Gender, die ewige Generalprobe. Adele-Cover lesen
von Ulrike Bergermann
Die Zeitspannen sind minimal geworden. Parodien, Neuauflagen, Re-enactments folgen jetzt fast unmittelbar auf neu erschienene Songs und ihre Inszenierungen. Adele hat «Hello» im ersten Monat über 3 Millionen mal verkauft, und schon zirkulieren unzählige Cover und Remakes (YouTube vermeldet bei der Eingabe «Hello Cover Adele» 2.200.000 Treffer): affirmativ, von Leuten, die nicht aussehen wie Adele, die nicht das gleiche Geschlecht, Alter oder die gleiche Hautfarbe haben, eine Gruppe oder eine Geige (oder ein drum cover), ein Duett oder Flash chorus sind, die aber ihre Weise, den/die Liebste zu vermissen, ebenso ausdrücken wollen, in Metal-, Reggae- oder Ukulele-Versionen (Gitarren-Untericht dazu hier); von Ellen, die das Elegisch-Pathetische in den lange Pausen des Gesangs mit eigenem Telefonsprechen parodiert (und den Retro-Stil des Adele-Clips mit einem Riesen-Walkietalke1). Mit wenigen Ausnahmen verlängern die zahllosen Cover die schliche Mainstream-Glattheit der Vorlage und machen sie nur durch ihre selbst ungewollte Verschiedenheit erträglich (und zeige sich diese auch nur in den Zimmereinrichtungen); MC Miko rappte im Oktober immerhin vierzig Sekunden lang seinen Bildschirm an, auf dem Adeles Clip läuft, und Andy van Pop setzte sich mit seinem Keyboard in den gebeamten Clip und mischte das Lied mit anderen (Mashup «Hello, It's Hotline Bling», 19.11.2015). Ansonsten ist weit und breit kein Kommentar zum Song, zu Adele, zu irgendwas zu sehen. Ist die Frage nach Kommentierung für eine Videoplattform woanders als in den alten Orten zu suchen?
Strukturell liest sich diese Cover-Sammlung grundsätzlich anders als etwa ein umdrehend-aneignendes Rammstein-Cover der Kapelle Dobranotch aus St. Petersburg vom 13.11.2015, und anders auch als ein riesige Re-enactment wie das von von Kate Bushs 1978er Hitsingle «Wuthering Heights», deren großgestige Femininitätsinszenierung damals schon parodiefähig war, in einer Wiederinszenierung 2013 - besonders der Generalprobe - allerdings zu einer Liebeserklärung einer Fanmenge wurde (die mindestens ebenso an «The battle of Orgreaves» erinnert).
Live-Karaoke produziert eine besondere Form der Gleichzeitigkeit von Referenzobjekt und Neuaufführung: Das zitierte Original ist anwesend-abwesend, aber nur solange die Wiederaufführung dauert. Ein schriftliches Zitat funktioniert anders: Das zitierte Objekt ist immer anwesend, solange das Zitat gelesen wird, aber der Akt des Schreibens ist ja vorbei. YouTube-Karaoke-Performances versetzen uns in die Zeit, in der Aufführen und Wiederaufführen ineinander liegen. Wer in diesen Performances Spuren von drag sucht (nach Judith Butler vor 25 Jahren: Geschlechtsidentität ist eine Imitation ohne Original), wird die Aufmerksamkeit vom einzelnen Video auf die Multiplizität der vielen Videos richten müssen. Insektenaugen entwickeln.
PS: Adele selbst hat nicht die Größe einer Dolly Parton. Sie klebte sich eine Nase auf und ging (mit erstaunlich vielen verschiedenen Kameraleuten) incognito als «Jenny» zu einer BBC-Audition, bei der die Bewerberinnen »Adele» singen sollten (20.11.2015). Die Inszenierung von on- und backstage ebenso wie die des Videos sind unangenehm und setzen die Bewerberinnen permanent verschiedenen Sorten von Spott aus - die ZuschauerInnen sind ja immer auf der besserwissenden Seite. Hier spricht nicht die Liebe zur aneignenden Fankultur, sondern die hierarchische Stardom-Verteidigung.
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