Play | Flow | Sea
Ethische und ästhetische Grenzen des Videospiels Survival
Was lernen wir, wenn wir Spiele spielen? Der Bedeutungsgehalt von Spielen ergibt sich sowohl aus den Tönen und Bildern als auch aus den simulierten Prozessen, die in das Spielsystem und in die Spielregeln eingeschrieben sind. Jene, die den Wert von sogenannten Serious Games (‹ernsthafte Spiele›) betonen, schlagen oft vor, dass sie eine besondere Art der Auseinandersetzung mit sozialen Themen bieten, da sie Prozesse der realen Welt ‹erspielbar› machen. Serious Games bieten sich so auch als attraktives Medium für Pädagog*innen an, die ihren Unterricht unterhaltsam gestalten wollen, sowie für Institutionen, die ihre Botschaften in interaktiver Form vermitteln wollen. Der Versuch, die Regeln und Herausforderungen eines Spiels zu nutzen, um soziale Themen anzusprechen, garantiert jedoch nicht, dass diese beiden Aspekte in der Praxis immer im Einklang sind.
Das Filmmaterial von Play | Flow | Sea stammt aus Survival, einem Serious Game, das 2017 vom spanischen Studio Omnium Lab in Zusammenarbeit mit dem PeaceApp-Programm der United Nations Alliance of Civilizations veröffentlicht wurde. Laut der Beschreibung der Entwickler erlaubt das Handyspiel dem/der Spieler*in, «die Erfahrung der Migrations-Tragödie in der ersten Person zu erleben, vom Herkunftsort der Migrant*innen bis zum Zielort, inkl. der Erpressung durch Mafias oder der Überquerung des Mittelmeers mit dem Boot». Omnium Lab hat Berichten zufolge Workshops mit jungen Flüchtlingen abgehalten, um ihre Geschichten während der Entwicklung des Videospiels kennenzulernen. Anhand dieses Handyspiels als Fallstudie untersucht der Videoessay, ob und wie die Absichten der Macher*innen, Serious Games über Menschen in Situationen, in denen es um Leben und Tod geht, zu entwickeln, an ethische und ästhetische Grenzen stoßen.
Play | Flow | Sea setzt sich aus wiederholten Durchläufen eines einzelnen Levels in Survival zusammen. Während des gesamten Levels steuert der/die Spieler*in ein kleines Boot mittels Vorwärts- und Rückwärtstasten, um es über eine Reihe von Wellen zu bewegen. Es erscheinen keine menschlichen Avatare in dem Level, der/die Spieler*in kann jedoch die Geräusche von Regen und krachenden Wellen sowie einen pulsierenden, beat-lastigen Song hören. Durch das Regulieren der Geschwindigkeit des Bootes kann man gezielt Silbermünzen einsammeln, die dabei ein funkelndes Geräusch erzeugen, und dabei gleichzeitig verhindern, dass das Boot kentert. Wenn das Spiel mit Kopfhörern gespielt wird, erzeugen die Klangelemente einen Spielfluss und können zu einem ‹Flow›-Zustand des/der Spieler*in beitragen, in dem man in die Aufgaben des Spiels versinkt und alle Elemente, die für die aktuelle Aufgabe irrelevant sind, beiseite schiebt — einschließlich vielleicht der sozialen Probleme, die im Spiel vermeintlich adressiert werden.
Im Laufe von elf Versuchen, das Spiellevel abzuschließen, wirft dieser Videoessay Fragen dazu auf, wie Sinneswahrnehmungen und politische Verantwortung beim Spielen eines Serious Games aufeinanderprallen: Was bedeutet es, die Rollen von Migrant*innen auf einem Boot zu spielen, welches das Mittelmeer überquert? Was sind die ethischen und politischen Implikationen des ‹Flow-Zustands› und was steht auf dem Spiel, wenn man den Spielfluss unterbricht? Welchen Wert hat der einzelne Tod, wenn er wiederholbar und unerschöpflich ist? Was lernen wir, wenn wir die Ästhetik eines Serious Games durchkreuzen? Play | Flow | Sea nutzt Wiederholungen, um anzudeuten, wie alternative Versionen und Visionen des Spiels aussehen könnten und um das Potenzial seiner Dekonstruktion zu bedenken.
Bevorzugte Zitationsweise
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