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Videography

Probleme und Impulse

Einige Anmerkungen zum Unterrichten von Videographic Criticism

29.2.2024

English Version

Ich unterrichte nun schon seit einem Jahrzehnt videografisches Arbeiten. In dieser Zeit habe ich mehrere arbeitsintensive Videografiekurse an der Universität Tel Aviv abgehalten, videografische Praktiken in anderen Lehrveranstaltungen eingesetzt und praxisorientierte Workshops für Studierende, Kolleginnen und Kollegen, Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler abgehalten. In all diesen pädagogischen Kontexten habe ich viele der inzwischen legendären, von Catherine Grant, Christian Keathley und Jason Mittell im Rahmen des Middlebury College «Scholarship in Sound & Image»-Workshops entwickelten Impulse verwendet (und angepasst).1 Ich habe außerdem eigene Aufgabenstellungen entwickelt. Im Folgenden werde ich auf einige der Probleme und Herausforderungen eingehen, auf die ich beim Unterrichten gestoßen bin, einige der von mir verwendeten Impulse vorstellen und gelungene videografische Arbeiten von Studierenden präsentieren.

Die hier vorgestellten Impulse entsprechen in etwa der Reihenfolge, in der ich sie im Unterricht verwende. Thematisch erstrecken sie sich von eher fokussierten Fragen zur Praxis und Technik – wie kann man Studierende dazu bringen, sich sinnvoll mit bestimmten Filmausschnitten zu beschäftigen; wie kann man sie dazu bringen, sich nicht länger vor dem Einsatz des Voiceovers zu fürchten – bis hin zu umfassenderen methodischen Problemen: wie lässt sich der Arbeitsprozess gegenüber dem Endprodukt hervorheben; wie lässt sich das videografische Arbeiten zum Medium Fernsehen fördern; und wie kann man längere, ‹substanziellere› videografische Projekte angehen. Ich gehe davon aus, dass diese Herausforderungen auch bei anderen, die sich mit der Vermittlung dieser Praxis befassen, auf Interesse stoßen werden, und hoffe, dass die hier vorgestellten Impulse dabei helfen können, einige von ihnen in Angriff zu nehmen. Ich ermuntere meine Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis und Lehrende, diese Anregungen auszuprobieren und sie entsprechend an ihre eigenen Bedürfnisse anzupassen.

Problem #1: Das große Ganze und das Fragment

Meiner Erfahrung nach neigen Studierende oft dazu, das ‹große Ganze› im Blick zu haben, wenn sie analytisch über Filme nachdenken. Sie konzentrieren sich auf den Wald und nicht auf die Bäume, betonen also übergreifende narrative Strukturen und suchen nach einem roten Faden, ohne in der detaillierten Textanalyse ausreichend geübt zu sein. Dies spiegelt allgemeinere Probleme in der Art und Weise wider, wie Filmanalyse gelehrt und praktiziert wird, erweist sich jedoch als recht verwirrend, wenn man mit den besonderen Möglichkeiten videografischer Arbeit konfrontiert wird. Die Studierenden müssen möglicherweise einige ihrer gewohnten Tendenzen verlernen und neu lernen, sich mit dem zu beschäftigen, was sich direkt vor ihnen befindet.

In dieser Hinsicht haben sich die folgenden zwei Impulse, die ich für meine Kurse entwickelt habe, als äußerst nützlich erwiesen. Wie die meisten der hier beschriebenen Aufgabenstellungen beziehen sich beide auf ein bestimmtes Medienobjekt, das die Studierenden während des gesamten Semesters bearbeiten.

Bilddeformation:

Wähle einen Ausschnitt deines Medienobjekts von 5-10 Sekunden Länge und verfremde ihn auf verschiedene Weise (Änderung von Geschwindigkeit, Farbe, Bildausschnitt, Tonspur usw.). Die endgültige Sequenz sollte aus dem ursprünglichen, unveränderten Ausschnitt bestehen, gefolgt von mehreren deformierten Versionen (insgesamt 30-40 Sekunden lang).

Diese Übung gebe ich gleich in der ersten Woche des Semesters auf. Ich weise die Studierenden an, einen Ausschnitt auszuwählen, der sie ästhetisch anspricht, und ihn so zu bearbeiten, dass dieser Effekt entweder verstärkt oder konterkariert wird. Dies ist eine sehr einfache Übung, ein effektives Aufwärmtraining für Studierende, die wenig bis gar keine Erfahrung mit der Bearbeitung von Filmmaterial haben, eine gute Möglichkeit, eine Diskussion über den affektiven Einsatz von Verfremdungen zu eröffnen, und ein Mittel, die Aufmerksamkeit auf die Materialität konkreter Textfragmente zu lenken. Hier sind erfolgreiche Beispiele von Ido Harambam und Maya Hollander.

Der folgende Impuls wurde von dem Film Three Minutes: A Lengthening (Bianca Stigter, 2022) inspiriert – und nach ihm benannt:2

Videografische Verlängerung:

Wähle einen maximal 15 Sekunden langen Ausschnitt aus deinem Medienobjekt aus und analysiere ihn im Detail in einem Video, das 3-4 Minuten lang sein soll. Das Video wird hauptsächlich (oder ausschließlich) aus dem gewählten Ausschnitt bestehen, der auf verschiedene Weise auf die Gesamtdauer des Videos ‹verlängert› wird, z. B. durch Wiederholung, Verlangsamung, Standbilder, usw. Es können auch erklärende Hilfsmittel – Voiceover, epigrafischer Text, etc. – einbezogen werden. Stütze dich bei deiner Analyse auf mindestens eine wissenschaftliche Quelle.

Diese Übung findet zu einem späteren Zeitpunkt im Semester statt und ist der erste Anlass für die Studierenden, eine analytische, überzeugende Argumentationslinie zu entwickeln, in dem sie die verschiedenen ihnen zur Verfügung stehenden videografischen Mittel einsetzen. Die Ergebnisse sind oft originell und aufschlussreich, und ich halte diese Übung für einen guten Einstieg in komplexere videografische Argumente und eine hilfreiche Erinnerung daran, manchmal den Wald zu vergessen und sich zunächst auf einzelne Bäume zu konzentrieren. Hier sind erfolgreiche Beispiele von Naama Iontef und Gay Klein (Warnhinweis für das letztere: Nacktheit und Gewaltdarstellung).

Problem #2: Die Angst vor dem Voiceover

Dies ist wahrscheinlich eines der häufigsten Probleme, das auch vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bekannt ist, die sich mit dem Einsatz von Voiceover beschäftigen: Die Mehrheit von uns hat entweder Angst davor oder macht es einfach nicht gerne, zumindest nicht am Anfang. Wie Ian Garwood es ausgedrückt hat: «Voiceover-Acting ist ein Handwerk – und nicht Teil des akademischen Kompetenzspektrums», was zu einer Vielzahl von Problemen bei der Durchführung beiträgt.3 Meiner Erfahrung nach ziehen es Filmstudierende in der Regel vor, ihre eigene Stimme nicht zu verwenden, wenn sie es nicht müssen. Eine Möglichkeit, mit dieser Zurückhaltung umzugehen, besteht darin, die Studierenden einfach zu zwingen, in ihren Arbeiten zumindest einmal die eigene Stimme zu verwenden. Meine Studierenden müssen zwar nicht jede Woche ihre Aufgaben einreichen, aber die Voiceover-Übung ist die einzige, die sie nicht auslassen dürfen. Die meisten geben zu, dass sie den Einsatz von Voiceover vermeiden würden, wenn sie die Gelegenheit dazu gehabt hätten. Viele sind sehr froh, dass sie es nicht umgehen konnten und einige benutzen auch danach wieder Voiceover.

Die Aufgabe, die ich stelle, ist eine abgewandelte Version der Middlebury-Voiceover-Übung, und ich glaube, dass meine Abwandlung auch dazu beiträgt, Performanceängste zu mindern.

Mehrfacherzählungen:

Wähle einen 45-60 Sekunden langen Ausschnitt aus deinem Medienobjekt und füge einen Kommentar hinzu, der eine ‹Geschichte› erzählt (im weitesten Sinne des Wortes). Die Verwendung von Effekten – Zeitlupe, Standbild, Skalierung usw. – ist erlaubt. Mindestens ein Teil der Originaltonspur muss verwendet werden. Meine Änderung: Die endgültige Sequenz sollte aus zwei Teilen bestehen, in einer der folgenden Varianten: a. Zweimal denselben Ausschnitt abspielen, aber jedes Mal begleitet von einer anderen Erzählung (verschiedene Geschichten, erzählt in verschiedenen Stilen/Vortragsweisen); b. Zweimal dieselbe Geschichte abspielen, jedes Mal gepaart mit einem anderen Ausschnitt aus dem Medienobjekt.

Dieser Ansatz bietet Studierenden die Möglichkeit, mit verschiedenen Erzählweisen und ihren Verbindungen zum audiovisuellen Material zu experimentieren. Es nimmt auch einen Teil des Drucks, da die Möglichkeit, zwei verschiedene Voiceovers aufzunehmen, deutlich macht, dass es nicht die eine ‹richtige› Art des Erzählens gibt, was wiederum den experimentellen und spielerischen Ansatz unterstreicht. Hier sind erfolgreiche Beispiele von Merel Marjieh (derselbe Clip, unterschiedliche Erzählungen) und Jonathan Weitz (dieselbe Erzählung, unterschiedliche Clips).

Problem #3: Ergebnis vs. Methode

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Studierenden zwar das Potenzial des Videoessays als Ausdrucksform leicht erkennen können, dass es aber viel schwieriger ist, ihnen das Potenzial videografischer Praktiken als Werkzeuge für die (Text-)Analyse nahe zu bringen. Ob in der Lehre oder auf YouTube – was den Studierenden täglich begegnet, sind nicht videografische Forschungsmethoden, sondern, wenn überhaupt, das Endprodukt solcher Methoden, nachdem sie bereits angewendet wurden: Videoessays. Zwar üben sie sich im Laufe des Semesters in verschiedenen Formen des Umgangs mit den Medien, aber was sie letztendlich vorlegen müssen – und wofür sie benotet werden – sind keine Methoden, sondern Videos. Verständlicherweise neigen sie dazu, diese Videos so kohärent, ausgefeilt und ‹perfekt› wie möglich haben zu wollen. Folglich geht auf diese Weise manchmal ein umfassenderes Verständnis für die Fähigkeit des Formats zur (und als) Analyse verloren, und für das Potenzial des Videoessays, wissenschaftlicher Prozesse und nicht nur ihre Produkte zu beleuchten.

Die folgenden beiden von mir entwickelten Impulse, für die jeweils eine Bildschirmaufnahme vorgesehen ist, haben sich als wertvoll erwiesen, um dieser Tendenz zum Zweck statt zum Mittel entgegenzuwirken. Die erste dieser Aufgaben lenkt den Fokus auf die Vorgänge im Zeitleistenfeld der Videoschnittsoftware.

Videografische Sezierung:

Entwickle eine Methode der videografischen Analyse, die verschiedene Möglichkeiten deiner Schnittsoftware nutzt, unter besonderer Berücksichtigung der Zeitleiste, und wende die Methode auf das von dir ausgewählte Medienobjekt an. Das bearbeitete Material muss nicht exportiert werden, es genügt, wenn es im Zeitleistenfenster auf eine Art und Weise dekonstruiert wird, die vielleicht selbst schon zu neuen Erkenntnissen führt. Dokumentiere deine Arbeit mit einem Programm zur Bildschirmerfassung und erkläre – entweder mit einem Voiceover oder einem epigrafischen Text – die Überlegungen, die hinter der angewandten Methode stehen, und was sie über das Medienobjekt aussagen könnte. Wenn die Analyse zu konkreten Einsichten oder Schlussfolgerungen führt, dann stelle diese dar; wenn nicht – was völlig in Ordnung ist! – kannst du auf das Potenzial der Methode eingehen (wofür sie hypothetisch eingesetzt werden könnte) oder auf die Gründe, warum sie in diesem Fall nicht zu aussagekräftigen Erkenntnissen führt. Das Endprodukt sollte nicht länger als 3 Minuten sein.

Um das Konzept zu verdeutlichen, zeige ich Kevin B. Lees «Viewing Between the Lines: Hong Sang-soo’s The Day He Arrives» als Beispiel. Ich finde, dass diese Übung eine willkommene Abwechslung ist, da sie den Schwerpunkt auf die Entwicklung von Methoden und nicht auf die Formulierung von Schlussfolgerungen legt und eine gute Möglichkeit bietet, mit verschiedenen Arten der videografischen Analyse zu experimentieren. Hier sind erfolgreiche Beispiele von Merel Marjieh and Naama Iontef.

Den nächsten Impuls habe ich für meinen Videographic-Criticism-Kurs entwickelt und später für das Seminar «Filming Research: The Desktop Documentary» angepasst, das ich gemeinsam mit Kevin B. Lee und Evelyn Kreutzer 2021 für die Society for Cinema and Media Studies (SCMS) Konferenz organisiert habe.

Desktopsuche:

Formuliere eine Frage zu dem von dir gewählten Medienobjekt, suche online nach einer Antwort und dokumentiere deine Suche nach der Antwort mit Hilfe von Bildschirmaufnahmen. Das fertige Video sollte nicht länger als 3 Minuten sein; die Frage sollte also konkret und spezifisch gehalten werden.

Diese Übung eignet sich hervorragend, um Studierende dazu zu bringen, sich mehr auf den Prozess der Analyse als auf die Ergebnisse zu konzentrieren, auf die Reise und weniger auf das Ziel. Sie hat zu unterschiedlichen und einfallsreichen Ansätzen für die Arbeit mit Desktopfilmen geführt, unabhängig davon, ob diese Versuche zu definitiven Antworten führen oder nicht (man beachte, dass die Aufgabe die Studierenden auffordert, nach Antworten zu ‹suchen›, nicht unbedingt welche zu ‹finden›). Es ist auch eine gute Möglichkeit für die Studierenden, die Formulierung einer Forschungsfrage und die Konstruktion einer schlüssigen Argumentationslinie zu üben – wertvolle Fähigkeiten für die komplexeren Übungen im Kurs und für die Wissenschaft im Allgemeinen. Hier sind gelungene Beispiele von Romy Gavriel und Meir Bakshi.

Problem #4: Film vs. Fernsehen

Wie bereits an anderer Stelle erörtert wurde, sind Filme für wissenschaftliche Videoessayisten stets weitaus wichtigere Studienobjekte gewesen als serielle Fernsehproduktionen.4 Hierfür wurden mehrere Faktoren angeführt: z.B. die vergleichsweise geringe Verfügbarkeit vieler Fernsehbeiträge für die digitale Bearbeitung, die beängstigende Aussicht, viele Stunden Videomaterial zu verarbeiten, kulturelle und institutionelle Geschmackshierarchien. Was auch immer der Grund sein mag, der Trend ist eindeutig und in der akademischen Videografie ungebrochen. Das zeigt sich auch in meinem Kurs, in dem sich, wenn überhaupt, nur wenige Studierende für das Thema Fernsehen entscheiden.

Als Fernsehwissenschaftler sehe ich es als meine Aufgabe an, das Forschungsfeld der ‹videografischen Telephilie› voranzubringen; und die folgenden Anregungen sind nur einige Mittel, mit denen ich dies versucht habe.

TV-Wörterbuch:

Wähle eine Fernsehserie aus und versuche, ihre Essenz mit einem einzigen Wort in einem kurzen Video zu erfassen, das die Wörterbuchdefinitionen dieses Wortes mit einem oder mehreren Clips aus der Serie kombiniert.

Diese Aufgabe habe ich für mein gemeinsames Videoprojekt gleichen Namens entwickelt (TV Dictionary).5 Seitdem wurde sie von mir und anderen als pädagogische Übung eingesetzt und hat sich – auch dank der engen Fokussierung – als eine der besten Möglichkeiten erwiesen, Studierende und Forschende zur videografischen Beschäftigung mit dem Fernsehen zu ermutigen (bislang wurden über 100 Beiträge produziert). Hier ist ein Beispiel von meiner Studentin Sharon Abramovich.6

Der nächste Impuls wurde von Jason Mittell und mir für das Seminar «Making Videographic Criticism: Videographic Telephilia» entwickelt, das wir 2022 für die SCMS-Konferenz gemeinsam organisiert haben.

Räumliche Serialität:

Erstelle ein Video, das einen Aspekt der Serialität in einer bestimmten Fernsehserie untersucht. Das Video muss Material aus der gewählten Serie verwenden, idealerweise aus verschiedenen Staffeln/Jahren, wobei die Auswahl der Clips einer bestimmten Logik folgt, die mit der Struktur der Serie verbunden ist. Es muss eine Multiscreen-Komposition enthalten, die Elemente der räumlichen Montage mit der Serienform verbindet. Alle Tonspuren und Bildmaterialen müssen aus der ausgewählten Serie stammen, ohne dass ein externes Voiceover verwendet wird. Das endgültige Video sollte nicht länger als 3 Minuten sein.

Obwohl diese Aufgabe noch nicht außerhalb des Seminars, für das sie entwickelt wurde, eingesetzt wurde, kann die räumliche Montage eine nützliche Methode sein, um sich mit Fernsehserien auseinanderzusetzen und konkrete Textelemente aus einer bestimmten Serie mit deren übergeordneten Erzählsträngen, Themen und stilistischen Konventionen zu verbinden. Hier einige gelungene Beispiele von den Seminarteilnehmenden Andrea Comiskey and Desirée de Jesus.

Die folgende Aufgabe bezieht sich auf das Buch How to Watch Television:7

How to Watch Television:

Wähle ein Kapitel aus dem Buch aus und adaptiere eines der zentralen Argumente in einem Video. Das Video muss nicht erklärend sein, sondern kann verschiedene Formen der videografischen Argumentation verwenden, um das gewählte Argument darzustellen und zu vermitteln. Es muss Material aus der im Kapitel besprochenen Serie eingesetzt werden; andere Materialien können ebenfalls verwendet werden. Das Video sollte nicht länger als 3 Minuten sein.

Die Adaption eines schriftlichen Arguments in audiovisueller Form ist eine nützliche und lehrreiche Aufgabe. Der Fokus auf das Buch How to Watch Television ist besonders hilfreich, um die Studierenden zu ermutigen, sich mit Fernsehinhalten auseinanderzusetzen, dank der prägnanten und leicht zugänglichen Argumentation des Buches. Hier sind Beispiele von Itai Shukrun and Kallil Hayon.

Problem #5: Das Abschlussprojekt

Während die Studierenden im Laufe des Semesters in der Regel kreative, originelle und vielseitige Arbeiten anfertigen, die den verschiedenen Vorgaben und Beschränkungen folgen, die ihnen gemacht werden, stelle ich oft fest, dass ein Großteil dieser kreativen Energie bei den Abschlussprojekten irgendwie gedämpft oder ganz aufgegeben wird. Für die Abschlussprojekte gebe ich absichtlich sehr weit gefasste, freie Vorgaben, in der Hoffnung, dass die Studierenden dadurch in die Lage versetzt werden, den Ansatz und die Form auszuloten, die für ihre gewählten Themen geeignet sind. Viele Studierende scheinen sich jedoch für relativ traditionelle, erklärende Projekte zu entscheiden und lassen die experimentelleren – und interessanteren – Aspekte, die in ihren früheren Arbeiten deutlich wurden, außen vor. Vielleicht liegt es vor allem daran, dass sie sich von der Aussicht auf ein ‹Abschlussprojekt› eingeschüchtert fühlen, das ihrer Meinung nach ‹substanziell› sein und ‹einen Sinn haben› sollte – trotz meiner Bemühungen, sie während des Semesters von solchen Begriffen und Unterscheidungen abzubringen. Ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich etwas frustriert bin – nicht, weil die Abschlussprojekte schlecht sind, denn sie sind oft ganz hervorragend, sondern weil ich sie manchmal weniger beeindruckend und weniger ergiebig finde als einige der kleineren Übungen, die die Studierenden zuvor gemacht hatten (und die weit weniger Zeit, Energie und Denkarbeit erforderten).

Obwohl dies jedes Jahr ein bisschen besser zu werden scheint, weil ich meinen Lehrplan immer weiter anpasse und verfeinere, glaube ich, dass ich noch keinen Weg gefunden habe, um bei den Abschlussprojekten ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Experimentellen und dem Analytischen sicherzustellen. Gleichwohl hat sich die Integration des Desktopfilmens in den Lehrplan als äußerst hilfreich erwiesen, insbesondere die oben beschriebene ‹Desktopsuche›. Obwohl nur wenige Studierende das Desktopformat für ihre Abschlussprojekte verwenden – es ist eine sehr zeitaufwändige Form, wie jeder weiß, der es schon einmal ausprobiert hat –, gelingt denjenigen, die es tun, diese Balance sehr gut.

Dieser nächste Impuls, den ich eingebracht habe, hat sich ebenfalls als produktiv erwiesen:

Verschwörungsvideo:

Entwickle deine eigene Verschwörungstheorie in Bezug auf ein bestimmtes Element des von dir gewählten Medienobjekts und erstelle ein Video, das die Zuschauer von der Richtigkeit deiner Interpretation überzeugen soll (unabhängig davon, ob du tatsächlich an diese Interpretation glaubst oder nicht). Das Video sollte nicht länger als 4 Minuten sein.

Dies ist eine der letzten – und unterhaltsamsten – Übungen des Semesters. Den Studierenden steht es frei, ein beliebiges Medienobjekt zu verwenden, nicht unbedingt das, an dem sie bereits während des Semesters gearbeitet haben. Ich ermutige sie, die ausgefallenste Lesart zu wählen, die ihnen einfällt – solange sie mit Hilfe videografischer Rhetorik überzeugend dargestellt werden kann. Ich finde, dass dies eine gute Methode ist, um sie auf die längeren und komplexeren Argumente vorzubereiten, die sie in ihren Abschlussprojekten entwickeln müssen, und gleichzeitig eine offenere, spielerische und manchmal subversive Herangehensweise zu fördern, die sie hoffentlich mitnehmen, wenn sie ihre Abschlussprojekte planen. Hier sind erfolgreiche Beispiele von Nethanel Zribi and Nadav Leshem.

Bonusaufgabe:

Diese letzte Übung, die videografische Antwort, ist eine meiner Lieblingsübungen. Sie eignet sich unter anderem dazu, neue Formen des videografischen Dialogs zu entwickeln, was mich in meiner eigenen Arbeit besonders interessiert.8

Videografische Antwort:

Wähle eines der Videos, die in einer der jährlichen Videoessay-Listen von Sight & Sound erwähnt werden, und antworte mit deinem eigenen Video darauf. Das Video kann jede beliebige Form annehmen und aus jedem beliebigen Material bestehen: vorhandene Videoessays, eigene videografische Analysen, die von vorhandenen Videos inspiriert oder ihnen nachempfunden sind, Bildschirmaufnahmen, Originalfilmmaterial, Voiceover, Text und mehr.

Obwohl diese Antworten als kleinere Übungen gedacht sind, die über das ganze Semester verteilt werden, stelle ich fest, dass die Studierenden sich viel mehr Mühe geben, als von ihnen verlangt wird. Die Aufgabenstellung ist absichtlich offengehalten, und die freie Wahl, auf welches Video und auf welche Art und Weise sie antworten wollen, ist meiner Meinung nach ein Grund dafür, dass sich die Studierenden so begeistert damit auseinandersetzen. Ich finde oft, dass diese Antwortvideos zu den einfallsreichsten und unterhaltsamsten Arbeiten gehören, die meine SchülerInnen erstellen. Hier sind erfolgreiche Beispiele von Alma Rechter (als Antwort auf Catherine Grants «Fated to Be Mated») und von Nimrod Dahan (als Reaktion auf Kogonadas «Wes Anderson // Centered»; Nimrod war damals Schüler der 10. Klasse).9

  • 1Siehe Catherine Grant, Christian Keathley, Jason Mittell (eds.): The Videographic Essay: Practice and Pedagogy, Caboose Books 2019, http://videographicessay.org/works/videographic-essay/scholarship-in-sound--image.
  • 2Konversation mit Stigter in «The Video Essay Podcast»: thevideoessay.com/bianca-stigter-on-three-minutes-a-lengthening.
  • 3Ian Garwood: The Place of Voiceover in Academic Audiovisual Film and Television Criticism, in: NECSUS: European Journal of Media Studies, Jg. 5, Nr. 2, 2016, https://necsus-ejms.org/the-place-of-voiceover-in-audiovisual-film-and-television-criticism/.
  • 4 Siehe Jason Mittell: Videographic Telephilia, in: [in]Transition: Journal of Videographic Film and Moving Image Studies, Jg. 4, Nr. 1, 2017, mediacommons.org/intransition/2017/videographic-telephilia; and Catherine Grant, Jaap Kooijman: New Ways of Seeing (and Hearing): The Audiovisual Essay and Television, in: NECSUS: European Journal of Media Studies, Jg. 8, Nr. 1, 2019, 293-297, necsus-ejms.org/new-ways-of-seeing-and-hearing-the-audiovisual-essay-and-television/.
  • 5Ariel Avissar: The TV Dictionary – An Introduction, in: CST Online, 13. Mai 2022, cstonline.net/the-tv-dictionary-an-introduction-by-ariel-avissar/.
  • 6Siehe auch Ariel Avissar (hHg.): Special Pedagogy Issue: The TV Dictionary, in: [in]Transition: Journal of Videographic Film & Moving Image Studies, Jg. 10, Nr. 4b, 2024, mediacommons.org/intransition/journal-videographic-film-moving-image-studies-104b-2024.
  • 7Ethan Thompson und Jason Mittell (Hg.): How to Watch Television, 2. Aufl., New York 2020.
  • 8Siehe Ariel Avissar: What is Neo-Snyderism?, in: [in]Transition: Journal of Videographic Film & Moving Image Studies, Jg. 9, Nr. 1, 2022, mediacommons.org/intransition/what-neo-snyderism; Ariel Avissar: Some Thoughts Occasioned by Four Desktops, in: NECSUS: European Journal of Media Studies, Jg. 12, Nr. 1, 2023, 617-620,‏ necsus-ejms.org/some-thoughts-occasioned-by-four-desktops/.
  • 9Siehe auch Ariel Avissar (Hg.): Special Pedagogy Issue: Videographic Responses, in: [in]Transition: Journal of Videographic Film & Moving Image Studies, Jg. 10, Nr. 4a, 2023, mediacommons.org/intransition/journal-videographic-film-moving-image-studies-104a-2023.

Bevorzugte Zitationsweise

Avissar, Ariel: Problems and Prompts. Some Notes on Teaching Videographic Criticism. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Videography, , https://zfmedienwissenschaft.de/en/online/videography-blog/problems-and-prompts-0.

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