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Onlinebesprechung

Medientheorie der Globalisierung

1.4.2020

Ivo Ritzer: Medientheorie der Globalisierung. Wiesbaden (Springer VS) 2018

In seinem viel diskutierten Buch Postkoloniale Theorie und das Gespenst des Kapitals, das 2013 auf Englisch und 2018 in deutscher Übersetzung erschien, wirft der in New York lehrende Soziologe Vivek Chibber den Postcolonial Studies eine «Verschleierung des Kapitalismus», einen neuen Orientalismus und mithin eine heimliche Affirmation eben jener Mächte vor, gegen die sich diese Theorieschule eigentlich wendet.1 Anders als von einigen zentralen Theoretiker_innen der Postcolonial Studies angenommen, sei der Kapitalismus, so Chibber, durchaus nicht auf eine Homogenisierung oder ›Verwestlichung‹ globaler Kultur angewiesen. Die vor allem von den Vertreter_innen der Subaltern Studies proklamierte Widerständigkeit ehemals kolonisierter Kulturen sei daher auch keineswegs Ausdruck einer ‹anderen› Moderne, die vom Kapitalismus unabhängig sei, sondern stelle nur einen anderen Phänotyp des globalen Kapitalismus dar. Das Buch, das vor allem in den USA von Vertreter_innen der kritisierten Denkrichtung scharf kritisiert wurde, offenbart eine Spaltung linker Theoriebildung, die inzwischen vielerorts an Sichtbarkeit gewinnt. Stark vereinfacht steht dabei die tendenziell partikularistische Schule der Postcolonial Studies, die den Meta-Narrativen der Moderne eine lokale Geschichtsschreibung ‹von unten› entgegenzusetzen versucht, einer im Grunde marxistisch argumentierenden, universalistischen Linken gegenüber, welche Kapitalismus und Globalisierung für unhintergehbare Ausgangspunkte jeden linken und auch postkolonialen Denkens erklärt

Das Projekt einer Medientheorie der Globalisierung«, deren Prolegomena der Bayreuther Medienwissenschaftler Ivo Ritzer nun – etwas überraschend in der Reihe «Medienwissenschaft: Einführungen kompakt» – bei Springer VS veröffentlicht hat, kann als ein ambitionierter Versuch gelesen werden, in diesen Konflikt aus medienwissenschaftlicher Sicht zu intervenieren. Die beiden ersten Kapitel des 140 Seiten schmalen Bandes sind dabei dezidiert theoretischer Natur und widmen sich vor allem dem Kapitalismus als treibender Kraft der Globalisierung, der durch Medien- und Kommunikationssysteme einerseits gestützt, andererseits in regional und kulturell unterschiedlichsten Formen auch denk- und repräsentierbar gemacht wird. Ritzer positioniert sich in der angedeuteten Debatte, indem er – ebenso wie Chibber – eine universelle Theorie der Globalisierung einklagt, den lokalen Ausdrucks- und Reflexionsweisen jedoch gleichwohl eine emanzipatorische Kraft zuspricht. Diese besteht nicht zuletzt in der orientierenden Leistung spezifischer medialer Formen, die die globalen Verhältnisse immer aus einer konkreten lokalen Position heraus perspektivieren:

«So verschieden sich die betreffende kapitalistische Entwicklung in ihren jeweiligen Kontexten erweisen mag, so wird im vorliegenden Band aber doch argumentiert, dass abweichende Geschichte[n] der Modernisierung nichtsdestotrotz eine kollektive Erfahrung erzeugen, die den globalen Süden und den globalen Norden verbindet. [...] Als Vermittlungsinstanz zwischen kapitalistischer Form und lokalem Material kann Medialität gelten als Lieferant kognitiver Karten für Menschen, die zum einen ihr Verständnis vom In-der-Welt-Sein formen als ihnen zum anderen auch Mittel bieten, um mit den Realitäten kapitalistischer Modernität umzugehen.» (14f.)

Die beiden darauffolgenden Kapitel thematisieren beispielhaft filmische Werke, in denen die widerständige Kraft des Partikularen spürbar wird, ohne dass die Hervorhebung der Lokalität dabei auf identitäre Abgrenzung zielen würde. Sind in der ersten Hälfte des Buches unter anderem McLuhan und Marx, Badiou und Jameson zentrale Referenzen, geht es in den Analyse-Kapiteln mithin eher mit Deleuze und Guattari, aber auch mit stark autoreflexiven Vertretern des Postkolonialismus – etwa Kwame Anthony Appiah – um «Formen kosmopolitischer Multiplizität, die über nativistische Ideen von postkolonialer nationaler Einheit und Identität hinaus gehen» (S. 77). Eine konsequente Reflexion des eigenen Standpunkts müsse sich mit einer Suche nach dem Gemeinsamen im Unterschiedlichen verbinden, ohne diese Unterschiede dabei einzuebnen oder in Hierarchien zu überführen. Beispiele einer solchen Perspektive lassen sich vor allem anhand des immer schon gleichzeitig globalisierten wie lokal verankerten Kinos demonstrieren.

Es ist Ritzer mithin um eine Vermittlung von marxistischer und postkolonialer Kritik zu tun. Gerade eine medientheoretische Perspektive erscheint ihm dafür als besonders geeignet: Als «Permanenz der Transgression», so beginnt Ritzer seine Reflexion in der Einleitung, ist ein global operierender Kapitalismus insbesondere von «kommunikativer und medialer Qualität» (S. 5). Indes können mediale Formen nicht allein als Ausdruck kapitalistischer Expansion verstanden werden (wie Ritzer betont, war dies auch in der marxistischen Theoriebildung nicht der Fall); sie geben Kultur vielmehr die Möglichkeit, lokal «auf ihren globalisierten Rahmen» zu reagieren (S. 6). Mit Bruno Latour plädiert Ritzer daher am Ende der Einleitung für eine Perspektive, die Globalität und Lokalität nicht als Gegensätze konzipiert und auch keine Entscheidung für eines der Paradigmen erzwingt, sondern ihre stetige Vermittlung durch mediale Aktanten in den Blick nimmt: «Was würde geschehen», so zitiert Ritzer Latour, «wenn wir jeglichen Bruch und Riß verbieten würden und allein Krümmungen, Streckungen und Komprimierungen erlaubten?»2

Das anschließende Kapitel, das den theoretischen Hauptteil des Buches darstellt, baut auf dieser Fragestellung auf. Seinen Ausgangspunkt nimmt es in McLuhans «Implosion der Welt in das zentrale Nervensystem des Menschen» (S. 20), womit der Fokus dezidiert auf das Verhältnis von Globalisierung und Medialisierung gelenkt wird. Wie schon Marx, so beantworte auch McLuhan nicht die Frage nach den ästhetischen Formen des Medialen, die die globalisierte Kultur prägen – und die weder als «autonom sich entwickelnde Entitäten» noch als «bloße Effekte ökonomischer Prozesse» (S. 23) verstanden werden könnten. Ritzer diskutiert im Folgenden eine Reihe von Theoretikern, die sich diesem Verhältnis gewidmet haben: Ausgehend von den Überlegungen zu den Möglichkeiten einer medienästhetischen Ideologiekritik bei Althusser, Marcuse und Gramsci führt der Weg zunächst zu Raymond Williams und dann zu Stuart Hall, der durch den Blick auf die Kulturen des globalen Südens eine «Dekonstruktion der Zuschreibung von Zentrum und Peripherie» (S. 28) vornimmt und mediale Repräsentationen von Identität und Kultur nicht als mimetische Abbildungen, sondern als Spielfeld performativer Sinngenese versteht, wodurch er ihnen letztlich einen wirklichkeitsgenerierenden Charakter attestiert.

Halls Aufwertung des Repräsentationsbegriffs ist Ritzer allerdings immer noch nicht medienspezifisch genug, weshalb er seine Suche bei Deleuze und Guattari fortsetzt. Indem Ästhetik hier als Form der Philosophie eigenen Rechts etabliert wird, lassen sich insbesondere filmische Bilder als «irreduzible Interventionen» (S. 33) denken, die gegenüber den Dimensionen des Globalen wie des Lokalen eine Eigenständigkeit bewahren. Nach Badiou hat wahre Ästhetik dabei nur in einer radikalen Verweigerung der Repräsentationsregime des Nordens ihren Platz, während sie bei Jacques Rancière, so Ritzer weiter, auf eine Neuaufteilung des Sinnlichen und damit eine Veränderung von – auch medial installierten – Wahrnehmungsstrukturen zielt. Kritisch sieht Ritzer die Weltliteratur-Theorie Morettis, die in der Binarität von globalem Norden und globalisiertem Süden, Zentrum und Peripherie gefangen bleibe. Ihr hält Ritzer abschließend Fredric Jamesons dialektische Vermittlung von Medialität und Globalisierung entgegen, die – vor allem im Konzept des cognitive mappings – zugleich eine komplexe Vermittlung von Lokalität und Globalität ermögliche: «Mediale Objekte funktionieren als eine heuristische Karte sozialer Konstellationen, die gerade über die individuelle Fassungskraft hinausgehen.» (S. 46)

Ritzers tour de force durch verschiedene Ansätze der politischen Theorie sowie der Medientheorie mag streckenweise den Charakter einer Einführung besitzen, ist jedoch treffender wohl als tatsächliche Suchbewegung zu charakterisieren, die unterschiedliche Denkansätze und -traditionen als Antworten auf die eingangs formulierte Problemstellung zu lesen sucht. Die folgenden beiden Kapitel widmen sich daraufhin konkreten Beispielen ‹glokaler› Filmästhetik: der südafrikanischen Produktion Con Game (2014) als Beispiel einer filmischen Auseinandersetzung mit Urbanität, und einer Reihe von außerasiatischen Adaptionen des Martial-Arts-Genres als Beispielen einer «deterritorialisierten Appropriation» (S. 85) medialer Formate. Die Analysen enthalten einführende Passagen zu thematischen Komplexen wie etwa den afrikanischen Metropolen, zu weiteren Theoretikern – etwa Appadurai – sowie zum World Cinema, das als Konzept egalitärer Vielfalt verstanden wird: Hollywood erweist sich aus dieser Perspektive nicht als zu bekämpfende Hegemonialmacht, sondern als ein Kino unter vielen.

An den Filmen selbst arbeitet Ritzer die Charakteristika einer Ästhetik der Präsenz heraus, die sich im Falle von Con Game durch einen tendenziell vorsemantischen, rauschhaften Überfluss kennzeichnet, welcher die Handlungsebene des Films beständig unterläuft. Im Falle der Martial-Arts-Filme, hier vor allem der ebenfalls südafrikanischen direct-to-video-Produktion Lethal Ninja (1992), wird hingegen ein unvermitteltes Nebeneinander heterogener, sowohl lokaler als auch globaler Formen und Motive inszeniert – etwa: Ninjas mit Maschinengewehren. Hier wie dort geht es nach Ritzer darum, «den vermeintlichen Universalismus ökonomischer und kultureller Strömungen der Globalisierung» ebenso zu dekonstruieren wie alle «Vorstellungen von Authentizität und Reinheit» regionaler Identität (S. 122). An ihre Stelle tritt eine Vielheit anderer Art, die durch einen «polyzentrischen Blick» (S. 127) erzeugt wird und entschieden dialogisch operiert

Das Schlusskapitel situiert nicht nur Ritzers eigenen Theorieentwurf, sondern (Medien-)Theoriebildung insgesamt noch einmal im Spannungsfeld von globaler Problemlage und kultureller Situiertheit. Erneut plädiert Ritzer für eine Vermittlung der Perspektiven, für eine Medientheorie «am Scheitelpunkt des Lokalen und des Globalen» (S. 130). Auch darüber hinaus muss eine globalisierte Medienwissenschaft, wie Ritzer im Verlauf des Buches immer wieder deutlich macht, vieles zusammendenken: Es hat ihr um nicht weniger als «die historischen, ökonomischen, ideologischen und kulturellen Implikationen transnationaler Verflechtungen zu gehen, die sowohl Produktion als auch Rezeption medialer Objekte bedingen.» (S. 92) Das ist ein zwar gut begründeter, aber auch sehr umfassender Anspruch, angesichts dessen sich zuweilen die Frage stellt, wie in der Synthese der unterschiedlichen Ansätze und Prämissen überhaupt eine klare Perspektivierung hergestellt werden kann. Vor dem Vorwurf, diesen Anspruch selbst auf 140 Seiten noch nicht abschließend eingelöst zu haben,3 sollte Ritzers Buch allerdings in Schutz genommen werden: Seine nicht gering zu schätzende Leistung besteht in einer kenntnisreichen Befragung einer großen Zahl existierender Theorieangebote, die erst systematisch nach ihrem Vermittlungspotenzial im Rahmen der aufgeworfenen Problematik abgeklopft, dann teilweise mit konkretem filmischen Material in Dialog gebracht werden. Auf diese Weise vermag Ritzer überzeugend Ausgangspunkte einer Medientheorie der Globalisierung zu entwerfen, die freilich auch von der Passgenauigkeit der ausgewählten Beispiele getragen werden.

Ritzers Studie kennzeichnet sich durch eine besondere Vorliebe für die dialektische Theorie Jamesons sowie für Theoreme egalitärer Differenz, wie sie sich in ganz unterschiedlicher Form etwa bei Latour und Deleuze/Guattari finden. Im Rahmen seiner Fragestellung erscheint seine Hervorhebung dieser Ansätze durchaus nachvollziehbar; der breite Horizont der insgesamt ins Spiel gebrachten, oftmals notgedrungen summarisch abgehandelten philosophischen Werke und Schulen wirft allerdings die Frage auf, inwiefern diese im Rahmen einer «Theorie planetarischer Medialität» (S. 130) tatsächlich produktiv zusammengedacht werden können –  Bruchlinien jenseits der eigenen Problemstellung, etwa jene zwischen Marxismus und Poststrukturalismus, finden in der Studie nur am Rand Berücksichtigung. Indem Ritzer all diese unterschiedlichen Ansätze gleichwohl einbezieht, wird er auf der anderen Seite jedoch gerade seinem eigenen, pluralistischen Anspruch gerecht. Dieser besteht – noch einmal – darin, eine komparative Medienwissenschaft vorzubereiten, die auf «Theoriebildung unterschiedlicher kultureller und historischer Traditionen» Bezug nimmt, um «im partikulären Universalismus des Denkens einen produktiven Dialog zu eröffnen» (S. 129).

  • 1Vgl. Chibber, Vivek: Postkoloniale Theorie und das Gespenst des Kapitals, Berlin: Dietz 2018, S. 357.
  • 2Latour, Bruno: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007, S. 300.
  • 3Vgl. Kübler, Hans-Dieter: Ivo Ritzer: Medientheorie der Globalisierung. In: MEDIENwissenschaft: Rezensionen | Reviews, Jg. 36 (2019), Nr. 2, S. 131–132. DOI: https://doi.org/10.17192/ep2019.2.8113.

Bevorzugte Zitationsweise

Pause, Johannes: Medientheorie der Globalisierung. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Onlinebesprechung, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/besprechung/medientheorie-der-globalisierung.

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