Der Tagungsbericht formatiert die Tagung
Das im Internet kursierende Formblatt (acht digitale DIN-A4-Seiten, dargestellt als PDF) das Hinweise zum korrekten Erstellen wissenschaftlicher Tagungsberichte enthält und von der Abteilung Kommunikation und Fachinformation für die Geschichtswissenschaften der H/SOZ/KULT Berlin erstellt wurde, ist wie jede frei verfügbare Formvorlage (siehe: «Wie schreibe ich eine perfekte Bewerbung?») dazu bestimmt, ein besonders vielgelesener Text zu werden. Unter dem Punkt «inhaltliche Kriterien» heißt es, dass sich der Verfasser / die Verfasserin davor hüten sollte (der betreffende Satz ist im Dokument sogar unterstrichen) «allzu sehr in einen ‹Protokollstil› zu verfallen», also einfach nur synoptisch und der Reihe nach die Positionen der Sprechenden wiederzugeben. Vielmehr soll sich der / die Berichtende als eine Art kritischer inhaltlicher Filter zwischen den durch die Tagung generierten «Rohdaten» und einem imaginierten Publikum einsetzen.
Der Tagungsbericht als Gattung bzw. Format fordert also implizit dazu auf, die Tagung selbst zu formatieren und zu komprimieren, redundante Information zu identifizieren sowie gegebenenfalls zu löschen und sich gleichzeitig um eine verlustfreie, ökonomisch optimierte, d.h. kondensierte Übertragung von Information im Sinne einer zeitnahen Berichterstattung zu bemühen. Bezeichnend ist, dass die genannten Eigenschaften des Tagungsberichts so auch in den Vorträgen an die Oberfläche kamen, sei es in Wanda Strauvens kurzer Geschichte des GIF-Formats, das die verlustfreie Kompression (bewegter) Bilder erlaubt, sei es in Axel Volmars Vortrag der den Begriff der Formatierung mit Momenten der Skalierung verschaltete und ganz zu Beginn den Ursprung der Diskussion um Formate am Beginn des 17. Jahrhunderts, d.h. in der Faltung von gedruckten Papierbögen verortete. Angesichts der von Carlos Spoerhase in schmucken Balkendiagrammen dargestellten Versionen von Schillers Wallenstein, bei dem die Balken je nach Seitenzahl der jeweiligen Version mal höher, mal niedriger ausfielen, wurde die Frage diskutiert was denn eigentlich nun das wesentliche an einem Theatertext sei und ob man bei der deutlich kürzeren (also im Diagramm niedrigeren) Bühnenfassung von einer Redundanz-befreiten Version sprechen kann.
Ausgehend von einer Restaurierung von Ben Hur (1959) bei der versucht wurde alle Eigenheiten des zugrundeliegenden 65mm-Kamera-Negativs in eine digitale 8K-Version zu überführen, samt aller Kratzer und materialbedingten Eigenheiten, führten Oliver Fahle und Elisa Linseisen einen paradoxen Zusammenhang vor. Je mehr Film durch derartige redefinitions als Medium destabilisiert werde, so die These, desto mehr stabilisiere er sich gleichzeitig als Format.
Einen ganz ähnlichen Zusammenhang der Heimsuchung des Neuen durch das Alte beschrieb auch Erika Balsom mit Polavision, einen 1977 von Polaroid auf den Markt gebrachten Apparat, der erlaubte kurze Filme unkompliziert herzustellen und im Anschluss über einen integrierten Projektor zu sichten. Die durch Polavision ins Spiel gebrachte Praxis des einfachen Herstellens und Teilens von bewegten Bildern habe, so Balsom, in gewisser Hinsicht die vielfältigen Praktiken der sozialen Netzwerke vorweggenommen. Polavision selbst war indes ein «instant dud», ein ökonomischer Rohrkrepierer und wurde bereits 1980 wieder vom Markt genommen. Die Tatsache, dass eine quasi tote Technologie aus den späten Siebzigern eine derartige Ähnlichkeit mit den «neuen Medien» der Gegenwart aufweist veranlasste Balsom dazu grundsätzlich an der Logik unendlicher Innovation zu zweifeln. Johannes Gfeller setzte diesen medienhistorischen Zugriff fort und sprach über die Entwicklung der Bildtelegrafie, genauer genommen der Übertragung von bewegten Bildern. Jede Form der Übertragung von Information, so Gfeller, setzte eine Kodierung der selbigen voraus. Das Format: die Niepkow-Scheibe. 1884 als «elektrisches Teleskop» patentiert erlaubte die 24-löchrige, 12 mal pro Sekunde rotierende Scheibe, Bilder in elektrische Signale umzuwandeln und über Distanz zu übertragen.
Das Formblatt des Tagungsberichts kann als Endergebnis eines Aushandlungsprozesses begriffen werden, an dessen Ende eine Handlungsanweisung steht. Eine derartige Konsolidierung machte auch die Werbung im Internet durch, wie Ramon Lobato in der Auftaktpräsentation erörterte. Während zu Beginn der 1990er Jahren noch zahlreiche, weitgehend unreglementierte Formate um die Aufmerksamkeit der NutzerInnen buhlten, setzte das Interactive Advertising Bureau ab 1996 einheitliche Normen durch und sorgte so für eine Formatierung einer bis dato wildwuchernden Praxis sowie für eine Ächtung allzu invasiver Formate der Online-Werbung wie Pop-ups, Flackern etc. Es wurde deutlich, dass die Schaffung von einheitlichen Formaten eine Antwort auf ökonomische Imperative darstellt, die nicht zuletzt eine effizientere Verwertung von Ressourcen gewährleisten sollen. Im Fall der Online-Werbung folgen auf die digitale Wild-West-Manier systematische Wertschöpfungsketten, bei denen auf Basis der Nutzungsdaten personalisierte, einheitlich formatierte Reklame eine maximale Bewirtschaftung persönlicher Aufmerksamkeiten garantiert.
Lobatos Verwendung des Format-Begriffs deckte sich teilweise mit jenem von Lori Emerson. Für Emerson bezeichnet das Format nicht mehr und nicht weniger als den Versuch seitens der Industrie oder staatlicher Akteure einheitliche Standards für die Distribution und Rezeption von Medien durchzusetzen. Hegemonische Netzwerke wie das Internet ließen sich dann unter dieser Rubrik genauso gut fassen wie dessen historische oder materielle Alternativen. In einem nächsten Schritt hob sie die Rolle von Laboratorien hervor, die einerseits selbst Standardisierungen unterliegen und andererseits daran beteiligt sind selbige hervorzubringen. Als Beispiel und gleichzeitig als Versuch den Imperativen der Standardisierung zu entgehen führte sie das von ihr geführte Media Archeology Lab an der University of Boulder ins Feld, in dem es nicht so sehr darum geht eine irgendwie geartete teleologische Erzählung von Medien zur Schau zu stellen, sondern ein experimentelles Setting zu erzeugen in dem die zur Verfügung stehenden Geräte zu jedwedem Zweck genutzt und bespielt werden können.
Gegen Ende des zweiten Tages wurde das Format der Tagung durch ein anderes Format unterlegt. Auf dem gleichzeitig stattfindenden Weihnachtsmarkt trat eine Live-Band auf, die mit unermüdlichem Eifer internationale Weihnachtslieder zum Besten gab. Trotz dieser etwas merkwürdigen Untermalung, die allerdings nicht weiter störte, gelang es Monika Dommann die Diskussion um Formate noch einmal in eine ganz andere Richtung zu führen. Historische Frachtbriefe, deren Funktion es war die Fracht selbst in die visuelle Grammatik von Symbolen, Zahlen und Daten zu übersetzen, bildeten den Ausgangsbefund einer kleinen Kulturgeschichte der Logistik. Bereits im 18. Jahrhundert lässt sich in Bezug auf Frachtbriefe von einem hohen Maß an Standardisierung sprechen. Kleine Herzen, Dreiecke, Kreuze und Initialen verknüpften die Fracht selbst mit dem Frachtbrief und fungierten darüber hinaus als Talismane, die um göttlichen Beistand im Verlauf des Transports baten. Noch einmal trat der «Ursprungsmoment» des Formats, also die Faltung von Papierbögen, in Erscheinung. Wann immer die zu transportierende Fracht den Besitzer wechselte konnte der jeweilige Frachtbrief geöffnet und konsultiert werden, weswegen er immer zweimal gefaltet wurde. Frachtbriefe stellen für Dommann «strong formats» dar, da sie neben ihrer deskriptiven, bzw. abstrahierenden Funktion gleichzeitig das zwischen Absender, Fuhrunternehmen und Empfänger bestehende Vertragsverhältnis kodifizieren. Diese Normierung der Frachtbriefe existierte lange vor irgendwelchen legislativen, d. h. nationalstaatlichen Maßnahmen zur Regelung des nationalen und internationalen Frachtverkehrs. Für Dommann ein weiterer Hinweis auf die regulatorische Potenz von Formaten.
Nach den Materialsichtungen der vergangenen Tage schien es im letzten Block eher um Introspektion zu gehen. Nun stand die Frage im Vordergrund inwieweit Formate in die akademische Praxis beziehungsweise in den akademischen Alltag hineinwirken. «This is a bit of rant» warnte Jennifer Horne und begann mit einer Anekdote: Vor etwa einer Woche habe sie versucht in einem Kurs zur Geschichte des US-amerikanischen sozialkritischen Films Spike Lee’s Chiraq zu zeigen, den sie (in weiser Voraussicht) sowohl als DVD als auch als Blu-Ray-Disc aus der Bibliothek geordert hatte. Die Blu-Ray Version wurde erwartungsgemäß nicht erkannt, die DVD kam zum Einsatz. An dieser Anekdote technischen Versagens ließe sich beobachten wie der universitäre Vorlesungssaal selbst als Format in Erscheinung trete, der wiederum durch seine strukturellen Eigenschaften den Lehrinhalt formatiere. Den Studierenden sei die Nicht-Abspielbarkeit der Blu-Ray Version überhaupt nicht aufgefallen und genau darin lag für Horne das Problem. Das Format «Lecture Hall» verhindere, dass das Format «HD-Blu-Ray» in ihm vorkomme derart selbstverständlich, dass man es nicht einmal bemerkt.
Kalani Michell schloß ihren Vortrag und die Tagung mit einem kritischen Apell. Vor einiger Zeit habe die Society for Cinema and Media Studies ihre Mitglieder dazu aufgefordert über eine Neu-Benennung der von der Gesellschaft herausgegebenen Zeitschrift, das Cinema Journal, zu beraten. Der im Raum stehende Vorschlag lautete die Zeitschrift in Analogie zur Gesellschaft selbst in Cinema and Media Journal umzubenennen. Die Debatte verlor sich alsbald im Unbehagen. Wie eine Zeitschrift benennen über deren disziplinäre Grenzen es offenbar wenig Konsens gibt? Diese Anekdote erlaubte es die im Verlauf der Tagung stellenweise etwas zu breit geführte Diskussion um Formate noch einmal auf ein handfestes Problem zu konzentrieren.
Ein mögliches Fazit der Tagung könnte lauten, dass es sich bei Formaten um Lösungen handelt die gleichzeitig Probleme sind. Dasselbe gilt letztlich auch für das Formblatt der H/SOZ/KULT. Die Vorlage übersetzt das Problem einen Bericht zu verfassen in eine Reihe von nachvollziehbaren Anweisungen. Gleichzeitig wird an ihm eine Problematik sichtbar die notwendigerweise jedem Format anhaftet: Warum so und nicht anders?
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