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GAAAP_ The Blog

Machtmissbrauch eindämmen!

Angela Koch zum ‹Fall Ronell›

25.9.2018

Bei den Diskussionen (siehe u.a. die Linkliste von Ulrike Bergermann, Kinky terror) um den «Fall Avital Ronell» werden m.E. häufig verschiedene Ebenen miteinander vermischt, was eher einer Skandalisierung Vorschub leistet als eine konstruktive Diskussion über Machtmissbrauch ermöglicht. Diese Vermischung ist sicherlich auch der Art der Arbeit von Wissenschaftler_innen an Universitäten geschuldet, die in der Regel die Bereiche Forschung, Lehre und akademische Selbstverwaltung bzw. Gremienarbeit umfasst. Alle drei Bereiche unterliegen ganz unterschiedlichen Prinzipien und Regeln im Umgang mit anderen.

Die Forschung findet – zumindest in den Geisteswissenschaften – oft zurückgezogen statt, auch wenn die Präsentation von Thesen und Ergebnissen des Austauschs, der Kritik und der Fachdiskussion bedarf, die teils stark durch Konkurrenzen geprägt ist. Die Lehre besteht aus der Vermittlung von Fragestellungen, Methoden und Theorien sowie der Prüfung des Vermittelten. Die Vermittlung kann bestenfalls als Diskussionsprozess verstanden werden, der jedoch in einem hierarchischen Kontext stattfindet; die Prüfung verweist auf das hegemoniale Verhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden, wobei die Lehrenden durch die mächtige Institution Universität auch mit symbolischer Macht ausgestattet sind. Und schließlich gehört noch die Gremienarbeit als Teil der akademischen Selbstverwaltung zum Arbeitsfeld von Wissenschaftler_innen. Hier soll die Universität die Lehre, die Forschung und das Studium eigenverantwortlich und demokratisch organisieren. Auch dieser Bereich ist hierarchisch strukturiert; zusätzlich sind die Gremien meist nicht paritätisch, sondern mit einer Professor_innenmehrheit besetzt. Zu dieser gesetzlich verankerten Vormachtstellung in den Gremien kommen noch die arbeitsrechtliche, symbolische und pädagogische Autorität, die Professor_innen gegenüber den anderen Statusgruppen (Mittelbau, Studierende, Verwaltungspersonal) innehaben. Diese Strukturen sind geprägt durch elitäre, frauen- und queerfeindliche, rassistische, soziale und ökonomische, behindertenfeindliche u.ä. Aus- und Abgrenzungstechniken und -strategien. Dabei, und das ist das Brisante an dem «Fall Ronell», zeigt es sich, dass die je eigene theoretische Auseinandersetzung und politisch-ideologische Verortung herzlich wenig mit der Reflexion des Status, des Handlungsspielraums und dem politischen Agieren im Rahmen der Institution Universität zu tun hat.

Die Vorwürfe, die Nimrod Reitman gegen Avital Ronell erhoben hat, weswegen sie auch im Rahmen eines – durchaus umstrittenen ‒ Title IX-Verfahrens verurteilt wurde, beziehen sich nur auf den Bereich der Lehre, zu dem ich hier auch die Betreuung der Promovierenden zähle. Die Forschungstätigkeit und die Tätigkeit in der Selbstverwaltung und in den Gremien haben damit erst einmal nichts zu tun. Auch Charakter oder Intellekt sind keine Kriterien zur Beurteilung des Umgangs mit Studierenden und Promovierenden. Auf dieser Ebene aber argumentieren die Unterstützer_innen von Ronell in ihrem (geleakten) Brief an die NYU zum Title IX-Verfahren, wenn sie von der wissenschaftlichen Brillanz Ronells sprechen und dabei implizieren, dass deswegen kein Fehlverhalten vorliegen kann. Auf dieser Ebene argumentieren aber auch so manche Gegner_innen, wenn sie die wissenschaftliche Brillanz infrage stellen und dies in Zusammenhang mit Machtmissbrauch in der Institution und in der Lehre bringen. Diese sehr differenten akademischen Arbeitsfelder zu vermischen, ist insofern problematisch, als sie ganz unterschiedliche Rollen und Positionen mit sich bringen, die Wissenschaftler_innen im universitären Betrieb einnehmen. Und leider zeigt sich immer wieder, dass eine theoretische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und kulturellen Machtverhältnissen nicht unbedingt auf die eigene Position und das eigene Verhalten bezogen wird. Dies wird allerdings seit mittlerweile fast 50 Jahren von feministischen Akademiker_innen kritisiert, die fordern, sowohl die eigene Position als auch das Wissen zu situieren und Privilegien nicht nur zu thematisieren, sondern auch zu hinterfragen – Privilegien einzusetzen, um sie abzuschaffen, steht dabei zumeist gar nicht erst zur Debatte.1

Der sexualisierte Machtmissbrauch, die sexualisierten Übergriffe auf den PhD-Studenten sind dem Bereich der Lehre zuzuordnen. Die Lehrenden an einer Universität haben gerade aufgrund der Abhängigkeits- und häufig auch Nahverhältnisse eine besondere Fürsorgepflicht für die Studierenden, d.h. sie sollen den Lernprozess begleiten und die Studierenden fördern. Dabei ist die Gleichbehandlung der Studierenden oberstes Gebot, darüberhinaus soll ein diskriminierungsfreies Umfeld für die Studierenden gewährleistet sein. Befangenheiten aufgrund persönlicher Nahverhältnisse (Partnerschaft, Verwandtschaft), ökonomischer Konkurrenzen oder Abhängigkeiten sowie Interessenskonflikte können eine objektive Beurteilung beeinträchtigen. Bei solchen Befangenheiten ist das Betreuungsverhältnis aufzulösen. Sexualisierte Übergriffe, egal ob sie auf sprachlicher, schriftlicher oder physischer Ebene sattfinden, sind klare Akte von Machtmissbrauch. Die weitaus häufigsten Übergriffe finden von männlichen Professoren auf Student_innen statt. Diese Übergriffe ereignen sich in einer Gesellschaft, in der patriarchale Strukturen und hegemoniale Männlichkeit tradiert sind und sich nur langsam verändern. Es ist daher für die Betroffenen sehr schwer, diese Übergriffe anzuzeigen oder gar öffentlich zu machen – ganz abgesehen von der Scham über solche Angriffe, in der sich einerseits die Macht der patriarchalen Norm zeigt, andererseits aber auch die körperliche und psychische Inkorporation der abwertenden Fremdwahrnehmung.2 Insofern sind die öffentlichen Bekenntnisse von «Wir haben abgetrieben» 1971 im Stern bis zu #aufschrei oder #MeToo in den letzten Jahren als politische Akte zu verstehen, die Sichtbarkeiten herstellen, in den öffentlichen Diskurs eingreifen, ihn verschieben (können) und die Betroffenen als Betroffene von (sexualisierten) Übergriffen und staatlichen Zugriffen subjektivieren. Seit Anfang 2017 erfasst die amerikanische Kulturanthropologin Karen Kelsky anonym Meldungen über sexualisierte Belästigung und Machtmissbrauch an amerikanischen Universitäten. Hier wird nicht nur das Ausmaß der Übergriffe offenbar, sondern auch das Stillschweigen, das um sie bewahrt wird. Eine öffentliche Diskussion über Machtmissbrauch und sexualisierte Übergriffe an Universitäten ist – das zeigt diese Liste – längst überfällig; dies wird seit Jahren ja auch für andere patriarchale Insitutionen wie die Kirche oder die Armee gefordert.

Verkehrt sich das typische, d.h. heteronormative Verhältnis von Täter und Opfer zu einem Verhältnis zwischen Täter_in und Betroffene_r, dann findet auch hier ein nicht zu akzeptierender Machtmissbrauch statt. Allerdings wird hier das heteronormative Geschlechterverhältnis durchbrochen, was eine scheinbar abgesicherte (moralische) Ordnung durcheinanderwirbelt, die feministisch, queer, aufgeklärt, antidiskriminatorisch, sozial, reflektiert (und gut) auf der einen Seite und patriarchal, heterosexistisch, traditionell, privilegiert (und böse) etc. auf der entgegengesetzten positioniert. Dies führt bestenfalls zu Unsicherheit und Diskussion, schlechtestenfalls zu unüberlegter Solidarität mit der Täter_in oder gar Häme. An der Aufregung um diesen Normbruch zeigt sich einmal mehr, wie stark heteronormative und hegemoniale Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft verankert sind. Es zeigt sich aber auch, dass ein eklatantes Unwissen darüber herrscht, dass (sexualisierter) Machtmissbrauch, Übergriffe oder Gewalt unabhängig von politischer und/oder moralischer Haltung geschehen (sexuelle Gewalt in der linken Szene ist ein wiederkehrendes Problem) und eben auch unabhängig vom Geschlecht – diejenigen, die in Nonnenklöstern erzogen wurden, können davon berichten.

Während die einen nun Aufwind bekommen und gegen die ganze Person Ronell ins Feld ziehen, vermeiden andere die Beteiligung an einer öffentlichen Diskussion, um nicht in das gleiche hexenjagende Horn zu blasen. Ich finde es nicht erstaunlich, dass über die übergriffigen und gewalttätigen Männer weniger diskutiert wird als über die übergriffigen und gewalttätigen Frauen. Die Frau als Täterin und der Mann als Opfer durchbrechen noch immer jede Rollenkonvention. Aber diese Fälle sind leider nicht so selten wie allgemein angenommen. Und je mehr Frauen in Machtpositionen sind, umso mehr ist auch mit Machtmissbrauch durch Frauen zu rechnen, der durchaus auch sexualisiert sein kann (siehe hierzu die zahlreichen Veröffentlichungen von Hans-Joachim Lenz).3

In den Diskussionen gibt es auch die Forderung, Frauen als Täter_innen anders zu behandeln als Männer. Dies widerspricht nicht nur jedem Gleichheitsgedanken vor dem Gesetz, es negiert darüberhinaus auch, dass Frauen sexuell diskriminieren können und – und das ist mir besonders wichtig – Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen müssen. Sie sind eben keine Opfer, sondern haben Handlungsspielräume.

Auch eine Entschuldigung der Täter_in auf Kosten der Betroffenen, sie seien erwachsene und handlungsfähige Menschen, verkennt die konkurrente und abhängige Situation gerade von PhD-Studierenden, die vom Studium in das unübersichtliche Feld der Wissenschaft (als prekärem Arbeitsplatz und als Forschungstätigkeit) gewechselt haben und jede Unterstützung und Förderung gebrauchen können. Auch schlägt hier wieder die Geschlechterkonvention zu, nämlich dass es männliche Opfer eigentlich nicht geben könne, insbesondere wenn sie erwachsen, gebildet, gut situiert etc. seien. Eine solche Behauptung führt, wenn es um Frauen geht, stets zu erheblichem – und berechtigtem – Einspruch, denn bei Machtmissbrauch geht es ja genau um die jeweilige Größe der Handlungsspielräume. Diese Handlungsspielräume sind für Betroffene immer sehr viel eingeschränkter – und sogar machtkritische Eliten-Professor_innen haben nun dazu beigetragen, dass dieser Handlungsspielraum noch erheblich eingeschränkter wird: «Elites are closing ranks», wie Maggie Levantovskaya schreibt.

Eine solche Entsolidarisierung mit den Betroffenen ist fatal, denn (sexualisierter) Machtmissbrauch, Übergriffe oder Gewalt lassen sich nur bekämpfen, wenn sie gesellschaftlich und institutionell geächtet sind. Dafür braucht es eine klare Positionierung und v. a. auch Solidarisierung mit den Betroffenen und eine Entsolidarisierung mit den Täter_innen. Die Räume, in denen die Täter_innen weiterhin Macht ausüben und möglicherweise missbrauchen können, müssen dringend verringert, wenn nicht geschlossen werden. Dazu gehört u.a., dass die Betreuungsverhältnisse zwischen Wissenschaflter_innen und (PhD-)Studierenden de-privatisiert werden, wie u.a. die Florence Principles in Doctorats in the Arts fordern.

Insofern hängen der Bereich der Lehre und der Bereich der akademischen Selbstverwaltung und die Mitarbeit in Gremien und Beiräten doch zusammen. Menschen, die missbräuchlich mit ihrer Machtposition umgehen, sollten keine Entscheidungsbefugnis über Anträge, Veröffentlichungen, Karriereschritte von Kolleg_innen, insbesondere aber von Nachwuchswissenschaftler_innen haben.

Hier sind die Universitäten als Institutionen gefragt, Kontrollmechanismen zu entwickeln, Nahverhältnisse im Betreuungsprozess kritisch zu reflektieren sowie Anlaufstellen und Vertrauenspersonen aufzubauen. Es braucht eine Sensibilisierung gegenüber Machtmissbrauch und sexualisierten Übergriffen, dafür sind weitere Analysen, aber vor allem breite Diskussionen nötig. Und es braucht die Entwicklung von Perspektiven, wie sich die Universität verändern muss, damit elitäre Verfügungsgewalt und professoraler Herrscherhabitus endlich in die Schranken verwiesen werden. Nur dann kann überhaupt an eine Öffnung der Universitäten auch für nichtprivilegierte Gruppen gedacht werden.
 

(Dank an die Diskutant_innen des genderqueermedien-E-Mail-Verteilers, insbesondere an Andrea Braidt und Marc Siegel für ihre Beiträge.)

 
  • 1Vgl. u.a. bell hooks, Teaching to transgress. Education as the practice of freedom, New York 1994, 15 ff.
  • 2Hilge Landweer, Scham und Macht. Phänomenologische Untersuchungen zur Sozialität eines Gefühls, Tübingen 1999.
  • 3Z.B. Mann oder Opfer? Jungen und Männer als Opfer von Gewalt und die kulturelle Verleugnung der männlichen Verletzbarkeit. In: Kawamura-Reindl, Gabriele; Halbhuber-Gassner, Lydia; Wichmann, Cornelius (Hg.): Gender Mainstreaming – ein Konzept für die Straffälligenhilfe? Freiburg 2007, 106-126; s. dazu auch die Untersuchungen der Psychologin Barbara Krahé.

Bevorzugte Zitationsweise

Koch, Angela: Machtmissbrauch eindämmen! . Angela Koch zum ‹Fall Ronell›. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/machtmissbrauch-eindaemmen.

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