Die erste Hose im Bundestag
[anonym], «Sie sind ein würdeloses Weib!», in: Hannoversche Allgemeine, 24.10.2015
« [...] Es war die Zeit von Kommunen und freier Liebe. Frauen verbrannten rituell ihre Büstenhalter, und in den Kinos lief Oswalt Kolles cineastische Aufklärungsoffensive ‹Deine Frau, das unbekannte Wesen›. Dennoch war das Zeichen, das [die Hannoversche Bundestagsabgeordnete der SPD] Lenelotte von Bothmer setzte, revolutionär. Dabei war eigentlich egal, was sie da am Rednerpult sagte; irgendwie ging es um Schulpolitik. Entscheidend war, was die 54-Jährige dabei trug. [...] ‹Die erste Hose am Pult!›, schrie ein empörter Zwischenrufer, als sie ihre Rede hielt. Carlo Schmid (SPD) wähnte die Würde des hohen Hauses verletzt, Bundestagsvizepräsident Richard Jaeger (CSU) die Würde der Frau.
Dabei hatte Jaeger den Skandal ungewollt selbst mit ausgelöst: Der konservative CSU-Mann hatte getönt, niemals werde er einer Frau erlauben, in Hosen im Plenum zu sprechen. ‹Mit ihm war Lenelotte von Bothmer ohnehin über Kreuz, weil er für die Todesstrafe war›, erinnert sich Winfried Bassmann. Der langjährige Leiter des Kurt-Schwitters-Gymnasiums hatte die Menschenrechtlerin in den Siebzigern in der Anti-Apartheid-Bewegung kennengelernt; oft diskutierten sie in ihrem Haus in Isernhagen-Süd über Afrika. [...]
Die wenigen Frauen des Bundestages, so will es die Legende, sollen damals die Köpfe zusammengesteckt haben, um ein Zeichen für die Emanzipation zu setzen [...]. Liselotte Funcke (FDP) war prinzipiell bereit, die Hosenrolle zu übernehmen, fühlte sich aber Beinkleidern figürlich nicht gewachsen. Heißt es. Also hatte die schlanke Hinterbänklerin Lenelotte von Bothmer plötzlich die Hosen an [...] – und Lenelotte von Bothmers Hosenanzug gebührt in der deutschen Geschichte heute eigentlich derselbe Platz wie Helmut Kohls Strickjacke oder Joschka Fischers Turnschuhen.»
In der ARD/rbb-Audiothek: ein Interview mit Inge von Bönninghausen (langjährige WDR-Journalistin) von Andrea Heinze: «Erste Hose im Bundestag».
Heute kann man eine Autogrammkarte der Politikerin ersteigern. Oder eins ihrer Bücher.
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