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GAAAP_ The Blog

Der Google-Nerd und das rechte Netzwerk

3.9.2018

Zuerst eine erfreuliche Werbesendung. Während YouTube seit einigen Jahren einer Unzahl antifeministischer, rassistischer und neurechter Kanäle als lukrative Verbreitungsplattform dient, mehren sich derzeit Gegenstimmen, die Möglichkeiten ‹linker› Intervention und öffentlichkeitswirksamer Gegeninformation im Internetzeitalter anbieten. Die de facto numerische und kulturelle Hegemonie der Alt-Right auf YouTube besteht zumindest im Bereich des englischsprachigen politischen Kommentars. Diesem rechten Mainstream politischer Meinungs-Vlogger versuchen vorwiegend männliche Autoren – Three Arrows, Shaunhbomberguy – entgegenzuwirken, vorwiegend mit sog. ‹Response›-Videos, die Veröffentlichungen aus dem rechten Spektrum widerlegen oder unterlaufen. Besonders will ich möchte auf die Amerikanerin Nathalie Wynn hinweisen, die auf ihrem YouTube-Kanal contrapoints eine Vielzahl ebenso kritischer wie unterhaltsamer Beiträge produziert hat, u.a. zur Alt-Right und den monströsen Untiefen zeitgenössischer Online-Kulturen.

Die jüngst hier im Blog angesprochenen militanten Incels, eine Form des netzgetriebenen Männlichkeitsterrorismus, hat Wynn z.B. in einem Videobeitrag eingehend beleuchtet. Incels verstehen sich als Opfer eines heteronormativ organisierten und brutal selektiven Geschlechtermarktes, der sie durch Status- und Attraktivitätsregeln isoliert. Sie werden sie zu ‹involuntary celibates›, die sozial und sexuell vom ‹traffic in women›1 abgehängt sind. Durch Vernetzung auf Online-Plattformen (bzw. depressiven Echokammern, wie Wynn sagt) radikalisieren sich diese sexless nerds zu Rächern einer durch Kapitalismus und Gleichberechtigung entrechteten ‹minderen Männlichkeit›. Auf das Nicht-Zustandekommen ihrer versprochener Privilegien antworten sie mit mörderischer Gewalt, fast ausschließlich gegen Frauen. Von diesen militanten «Junggesellenmaschinen» 2 bis zu jenem Fall nerdigen ‹Widerstands› und neurechter Anverwandlung, den ich etwas im Folgenden ausführlicher ansprechen will, sind es nur wenige Mausklicks.3

Der ‹Fall› des James Damore

Am 7. August 2017 wurde der damals 27jährige Programmierer James Damore von seinem Arbeitergeber Google (bzw. Alphabet) gekündigt. Einen Tag später begründeten die CEOs Danielle Brown und Sundar Pichai die Maßnahme damit, dass Damore den ‹code of conduct› des Unternehmens verletzt habe, der ein «open, inclusive environment» zum Ziel habe, «a culture in which those with alternative views, including different political views, feel safe sharing their opinions. [This] discourse needs to work alongside the principles of equal employment found in our Code of Conduct, policies, and anti-discrimination laws».4 Was hatte Damore angerichtet in der ‹offenen› Diskurskultur des Techgiganten, der durch Antidiskriminierungstraining, Diversity-Programme und ‹Bias›-Workshops sowie einer expliziten ‹Equal Employment Policy› dem bekannten Phänomen des strukturellen Sexismus der Tech-Branche5 entgegenarbeitet? Der Auslöser, ein zehnseitiges Dokument namens Google's Ideological Echo Chamber, wurde wenige Tage später auf diversen Nachrichtenplattformen veröffentlicht. Damore hatte seine Gedanken zur Diversity-Politik des Arbeitgebers, nachdem er an einem entsprechenden Workshop teilgenommen hatte, ursprünglich als unternehmensinternes Memo zirkulieren lassen. Das Dokument ist nun öffentlich einsehbar und wurde eingehend kritisiert und verteidigt.6 Dabei standen insbesondere Damores Rückgriffe auf evolutionsbiologische und statistische Forschungen im Fokus, die essentialistisch Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellten und damit den ‹male bias› der Techbranche als ‹natürlich› legitimieren sollten.

Wegen der Bekanntheit des Memos hebe ich nur einige Aspekte hervor: Der Programmierer konstatiert u.a. den «political bias»7 und eine «politically correct monoculture» der Firma, was er kurz mit ‹links› und ausführlicher mit den Doktrinen «compassion for the weak» und «disparities are due to injustices» erläutert (die Gegenpositionen lauten hier «free competition» und «disparities are due to differences»). Neben der Diskursverengung, die durch PC enstehe, so Damore, erhalte sich diese ‹ideologische› Ausrichtung «by shaming dissenters into silence. This silence removes any checks against encroaching extremist and authoritarian policies». Diese ‹checks› seien notwendig, da durch Googles Diversity-Fokus die «psychological safety» männlicher und weißer Angestellter gewaltvoll beschädigt werde und weiter der ‹linke Autoritarismus› den wirtschaftlichen Erfolg gefährde: «[Diversity] actually increase[s] race and gender tensions. We're told by senior leadership that what we're doing is both the morally and economically correct thing to do, but without evidence this is just veiled left ideology…». Bei Google seien «conservatives […] a minority that feel like they need to stay in the closet to avoid open hostility. […] Alienating conservatives is both non-inclusive and generally bad for business…». In seinem letzten Punkt ‹Suggestions› schlägt Damore schließlich Gegenmaßnahmen zu den «extreme and authoritarian elements of this ideology» und Googles «arbitrary social engineering» vor, darunter folgende: «Viewpoint diversity is arguably the most important […] diversity»; «De-Emphasize empathy […] Being emotionally unengaged helps us better to reason about the facts»; «Be open about the science of human nature».

Der ‹Fallout›

Der Zitatmontage ließe sich eine andere gegenüberstellen, die z.B. Damores vielfache Statements à la «I value diversity and inclusion» collagieren könnte – eine Weiterentwicklung der Formulierung ‹Ich bin kein Sexist, aber…›. Das Memo ist ein Sammelsurium von Gedanken, die sich als rational und vernünftig verstehen: von der Kritik an Kommunismus und Autoritarismus über den ‹Mythos Gender Wage Gap› bis hin zu Optimierungsvorschlägen für das ‹Bias Training›. Es kann durchaus als Kommunikationsangebot eines Angestellten gelesen werden, der sich um die Effektivität seines Unternehmens sorgt. Analytisch gesehen stellt das Memo aber auch ein vorhersehbares Beispiel jener Reibungseffekte dar, die entstehen, wenn ein männlich dominiertes Berufsfeld wie ‹Software Engineering› mit Gerechtigkeitsinitiativen wie Antisexismus-Workshops konfrontiert wird8 und, wie hier geschehen, das Feedback der Angestellten erbittet. Vom heutigen Standpunkt aus gesehen sind die Interpretationsspielräume des Memos jedoch stark eingeschränkt, nicht zuletzt wegen jenes Netzwerkeffektes der Alt-Right, der weiter unten zur Sprache kommen wird.

Dass das Memo nicht mehr ‹ergebnisoffen› lesbar ist, liegt weniger an Damores Kündigung durch Google als am folgenden medialen Erdrutsch. Der Programmierer wurde nach seiner Entlassung und der Publikation des Dokuments (u.a. durch das Nachrichtenportal Buzzfeed) für mehrere Monate durch die Foren, Plattformen und Formate der us-amerikanischen Alt-Right gereicht: Die Größen der ‹rightwing counterpublic› Joe Rogan, Stefan Molyneux, Milo Yiannopolous, Mike Cernovich, Dave Rubin, Steven Crowder und Jordan Peterson interviewten Damore ausführlich zu seiner ‹Leidensgeschichte›; rechte Nachrichtenkanäle wie RebelMedia, ThinkingApe und Project Veritas berichteten über den Fall; Breitbart News kreierte eine kurzlebige Serie von Interviews unter dem Titel Rebels of Google; für die Alt-Right Fake-Uni Prager University produzierte Damore ein Infotainment-Video zu Meinungsfreiheit und linker Diktatur9; der bekannte Fotograf neurechter Größen Peter Duke portraitierte Damore wenige Tage nach dem Rauswurf, ausstaffiert mit einem T-Shirt, auf dem ‹Goolag› stand, vor einer US-Flagge und unter dem Hashtag #Fired For Truth.

Bis heute fungiert Damores Fall für die Alt-Right (und darüber hinaus) als ‹Beweis› nicht nur des links-feministischen Konsenses der amerikanischen Gesellschaft, sondern auch für einen Märtyrer der staatlich und kulturell sanktionierten Diskriminierung gegen ‹Weiße›, ‹Männer› und ‹Konservative›, die jenseits der Rechtsstaatlichkeit drangsaliert und ihrer Lebensgrundlage beraubt würden. Damore als Kritiker einer spezifischen Unternehmenskultur konnte ohne Problem als Stellvertreter der globalen Benachteiligung solcher Menschen gelesen werden, die – wie nun festgestellt wurde – vom System ‹entfernt› würden. Dass unbestimmt blieb, ob diese drei Marker zusammenfallen (müssen), erweiterte die diskursive Reichweite des ‹Falls Damore› – so kann der Kulturkampf, den die Alt-Right lanciert, an allen Punkten oder deren intersections geführt werden. Dass neoliberale Implementierungen der Analysekategorie Gender kritisiert werden können und werden, blieb in der Folge auf der Strecke.

Dass neoliberale Implementierungen der Analysekategorie Gender kritisiert werden können und werden, blieb in der Folge auf der Strecke: Damore geriet zur Pariah des Kampfes aufrechter, weißer Amerikaner gegen eine linksfeministisch/globalistische Weltverschwörung, die sich ausgerechnet am Beispiel eines topbezahlten Technerds im männerdominierten Silicon Valley zeige.

Besonders interessant zur Diskussion der Alt-Right an Damores Fall sind drei Aspekte, die ich kurz aufzeigen möchte.

Der Netzwerkeffekt

Adrien Massanari bezeichnet die Alt-Right konzise als «amorphous networked community».10 Im Netzwerk zählen nicht allein die Ideologien der einzelnen Personen der neuen Rechten, sondern vor allem die Relationen zwischen den Netzwerkelementen. Das Netzwerk ist zu dem Grad wirkmächtig, wie es in der Lage ist, heterogene Aktanten, Ereignisse und Meinungen innerhalb seiner Verflechtungen zu positionieren, zu eichen und somit einzugemeinden. Ob James Damore ‹rechtem Gedankengut verfallen› und somit ‹rechts› ist (wie die klassische Extremismusforschung fragt), ist hier weniger wichtig. Zentral ist, dass die neue Rechte nicht mehr als geschlossene ‹ideologische Echokammer› funktioniert. Vielmehr arbeitet sie expansiv und verknüpfend. Sie bündelt als ‹Netzwerk› – d.h. als Relationsgeflecht heterogener Aktant_innen – immer wieder neue Personen, Erfahrungen, Zahlen und vor allem Affekte, produziert aus diesen Aufmerksamkeitsknoten und assembliert diese zu einer Atmosphäre, einem Diskursklima, in dem ein ‹linksfeministischer Autoritarismus› von Gesellschaften real erscheint (what a joke). Das rechte Netzwerk unternimmt in diesem Sinn ‹world building›: Aus dem komplexen Einzelvorgang wird eine ‹expansive Weltsicht›, in der Diskrimierung und Marginalisierung als default-Erfahrungen weißer Männlichkeit intuitiv und affektiv erfassbar und an immer mehr Beispielen abzulesen sind.

Die Netzwerkarbeiter_innen der Alt-Right – von Hardlinern wie Richard Spencer und Andrew Anglin (The Daily Stormer) bis zu Randphänomenen wie Damore oder z.B. Josephine Mathias11 – generieren damit einen Klimawandel, der Diskurse kippt und die Totalisierung von Gesprächsräumen anstrebt: Aus einer internen Kritik an regulativen Gleichberechtigungsmechanismen wird Widerstand gegen eine Diktatur; der dieser Kritik inhärente Sexismus und Rassismus erscheint als ‹berechtigte Systemkritik›; Anomalien und Sonderbedingungen innerhalb privatwirtschaftlicher Institutionen (z.B. Sprechkonventionen an Universitäten, ‹Codes of Conduct› in Unternehmen) werden zu Symptomen eines generellen Kulturverfalls und der ‹Meinungsdiktatur›; Damores Entlassung gereicht zum Index der ‹Entrechtung der Andersdenkenden› innerhalb eines ‹corporate feminism›; Google wird lesbar als die USA; ‹Diversity› bedeutet Staatsrassismus gegen Weiße und Sexismus gegen Männer... die Liste rechter Hütchenspiele und Kurzschlüsse lässt sich fortsetzen.

Damores Memo selbst vollzieht zwischen den Zeilen den Schritt vom Kritikpunkte-Katalog an Googles Mitarbeiterführung zu diesem geschlossenen Weltbild, in dem linksfeministische Diktatur, neoliberale Unternehmensführung und Unterdrückung weißer Männer eine klare Gewaltfront bilden, gegen die aufbegehrt werden muss: Das Memo enthält dunkle Verweise auf den Kommunismus und das Entstehen von Diktaturen. Damores innere Bereitschaft zur holistischen Theorie wird abgeschöpft von der Alt-Right, ins diskursive Netzwerk eingebettet und sein Fall als ‹Märtyrium eines Aufrechten› stilisiert. Über den Netzwerkanschluss wird sein implizites Weltbild radikalisiert im Hinblick auf Nationalismus, Geschlecht und race, ohne selbst explizit werden zu müssen: Ein Exempel ist gefunden, mit dem Aufmerksamkeiten gekapert werden. Damore muss weniger zur Rechten überlaufen als die Netzwerkeffekte der Alt-Right seinen ‹Fall› zu einem allgemeingültig scheinenden Konversionsmoment (den sog. ‹Red-Pill-Moment›) umstrukturiert. Diese Konversionsmomente sind immer affektiv, nicht argumentativ wirksam: Wie in Damores Memo sind Fakten und Statistiken objektivistische Camouflage für das rechte Grundgefühl der konstanten Belagerung und Bedrohung durch eine feindliche Gesellschaft.

Marginale Männlichkeit und ‹Internet Exceptionalism›

Während Damore (vielleicht unfreiwillig) zentrale Angriffs- und Argumentationspunkte der neuen Rechten wiederholte, interessierte sich der Propagandaeffekt vor allem für seine mindere Männlichkeit: #Real Heroes Don't Wear Capes lautet der Twitter-Hashtag, den Alt-Right-Protagonist Mike Cernovich dem Fall andichtete. Die neue Rechte wird gerne mit der Retraditionalisierung von Geschlechterrollen und einer heroischen Männlichkeit in verkürzende Verbindung gebracht. Damores Rezeption durch die Alt-Right kaprizierte sich dagegen auf dessen Nerd-Männlichkeit, gekennzeichnet durch leichte Sozialstörung, ‹high functioning› Autismus, und seine resultierende Orientierung an ‹Fakten, Prozessen und Technologien› statt ‹Emotionen und Menschen› – Damore selbst zitiert diese vulgärpsychologische Genderunterscheidung (‹Women care for people, Men care for things›), um seine ‹objektiven› Absichten zu unterstreichen. Als Musterbeispiel des ‹socially awkward programmer› verkörpert Damore nicht eine klassisch hegemoniale Männlichkeit in der Krise, sondern den harmlosen Technik-Nerd, der – ‹I value diversity and inclusion› – gute Kritikpunkte im inopportunen Ton vorträgt und daraufhin zum ‹Systemfeind› erklärt wird. Als Nicht-Patriarch werde er fälschlicherweise zum ersten Opfer der strukturellen Hexenjagd auf ein fiktionales Patriarchat.

Hier scheint die Kompatibilität postmoderner Tech-Männlichkeiten mit dem Wertesystem der neuen Rechten auf: Mit dem Aufstieg des Internets hat die Silicon Valley-Kultur eine Grundorientierung für sich reklamiert, die als ‹cyberlibertarianism› oder ‹internet exceptionalism› betitelt wurde.12 In dieser gilt die absolute Neutralität von Daten und Offenheit der Technologie als originär, die keine Diskriminierung kenne: ‹Code knows no color/gender› und der Geist des ‹open sharing› sind die Schlagworte dieses Selbstverständnisses13, hierarchiefreie Arbeit und unbedingte Meritokratie die zentralen Mythen der Branche. Der detailversessene und objektivistische Nerd, stets nur die Optimierung von Systemen und Prozessen im Blick, ist die Grundfigur dieser Politik der Nicht-Politik. Das Silicon Valley berührt sich hier mit zentralen Argumentationsfiguren der Alt-Right, z.B. dass ein vermeintlicher Staatsfeminismus und autoritäre Diversitätspolitiken den ‹freien Austausch der Ideen› verhindern und jene diskriminieren, die sich im freien Spiel der Kräfte ‹natürlicherweise› hervortun würden. Je nach Agitationsbedarf hält die neue Rechte die Programmpunkte der ‹Meinungsfreiheit›, der ‹natürlichen Interessen einer Volksgemeinschaft› oder des ‹ökonomischen Nationalismus› bereit, um zu beschreiben, wie ‹political correctness›, Migration und Diversitätsmanagement sowie die Globalisierung die Freiheiten von ‹Weißen›, ‹Männern› und ‹Konservativen› einschränken. Der Zusammenfall von ‹cyberlibertarianism› und der ultrakonservativen ‹small government›-Fraktion kommt als USA-Spezifikum zu diesen Überlappungen hinzu.

Der nerdige und ‹psychologically unsafe› Programmierer, der lange als zentrale Figur einer Flexibilisierung der Geschlechterrollen im Neoliberalismus galt, wird durch diese Schnittmengen zur unerwarteten Normalisierungsagentur rechter Gefühlswelten und Ideologien, die eine Unterdrückung der Mehrheit durch Minderheiten konstatieren.14 Wenn die Beta-Boys15 der Internetforen innerhalb der weitgehenden Zensurfreiheit des Netzes diskursive Transgressionen inszenieren, um sich anschließend als Opfer einer Meinungsdiktatur fühlen zu können,16 so spielt Damore das gleiche Szenario auf der Ebene der Unternehmenskultur durch: ‹I value diversity and inclusion› und ‹open exchange of ideas›, wenn damit meine sexistischen Ansichten und Ablehnung von Diversität affirmiert werden. So werden aus egalitaristischen Initiativen innerhalb männlicher Monokulturen ‹Beweise› der Unterdrückung amerikanischer Männer – die Alt-Right dankt dafür, dass sie ihre Globalisierungs- und Feminismusverlierer nicht mehr im Proletariat des Rust Belt suchen muss, sondern schüchterne Informatikspezialisten mit ‹six-figure-salaries› Teile ihrer reaktionären Agenda vertreten. Währenddessen streicht die ungarische Regierung einen kleinen Gender Studies-Studiengang unter dem Hinweis, dass es für «Genderologen» keinen Arbeitsmarkt gäbe.17

Identitätspolitik

An Damores Memo lässt sich ablesen, wie sehr reaktionäre und ultrakonservative Diskurse sich mittlerweile als Identitätspolitiken einkleiden (lassen). Damores ‹faktengestützter› Kritikmodus am ‹Gender Mainstreaming› seines Arbeitsgebers sitzt auf einem gänzlich identitätspolitisch verfasstem Fundament auf: Das Memo entfaltet seine Punkte auf dem Grund subjektiver Gefühle der Marginalisierung, ‹psychologically unsafe›, ‹in the closet› und Opfer einer ‹culture of shaming› sowie des ‹silencing› zu sein. Damores Grundmotivation ist ein affektiver Zustand, ein Gefühl der Bedrängtheit, der diskursiven Zurichtung. In Googles innerbetrieblichem Diskurs, der sich an Vielfalt, Chancengleichheit und Empathie – bei gleichzeitigem Blick auf Produktivitätssteigerung – orientiert, ist die Ablehnung dieser Werte gewissermaßen gezwungen, sich innerhalb identitätspolitischer Rhetoriken und aufgrund von ‹subalternem› Erfahrungswissen zu artikulieren.

Ebendiese Eckpfeiler ‹emanzipativen› Sprechens werden von Damore zurückgewiesen, im Namen einer objektivistischen Orientierung an ‹Fakten›, der Meinungsvielfalt und des (auch wirtschaftlich) notwendigen Kampfes gegen ein tendenziell ‹autoritäres Regime›, das ‹Anekdotisches› verabsolutiere. Sowohl Damore als auch die Alt-Right, so muss konstatiert werden, schrecken vor solchen performativen Widersprüchen nicht zurück:

Sie bekämpfen ‹identity politics› unter Berufung auf ihre identitätsbasierte Diskriminierung. Die rechtsextreme Identitäre Bewegung versteht sich als Widerstand einer autochtonen Bevölkerung gegen ‹Multikulti-Kolonisatoren›; Protagonisten des Men’s Rights Movement lehnen ‹gender mainstreaming› ab, weil sie ihre männliche Identität beschnitten sehen; Befürworter einer Wiedereinführung der Rassentrennung in den USA haben sich zu ‹European Identitarians› umgewidmet und treten für die ‹Anerkennung und Erhaltung europäischer Identität, Geschichte und Kultur› in Amerika ein. Wie der rechtssympathisierende Psychologe Jordan B. Peterson aus Toronto vormacht, können so zentrale Elemente neurechten Denkens in völlig unverdächtige ‹empowerment› oder auch ‹self help›-Diskurse umformuliert werden.18 What a world.

Die Bekämpfung, Eindämmung und Kritik des neurechten Diskursklimas wird angesichts dieser Volten und der hier angesprochenen Allianzen und Netzwerkeffekte nicht einfacher. Eine linke Haltung, die diesem Kulturwandel beikommt, lässt sich vielleicht bei contrapoints finden. Zumindest zeitigen ihre Videos bei mir eine leichte Entspannung, was entscheidend ist, denn die Diskursverknappungen und -beschleunigungen der Alt-Right intensivieren Gefühle der Anspannung und Paranoia, und laden zu Kurzschlüssen ein. Verlangsamung der Aufmerksamkeitsmaschinen kann da nur helfen. Werbung aus.

 

Bevorzugte Zitationsweise

Strick, Simon: Der Google-Nerd und das rechte Netzwerk. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, GAAAP_ The Blog, , https://zfmedienwissenschaft.de/online/gaaap-blog/der-google-nerd-und-das-rechte-netzwerk.

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