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Lala Meredith-Vula, aus der Serie «Blood Memory», 1990 (documenta 14)

Lala Meredith-Vula, aus der Serie «Blood Memory», 1990 (documenta 14)

GAAAP_ The Blog

Dein Körper existiert nicht

Die documenta 14 ist zu Ende, von Kathrin Peters

1.10.2017

Die documenta gehört sicher zu den schlechtgeredeten Ausstellungsformaten. Sie ist immer nicht gut genug gemessen an dem, was man von ihr doch schließlich erwarten könnte. Aber dieses Mal war es besonders schlimm: «Zu viel Politik, zu wenig Ästhetik» war der Tenor. So titelte auch die Münstersche Zeitung zu den letzten Tagen der documenta 14 – ein bisschen hämisch, denn die Skulptur-Projekte Münster, die auch dieser Tage zu Ende geht, mögen alle: Eine übersichtliche Anzahl von Positionen, die sich nicht in die Quere kommen; man kann an Spätsommertagen durchs Wasser waten und sich ein Tattoo stechen lassen. Das scheint näher an dem zu sein, was ästhetische Erfahrung heißen kann, und ist ja auch wirklich gut und schön. In Athen/Kassel war Unübersichtlichkeit Programm, schon allein wegen der Streuungen und Wiederholungen über beide Orte hinweg, und wo es Erfahrungs- oder Erlebnisorte hätte geben können, missrieten sie.1

Aber das hat noch nichts mit Politik ‹oder› Ästhetik zu tun. Warum beide sich nicht wechselseitig ausschließen, ließe sich noch einmal mit vielen Referenzen darlegen, nicht nur an eine Lokalzeitung gerichtet, sondern auch an die überregionalen Feuilletons der Zeit und FAZ,2 aber auch an die taz und Teile der Kunstkritik,3 die «politisch» ja eher gut finden, aber trotzdem gegen «das wahllose Potpourri vom Postkolonialismus über die Migration bis zur Genderidentität» (Ingo Arend, in: taz, 7.6.17) waren oder die Rede vom Haupt- und Nebenwiderspruch bemühten, die sich angesichts Athen/Kassel wohl aufdrängte. Interessanter als der Versuch einer prinzipiellen Klärung ist aber wohl die Frage, wie es überhaupt kommt, dass ausgerechnet eine Ausstellung, die ja kaum mit thesenhafter oder aktivistischer Kunst auftrat und auch von kuratorischer Seite kein Manifest oder Book of Books vorlegte, den Vorwurf einfing, nun aber wirklich zu politisch zu sein.

Mir kam das vor wie ein Missverständnis, ich hielt und halte dagegen: Habt Ihr denn nicht die Fotografien von Heuhaufen gesehen, die Lala Meredith-Vula auf ihren Reisen seit den 1990ern durch den Kosovo gemacht hat, den Blick dabei wie festgestellt auf dieses fast schon beruhigende Motiv der Moderne? So viel kluger kunstimmanenter Bezug!4 Habt Ihr nicht diesen dichten Erzählstrang in der Neuen Galerie verfolgt, der von den Lazarett-Zeichnungen Cornelia Gurlitts über ein Pferde-Gemälde Max Liebermanns – einem Freund der früh verstorbenen Schwester des NS-Kunsthändlers – zu David Schutters Papierarbeiten führte, die Liebermanns Strich aufgreifen, und überleitete zu Yael Davids’ Holz-Glas-Installation, die wiederum Cornelia Gurlitt Reverenz erwies? A Reading That Loves – A Physical Act heißt die Arbeit Davids’ und das beschreibt ziemlich gut, was mir durch diese Lektüre, in diesen Räumen widerfahren ist. Habt ihr nicht die kleinen, farbigen Papiercollagen von Elisabeth Wild gesehen5, die sich mit den Webbildern von Computerchips verbanden, die Marielou Schultz ganz woanders gemacht hat? Habt Ihr Gauri Gills teils dokumentarischen, teils inszenierten Fotografien des ländlichen Indiens bemerkt, die dem recht abgegrasten Feld der zeitgenössischen Fotografie etwas ganz Unerwartetes hinzufügen?

Solche Reihen könnte ich lange fortsetzen und vielleicht kommt man von hier aus darauf, was die vehemente Abwehr auslöste. Denn es geht kaum darum, dass ein paar Schwarze und queere künstlerische Positionen mit von der Partie sind, was in der Gegenwartskunst keine Frage ist (nur, wie viele Positionen dürfen es sein?).6 Das geht in Ordnung, solange das Narrativ abgeschlossener Arbeiten oder Werkkomplexe aufrecht erhalten bleibt, solange nicht an der Logik der Filiation, wie sie an (westlichen) Ausbildungsstätten nach wie vor regiert, gerüttelt wird, mit all ihren Selektions- und Unterstützungssystemen; solange etwas ‹professionell› aussieht, was ja heißt, dass auf bestimmte Produktionsmittel selbstverständlich Zugriff genommen werden kann.

Die documenta 14 hat über weite Strecken diese Narrative und diese Logiken suspendiert und vermutlich war das ihr Skandalon: Es war eine Ausstellung der Verknüpfungen und entanglements, eine Ausstellung der kleinen Formen, die ineinander greifen, sich überlagern, unabgeschlossen blieben. Sie erzählte von abgebrochenen Karrieren, die vielleicht gar keine Karrieren waren, was ja insbesondere bei Künstlerinnen ein häufiger Fall ist. Es war eine Ausstellung, die nirgends aus dem Blick verlor, dass die Bedingungen, unter denen Kunst produziert oder unter denen etwas als Kunst anerkannt wird, nicht irgendein ‹Kontext› sind, für den man sich interessieren kann oder nicht, sondern dass diese Bedingungen aus den Arbeiten einfach nicht herauszuhalten sind. Meint man es ernst mit den partialen Perspektiven7, aus und in denen jede Kunst entsteht, und setzt man sich der Frage nach den impliziten Qualitätsmaßstäben von Gegenwartskunst tatsächlich aus (wie es das Fridericianum tat) – dann sieht das so aus, wie es in Kassel und in Athen aussah. Es geht dann nicht allein um Themen, die den einen zu politisch, den anderen nicht politisch genug sind. Die Struktur einer Ausstellung und damit die Ordnung der Kunst sind, worum hier gestritten wird. Das ist am Ende ein Streit ums Ästhetische.

  • 1Am Kasseler Friedrichsplatz, ein Ort, der schon aufgrund vorheriger Bespielungen eine Setzung einfordert, war der Parthenon of Books eine zwar riesige, aber recht durchsichtige, fast windige Konstruktion – was man als zerpflückte Monumentalität wieder gut finden kann. Auch die aufgeblasene Projektion von Theo Eshetu in Kassel hat im Vergleich zur Athener Variante einiges an Überzeugungskraft eingebüßt. Siehe hierzu Julian Bauer: Fragmentarischer Istzustand, in: wissenderkuenste.de, #6 (August 2017).
  • 2Besonders Hanno Rauterberg hat sich weit aus dem Fenster gelehnt: warum Münster besser ist als Kassel (Zeit, 13.6.17) und ein Rundumschlag zu «politisch korrekter Kunst» (Zeit, 26.7.17), dem ewigen Vorwurf der Konserverativen. Catrin Lorch von der SZ hat das anders gesehen, hier und, auch angesichts der Schulden, die Kassel jetzt in Athen hat, hier.
  • 3Z.B. Susanne von Falkenhausen: Get Real, in: Frieze, 188, 2017.
  • 4Korrespondierend in Athen: großformatige Abzüge von Fotografien Meredith-Vulas, die Versammlungen zeigen, in denen jahrhundertlange Blutfehden beigelegt wurden.
  • 5Siehe hierzu meinen Online-Beitrag: Indem man immer wieder auf dasselbe zurückkommt, stößt man immer wieder auf anderes, in: wissenderkuenste.de, #6 (August. 2017)
  • 6Für ziemlich viele schon haben die Co-Kurator_innen Paul Beatriz Preciado und Bonaventure Ndikung gesorgt.
  • 7In Anspielung auf Donna Haraway, die auch warnt vor «the danger of romanticizing and/or appropriating the vision of the less powerful while claiming to see from their positons» (S. 178). Ich bin mir nicht sicher, ob die documenta 14 dieser Gefahr an jeder Stelle entgangen ist. Donna Haraway: Situated Knowledges, in: The Science Studies Reader, hrsg. v. Mario Biagioli, NY/London 1999, S. 172–188.

Bevorzugte Zitationsweise

Peters, Kathrin: Dein Körper existiert nicht. Die documenta 14 ist zu Ende, von Kathrin Peters. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/dein-koerper-existiert-nicht.

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