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Debattenbeitrag

Lang lebe die Hierarchie!

13.5.2016

Da wagt es nach 50 Jahren Grabesruhe an deutschen Universitäten ein vielfach in prekären Verhältnissen gefangener Mittelbau, auf die eigene Situation zu deuten und zu fordern, man möge ihn besser behandeln, da bekommt er gleich zurück, dass er, da noch jung und dumm und vor allem in der Hierarchie untendrunter, von der ganzen Sache nix verstehe, ja sogar wider die eigenen Wünsche handele und sich am Ende gar gegen die noch jüngeren versündige.

Dass nicht jede_r Promovierte eine Professur erhalten kann, ist klar. Dass Habilitierte umsonst lehren müssen, um ihre Venia legendi zu erhalten, ist eine Unverschämtheit. Doch als Grund für den steinigen Weg zur Dauerstelle die Auswahl nur der «Besten» anzuführen, ist bestenfalls eine Fiktion. Die Besetzung von Professuren – und wer anderes behauptet, lügt  – folgt anderen Prinzipien. Ja, es gibt formale Vorgaben, sogar quantifizierbare: vorhandene Abschlüsse, Anzahl und Art der Publikationen, akquirierte Drittmittel. Danach geht es um anderes: Anschlussfähigkeit z. B., und spätestens dann wird aus der Berufung der «Besten» eine Frage der Rhetorik, der Machtverhältnisse in Berufungskommissionen, der persönlichen Beziehungen und Vorlieben, kurz, eine Frage von Strategie und Kräfteverhältnissen (wir können doch sonst unseren Foucault zu jeder Tages- und Nachtzeit aufsagen).

Vielleicht sei eine zu große Förderung von Promovenden der Grund für die «Post-Doc-Blase». Ich sehe eher die Doktorandenblase und eine Notenvergabe, die spätestens das Prinzip der «Besten» ad absurdum führt. Die Doktorand_innen, die durchkommen, lassen den abgeschafften Lehrstuhl leuchten, bringen Geld und Ansehen. Begutachtet wird wechselseitig, wie bei den Ärzten. Lässt du meine durch, schenk ich dir deine. Schlechter als magna und du wirst es merken. Das gleiche gilt für die Begutachtung von Berufungslisten und Forschungsvorhaben. Und selbstverständlich lag nie ein medizinisches Versagen vor, es sei denn, das Bein ist ab. Betreuung ist eine Frage des Einzelfalls, ebenso wie die Schutzpflicht gegenüber Untergebenen. Es gibt Professoren, die aus den Arbeiten ihrer Schutzbefohlenen abschreiben und sie beim ersten Konflikt fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Es gibt auch andere. Stark hierarchisierte Institutionen fördern den Konformismus, egal, ob sie Krupp, WDR oder Universität heißen. Aber ohne Scham so genannte ad personam Zuordnungen von Mitarbeitern gibt es nur an der Universität.

Vor 50 Jahren, als die Hierarchie an den Universitäten an noch mehr Lateinischem und Anzugträgern sich zeigte, die Zahlen aber andere waren, gab es eine Forderung nach Drittelparität. Studierende, Professoren und der Mittelbau sollten gemeinsam über ihre Belange entscheiden. Da passt das Hochschulgesetz aber auf, dass solches niemals eintritt, sollte es überhaupt je wieder geäußert werden. In Skandinavien, um die neoliberale Geografie zu erweitern, kann ein_e Mittelbauer_in ein Institut leiten und bekommt für den Verwaltungsaufwand eine Entschädigung. Hierzulande gibt es befristete Stellen mit 18 Stunden Deputat im Mittelbau, aber keinen Urlaubsantrag für den Professor, der preußisch verbeamtet stets im Dienste von Staat und Wahrheit reist.

Gab es ernsthaften Widerstand gegen den Bologna-Prozess? Gegen die Verbürokratisierung der Hochschulen, die Datenerfassung männlicher Studenten nach 9/11? Mir kam Kritik nur aus den Mündern jener entgegen, die kurz vor der Pensionierung standen und den Nachwuchs herzhaft bedauerten. Die anderen schimpften hinter vorgehaltener Hand und lieferten die Daten an Bertelsmann.

Ach ja, der «Lehrstuhl» wurde keineswegs «abgeschafft», aber der ist so hoch, dass die Beine baumeln und der Blick in Höhen schweifen kann.

Bevorzugte Zitationsweise

Hohenberger, Eva: Lang lebe die Hierarchie!. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Debattenbeitrag, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/debattenbeitrag/lang-lebe-die-hierarchie.

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