbst-ernanntes-koenigreich-deutschland-verboten-peter-fitzek-verhaftet-a-6c089852-34d2-47af-9b70-4d2bc9c22c38 (25.6.2025).
     

Bevorzugte Zitationsweise

Kesting, Marietta: Geschichtsrevisionismus und weiße Viktimisierung. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/geschichtsrevisionismus-und-weisse-viktimisierung.

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