Cosmopolitan Cinema
Arts and Politics in the Second Modernity
Die internationale Konferenz Cosmopolitan Cinema. Arts and Politics in the Second Modernity, hatte zum Ziel, die Figur des Kosmopoliten und Weltbürgers, der überall und ohne feste Bindung an eine Nation oder Kultur zu Hause ist und der in den letzten Jahren vor allem in der Soziologie, Politik, Geschichts- und Rechtswissenschaft verstärkt diskutiert wurde, in den Kontext der Künste und insbesondere des Kinos zu rücken. Das Kino als Ort gesellschaftlicher Weltenentwürfe, so die Annahme der Veranstalter_innen, kann selbst zum kosmopolitischen Akteur im globalen Netz von Bewegungs- und Entwicklungsströmen der Moderne werden und eine ganz eigene Vision und Utopie einer Weltgesellschaft entfalten. Auf welche Weise der Begriff des kosmopolitischen Kinos – vor allem in Erweiterung und Modifikation anderer Konzepte wie denen des Third Cinema, Transnational Cinema, Diasporic Cinema, World Cinema, Accented Cinema usw. – etabliert werden kann, war eine der wesentlichen Fragen der Konferenz.
Ein produktiver Einstieg bot sich gleich zu Beginn der Tagung mit einem Roundtable, an dem Maria Rovisco (Leicester), Daniela Berghahn (London), Lucia Nagib (Reading), Matthias Christen (Bayreuth), Guido Rings (Cambridge), Kathrin Rothemund (Bayreuth) und Oliver Fahle (Bochum) teilnahmen und der zunächst unterschiedliche Konzepte eines weltweit zirkulierenden Kinos wie des Diaspora-, Migrations- oder Welt-Kinos sowie theoretische Strömungen (Postcolonial Theory, Cultural Studies) in den Fokus rückte. Ein einheitlicher Masterdiskurs eines Cosmopolitan Cinema konnte zwar nicht ausgemacht werden, doch wurde das Feld abgesteckt und die Brisanz und Notwendigkeit eines derartigen Diskurses deutlich. Auch die Relation von (Zweiter) Moderne und Kosmopolitismus, insbesondere in kinematographischer Hinsicht, wurde thematisiert.
Im Anschluss an den Roundtable folgte Magdalena Nowickas (Berlin) Keynote mit dem Titel Cosmopolitan Transcendings. Darin gab sie einen Überblick über die historisch-konzeptuelle Entwicklung des Kosmopolitismus, der von der griechisch-römischen Philosophie bis zum sogenannten cosmopolitan turn Anfang des 21. Jahrhunderts reicht. Im Mittelpunkt standen die Ideen des trespassing, transgressing und transcending. Nowicka plädierte für eine kosmopolitische Öffnung und brachte das Konzept der Interdependenz ins Spiel, das eher aus soziologischer als aus kultureller und geographischer Perspektive argumentiert.
Das anschließende Programm bot mit acht thematischen Panels und 24 Vortragenden Beiträge unterschiedlichster Art, die aus diversen Disziplinen (Soziologie, Philosophie, Film-, Kunst-, Medienwissenschaft, African Studies, Game Studies etc.), theoretischen Standpunkten (Deleuze, Derrida, Bourriaud, Said, Bhabha etc.) und nationalen Kinematographien (Afrika, Türkei, Brasilien etc.) argumentierten; es wurde nicht nur Begriffs- und Konzeptarbeit im Feld zwischen Kosmopolitismus, Moderne und Kino geleistet (Susanne Lachenicht, Ute Fendler, Matthias Christen, Oliver Fahle), sondern auch die Geschichte, Theorie und Ästhetik des Kinos und anderer (film-)medialer Formen – etwa von Installationen und Ausstellungen (Wolf-Dieter Ernst, Rania Gaafar), Grafiken (Alena Strohmeier) oder Computerspielen (Jochen Koubek und Stefan Werning) – in den Blick gerückt. Der Fokus lag sowohl auf Filmgenres wie Komödien oder afrikanischen Science-Fiction-Filmen (Daniela Berghahn, Henriette Gunkel), Filmfiguren wie Terroristen und Touristen (Kathrin Rothemund, Janine Wahrendorf), historisch-epistemischen Abhandlungen (Daniela Berghahn, Savas Arslan) als auch auf ästhetischen Filmanalysen (Martin Schlesinger, Karl Sierek, Maria Rovisco, Lucia Nagib). Auch wurden Fragen der Rezeption, Produktion und Distribution gestellt, im Hinblick auf Festivals, Förderungen und Krisengebiete (Skadi Loist, Deborah Shaw, Yael Friedmann). Begleitet wurde das breite Vortrags- und Diskussionsprogramm von einem Filmscreening mit anschließendem Regiegespräch. Der Dokumentarfilm DramaConsult (D 2012, Dorothee Werner) erzählt von drei Nigerianern, die nach Deutschland reisen, um dort Geschäftsbeziehungen in der Immobilien, Schuh- und Automobilbranche aufzubauen.
Trotz des vielfältigen Programms konnten die Einzelvorträge nicht jene Intensität und Spannung aufrechterhalten, die während des Roundtables zu Beginn der Konferenz herrschte. Die unterschiedlichen Perspektiven und Denktraditionen bereicherten einander zwar und brachten unterschiedliche Wissenschafts- und Denktraditionen in Berührung, dennoch verfestigten sich mitunter auch disziplinäre Grenzen. Am stärksten war die Tagung in jenen Vorträgen und Diskussionen, welche die Relation zwischen Kosmopolitismus und Kino selbst zum Thema machten und diese nicht nur im Kontext von Narration und Repräsentation, sondern auch und vor allem in Hinblick auf eine kinematographische Ästhetik diskutierten. Um die Visionen und Weltentwürfe eines kosmopolitischen Kinos zu verstehen, so die Leitthese der Veranstalter_innen, müssten sowohl Fragen der ästhetischen Form wie auch der Denk- und Wahrnehmungsmodalitäten des Kinos gestellt werden, insbesondere auch hinsichtlich des Einflusses des Kinos auf die Welt; nur so könne einem spezifisch kinematographischen Kosmopolitismus nachgespürt werden; indem man auf die besonderen Bedingungen und Eigenschaften des Mediums fokussiert, könne der kinematographische Beitrag zum Kosmopolitismus herausgearbeitet werden.
In diesem Kontext wäre es hilfreich gewesen, Raum-Zeit-Theorien intensiver zu diskutieren. Paradoxerweise wurde zwar das Konzept der (Zweiten) Moderne angesprochen, auch hinsichtlich der historischen Entwicklung des Kinos, gleichzeitig aber wurde wenig über (non-lineare oder non-evolutionäre) Zeittheorien gesprochen — ebenso wenig, wie Raumkonzepte oder Netzwerktheorien (zum Beispiel Serres, Latour etc.) thematisiert und für die filmische Analyse fruchtbar gemacht wurden. Dies wäre jedoch gerade in Hinblick auf das Verhältnis von Film, Welt und Kosmopolitismus produktiv gewesen. Auch der Begriff der ‹Utopie›, den Matthias Christen gleich zu Beginn der Konferenz im Kontext des Katastrophenfilms einführte, wäre ein guter theoretischer Anknüpfungspunkt für weitergehende Gedanken zu kosmopolitischen Weltvisionen des Kinos gewesen.
Die Tagung gab dennoch einen guten Überblick über den Zusammenhang zwischen Kino und Kosmopolitismus und unternahm erste Schritte in Richtung einer Konzeptionalisierung und Etablierung des Begriffs. Wobei, wie die Veranstalter_innen am Ende der Tagung resümierten, trotz oder gerade wegen der zahlreichen unterschiedlichen Konzepte und Filme, die während der Tagung zirkulierten, (noch) keine Definition eines Cosmopolitan Cinema abzusehen sei. Dennoch aber konnten das Feld und die Potentiale eines solchen Kinos vermessen und eine Diskussion initiiert werden, die sich zwischen historischen Konzepten und analytischen Kategorien bewegt. Kosmopolitismus ist, so eines der Resümees der Tagung, immer eine Frage der Skalierung; eine Frage danach, wie wir uns selbst in der Welt sehen und verorten und wie wir diese Position reflektieren; und es ist eine Frage des Außerhalb, eine Frage von Visionen und Utopien, die in, mit und durch das Kino wirksam werden können.
Juli 2014
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