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GAAAP_ The Blog

Angriffe auf die Freiheit von Forschung und Lehre im aktuellen Wahlkampf

Statement der AG Gender/Queer Studies und Medienwissenschaft

19.2.2025

Die AG Gender/Queer Studies und Medienwissenschaft schließt sich einem Netzwerk von Geschlechterforscher*innen an, das zur Verteidigung der Wissenschaft in Forschung und Lehre im aktuellen Wahlkampf aufruft. Das Statement, auf dem auch unsere Stellungnahme beruht, wurde über die Fachgesellschaft Geschlechterstudien erstveröffentlicht und findet sich hier.


Wir beobachten derzeit eine Zuspitzung langjähriger Angriffe auf unser Arbeits- und Forschungsfeld. Diese verstoßen gegen die in Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes verankerte Wissenschaftsfreiheit, eine grundlegende Säule der bundesdeutschen Verfassung. Am 18. Januar 2025 kündigte Alice Weidel auf dem Parteitag der AfD an, dass eine Regierung unter ihrer Führung alle Einrichtungen der Gender Studies schließen würde. «Wir schmeißen alle diese Professoren raus», so Weidel. Wir nehmen diesen angekündigten Verfassungsbruch zum Anlass, uns zur politischen und gesellschaftlichen Lage zu äußern. Institutionen und Akteur*innen aus Wissenschaft und Gesellschaft rufen wir auf, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen und sich mit uns sowie anderen bedrohten Wissenschaftler*innen solidarisch zu zeigen. Wir erachten den Angriff auf die Gender Studies als einen Präzedenzfall, der sich auch auf andere wissenschaftliche Disziplinen und Arbeitsfelder ausweitet und der als ein Angriff auf die Grundlagen unseres demokratischen Zusammenlebens verstanden werden muss.


Anfeindungen gegen die Gender Studies sind nichts Neues. Weidels Äußerung ist das (eskalative und konkrete) Ergebnis einer langjährigen Entwicklung (siehe z.B. die Resolution gegen Antigenderismus der Gesellschaft für Medienwissenschaft 2019). Diese wissenschaftsfeindliche Delegitimierung unserer Forschung erfolgt nicht isoliert, sondern geht Hand in Hand mit Diffamierungen von anderen kritischen Wissenschaftsfeldern, etwa den postkolonialen Studien oder der kritischen Migrationsforschung, mit denen wir uns hier ausdrücklich solidarisieren. Weiter fortgeschritten sind Bemühungen zur Unterdrückung von Gender-Forschung bereits in anderen europäischen Ländern wie Ungarn, und sie drohen auch in Österreich. Der Horizont, auf den solche Angriffe zulaufen, zeichnet sich aktuell auch in dem Verbot von Begriffen, insbesondere mit Bezug auf LGBTIQ, im Wissenschaftsbetrieb und in medizinischer Forschung in den USA ab. Der laufende Wahlkampf in Deutschland, in dem polemische und menschenrechtsverletzende Positionen mittlerweile miteinander konkurrieren, ist als Symptom einer autoritären Wende zu betrachten, die nicht losgelöst von einem internationalen populistischen «Kulturkampf» zu verstehen ist. Kritische Formen der Wissensproduktion, wie sie u. a. die Gender Studies entwickeln, werden dabei als Ideologie verunglimpft, weil sie eben tun, was ihre Aufgabe ist: Kritik üben. Sie befragen die Grundlagen der Begriffe und Konzepte, die in dieser Dynamik mobilisiert werden. Diese Kritik hat in den letzten Jahrzehnten entscheidend daran mitgewirkt, dass diskriminierende Ausschlüsse und Gewaltverhältnisse – z.B. gegenüber Frauen, BIPoC, LGBTIQ, Menschen mit Behinderung – als solche benannt und problematisiert wurden. Als kritische Wissenschaftler*innen ist es unsere Arbeit, die Grundlagen und gewaltvollen Effekte patriarchaler und ethno-nationalistischer Forderungen, wie sie aktuell im Aufwind sind, als das zu benennen, was sie sind: misogyn, rassistisch, ableistisch, trans- und queerfeindlich. Wer sich demgegenüber auf Neutralität beruft und fordert, Wissenschaft solle an dieser Stelle unpolitisch sein, fordert eine unkritische Wissenschaft, die sich in ihrer Nicht-Positionierung implizit für die Fortsetzung struktureller Gewalt und Diskriminierung einsetzt. Auch das ist und wirkt politisch.


Die Angriffe auf Gender Studies sind im aktuellen Wahlkampf nicht der einzige Grund für Besorgnis und Kritik aus der Perspektive kritischer, engagierter Wissenschaft, denn sie stehen im Zusammenhang mit weiteren problematischen Forderungen: Die aktuell diskutierten verfassungsfeindlichen Migrationspolitiken, die Einschränkung geschlechtlicher Selbstbestimmung sowie medizinischer Grundversorgung für TIN (trans, inter, nicht-binäre) Personen und die generelle Infragestellung und Rücknahme von Diskriminierungs- und Minderheitenschutz stellen Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens, der Teilhabe und der Menschenrechte in Frage. Sie gehen damit weit über die juristische Institution der Wissenschaftsfreiheit hinaus. Diese ist es jedoch, die es uns erlaubt, solche Entwicklungen und Vorhaben zu analysieren und problematisieren. Wissenschaftsfreiheit bedeutet nicht die fundamentale Trennung von Wissensproduktion und Politik, denn jedes Sprechen und Schreiben ist situiert, sondern den Einsatz für unabhängige, kritische Perspektiven und die Ermöglichung von Zugängen zur Wissenschaft.


Wir verurteilen die Angriffe auf Teilhabe von Minderheiten und Antidiskriminierungs- und Selbstbestimmungsrechte im aktuellen Wahlkampf und die Bedrohung der Wissenschaft – gegenüber einzelnen Forschenden wie auch ganzen Disziplinen. Wir rufen, gerade mit Blick auf die drohende (weitere) Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit und ansteigende Wissenschaftsfeindlichkeit dazu auf, nicht allein gegen den Verlust eines imperfekten Status quo, sondern für eine emanzipative Ausweitung dieser Freiheit zu arbeiten – denn Wissenschaftsfreiheit galt nie für alle gleichermaßen – und sich klar gegen die geschilderten Angriffe und Entwicklungen zu positionieren.
 

Bevorzugte Zitationsweise

AG Gender/Queer Studies und Medienwissenschaft: Angriffe auf die Freiheit von Forschung und Lehre im aktuellen Wahlkampf . Statement der AG Gender/Queer Studies und Medienwissenschaft. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/angriffe-auf-die-freiheit-von-forschung-und-lehre-im-aktuellen-wahlkampf.

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