Fake News, Hashtags & Social Bots
‹Propaganda› scheint derzeit – betrachtet man die Diskussionen in Sozialen Netzwerken – ein erstaunlich weit verbreitetes Phänomen zu sein. Der Vorwurf, Aussagen anderer seien Propaganda, scheint sich im politischen Diskurs – und insbesondere im Social Web – zu häufen. Befördern Soziale Medien als dezentralisierte Distributionsmedien verschiedenster Meinungen, Haltungen und (Falsch)Informationen propagandistische Tendenzen? Welche – den Sozialen Medien immanente – Instrumente können in besonderer Weise propagandistischen Zwecken dienen? Ausgehend von solchen Fragen erscheint es als folgerichtig, dass Klaus Sachs-Hombach und Bernd Zywietz in dem von ihnen herausgegebenen Sammelband Fake News, Hashtags & Social Bots. Neue Methoden populistischer Propaganda dem Propaganda-Begriff nachgehen und gemeinsam mit ihren Co-Autor_innen potenzielle propagandistische Instrumente in Sozialen Medien analysieren.
Die Beschäftigung mit dem ‹Propaganda›-Begriff provoziert jedoch zunächst die Frage, ob und wie sich ein (medien-)wissenschaftlicher Fokus auf diesen Terminus für aktuelle gesellschaftliche Diskurse als zweckdienlich erweisen kann. Im Alltagsgebrauch scheint die Verwendung des Begriffs derzeit zuzunehmen. Zur Begriffsklärung auf wissenschaftliche Diskurse zu rekurrieren, erweist sich als schwierig: Die Medienwissenschaft kann – im Gegensatz zur Kommunikationswissenschaft – keinen historisch gewachsenen Bezug zum Gegenstand ‹Propaganda› aufweisen.1 Die medienwissenschaftliche Perspektive auf Propaganda erfolgt bisher weitgehend technik- und medienhistorisch. Die Medienwissenschaft befindet sich also noch auf der Suche nach einer für sie relevanten Definition von Propaganda. Doch selbst in der Kommunikationswissenschaft, die «maßgeblich auf die Pionierrolle der Propagandaforschung zurückgeht»,2 «[gibt es] nach über siebzig Jahren systematisierender Bemühungen […] keine präzise und allgemein anerkannte Definition von Propaganda».3 Erschwerend hinzu kommen Fragen der disziplinären Zuständigkeiten und blinden Flecken: Kommunikationswissenschaft und Propagandaforschung hatten und haben zwar auch immer die medialen Kanäle im Blick, da Propaganda «in der Regel medienvermittelt […]»4 erfolgt, jedoch liegt der Schwerpunkt auf der Wirkungsforschung.
Dass solche definitorischen und disziplinären Probleme auch im medienwissenschaftlichen Diskurs um Propaganda eine Rolle spielen, wie in einem von Bernd Zywietz organisierten Workshop-Panel «‹Propaganda› und Medienwissenschaft» auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM) 2018 festgestellt wurde,5 zeigt sich auch an der nicht durchweg einheitlichen Begriffsdefinition im hier zu besprechenden Sammelband. In der Einleitung erachten die Herausgeber den Alltagsgebrauch des Propaganda-Begriffs als zu «(ab-)wertend, mithin normativ und für schlichte, intersubjektive Beschreibungen und Analysen ungeeignet» (2). Demgegenüber lässt sich jedoch auch für eine Orientierung am Alltagsgebrauch argumentieren, «um nicht missverstanden zu werden».6 Die verstärkte Verwendung des Propaganda-Begriffs im gesellschaftlichen Diskurs evoziert also einerseits eine wissenschaftliche – und im Kontext Sozialer Netzwerke eine medienwissenschaftliche – Betrachtung. Andererseits riskiert eine Denotation des Begriffs, wie sie die Herausgeber im Dienste der Analysierbarkeit von Propaganda anvisieren, eine Entkopplung der (Medien-)Wissenschaft vom gesellschaftlichen Diskurs. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des von Zywietz beschriebenen «demonstrative[n] Wissenschaftsskeptizismus» (117), der ein zunehmendes Problem im reziproken Verhältnis von (Geistes-)Wissenschaft und Teilen der Gesellschaft darstellt.
Neben der definitorischen Unschärfe und der möglichen Probleme durch eine definitorische Festlegung des Begriffs stellt sich eine weitere Frage: Kann der Rückgriff auf einen ‹analogen› Propaganda-Begriff als theoretische Grundlage für die Beobachtung ‹neuer›, digitaler Methoden zweckdienlich sein? Die Übertragung der Ideen zu massenmedial vermittelter Propaganda auf digitale und dezentralisierte Medien birgt die Gefahr, in Annahmen eines Massenparadigmas7 zurückzufallen, das individuelle Prägungen und Sozialisationen der Rezipierenden kaum berücksichtigt. Könnte sich der Versuch einer Redefinition von (digitaler) Propaganda anhand der Analyse potenzieller digitaler Methoden und Instrumente dieser womöglich als sinnvoller erweisen? Das hieße also, die neuen Phänomene im Social Web zu betrachten und zu analysieren und diese mit bestehenden – wenn auch diskrepanten – ‹analogen› Propaganda-Theorien abzugleichen, um so feststellen zu können, ob diese aus medienwissenschaftlicher Perspektive eine Modifikation für das Digitale erfahren müssen. Ein solches, von den Phänomenen ausgehendes, induktives Vorgehen könnte auch die Notwendigkeit der kontinuierlichen definitorischen Anpassungen für die Betrachtung der jeweiligen Untersuchungsgegenstände obsolet machen. Ob eine solche induktive Betrachtung der Phänomene mit aussagekräftigen Ergebnissen gelingt, sollte eine zentrale Frage an den Sammelband darstellen.
Der zweite zentrale Begriff des Sammelbandes – der des Populismus – «erfährt aktuell – ebenso wie der Begriff der Propaganda – eine enorme Prominenz» (3). Die Herausgeber orientieren sich bei ihrer Betrachtung von Populismus eng an Jan-Werner Müllers Argumentation, dieser sei «eine ‹spezifische, der modernen repräsentativen Demokratie inhärente Gefahr›».8 Demnach sei Populismus geprägt von Elitenfeindlichkeit, einem moralischen Alleinvertretungsanspruch und Antipluralismus (vgl. 4). Im Social Web konstituiere sich ein bestimmter Populismus(-Typus), der «hier gar simulierbar [wird] und dies durchaus mit strategischem Kalkül und realen Konsequenzen.» (6) Ein wichtiger – von Stephan Humer9 entliehener – Befund betrifft die Umkehrung der «Top-down-Situation klassischer Propaganda» (7) im Social Web: So seien «die Bürgerinnen und Bürger mit ihren digitalen Identitäten» (ebd.) nicht mehr nur Publikum, sondern Akteur_innen. Diese Beobachtungen ergänzt Alexander Fischer in seinem Beitrag zu dem besprochenen Band durch den bedenkenswerten Vorschlag, Populismus ausgehend von «seine[r] Funktionsweise [...] als eine manipulative Kommunikationsstrategie [zu] begreifen» (30). Gleichzeitig erweist sich der Begriff der ‹Manipulation› jedoch als vergleichbar problematisch wie der der Propaganda. Während die Herausgeber Sachs-Hombach und Zywietz im schlechten Ruf der Propaganda (vgl. 1) ein Hindernis für deren wissenschaftliche Betrachtung erkennen, bleibt eine Problematisierung des Manipulationsbegriffs allerdings aus (vgl. 2).
Im bereits erwähnten Beitrag zum Begriff der Manipulation problematisiert Alexander Fischer hingegen die tendenzielle Verquickung eines (negativen) ethischen Urteils «im Akt der Definition» (25) und formuliert einen Alternativvorschlag: Manipulation sei zunächst «eine Form strategischer Kommunikation […], die […] nicht primär» (18) auf rationaler, sondern auf affektiver Ebene versuche, zu überzeugen. Fischer strebt im Rahmen seines Aufsatzes eine ethische (Neu-)Beurteilung von Manipulation an, indem er eine «minimalmoralische Respektsethik» der Manipulation skizziert (39ff.). Dass dabei auf (populistische) Eliten beziehungsweise auf Figuren fokussiert wird, deren manipulatives Potenzial bereits durch ihre gesellschaftliche Stellung konstituiert ist, könnte dazu führen, dass die medialen Instrumente ausgeblendet werden. Um dies zu überprüfen, sollen hier die Standards zu Rate gezogen werden, die Fischer als Voraussetzung beschreibt, um einen respektvollen (manipulativen) Umgang miteinander zu pflegen: Ein Standard sei die «Verhinderung negativer Effekte bezüglich des Charakters, der psychischen Integrität und Ökologie» (45). Daraus folgend schließt Fischer aus, dass Manipulation «zeitlich unbegrenzt oder gehäuft» (ebd.) eingesetzt werden dürfe. Dem zweiten Standard folgend, müsse Manipulation uns «eine grundsätzliche Wahlfreiheit lassen» (46), was durch beständige Manipulation nicht erreichbar sei.
Im Fall von Sozialen Netzwerken können wir diese Standards auf die dort stattfindende interpersonelle Kommunikation beziehen: Mit Blick auf algorithmische Aspekte der Kommunikation in Sozialen Netzwerken – als Beispiel seien die im Sammelband thematisierten Social Bots erwähnt –, lassen sich die beschriebenen Standards kaum anwenden. Zwar ließen sich die Intentionen der Kommunikator_innen hinter den algorithmischen Phänomenen anhand Fischers Respektsethik beurteilen, jedoch rücken so die (medialen) Phänomene weitgehend in den Hintergrund. Der dritte Standard bezieht sich dann auch primär auf die Intention von (manipulativen) Kommunikator_innen: Legitime Manipulation muss laut Fischer auch «einen legitimen Zweck verfolgen» (46). Bezüglich populistischer Kommunikationsstrategien, die «Menschen [...] als Mittel zum Zweck zu Feinden» (ebd.) mache, lässt sich eine solche Legitimation durchaus in Frage stellen. Zudem ist fraglich, inwiefern ein normativ zu denkender Legitimationsbegriff dazu dienen kann, die normative Verurteilung des Manipulationsbegriffs zu überwinden. Dennoch erscheint Fischers Versuch, Manipulation durch seine minimalmoralische Respektsethik von ihrem definitorischen (Negativ-)Urteil zu emanzipieren, in Anbetracht der – mit dem Propaganda-Begriff vergleichbaren – problematischen Definitionslage sinnvoll. Denn obwohl dieser Fokus (mediale) Kanäle und die Instrumente manipulativer Kommunikationsstrategien tendenziell vernachlässigt, könnten Versuche, primär die medialen Methoden zu betrachten und so möglicherweise eine Theoriebildung digitaler Propaganda und Manipulation zu fördern, von Meta-Ebenen-Betrachtungen wie der Fischers profitieren.
Eine Spezifizierung des vorgegebenen Propaganda-Begriffs nimmt Lena Frischlich vor, deren Beitrag der Online-Propaganda gewidmet ist. Der dem Sammelband zugrundeliegende Gedanke, dass das Social Web «den linearen Kommunikationsprozess [...] auch für Propaganda verändert [hat]» (136), wird hier in aller Deutlichkeit formuliert. Diese Entlinearisierung implementiere, so Frischlich, nicht nur einen Feedback-Prozess von Nutzer_innen zu Sender_innen einer Botschaft (hier also: Propagandist_innen), sondern führe darüber hinaus zu einer reziproken Beeinflussung unter den Nutzer_innen (vgl. 136f.). Auch wenn die Annahme, erst das Social Web habe eine Linearität der Kommunikation grundlegend verändert, kritisch zu hinterfragen wäre, gelingt es Frischlichs Ansatz, das Phänomen der Online-Propaganda als entlinearisierten Prozess zu bestimmen. Darüber hinaus wäre dem Aspekt reziproker Beeinflussung von Nutzer_innen im Social Web, auf den sie hinweist, künftig in jedem Fall noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken, da erst das Social Web einen (medialen) Austausch von Rezipierenden in einem signifikanten Ausmaß hervorbringt.
Im Kern verfolgt Frischlich das Ziel, Propaganda aus dem «traditionelle[n] Verständnis [...] als Makro-Ebenen-Phänomen» (142) zu lösen, da Online-Propaganda als Mehrebenenphänomen verstanden werden müsse. Dies scheine notwendig, um die jeweiligen Phänomene zu untersuchen – insbesondere wenn Rückschlüsse auf die Wirkung von Online-Propaganda gezogen werden sollen. Das ‹traditionelle› Verständnis, von dem Frischlich hier ausgeht, scheint dementsprechend das eines Massenparadigmas der Propaganda zu sein; dies legen die drei Paradigmen nahe, die Thymian Bussemer beschreibt, denen zufolge spätestens Vertreter_innen des pluralistischen Paradigmas auch von einem «Bedürfnis des Individuums nach Propaganda» ausgehen.10 Frischlichs Betrachtungen der Makro-Ebene denken ein ‹traditionelles› Verständnis durchaus noch mit: Ob aufgrund der Möglichkeiten im Social Web, das auch (nicht-elitären) Individuen die Erreichbarkeit eines «Massenpublikum[s]» (144) ermögliche und Popularität für bestimmte Themen simulierbar mache, «nichtstaatlichen Online-Propagandist*innen» (147) das Potenzial einer gesamtgesellschaftlichen Einflussnahme zugeschrieben werden könne, sei auch unter Einbezug aktueller Studien fraglich. Hier sollte angemerkt werden, dass das Erreichen einer großen Zahl Rezipierender auch außerhalb des Social Web eine einheitliche Einflussnahme auf dieses Publikum nicht zwingend herbeiführt.
Frischlichs Differenzierung auf Meso-Ebene zwischen gesellschaftlichen (‹Offline›-)Teilgruppen und Online-Gruppen – sogenannten «Echo-Kammern» (153) – ist bezüglich potenzieller Online-Propaganda äußerst relevant. Denn während sich gesellschaftliche Teilgruppen zumeist «entlang physischer oder kultureller Merkmale [...] unterscheiden» (ebd.), entstehen Echo-Kammern primär auf der Grundlage gleicher oder ähnlicher Meinungen und (politischer) Haltungen. Diese gemeinsame Grundlage in digitalen Echo-Kammern lässt den Schluss zu, dass Mitglieder solcher Echo-Kammern in einem hohen Maße empfänglich sind für persuasive Kommunikationsstrategien, die auf ihre schon bestehenden Meinungstendenzen eingehen. Dies kann auch der Erklärung dienen, weshalb eine der Funktionen von Propaganda auf der Meso-Ebene die Bestärkung von (Eigen-)Gruppenmitgliedern sei (vgl. 155). Hieraus lässt sich folgern, dass der bestärkenden Kommunikation in solch homogenen und durch Kommunikation konstituierten Gruppen eine autopoietische Funktion zugeschrieben werden kann.
Mit dem Blick auf die Mikro-Ebene berücksichtigt Frischlich schließlich individuelle Rezipierende und deren Prädispositionen, die eine Empfänglichkeit für Propaganda begünstigen können, wie «Gewaltakzeptanz» (158) oder «Autoritarismus» (ebd.). Dass solche «generalisierte[n] ideologische[n] Einstellungen» (ebd.) die Wirkung ‹analoger› Propaganda ebenso beeinflussen kann wie auch die von Online-Propaganda, scheint evident. Dies legt den Schluss nahe, dass in einem traditionellen Verständnis Propaganda zwar zum Makro-Ebenen-Phänomen verkürzt wurde, allerdings immer auch Wirkungsaspekte auf Meso- und insbesondere Mikro-Ebene existierten, welche jedoch eine zu geringe Aufmerksamkeit erfuhren. Allerdings sind die Wirkungsfaktoren auf der Mikro-Ebene unzureichend empirisch belegt, wie auch die von Frischlich zitierten Studien – sowie eine von ihr selbst durchgeführte – nahelegen. Einen interessanten Aspekt, der nicht zuletzt für die Integration medienkulturwissenschaftlicher Perspektiven spricht, stellt das Unterhaltungspotenzial von (propagandistischen) Inhalten dar, etwa wenn Frischlich feststellt, dass «das Ausmaß an Narrativität von Propaganda [...] die Wirksamkeit zu begünstigen» scheine (159). Dies legt nahe, dass nicht nur die Methoden und Instrumente von Online-Propaganda einer tiefreichenden Analyse unterzogen werden sollten, sondern auch ihre Inhalte.
Die Betrachtung von Online-Propaganda als Mehrebenenphänomen kann insofern tatsächlich zu einem erweiterten Verständnis (potenziell) propagandistischer Online-Instrumente und deren Wirkungsweisen beitragen. Jedoch führt die noch unzureichende Erforschung der «neuen Gelegenheitsstrukturen» (161) dazu, dass Frischlich zunächst nur «Einblicke in die [...] Wirkung von Online-Propaganda auf der Makro-Meso-Mikro-Ebene» (ebd.) zusammenfasst und Ausblicke auf notwendige Studien skizziert. Wie sich also in diesem Beitrag zeigt, besteht ein Problem des Sammelbandes in der fehlenden empirischen Belegbarkeit der Wirkung(en) digitaler Propaganda-Methoden und -Werkzeuge. Auch Schmid et al. thematisieren zwar die Problematik des (empirischen) Forschungsstandes (vgl. 80f.), können diesem außer dem Ausblick auf weitere, notwendige Studien jedoch wenig hinzufügen.
Wie problematisch sich die Berufung auf (Wirkungs-)Studien zu digitalen Methoden wie Fake News oder Social Bots ausgestalten kann, zeigt eine Betrachtung des Aufsatzes von Robin Graber und Thomas Lindemann. Die beiden Autoren stellen grundsätzliche Überlegungen zu Social Bots und den mit ihnen verbundenen Risiken an. Die von Graber und Lindemann angeführten Studien konsolidieren zwar deren Argumentation (vgl. 63), allerdings scheint insbesondere bei Studien zu Social Bots eine Prüfung und Darlegung der Methodik als dringend geboten, wie Florian Gallwitz und Michael Krell eindrucksvoll aufgezeigt haben.11 Graber und Lindemann sehen die potenziellen Risiken des Einsatzes von Social Bots primär im Prinzip der sozialen Bewährtheit begründet. Sie argumentieren also, dass (viele) Social Bots durch die Verbreitung von Meldungen und Inhalten Meinungstendenzen simulieren können, da «Menschen [dazu] neigen [...], sich der Mehrheitsmeinung anzuschließen» (60). So sollen Propagandist_innen «die nötige Masse z.B. durch Social Bots erzielen» (61) können. Gepaart mit – von den Autoren als «Medienwahrheit» (58) bezeichneten – Falschmeldungen sollen Social Bots so jeder Einzelperson die «Voraussetzungen für eine Massenmanipulation» (62) zur Verfügung stellen. Weshalb dem Wahrheitsgehalt der Inhalte eine solche Bedeutung für die Analyse der Distribution durch Social Bots zugeschrieben wird, erschließt sich nicht zwingend. So können (und sollten) Analyse und Problematisierung von Distributionsalgorithmen zunächst unabhängig von der (faktischen) Qualität der Inhalte betrieben werden. Social Bots wird hier eine (All)Macht zugeschrieben, die angesichts des problematischen empirischen Forschungsstandes unangemessen erscheint. Der Appell der Autoren, eher den Blick auf die Inhalte von (im Social Web verbreiteten) Nachrichten zu schärfen, um so das Risiko erfolgreicher Propaganda einzudämmen, ist hingegen durchaus sinnvoll.
Die Autor_innen Claudia Eva Schmid, Lennart Stock und Svenja Walter (im Folgenden «Schmid et al.») versuchen, eine «Radikalisierung» (71) von Falschmeldungen hin zu Fake News darzustellen und potenzielle Gegenmaßnahmen aufzuzeigen. Die Mechanismen dieser Radikalisierung, die die Autor_innen beschreiben, fixieren das Phänomen Fake News ausschließlich auf Soziale Netzwerke. So werden Fake News primär ausgehend von der Distributionslogik Sozialer Medien gedacht (vgl. 77). Das erscheint für einen Aufsatz zu propagandistischen Methoden im Web 2.0 zwar zunächst schlüssig, greift jedoch zu kurz, wenn Fake News als gesellschaftliches und politisches Phänomen problematisiert werden sollen. Dass Schmid et al. zudem jeder Fake News «propagandistische Absichten» (77) unterstellen, wird weder der gesellschaftlichen noch der medial geführten, selbstreflexiven Debatte um «epistemisch […] dysfunktionale» (Nachrichten-)Meldungen, wie es im Beitrag von Bernd Zywietz heißt (114), gerecht. Mit Blick auf den Forschungsstand (80f.) weisen die Autor_innen darauf hin, dass bestehende Studien eine meinungsändernde Wirkung von Fake News nicht empirisch belegen können. Ihr diesbezüglicher Vorschlag, verschiedene Soziale Netzwerke aufgrund unterschiedlicher Distributionsarten und -möglichkeiten differenziert zu betrachten (81), sollte hierbei durchaus ernst genommen werden. Potenzielle Gegenmaßnahmen, die Schmid et al. vorstellen, scheinen tendenziell mehr Fragen aufzuwerfen als zu beantworten – wie zum Beispiel die Frage, wie zeitnah sich die Forderung nach Medienkompetenz-Unterricht an Schulen umsetzen lasse.
Bernd Zywietz’ Beitrag bietet einen differenzierteren Ansatz, indem er Fake News in einem von Grauzonen durchsetzten Spannungsfeld von Propaganda und Parodie verortet. Medialen ‹Fake›-Erzeugnissen liege laut Zywietz immer «das Prinzip eines kommunikativen Vertrauensmissbrauchs zugrunde» (106). Zywietz betrachtet Fake News unter der Prämisse eines «diskursiven Bedeutungsverlust[s] der Wahr/Falsch-Leitdifferenz» (117), unterscheidet zwischen materiellen Falsifikaten und «Medien-Hoaxes» (101ff.) und betrachtet darauf aufbauend im Speziellen die Ausprägungen von Fake News im Social Web (107ff.). Interessant sind vor allem seine übergeordneten Überlegungen zum «Relevanzverlust des Faktischen» (116ff.) und der «Faktizität als Spielmaterial» (119ff.). Zywietz beschreibt Fake News als emblematisch «[a]ngesichts der gegenwärtigen ‹postfaktischen› Situation» (117), in der Verschwörungstheorien und «Wissenschaftsskeptizismus [...] Überforderungsformen des kritischen Vernunftideals und des modernen Individualismus» (ebd.) seien. Diese Integration des Phänomens in eine derzeit problematische gesellschaftliche Diskurskultur ermöglicht die Betrachtung eines weitreichenden Kontextes, dem ein nahezu ausschließlich auf Soziale Medien fokussierender Blick keine Beachtung schenken kann. Seinen Blick jedoch auch auf das Social Web richtend, sieht Zywietz in Anlehnung an Dirk von Gehlen12 eine Verflüssigung der Faktizität im Digitalen (vgl. 122). Während Gehlen eine solche Verflüssigung für «Kulturprodukte klassischer Prägung» beschrieben hat,13 erweitert Zywietz diese Perspektive über kulturell determinierte Phänomene hinaus hin zu einer ontologischen Problemstellung. Nach Zywietz wird nicht nur die ‹Remix›- und ‹Mashup›-Kultur des Digitalen (also Bild-, Text- oder audiovisuelles Material), sondern auch Faktizität als solche durch Methoden des Digitalen zur Disposition gestellt. Diese Faktizität kann jedoch kaum von ihrem «Träger gelöst werden»,14 da sie sich selbst trägt. Gehen wir von einer solchen Selbstevidenz der Faktizität aus, wird sie weniger verflüssigt im Sinne einer (neuen) Formbarkeit, da sie einer Reformulierung oder Reformation nicht offensteht. Dies macht Zywietz Gedanken nicht weniger interessant oder schockierend, denn wenn eine medial vermittelte Wirklichkeit(-skonstruktion) aus nicht-faktischen Quellen schöpft und von Rezipierenden als (Abbild der) Wirklichkeit anerkannt wird, verkommt Faktizität zu einem Abfallprodukt einer digitalen Kommunikationskultur. Sie wird also liquidiert.
«Die Frage war und ist nun, inwiefern wir heute mit dem Propaganda-Begriff arbeiten können […]. Wann macht es Sinn, ihn auch in unserer Forschung zu verwenden und müssen wir ihn vielleicht auch Stückweit [sic] reaktivieren?»15 Die Beantwortung dieser Fragen wird jedoch nicht nur durch die pejorative Konnotation des Propaganda-Begriffs erschwert, sondern gerade auch durch die notwendige Problematisierung von Begriffen wie ‹Populismus› und ‹Manipulation›, die eng mit dem der Propaganda verflochten sind. Eine wesentliche Aufgabe müsste auch darin bestehen, dieses definitorische Geflecht zu ordnen, um zu «einer Forschung zur Propaganda mittels Sozialer Medien [...] in hybriden Mediensystemen»16 beizutragen. Diese auf der GfM-Jahrestagung 2018 von Kathrin Fahlenbrach aufgeworfenen Gesichtspunkte lassen sich jedoch noch zuspitzen, indem wir mit Franz Ronneberger fragen, «ob man überhaupt an einem allgemeinen Begriff der Propaganda festhalten soll».17 Betrachten wir – ausgehend von der eingangs gestellten Frage nach einem induktiven Vorgehen – die Beiträge des Sammelbandes, die sich primär der Untersuchung der ‹neuen Methoden› im Social Web widmen, scheint das Ergebnis ernüchternd. Ein (erfolgreiches) induktives Vorgehen scheitert an der unzureichenden empirischen Grundlage, die eine Generalisierung der Betrachtungen der medialen Phänomene zu einer Theorie digitaler Propaganda zunächst kaum ermöglicht. Relevante Meta-Ebenen-Betrachtungen wie die Fischers und Frischlichs bieten interessante Perspektiven auf Propaganda (und Manipulation). In diesem Rahmen rücken die medialen Phänomene jedoch tendenziell in den Hintergrund. Allgemeiner muss jedoch auch gefragt werden, ob es hilfreich sein kann, die Phänomene bereits durch die Schablone eines (unpräzisen) Propaganda-Begriffs zu betrachten. Eine solche, teleologische Herangehensweise scheint wenig sinnvoll. Es sollten vielmehr die neuen Methoden und Werkzeuge digitaler Kommunikation analysiert werden, um so ihre – positiven wie negativen – Potenziale zu erkennen. Der Medienwissenschaft kann nicht primär die Rolle zukommen, der schlechten Beleumundung eines allgemeinen Propaganda-Begriffs entgegenzuwirken. Ihr Fokus muss auf den Kanälen und Instrumenten medial vermittelter Kommunikation – und so auch von potenzieller Propaganda – liegen. Insbesondere mit Blick auf die Geschwindigkeit (medien-)technologischer Entwicklungen sollte der medienwissenschaftliche Schwerpunkt auf den beständig evolvierenden Phänomenen liegen. Entscheiden wir uns für die (wissenschaftliche) Nutzung des Propaganda-Begriffs, ist eine weitreichende interdisziplinäre Perspektive auf Propaganda dringend geboten. So wären – neben der kommunikationswissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Begriff – psychologische Aspekte auf Mikro- und Meso-Ebene genauso zu beachten, wie inhaltsästhetische, narratologische und (informations-)technologische. Der von Sachs-Hombach und Zywietz herausgegebene Sammelband, der der erste einer geplanten Reihe ist, kann durchaus als (zaghafter) Beginn einer solchen Interdisziplinarität gesehen werden.
- 1Zur kommunikationswissenschaftlichen (Begriffs-)Geschichte der Propaganda sei der folgende Band empfohlen: Thymian Bussemer: Propaganda. Konzepte und Theorien, Wiesbaden 2005.
- 2Ebd., 17.
- 3Ebd., 381.
- 4Ebd., 29f.
- 5Bernd Zywietz: Propaganda & Medienwissenschaft – Online-Propagandaforschung, https://www.online- propagandaforschung.de/index.php/thema-propaganda-und-medienwissenschaft/, gesehen am 19.7.2019.
- 6Jens Eder: Audiovisuelle Propaganda in hybriden Mediensystemen – Online-Propagandaforschung, https://www.online-propagandaforschung.de/index.php/audiovisuelle-propaganda-in-hybriden- mediensystemen/, gesehen am 25.7.2019.
- 7Bussemer: Propaganda, 2005, 61ff.
- 8Jan-Werner Müller: Was ist Populismus? Ein Essay, Berlin 2016, S. 3.
- 9Stephan G. Humer: Digitale Identitäten. Der Kern digitalen Handelns im Spannungsfeld von Imagination und Realität, Winnenden 2008.
- 10Bussemer: Propaganda, 2005, 360.
- 11 Florian Gallwitz, Michael Kreil: Die Mär von »Social Bots«, 5.6.2019, online unter https://background.tagesspiegel.de/die-maer-von-social-bots, gesehen am 15.7.2019.
- 12Dirk von Gehlen: Eine neue Version ist verfügbar – Update: wie die Digitalisierung Kunst und Kultur verändert, Berlin 2013.
- 13Ebd, 7.
- 14Ebd., 27.
- 15Kathrin Fahlenbrach: «Schwache» und «starke» Propaganda als Teil liberalen und anti-liberalen Protests – Online-Propagandaforschung, https://www.online-propagandaforschung.de/index.php/schwache-und-starke-propaganda-als-teil-liberalen-und-anti-liberalen-protests/, gesehen am 19.7.2019.
- 16Eder: Audiovisuelle Propaganda in hybriden Mediensystemen – Online-Propagandaforschung.
- 17Ronneberger, Franz (1977): Besprechung des Buches „Propaganda. Grundlagen, Prinzipien, Materialien, Quellen“ von Carl Hundhausen. In: Publizistik 22. Jg., Heft 1, 100.
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